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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 20.10.2005
Aktenzeichen: 27 U 37/05
Rechtsgebiete: StVG, BGB, PflVG, StVO, ZPO
Vorschriften:
StVG § 7 | |
StVG § 17 | |
StVG § 17 Abs. 1 | |
StVG § 17 Abs. 2 | |
StVG § 17 Abs. 3 | |
StVG § 18 | |
BGB § 254 | |
BGB § 823 Abs. 1 | |
PflVG § 3 Abs. 1 Nr. 1 | |
StVO § 1 | |
StVO § 10 | |
StVO § 10 S. 1 | |
ZPO § 287 |
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das am 29. November 2004 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Essen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 2.933,93 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 05.07.2003 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
A.
Der Kläger macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 30.5.2003 in H geltend. Er befuhr mit seinem Pkw die I-Straße in nördlicher Richtung, und zwar im Bereich einer Ein- und Ausfahrt einer Tankstelle in zweiter Reihe, weil rechts andere Fahrzeuge standen. Dabei überfuhr er eine wegen Straßenbahnschienen durch Markierungen aufgebrachte Sperrfläche. Er beabsichtigte, nach der Sperrfläche auf die Linksabbiegerspur an der folgenden Ampelkreuzung zu fahren, an der die Lichtzeichenanlage "Rot" zeigte und wo auf der rechten Geradeausspur Fahrzeuge warteten. Streitig ist, ob diese Warteschlange bis zur Tankstelle zurück reichte, oder ob dort rechts auch Fahrzeuge (verbotswidrig) parkten, und der Kläger deshalb in die zweite Reihe auswich. Jedenfalls hatten diese rechts stehenden Pkw eine Lücke an der Ein- und Ausfahrt der Tankstelle gelassen. Durch diese wollte die Beklagte zu 2) mit dem Pkw des Beklagten zu 1) von der Tankstelle nach links in südliche Richtung auf die I-Straße einbiegen. An dieser Stelle weist die Sperrfläche eine Unterbrechung auf, um ein solches Abbiegen zu erlauben. Es kam zum Zusammenstoß, bei dem im Wesentlichen der Kotflügel vorne rechts des Fahrzeugs des Klägers und die Frontpartie links des von der Beklagten zu 2) geführten Pkw beschädigt wurden.
Der Kläger hat in erster Instanz Ersatz des vollen ihm entstandenen Schadens begehrt.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes erster Instanz und der dort getroffenen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Das Landgericht hat der Klage nur im Umfang eines Drittels stattgegeben. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe verwiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er im Umfang der ihm bewilligten Prozesskostenhilfe seinen erstinstanzlichen Antrag teilweise weiterverfolgt und insgesamt nunmehr Ersatz von 2/3 seines Schadens begehrt.
B.
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Ersatz der Hälfte des ihm entstandenen Schadens gem. §§ 7, 17, 18 StVG, 823 Abs. 1, 254 BGB, 3 Abs. 1 Nr. 1 PflVG.
Ein Ausschluss der Haftung eines der Beteiligten nach § 17 Abs. 3 StVG kommt ersichtlich nicht in Frage. Die demnach durchzuführende Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge nach § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StVG ergibt, dass sie gleiches Gewicht haben und daher der hälftige Schaden zu ersetzen ist.
I.
Die Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Beklagten zu 2) (im Folgenden: Beklagte) ist durch ein Verschulden erheblich erhöht. Bereits der Beweis des ersten Anscheins spricht für einen Verstoß der Beklagten gegen § 10 S. 1 StVO (vgl. nur Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. A. 2005, § 10 StVO Rn. 11). Er wird im vorliegenden Fall noch dadurch gestützt, dass ausweislich der Beschädigungen der Fahrzeuge die Beklagte in die Seite des Pkws des Klägers fuhr und nicht etwa der Kläger gegen den Pkw der Beklagten. Ein solcher Verstoß führt angesichts der von § 10 StVO aufgestellten hohen Anforderungen an denjenigen, der aus einem Grundstück ausfährt (er muss eine Gefährdung anderer "ausschließen"), grundsätzlich zu dessen Alleinhaftung, sofern nur die einfache Betriebsgefahr des Gegners entgegensteht (Hentschel, aaO., § 17 StVG Rn. 18; Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 18. A. 2004, § 10 StVO Rn. 8).
Entgegen der Auffassung der Beklagten bestand das Vorfahrtsrecht des Klägers für die gesamte Straße und auch auf der Sperrfläche, so dass auch der Kläger durch § 10 StVO geschützt war. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung und allgemeinen Auffassung (vgl. nur Hentschel, aaO., § 8 StVO Rn. 30).
II.
Allerdings ist auch die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs deutlich erhöht.
1.
Zum einen ist dem Kläger das Überfahren der Sperrfläche gefahrerhöhend anzurechnen. Soweit außer dem Gegenverkehr auch andere Verkehrsteilnehmer auf die Berücksichtigung der Sperrflächenmarkierung vertrauen dürfen und ihr Verhalten hierauf einstellen, sind auch sie in den Schutzbereich der genannten Bestimmung einbezogen (BGH, NZV 1992, 148, 150; vgl. auch Hentschel, aaO., § 41 StVO Rn. 248 zu Z 298; OLG Köln, NZV 1990, 72). Das ist hier der Fall: Die Beklagte konnte grundsätzlich davon ausgehen, dass aus ihrer Sicht von links kein Fahrzeug kommen würde, weil die Sperrfläche ein Überholen der auf der rechten Seite stehenden Warteschlange nicht zuließ. Dass es sich jedenfalls unmittelbar an der Ausfahrt der Tankstelle um wartende und nicht parkende Fahrzeuge handelte, hat die Beweisaufnahme erster Instanz ergeben. Zwar enthob dieses Vertrauen die Beklagte nicht von der Pflicht, auch eine Gefährdung solcher verbotswidrig fahrender Fahrzeuge auszuschließen (s.o. I.). Es führt jedoch dazu, dass die Fahrweise des Klägers wesentlich gefahrträchtiger war als ohne ein solches Überfahren einer Sperrfläche.
2.
Hinzu kommt, dass der Kläger gegen § 1 StVO verstoßen hat, weil er mit dem Verhalten der Beklagten rechnen und hierauf unfallvermeidend reagieren musste und konnte.
a)
Allerdings musste der Kläger nach überwiegender Auffassung nicht schon allein wegen der Lücke im haltenden Verkehr vor einer Grundstücksausfahrt besonders vorsichtig sein (Hentschel, aaO., § 10 StVO Rn. 9 a.E.; KG NZV 1996, 365; 1998, 376; a.A. OLG Hamm, 9. ZS, NZV 1992, 238). Das ist anders als bei Einmündungen, weil diese wesentlich besser erkennbar sind und hier eher damit gerechnet werden muss, dass sich Verkehr aus der Einmündung nicht nur in die Lücke einfädeln, sondern diese durchfahren will.
Ob dieser Unterscheidung in dieser Weise zu folgen ist (wozu der Senat allerdings neigt), kann vorliegend offen bleiben. Denn hier bestand die Besonderheit, dass der Kläger die Beklagte wahrgenommen hatte, als sie bereits in der Lücke auf der rechten Fahrspur stand. Hiermit war für ihn erkennbar, dass sie nach links auf die Straße einbiegen wollte. Außerdem hatte er erkannt, dass die Beklagte nur nach rechts schaute. Beides hat der Kläger in seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat so geschildert. Hierdurch musste sich ihm die Gefahr aufdrängen, dass die Beklagte sein Vorfahrtsrecht missachten könnte, weil er in Rechnung stellen musste, für die Beklagte überraschend aufzutauchen, da er eine Sperrfläche befuhr.
b)
Deshalb musste der Kläger mit sofortiger Bremsbereitschaft fahren. Entgegen der Auffassung des Landgerichts kann aber aufgrund der bisherigen Feststellungen weder festgestellt werden, dass er das nicht getan hat, noch, dass sich ein etwaiges zu schnelles oder nicht bremsbereites Fahren unfallursächlich ausgewirkt hat. Das wäre indes notwendig, um eine etwaige Gefahrerhöhung durch dieses Verhalten in die Abwägung einstellen zu können.
Der Kläger musste aber außerdem die Beklagte durch ein Schallzeichen warnen. Wer sich oder andere konkret gefährdet sieht, darf nicht nur, sondern muss ein Warnzeichen geben, wenn sich die Gefahr anders nicht zuverlässig beseitigen lässt (Hentschel, aaO, § 16 StVO Rn. 8). Aufgrund der Verkehrssituation, in der die Beklagte bereits bis an die gedachte Fahrlinie des Klägers herangefahren war, konnte eine bloße vorsichtige Weiterfahrt durch den Kläger einen Zusammenstoß nicht ausschließen, weil jedes Anfahren der Beklagten sogleich zu einem Unfall führen konnte und - je nach dem Zeitpunkt des Anfahrens - für den Kläger keine ausreichende Reaktionsmöglichkeit mehr verblieb. Die Gefahr drohte auch konkret, weil die Beklagte den Kläger offensichtlich nicht beachtete und darauf vertraute, dass niemand die Sperrfläche befuhr. Dieses Unterlassen einer Warnung hat den Unfall mitverursacht. Denn aufgrund der Lebenserfahrung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass ein Schallzeichen dazu geführt hätte, dass die Beklagte ihre Aufmerksamkeit nach links gerichtet hätte, bevor sie angefahren wäre, und dass sie angesichts des dann von ihr wahrgenommenen Klägers stehen geblieben wäre.
III.
Die Abwägung zwischen den beiden oben näher erläuterten Verursachungsbeiträgen lässt beide gleichgewichtig erscheinen. Das unvorsichtige Ausfahren aus dem Grundstück, ohne die Gefährdung anderer auszuschließen, war grundsätzlich die Ursache, der die größte Wahrscheinlichkeit für den Zusammenstoß innewohnte. In nur geringerem Maße schadenswahrscheinlich war das Überfahren der Sperrfläche (s.o. II. 1.), weil eine gehörige Aufmerksamkeit des Gegners den Unfall gleichwohl ohne weiteres vermeiden konnte. Zusammen mit der fehlenden Warnung angesichts der bereits konkret drohenden Gefahr (s.o. II. 2) erreicht es allerdings den Beitrag der Beklagten, ohne dass festgestellt werden könnte, dass in der Summe das Verhalten des Klägers gefährlicher als das der Beklagten war.
Diese Abwägung gilt für Ansprüche aus Verschuldenshaftung nach § 254 BGB in gleicher Weise.
IV.
Die Schadenshöhe hat das Landgericht zutreffend festgestellt. Lediglich die allgemeine Unkostenpauschale schätzt der Senat in ständiger Rechtsprechung gem. § 287 ZPO nur auf 20 €.
V.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Der Kläger hat auch in der Berufungsinstanz nur zur Hälfte verloren. Zwar hatte er die Auffassung vertreten, dass ihm 75 % seines Schadens zu ersetzen seien. Er hat seinen Antrag gleichwohl ausdrücklich auf eine Summe beziffert, die nur 2/3 seines Schadens ausmacht.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Soweit in dem am Schluss der Sitzung verkündeten Tenor der Zusatz "als Gesamtschuldner" fehlte, war diese offenbare Unrichtigkeit gem. § 319 ZPO von Amts wegen zu berichtigen.
Die Voraussetzungen zur Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.
Ende der Entscheidung
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