Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 16.01.2003
Aktenzeichen: 27 U 45/02
Rechtsgebiete: InsO, ZPO, KO, BGB, UStG, UStDB


Vorschriften:

InsO § 55 Abs. 1
InsO § 60
InsO § 60 Abs. 2
InsO § 61
InsO § 61 S. 1
InsO § 61 S. 2
ZPO § 139
ZPO § 286
ZPO § 531 Abs. 2
ZPO § 538 Abs. 2
KO § 82
BGB § 249 S. 1 a. F.
BGB § 278
UStG § 5 Abs. 1
UStG § 10 I S. 3
UStDB § 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 10. Januar 2002 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Klägerin wird das vorgenannte Urteil dahin abgeändert, dass der Beklagte verurteilt wird, über den zuerkannten Betrag hinaus weitere 3.080,98 EUR, mithin insgesamt 22.337,18 EUR nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.10.2000 an die Klägerin zu zahlen, Zug um Zug gegen Abtretung der in dem genannten Urteil bezeichneten Kaufpreisforderungen.

Die Feststellung des Annahmeverzugs des Beklagten bleibt unberührt.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i. H. v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor in derselben Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I. Die Klägerin nimmt den Beklagten als Insolvenzverwalter der L AG wegen der Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten auf Schadensersatz in Anspruch.

Wegen des Sach- und Streitstands bis zum Schluss der ersten Instanz wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen. Zu ergänzen ist, dass die klagegegenständlichen Rechnungen zu den Lieferungen der Klägerin dem Beklagten jeweils ein Zahlungsziel von 14 Tagen ab Rechnungsdatum einräumten.

Das Landgericht hat der Klage unter Abweisung des auf die Mehrwertsteuer entfallenden Betrages der klägerischen Lieferungsrechnungen in Höhe des Nettobetrages der Rechnungen stattgegeben. Nur in dieser Höhe bestehe ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten aus §§ 60, 61 InsO. Für die Feststellung des Schadenseintritts könne der Beklagte die Klägerin nicht auf den Ausgang des Insolvenzverfahrens verweisen, zumal er inzwischen Masseunzulänglichkeit angezeigt habe. Zwar reiche es grundsätzlich für die Begründung einer Haftung nach diesen Vorschriften nicht aus, dass der Verwalter nur zeitweise zur Erfüllung von Masseverbindlichkeiten nicht in der Lage sei; hier sei jedoch die ausdrückliche Zusicherung des Beklagten vor Abschluss der Lieferverträge mit der Klägerin in seinen Schreiben vom 12.10. und 2. 12. 1999 zu berücksichtigen, wonach die Schuldnerin auch in den nächsten Monaten in der Lage sein werde, ihren Verpflichtungen nachzukommen, und es keine Probleme bezüglich der Fortsetzung der Lieferungen und Warenkäufe geben werde.

Der Beklagte habe sich nicht gemäß § 61 Satz 2 InsO entlasten können. Seinem Vortrag lasse sich nicht entnehmen, dass er auch bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht hätte vorhersehen können, dass die begründeten Masseverbindlichkeiten nicht - jedenfalls nicht entsprechend der gegebenen Zusagen problemlos - getilgt werden konnten. Er habe nicht dargetan, wie der Leiter des Finanz- und Rechnungswesens Q und die Buchungen der von ihm selbst eingegangenen Verbindlichkeiten überwacht worden seien. Damit hänge zusammen, dass - als weitere Pflichtwidrigkeit - mit der erhaltenen Zahlung der ersten Kaufpreisrate für die Warenvorräte nicht vorrangig die neuen Masseverbindlichkeiten beglichen worden seien, sondern dieser Betrag an den Banken- und Lieferantenpool ausgekehrt worden sei.

Soweit eine weitere Ursache für den späteren Liquiditätsmangel nach Darstellung des Beklagten darin liege, dass die L GmbH die weiteren Kaufpreisraten wegen des Auftritts von Differenzen über die Warenbewertung und die damit verbundene Festlegung des definitiven Kaufpreises nicht zahlte, habe der Beklagte nicht konkret dargetan, dass er diese Differenzen nicht zu vertreten habe und ohne Vereinbarung von Sicherheiten auf die prompte Bezahlung der Kaufpreisraten vertrauen konnte. Angesichts seiner Zusicherung der problemlosen Abwicklung der Neubestellungen hätte er sich aber spätestens vor Abnahme der Waren vergewissern müssen, dass er diese Zusicherung auch einhalten konnte.

Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin bestehe jedoch nur in Höhe des Netto-Warenwertes. Der Mehrwertsteueranteil belaste sie auf Grund ihrer eigenen Vorsteuerabzugsberechtigung nicht.

Der Beklagte erstrebt mit seiner Berufung volle Klageabweisung, die Klägerin verfolgt mit ihrem Rechtsmittel die Zuerkennung auch des Mehrwertsteuerbetrags auf ihre Rechnungsforderungen.

Der Beklagte rügt als zur Zurückverweisung nötigende Verfahrensfehler des Landgerichts, dieses sei unter Verstoß gegen § 286 ZPO seinem durch Sachverständigengutachten zu verifizierenden Vortrag nicht nachgegangen, der vorgelegte Status der Insolvenzmasse zum 30. 6.2000 erweise, dass er, Beklagter, zum Zeitpunkt der Bestellung der Waren bei der Klägerin wie auch der Lieferung in der Lage gewesen sei, die daraus resultierenden Forderungen der Klägerin zu erfüllen. Jedenfalls habe das Landgericht seine Hinweispflicht aus § 139 ZPO verletzt, indem es nicht rechtzeitig vor dem Kammertermin auf die vermeintlich fehlende Substanziierung des Beklagtenvorbringens zum Fehlen des Verschuldens i. S. v. § 61 S. 2 InsO hingewiesen und in der mündlichen Verhandlung bis dahin schriftsätzlich nicht eingeführte Streitpunkte - Vorwurf der Zahlung der ersten Kaufpreisrate an die Altgläubiger statt an ( Masse-)-Lieferanten, Kaufvertrag über das Anlagevermögen ohne Sicherung der Kaufpreisforderung - zur Diskussion gestellt habe, auf die sein Prozessbevollmächtigter sich nicht sofort habe erklären können.

In der Sache stellt der Beklagte die Voraussetzungen von § 61 S. 1 InsO in Abrede, indem er - erstmals - behauptet, die Forderung der Klägerin könne bis zum Abschluss der Masseverwertung aus der Insolvenzmasse voll erfüllt werden. Ein zum Stichtag 15.3.2002 aufgestellter Massestatus erweise einen Überschuss von 1,988 Mio. EUR. Damit könnten unter der Voraussetzung der Realisierbarkeit sämtlicher Masseansprüche alle Masseverbindlichkeiten erfüllt werden. Die Masseansprüche seien sämtlich zu realisieren, namentlich die Restkaufpreisforderung von 1,937 Mio. EUR gegen die L GmbH, die sich aus dem Gutachten des Wirtschaftsprüfers X vom 24.2.01 über die Höhe des von der Käuferin nach dem Vertrag vom 4.7./23.11.00 für die Warenvorräte zu zahlenden Gesamtkaufpreises ergebe. Aus dem Verkauf des Anlagevermögens der Insolvenzschuldnerin an die B GmbH ergebe sich nach der mit dem Gläubigerpool getroffenen Vereinbarung für die Masse ein Erlösanteil i. H. v. 1,622 Mio. EUR. Der Gläubigerausschuss habe inzwischen die Erhebung der Kaufpreisklage genehmigt. Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit in seinen Schreiben vom 5.2.01 an die Gläubiger und vom 7.3.01 an das Insolvenzgericht stehe dazu nicht in Widerspruch, weil es sich erklärtermaßen nur um eine temporäre Unzulänglichkeit gehandelt habe. Mit den dort als zunächst unerkannt genannten Lieferantenverbindlichkeiten i. H. v. 3,5 Mio. DM verhalte es sich so: Sie seien in der Buchhaltung der Insolvenzschuldnerin sehr wohl vollständig erfasst gewesen. Bis zu seinem Ausscheiden im Januar 2001 bei der Unternehmensübernehmerin habe der Buchhaltungsleiter Q monatliche Statusübersichten vorgelegt. Die L GmbH habe sodann eine neue Buchhaltung " in Szene gesetzt "; die alte Buchhaltung der Schuldnerin sei zwar gesichert worden, aber über das vorhandene EDV-System nicht abrufbar gewesen. Von den verbliebenen Mitarbeitern der Buchhaltung habe er, Beklagter, eine Liste mit offenen Masseverbindlichkeiten erstellen lassen, die gegenüber den noch von Q vorgelegten Zahlen um 3,5 Mio. DM höhere Verbindlichkeiten ausgewiesen habe. Eine nach Wiederverfügbarkeit der alten EDV-Buchhaltung ab Oktober 2001 erstellte Auflistung der Abweichungen zwischen den gebuchten Verbindlichkeiten und denen der Anfang des Jahres erstellten Ersatzliste habe wiederum nur eine zu vernachlässigende Differenz von 124.363 DM ergeben. Das Fehlen der Liquidität habe allein auf den unberechtigten Zahlungsverweigerungen der Käufer des Unternehmensvermögens beruht.

Da die Masseverbindlichkeiten letztlich aus der Masse würden erfüllt werden können, fehle es einem Schaden der Klägerin, die die Abwicklung des Insolvenzverfahrens abwarten müsse. Von diesem aus § 61 InsO zu folgerndem Erfordernis könne entgegen der Ansicht des Landgerichts nicht mit der Begründung abgewichen werden, dass der Beklagte mit den Rundschreiben vom 12.10. und 2.12.1999 Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen durch die Masse zugesichert habe. Diesen Schreiben komme keine über die gewöhnliche Erklärung der Vertragstreue hinausgehende Bedeutung, namentlich nicht die einer Garantieerklärung zu.

Darüber hinaus habe er, Beklagter, bei Eingehung der Verbindlichkeiten jedenfalls nicht erkennen können, dass die Masse zur Erfüllung voraussichtlich nicht ausreichen werde, § 61 S. 2 InsO. Abgesehen davon, dass die Masse wie dargelegt tatsächlich ausreiche, hätten sich aus den Statusübersichten Februar bis Oktober 2000 erhebliche, im Einzelnen Bl. 135 ff GA dargelegte - als "Wertschöpfung " bezeichnete - Überschüsse als freie Masse noch bis zum 31.8.2000 i. H. v. zuletzt 1,108 Mio. DM ergeben. Soweit sich zum 30.9. und 31.10.00 Liquiditätsunterschüsse ergeben hätten, sei das aufgrund von Stundungsabkommen mit dem Gläubigerpool aus Banken und Altlieferanten unschädlich. Auch zu diesen Stichtagen hätten noch liquide Mittel von mehr als 3 Mio. DM zur Verfügung gestanden. Unter diesen Umständen habe er nicht gegen die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters verstoßen, als er bei der Kl. Waren bestellt und nachfolgend entgegengenommen habe.

Für Fehler des Buchhaltungsleiters der Insolvenzschuldnerin Q müsse er, so meint der Beklagte, gemäß § 60 Abs. 2 InsO nicht einstehen. Ihn treffe kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden, da er alle Mitarbeiter der Buchhaltung, insbesondere deren Leiter Q stets auf die Wichtigkeit der ordnungsgemäßen Buchführung hingewiesen und sich in unregelmäßigen Abständen von der Ordnungsgemäßheit, insbesondere der Zeitnähe der Buchungen, vergewissert habe. Auf die Weiterbeschäftigung des leitenden Mitarbeiters Q sei er schon wegen des Umfangs der Betriebsfortführung mit einem Umsatz von letztlich 90 Mio. DM angewiesen gewesen. Dieser sei durch seinen, des Beklagten, Mitarbeiter F bis zum Abschluss der Unternehmensverkaufsverträge zwei- bis dreimal wöchentlich, danach einmal wöchentlich überprüft worden.

Die Vorwürfe des angefochtenen Urteils, die erste Kaufpreisrate aus dem Verkauf der Warenvorräte an den Altgläubigerpool ausgekehrt statt zur Bezahlung der Neulieferanten verwendet, das Ausbleiben der buchmäßig ausgewiesenen Wertschöpfung von 10 Mio. DM wegen der Produktion ausschließlich mit neu gelieferter Ware verkannt und das Vermögen der Insolvenzschuldnerin an die Übernehmer ohne vertragliche Sicherung des Kaufpreises veräußert zu haben, seien einer Haftung aus § 61 InsO nicht zuzuordnen. Außerdem seien sie ungerechtfertigt, weil er trotzdem über ausreichende Liquidität zu Befriedigung der Forderungen von Neulieferanten verfügt habe. Hinsichtlich der Kaufpreisforderung gegen die L GmbH habe er sich auf die Vertragstreue der Käuferin verlassen dürfen. Die Kaufpreisforderung sei berechtigt und durchsetzbar. Ebenso habe er auf die Bezahlung des Anlagevermögens vertrauen dürfen. Waren und Anlagevermögen habe er unter Eigentumsvorbehalt veräußert. Weitere Sicherheiten seien weder üblich noch zu erreichen gewesen. An der Bonität der Erwerber zu zweifeln habe kein Anlass bestanden, nachdem eine Bankauskunft deren beiden Gesellschaftern ein Vermögen von mindestens 22 Mio. DM bescheinigt habe.

Mit Schriftsätzen vom 20.8. und 5.11.02 und diese teilweise bei seiner Anhörung vor dem Senat berichtigend trägt der Beklagte zu den Gründen der - angeblich nur zeitweisen - Masseunzulänglichkeit und der von ihm reklamierten Unvorhersehbarkeit einer Zahlungsunfähigkeit im Zeitpunkt der Bestellungen gegenüber der Klägerin ergänzend vor:

Seine Tätigkeit als Insolvenzverwalter und speziell im Rahmen der Betriebsfortführung sei von Anfang an durch fundierte betriebswirtschaftliche Sachverständigengutachten begleitet gewesen. Weil er über so gut wie keine liquide Mittel verfügt habe, habe er die Gläubigerbanken und Lieferanten für die im allseitigen Interesse liegende Betriebsfortführung gewinnen müssen und schließlich den Abschluss des Poolvertrages erreicht, mit dem ihm 10 Millionen DM zur Verfügung gestellt worden seien.

Er habe kontinuierlich eine periodische Liquiditätsplanung - beginnend mit dem 11.10.99 - aufgestellt, die noch für Ende September 2000 einen Liquiditätsüberschuss i. H. v. 12,653 Mio. DM ausgewiesen habe. Rechnerisch habe er, Beklagter, per 7.9.2000 noch eine freie Masse von rd. 18 Mio. DM ermittelt gehabt. Ende 11/00 habe er noch über Bankguthaben i. H. v. rd. 2 Mio. DM verfügt. Warum die Rechnungen der Klägerin gleichwohl nicht bei Fälligkeit bezahlt worden seien, könne er konkret nicht angeben; die Entscheidung darüber, welche Rechnungen beglichen wurden, habe zu der Zeit der Leitung der Finanzbuchhaltung oblegen. Die in Rede stehenden Zahlungsverzögerungen lägen aber im Rahmen einer in vergleichbaren Unternehmen anzutreffenden Übung.

Der kurz darauf unerwartet eingetretene Mangel an Liquidität habe darauf beruht, dass

- die Käuferin der Warenbestände ab der 2. Rate die Kaufpreiszahlung verweigert habe. Dem lägen Differenzen in der Bewertung des übernommenen Warenbestandes zugrunde, die ihre Ursache in einer - näher dargestellten - Unübersichtlichkeit der überdimensionierten Buchhaltung der Insolvenzschuldnerin hätten. Der Korrekturbedarf beim Wert des Warenbestandes betrage ca. 5 Mio. DM,

- der Betriebsübergang wegen Ausbleibens der Landesbürgschaft nicht plangemäß Ende September 2000 habe vollzogen werden können. Deshalb habe die Insolvenzmasse den Wareneinkauf für die Übernehmergesellschaft und die Produktion bis Dezember 2000 vorfinanzieren müssen. So seien 6 Mio. DM an "Wertschöpfung" verbraucht worden. Die - für den Beklagten Mitte 9/00 erkennbare - Verzögerung der Landesbürgschaft beruhe auf der Verschiebung einer Ausschusssitzung und der Notwendigkeit, mit dem Erwerber noch Detailfragen zu klären.

- Kosten i. H. v. 2,5 Mio. DM für die in 11/00 fällige Jahressonderzahlungen an die Arbeitnehmer, die wegen der Verzögerung des Betriebsübergangs noch von der Insolvenzmasse zu tragen gewesen seien, in den Planungen nicht berücksichtigt gewesen seien.

- Hinzu kämen Kosten lt. einer - trotz gerichtlichen Hinweises nicht vorgelegten - Aufstellung vom 14.9.00 i. H. v. 3,5 Mio. DM.

Insgesamt reduziere sich so die mit 18,799 Mio. DM angesetzte Wertschöpfung für die Insolvenzmasse auf 1,799 Mio. DM. Die angefallenen Mehrkosten von 17 Mio. DM müsse letztlich der Lieferanten/Bankenpool tragen, an den in Unkenntnis dieser Kosten im November 2000 aus der von der L GmbH erzielten ersten Kaufpreisrate für die Warenvorräte 8.060.000 DM zur Ablösung von Sicherungsrechten gezahlt worden seien.

Der Beklagte beantragt, unter Zurückweisung der gegnerischen Berufung das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landgericht Münster zur weiteren Verhandlung zurück zu verweisen, - hilfsweise - abändernd die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, unter Zurückweisung der gegnerischen Berufung abändernd den Beklagten zu verurteilen, an sie über den bereits zuerkannten Betrag hinaus weitere 3.080,98 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz zu zahlen,

hilfsweise

a) ihre gemäß dem landgerichtlichen Urteil Zug-um-Zug zu erfüllende Verpflichtung zur Abtretung ihrer Rechnungsforderungen auf deren Nettobeträge zu beschränken und

b) festzustellen, dass ihr wegen der ihr verbleibenden Restforderungen in Höhe des Mehrwertsteueranteils auf die Nettobeträge ein Befriedigungsvorrecht gegenüber den an den Beklagten abzutretenden Nettobeträgen gegen die Insolvenzmasse der L AG zusteht.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil soweit es der Klage stattgibt. Die vom Beklagten erhobenen Verfahrensrügen seien unbegründet.

In der Sache bestreitet die Klägerin die Zulänglichkeit der Insolvenzmasse zur Befriedigung der Massegläubiger. Solange die Masseunzulänglichkeitserklärung des Beklagten nicht aufgehoben sei, seien seine sämtlichen gegenteiligen Behauptungen unbeachtlich. Der in der Berufungsbegründung dargestellte Vermögensstatus per 15.3.2002 sei eben so unrichtig wie der zum 30.6.2000, im Übrigen weder nachvollziehbar noch aussagekräftig und deshalb einer Beweiserhebung nicht zugänglich. Alle Angaben des Beklagten zur Liquidität und zu Forderungen der Insolvenzmasse bestreitet die Klägerin.

Wenn der Beklagte zeitweilig Masseverbindlichkeiten i. H. v. 3,5 Mio. DM verkannt habe, erweise das seinen Mangel an Sorgfalt bei der von ihm zu gewährleistenden Buchführung während seiner Betriebsfortführung. Es habe nicht einmal eine Planrechnung gegeben, die - wie erforderlich - alle Masseverbindlichkeiten erfasst habe. Deshalb sei auch der Vortrag des Beklagten zur Zuverlässigkeit des Buchhaltungsleiters Q und zur Aufstellung der Kreditorenliste durch andere Mitarbeiter zu bestreiten.

Zu folgen sei dem Landgericht weiter darin, dass der Beklagte wegen der Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens in seinen Rundschreiben an die Lieferanten vom 12.10. und 2.12.1999 persönlich bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf Zahlung für den Ausfall der Masseforderungen hafte und die Lieferanten nicht auf die den Abschluss der Masseliquidation verweisen könne.

Dem Beklagten sei bei der Betriebsfortführung unter Inanspruchnahme neuen Lieferantenkredits Fahrlässigkeit vorzuwerfen, indem er weder eine zureichende Finanzplanung erstellt noch den Finanzbuchhalter Q ausreichend überwacht habe. Insoweit bestreitet die Klägerin sämtliche von der Berufungsbegründung S. 19 - 21 zitierten Zahlen der - im Übrigen der erforderlichen begrifflichen Klarheit und Nachprüfbarkeit entbehrenden Statusübersicht und erachtet den - bestrittenen - Beklagtenvortrag zur Überwachung des Q für unzureichend.

Zur Begründung der eigenen Berufung rügt die Klägerin, das Landgericht habe verkannt, dass sie auch auf den Nettoschadensersatzbetrag Mehrwertsteuer abzuführen habe, weil sie eine umsatzsteuerpflichtige Leistung erbracht habe.

Die Akten der im selben Senatstermin mit verhandelten Parallelrechtsstreite 27 U 46/02, 58/02, 59/02, 60/02 und 64/02 OLG Hamm sind zur Ergänzung des Parteivorbringens Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Der Senat hat den Beklagten persönlich gehört. Wegen des Inhalts seiner Erklärungen wird auf den Berichterstattervermerk zum Protokoll der Berufungsverhandlung vom 12.12.2002 verwiesen.

II.

Die Berufungen beider Parteien sind zulässig; die des Beklagten ist jedoch unbegründet ( A ), während das Rechtsmittel der Klägerin mit dem Hauptantrag Erfolg hat ( B ).

A. Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend eine Schadensersatzpflicht des Beklagten gemäß § 61 S. 1 InsO bejaht.

I.

Zu einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz gemäß § 538 Abs. 2 ZPO besteht keine Veranlassung.

1.

Ob das Landgericht verfahrensfehlerhaft eine Beweisaufnahme unterlassen hat, ist allein von seinem materiellen Rechtsstandpunkt aus zu beurteilen (vgl. Zöller - Gummer, § 538 Rn 10 m. Nachw. aus der st. Rspr. des BGH). Hier hat das Gericht aber eine Beweiserheblichkeit in Bezug auf den vorgelegten Status per 30.6.2000 verneint, indem es die Bejahung der Haftung entscheidend auf andere Gesichtspunkte gestützt hat. Damit liegt auch insoweit kein Verfahrensfehler vor.

2.

Ob in Anwendung der Neufassung des § 139 ZPO weitere Hinweise an den Beklagten erforderlich gewesen sind, lässt der Senat offen. Denn jedenfalls aufgrund der vorliegenden Entscheidungsreife erscheint eine eigene Sachentscheidung durch den Senat zweckmäßig.

II.

Der haftungsbegründende Tatbestand des § 61 S. 1 InsO ist bereits dadurch erfüllt, dass der Beklagte die den Gegenstand der Klageforderung bildenden Masseverbindlichkeiten trotz Fälligkeit derzeit nicht aus der Insolvenzmasse erfüllen kann.

1.

Dass es sich bei den in Rede stehenden Forderungen der Klägerin um Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 InsO handelt, ist unstreitig.

2.

Diese Forderungen sind aufgrund der von der Klägerin eingeräumten Zahlungsziele jedenfalls spätestens am 3.11.2000 vollständig fällig gewesen.

3.

Für die Haftung kommt es nicht darauf an, ob die Forderungen noch zu einem späteren Zeitpunkt aus der Masse ganz oder teilweise erfüllt werden können. Der Schaden der Klägerin i.S.v. § 61 S. 1 InsO ist vielmehr bereits dadurch eingetreten, dass der Beklagte bei Fälligkeit der Forderung zur Erfüllung mit Massemitteln nicht in der Lage gewesen ist. Deshalb bedarf es auch nicht der Annahme einer besonderen Garantie des Beklagten aufgrund seiner Rundschreiben an die Lieferanten, wie sie das Landgericht durchaus zweifelhaft bejaht hat.

a)

Der Wortlaut des § 61 S. 1 InsO lässt insoweit allerdings unterschiedliche Auslegungen zu. Dementsprechend werden auch im Schrifttum unterschiedliche Auffassungen vertreten. Während z.B. Blersch (in Breutigam/ Blersch/ Goetsch, § 61 InsO Rn 3) der Ansicht ist, dass es nicht ausreiche, wenn der Verwalter wegen unzureichender barer Masse nur zeitweise zur Erfüllung der fälligen Masseverbindlichkeiten nicht in der Lage sei, jedoch im Verlaufe des Verfahrens zusätzliche Masse entstehen könne, die am Ende zur vollständigen Erfüllung aller Masseverbindlichkeiten ausreicht, teilt z.B. Lüke (in Kübler/Prütting, § 61 InsO Rn 7) die vom Senat vertretene Auffassung.

b)

Der im Gesetzgebungsverfahren deutlich gewordene Wille des Gesetzgebers gebietet jedoch die hier favorisierte Auslegung:

Insoweit ist zunächst auf die frühere Rechtsprechung des BGH zur Haftung des Konkursverwalters gemäß § 82 KO hinzuweisen. Schon unter Geltung dieser Vorschrift hatte der BGH unter Hinweis auf die Stellung des Massegläubigers außerhalb des Konkurses ausgeführt, der Bejahung eines bereits gegenwärtigen Ausfallschadens stehe nicht entgegen, dass die Masseunzulänglichkeit möglicherweise später behoben und die Masseforderung dann in vollem Umfange wieder durchsetzbar werden könne (BGH DB 1977, 1645; DB 1973, 966). Von dieser Auffassung ist der BGH auch in den vom Beklagten zitierten späteren Entscheidungen NJW 1987, 844 (= BGHZ 99, 151) und NJW 1987, 3133 nicht erkennbar abgerückt. In der erstgenannten Entscheidung hat der BGH vielmehr schon im Leitsatz bestätigt, dass der Konkursverwalter dann haftet, wenn er im Laufe der Fortführung des Betriebes hätte erkennen können und müssen, dass er die aus der Masse zu erfüllenden Verbindlichkeiten nicht werde tilgen können. Dazu, wann dies feststeht, hat sich der BGH in jener Entscheidung nicht geäußert. Er hat allerdings ausgeführt (a.a.O., S. 845), dass der Konkursverwalter nicht haftet, wenn er, die Gläubigerversammlung und der Gläubigerausschuss nicht sicher sein können, dass künftige Massegläubiger voll befriedigt werden, aber Aussicht besteht, die Masseverbindlichkeiten zu tilgen, die notwendig dann entstehen, wenn der Betrieb etwa bis zu einer geplanten Veräußerung fortgeführt werden soll. Das hat er auch in der Entscheidung BGH NJW 1987, 3133, in der es gar nicht um die Begründung von Masseverbindlichkeiten im Rahmen einer Betriebsfortführung ging, nochmals bestätigt (a.a.O., S. 3134). Diese Einschränkung betraf aber somit nur die Frage, welches Ausmaß an Sorgfaltspflichten den Verwalter bei der Begründung neuer Masseverbindlichkeiten trifft, nicht aber die Frage, zu welcher Zeit bei dennoch pflichtwidrigem Handeln die Haftung einsetzt. Bereits diese Rechtsprechung schloss es daher nicht aus, für den Fall einer nach ihren Maßstäben unzulässigen Betriebsfortführung den Eintritt des Schadens bereits vor endgültigem Abschluss des Konkursverfahrens anzunehmen.

Des Weiteren hat der Gesetzgeber in eben diesem Punkt durch die Einführung des § 61 InsO wieder eine Verschärfung der Haftung in Richtung auf die ältere Rechtsprechung des BGH vorgenommen. Ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs zur InsO sollten die Möglichkeiten zur Fortführung von Betrieben durch den Insolvenzverwalter gerade dadurch verbessert werden, dass durch eine Erweiterung und nicht durch eine Einschränkung der Verwalterhaftung bei der Eingehung von Masseverbindlichkeiten die Bereitschaft von Lieferanten zu Vertragsabschlüssen mit dem Insolvenzverwalter erhöht werden sollte. Indem deshalb aufgrund einer entsprechenden Änderung der Darlegungs- und Beweislast nunmehr im Falle der Nichtbegleichung einer Masseverbindlichkeit vermutet wird, dass der Insolvenzverwalter im Zeitpunkt ihrer Begründung erkennen konnte, dass die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen wird, woran zugleich eine insolvenzspezifische Haftung geknüpft ist, ist dem Verwalter damit im Interesse der Massegläubiger auch die spezifische Pflicht auferlegt, die pünktliche Erfüllbarkeit aus der Masse bei der Begründung jeder einzelnen Masseverbindlichkeit zu prüfen und - worauf noch einzugehen sein wird - auch möglichst weiterhin zu gewährleisten (vgl. zu der erneuten Verschärfung von Verwalterpflichten auch Brandes in MüKo - InsO, Rdnrn. 33, 34, 38 zu §§ 60,61).

Die Regelung des § 61 S. 1 InsO will somit den Massegläubiger möglichst von den Risiken einer unzureichenden Masse befreien. Damit wäre es unvereinbar, wenn der Verwalter im Falle einer von ihm zu vertretenden ungenügenden Liquidität der Masse im Zeitpunkt der Fälligkeit der Masseverbindlichkeit den Gläubiger darauf verweisen könnte, zunächst abzuwarten, ob die Masse nach Durchsetzung eigener Masseforderungen zu einem späteren Zeitpunkt wieder zur Erfüllung in der Lage ist.

c) Nach den eigenen Erklärungen des Beklagten sind die Masseforderungen, auf die er sich hier insoweit stützt, Gegenstand von Gerichtsverfahren, deren Dauer nicht abzusehen ist. Damit steht fest, dass diese Masseforderungen jedenfalls nicht binnen kurzer Zeit unschwer zu realisieren sind. Die damit gegebenen Zweifel an der Durchsetzbarkeit der Außenstände können nicht zu Lasten des Massegläubigers gehen. Ein Ausfallschaden i.S.v. § 61 S. 1 InsO ist damit bereits jetzt zu bejahen.

III.

Die Haftung des Beklagten ist nicht gemäß § 61 S. 2 InsO ausgeschlossen.

1. Nach dem Wortlaut des § 61 S. 2 InsO entfällt die Haftung aus § 61 S. 1 InsO dann, wenn der Verwalter im Zeitpunkt der Begründung der Verbindlichkeiten die spätere Masseunzulänglichkeit bei Fälligkeit der Forderungen nicht als wahrscheinlich hat voraussehen können.

Ob das hier der Fall war, ist zweifelhaft. Der Vortrag des Beklagten zu den Ursachen der Nichtbezahlung der Forderungen der Klägerin aus der Konkursmasse ist wechselnd und z.T. widersprüchlich gewesen und geblieben. Dies gilt insbesondere für die Frage der rechnerischen Überschüsse der freien Masse zu unterschiedlichen Zeitpunkten, der danach jeweils vorhandenen Liquidität und der zeitweiligen Buchungslücke hinsichtlich 3,5 Mio. DM zunächst nur handschriftlich erfasster Lieferantenverbindlichkeiten sowie deren Auswirkungen auf die Finanzplanung. Insgesamt ist der Vortrag des Beklagten zur Liquiditätsplanung teilweise schwer nachvollziehbar und in weiten Teilen völlig neu. Ob er in zweiter Instanz genügt, eine hinreichend sorgfältige Finanz- und Liquiditätsplanung zu bejahen, die den Vorwurf pflichtwidriger Begründung von Masseverbindlichkeiten widerlegt und zumindest zur Überprüfung der Planung durch einen Sachverständigen nötigen würde, und ob dieser Vortrag gemäß § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen ist, bedarf indessen keiner Entscheidung.

2.

Die vorstehend aufgeworfenen Fragen können nämlich sämtlich deshalb offen bleiben, weil sich der Beklagte aus einem anderen Grunde ohnehin nicht auf die Entlastungsmöglichkeit nach § 61 S. 2 InsO berufen kann. Denn er hat vorliegend die Unzulänglichkeit der Masse - unabhängig von den bei Begründung der Verbindlichkeiten vorhersehbaren Umständen - pflichtwidrig dadurch herbeigeführt, dass er aus der am 24.11.2000 gezahlten ersten Kaufpreisrate für das Warenlager von knapp 9,2 Mio. DM noch am selben Tage einen Betrag von ca. 8,06 Mio. DM an den Gläubigerpool ausgekehrt hat, anstatt aus diesen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zunächst die fälligen und demnächst fällig werdenden Masseverbindlichkeiten zu begleichen.

a)

Der Zweck der Haftungsnorm des § 61 S. 1 InsO gebietet es, dass auch der Verwalter, der bei Eingehung der Masseverbindlichkeit pflichtgemäß gehandelt hat, aber die Unzulänglichkeit der Masse durch anderweitige Verwendung der Masse selbst herbeiführt, hinsichtlich seiner Haftung nicht besser steht als derjenige Verwalter, der bei Eingehung der Masseverbindlichkeit "nur" eine falsche Prognose hinsichtlich der später zur Erfüllung der Verbindlichkeit stehenden Mittel abgegeben hat.

Die Vorschrift des § 61 S. 1 InsO gilt nach ihrem umfassenden Wortlaut nicht nur für die Fälle, in denen die Masse zur Bezahlung nicht ausreicht, weil im Zeitpunkt der Bestellung eine fehlerhafter Prognose des Verwalters hinsichtlich der bei Fälligkeit zur Verfügung stehenden Mittel vorgelegen hat, sondern erfasst auch alle anderen Fälle einer zur Erfüllung von Masseverbindlichkeiten unzureichenden Masse. Die Entlastungsmöglichkeit des S. 2 betrifft demgegenüber nur den soeben erstgenannten Fall, dass die Pflichtwidrigkeit allein in der Bestellung liegt. Sie stellt insoweit primär eine Beweislastverteilungsregel dar (vgl. Uhlenbruck, § 61 InsO Rdnr. 12).

Die insolvenzspezifischen Pflichten des Verwalters gehen aber weitergehend dahin, nicht nur die Bestellung zu unterlassen, wenn voraussichtlich keine ausreichenden Mittel zur Bezahlung zur Verfügung stehen, sondern selbstverständlich auch bei einer erlaubten Begründung der Verbindlichkeit weiterhin alles zu tun, um die Bezahlung der Verbindlichkeit zu sichern. Es wäre geradezu paradox, wenn der Verwalter, der bei Begründung von Masseverbindlichkeiten lediglich fahrlässig verkennt, dass die Unzulänglichkeit der Masse überwiegend wahrscheinlich ist, zum Schadensersatz verpflichtet ist, demgegenüber aber der Verwalter, dem ausreichende Massemittel zur Verfügung standen, der diese aber zu einem späteren Zeitpunkt anderweitig verwendet, von einer Haftung nach § 61 S. 1 InsO befreit sein sollte, weil er bei Begründung der Verbindlichkeit noch pflichtgemäß gehandelt hat. Die Beweislastregel des § 61 S. 2 InsO hat zu dieser Fallgestaltung erkennbar keinen Bezug.

b)

Die Auszahlung von ca. 8 Mio. DM an den Gläubigerpool der Banken und Lieferanten durch den Beklagten geschah im vorliegenden Fall nach diesen Maßstäben pflichtwidrig.

Der Beklagte hat selbst den wesentlichen Grund dafür, dass die Verbindlichkeiten gegenüber der Klägerin und weiteren Gläubigern nicht erfüllt worden sind, darin gesehen, dass er einerseits die erste Kaufpreisrate für das Umlaufvermögen zum weit überwiegenden Teil an den Pool ausgezahlt hat, andererseits - für ihn angeblich nicht vorhersehbar - die weiteren Kaufpreisraten ausgeblieben seien. Er hat ausgeführt, dass er diese Auszahlung nicht vorgenommen hätte, wenn er das Ausbleiben der weiteren Kaufpreisraten geahnt hätte.

Es kommt jedoch nicht darauf an, ob das Ausbleiben der weiteren Kaufpreisraten für den Beklagten absehbar gewesen ist. Denn sein Einwand, dass die Forderungen problemlos hätten beglichen werden können, wenn nicht die weiteren Kaufpreisraten von den Erwerbern des Anlage- und Umlaufvermögens ausgeblieben wären, womit er nicht habe rechnen können, schließt seine Pflichtwidrigkeit schon deshalb nicht aus, weil diese Raten erst zu einem späteren Zeitpunkt fällig geworden sind.

aa) Der Beklagte durfte im Rahmen seiner Liquiditätsplanung nicht vorsehen, die Forderungen der Klägerin erst mit den ab Februar 2001 fällig werdenden weiteren Kaufpreisraten für das Anlage- und Umlaufvermögen zu begleichen. Denn die Forderungen der Klägerin waren zu dem Zeitpunkt der Auskehrung an den Gläubigerpool sämtlich bereits fällig. Die letzte Rechnung der Klägerin datierte vom 20.10.2000 mit Fälligkeitsdatum 3.11.2000 (Bl. 13 GA).

Der Beklagte kann sich nicht erfolgreich darauf berufen, dass es einer im Wirtschaftsleben verbreiteten Übung entspreche, Rechnungen nicht stets pünktlich bei Fälligkeit zu bezahlen, sondern auch eingeräumte Zahlungsziele je nach der eigenen Liquiditätslage in einem bestimmten Rahmen zu überschreiten. Ein solches Verhalten mag eine gewisse Verbreitung gefunden haben. Jedoch handelt es sich hierbei nicht um eine anerkannte Übung, sondern vielmehr um eine teilweise eingerissene Unsitte, die ihrerseits zu vielen Insolvenzen beiträgt, weil sie wiederum die Liquiditätslage des Zahlungsempfängers beeinträchtigt. Die Rechtsordnung billigt ein solches Verhalten nicht, sondern wertet es weiterhin als pflichtwidrig.

Richtig ist zwar, dass in der Praxis eine kurzfristige Zahlungsverzögerung oft auch vom Empfänger hingenommen wird, wenn sie zu keinen gravierenden Nachteilen geführt hat. Der Schuldner handelt dabei aber auf eigenes Risiko. Bleibt es bei der kurzfristigen Verzögerung, so ist der Gläubiger in der Regel auf die Geltendmachung eines etwaigen Verzögerungsschadens beschränkt. Führt die Verzögerung aber dazu, dass die Forderung auf absehbare Zeit nicht mehr beglichen werden kann, so hat der Schuldner alle sich daraus ergebenden Konsequenzen zu tragen. Deshalb greift in diesem Falle auch die Haftung aus § 61 S. 1 InsO ein, weil - wie oben ausgeführt - der Massegläubiger nicht das Risiko tragen kann, dass die Masse nach Durchsetzung eigener Masseforderungen zu einem späteren Zeitpunkt wieder zur Erfüllung in der Lage ist. Dieses Risiko kann der Verwalter nicht auf den Gläubiger abwälzen.

Der Beklagte hätte sich deshalb vor der Auskehrung der ca. 8 Mio. DM an den Gläubigerpool vergewissern müssen, dass keine Forderungen von Massegläubigern offen stehen, die zunächst beglichen werden müssen. Das hat er nicht oder zumindest nicht mit der gebotenen Sorgfalt getan.

bb) Zwar hat der Beklagte bei seiner Anhörung erklärt, es sei "gar nicht in seiner Vorstellung gewesen, dass noch irgendwelche Masseverbindlichkeiten offen stehen". Das kann ihn jedoch nicht entlasten. Denn es kann keinem Zweifel unterliegen, dass im Rahmen einer ordnungsgemäßen Buchhaltung die Möglichkeit zur Feststellung der offen stehenden Verbindlichkeiten gegeben sein musste und dass vor einer Auszahlung eines Betrages dieser Größenordnung eine entsprechende Überprüfung geboten war. Für ein etwaiges Verschulden des Finanzbuchhaltungsleiters Q im Zusammenhang mit dieser gebotenen Überprüfung hat er gemäß § 278 BGB einzustehen. Die Vorschrift des § 60 Abs. 2 InsO, nach der § 278 BGB unter bestimmten Voraussetzungen keine Anwendung findet, ist hier nicht einschlägig:

Zum einen war Q jedenfalls zu dieser Zeit nicht mehr im Rahmen seiner bisherigen Tätigkeit für den Beklagten tätig. Als bisherige Tätigkeit i.S.v. § 60 Abs. 2 InsO kann allenfalls die Fortführung der Betriebsbuchhaltung gelten. Wie der Beklagte selbst mit Schriftsatz vom 11.7.2002 in dem Parallelverfahren 27 U 46/02 ausgeführt hat, gab es eine hiervon verschiedene Insolvenzbuchhaltung. Es war die ureigenste Verpflichtung des Beklagten, darin die offen stehenden Masseverbindlichkeiten zu erfassen, nachdem die Betriebsbuchhaltung mit dem Übergang des Betriebes zum 1.11.2000 auf die Erwerberin übergegangen war. Q war auch seit dem 1.11.2000 deren Angestellter und nicht mehr Angestellter der Schuldnerin. Deshalb kann es offen bleiben, ob der Beklagte zuvor für die Fortführung der Betriebsbuchhaltung der Schuldnerin im Sinne von § 60 Abs. 2 InsO auf ihn angewiesen war, d.h. ihn einsetzen "musste".

Zum anderen war die Entscheidung über die Auskehrung eines Betrages von mehr als 8 Mio. DM an den Pool unter Zurückstellung anderer Gläubiger eine Entscheidung von besonderer Bedeutung, die der Beklagte selbst zu verantworten hatte. Die Entscheidung darüber, ob und ggf. welche Verbindlichkeiten zuvor noch aus der Masse zu vergleichen waren, durfte er angesichts der Größenordnung dieses Betrages ohnehin nicht irgendwelchen Angestellten der Schuldnerin überlassen. Auch wenn keine tägliche Kontrolle darüber, ob alle Rechnungen bezahlt worden sind und welche aktuell noch offen standen, möglich und erforderlich gewesen ist, so war die Freigabe eines derartig hohen Betrages an eine umfassende und genaue Überprüfung der zur Verfügung stehenden Buchungsunterlagen unter diesem Gesichtspunkt zu knüpfen.

Schließlich findet § 60 Abs. 2 InsO nach dem Haftungssystem der §§ 60, 61 InsO auf diejenigen Pflichtverletzungen, die von § 61 S. 1 InsO erfasst werden, ohnehin keine Anwendung. Die Vorschrift des § 61 InsO ist, indem sie zusätzlich zur allgemeinen Haftung des Insolvenzverwalters für die Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten nach § 60 InsO in das Gesetz aufgenommen worden ist, als lex specialis der Haftung für alle Fälle des Ausfalls mit Masseverbindlichkeiten zu verstehen, für die deshalb die Einschränkungen des § 60 Abs. 2 InsO nicht gelten.

B. Die Berufung der Klägerin ist begründet, denn der vom Beklagten gemäß § 249 S. 1 BGB a. F. zu leistende Schadensersatz umfasst auch die in den streitgegenständlichen Rechnungen der Klägerin ausgewiesene Mehrwertsteuer. Die Klägerin muss nämlich ihrerseits auf den vom Beklagten zu leistenden Schadensersatzbetrag die Mehrwertsteuer abführen, so dass ihr Schaden erst dann voll kompensiert ist, wenn der Beklagte ihr auch die Mehrwertsteuer erstattet. Die Umsatzsteuerpflicht der Klägerin für die vorliegend zu beanspruchende Ersatzleistung folgt aus § 10 I S. 3 UStG. Danach gehört zum umsatzsteuerpflichtigen Entgelt auch, was ein anderer als der Leistungsempfänger - nämlich hier der Beklagte persönlich an Stelle der Insolvenzmasse - dem Unternehmer - das ist die Klägerin - für die Leistung gewährt. Nicht "für die Leistung" im Sinne dieser Norm gewährt ist zwar sogenannter "echter" Schadensersatz, bei dem es an einem Leistungsaustausch fehlt. Solcher Schadensersatz wird nicht deshalb geleistet, weil der Leistende eine Lieferung oder sonstige Leistung erhalten hat, sondern weil er nach Gesetz oder Vertrag für den Schaden und seine Folgen einzustehen hat. Um derartigen Schadensersatz handelt es sich aber nicht, wenn die Ersatzleistung tatsächlich die Gegenleistung für eine Lieferung oder sonstige Leistung darstellt. So ist es im vorliegenden Fall. Für den hier gegebenen Sachverhalt hat der Bundesfinanzhof ( BFH ) schon im Urteil vom 24.6.1971 - V R 101/68 abgedruckt in DB 1971, 1895 ausgesprochen: "Im Übrigen vereinnahmt ein Unternehmer gemäß § 10 UStDB 1951 ein Entgelt im Sinne von § 5 Abs. 1 UStG 1951 sogar dann, wenn er den der Gegenleistung entsprechenden Betrag ganz oder teilweise auf Grund eines Ersatzanspruchs gegen einen Dritten erlangt und dieser Anspruch darauf beruht, dass dieser Dritte das Ausbleiben der Gegenleistung dem Unternehmer gegenüber zu vertreten hat. Der Dritte leistet zwar in solchen Fällen nicht unmittelbar für die Leistung des Unternehmers, sondern erstattet den Ausfall der Gegenleistung des Leistungsempfängers. Weil aber dessen Zahlung durch die Leistung des Unternehmers bedingt gewesen wäre, so besteht jedenfalls eine mittelbare und wirtschaftlich relevante kausal Verknüpfung zwischen dieser Leistung und der Ersatzzahlung. In diesem Sinne wird die Zahlung des Dritten " für die Lieferung oder sonstige Leistung gewährt " (§ 10 UStDB 1951). Dieser Rechtsanwendung entspricht auch wirtschaftlicher Betrachtung." Auf derselben Linie liegt die Entscheidung des BFH vom 19.10.2001 - V R 75/98 -, nach der die - auf Grund besonderer Absprache - erfolgte Ersatzzahlung einer Bank an den Leistenden für dessen Forderungsausfall im Konkurs des Leistungsempfängers ebenfalls der Umsatzsteuer unterlag.

C. Die nicht nachgelassenen Schriftsätze des Beklagten vom 30.12.2002 und 8.1.2003 geben keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 97 ZPO.

Das Urteil ist gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO vorläufig vollstreckbar.

Der Senat lässt die Revision gemäß § 543 II ZPO zu, weil der vorliegende Fall eine Reihe höchstrichterlich noch ungeklärter Rechtsfragen zu den neuen Vorschriften der §§ 60, 61 InsO, insbesondere den Voraussetzungen und der Reichweite der Haftung aus § 61 InsO sowie dem Maßstab der bei Betriebsfortführung an einen Insolvenzverwalter zu stellenden Sorgfaltspflichten einerseits und an den Entlastungsbeweis zu stellenden Anforderungen andererseits aufwirft, die angesichts der Vielzahl von Insolvenzen mit einer Betriebsfortführung durch den Verwalter von grundsätzlicher Bedeutung sind.

Ende der Entscheidung

Zurück