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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 09.06.2005
Aktenzeichen: 27 W 41/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 116
1. Insolvenzgläubigern, die mit weniger als 5 % an der Gesamtsumme der festgestellten Insolvenzforderungen beteiligt sind, ist die Aufbringung von Kosten für einen Rechtsstreit des Insolvenzverwalters generell nicht zuzumuten.

2. Im Übrigen kommt es für die Zumutbarkeit nicht auf die zu erwartende Insolvenzquote an, sondern es ist der für eine Prozessführung zu leistende Vorschuss dem Betrag gegenüber zu stellen, den der Gläubiger bei erfolgreicher Prozessführung voraussichtlich (zusätzlich) erwarten kann. Dem Insolvenzgläubiger kann ein Vorschuss in der Höhe zugemutet werden, in der er Vorschüsse aufzubringen hätte, wenn er den auf ihn voraussichtlich entfallenden Verbesserungsbetrag selbst in einem Rechtsstreit verfolgen würde.

3. Bei der Ermittlung des zusätzlich zu erwartenden Betrages sind auch Nebenforderungen zu berücksichtigen.

4. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine zugunsten der Masse titulierte Forderung vollständig realisiert werden kann und dass der dadurch zur Verteilung gelangende Mehrbetrag auf die festgestellten Forderungen entfällt.

5. Im Einzelfall können vom Insolvenzverwalten darzulegende besondere Umstände dazu führen, dass

a) die Klageforderung nur mit einem Teilbetrag zu bewerten ist,

b) auch bestrittene oder noch nicht geprüfte Forderungen bei der voraussichtlichen Verteilung ganz oder teilweise berücksichtigt werden,

c) Forderungen, die nur für den Ausfall festgestellt sind, ganz oder teilweise unberücksichtigt bleiben.


Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der 14. Zivilkammer des Landgerichts Bochum - Kammer für Handelssachen - vom 18. Februar 2005 wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird für den Antragsteller zugelassen.

Gründe: A. Der Antragsteller begeht als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma U AG Prozesskostenhilfe. Er macht geltend, die Kosten für die beabsichtigte Klage auf Zahlung von 49.693,68 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.10.2004 nicht aufbringen zu können. Nach seinen Darlegungen reicht die vorhandene Masse nicht einmal zur Deckung der Verfahrens- und Abwicklungskosten aus. Auf die Insolvenzgläubiger entfällt somit nach jetzigem Stand keine Quote. Es haben insgesamt 25 Gläubiger Ansprüche zur Tabelle in Höhe von zusammen 887.666,66 € angemeldet, von denen der Antragsteller bisher Forderungen von 21 Gläubigern in Höhe von insgesamt 592.482,30 € anerkannt und zur Tabelle festgestellt hat. Von den letztgenannten Forderungen sind die folgenden fünf die höchsten: Nr. 16: E-Bank 208.249,11 € Nr. 19: C 139.647,57 € Nr. 8: Arbeitnehmer T 70.837,89 € Nr. 2: Bundesagentur für Arbeit, Insolvenzgeld 47.136,84 € Nr. 15: X 30.047,22 € Sämtliche weiteren festgestellten Forderungen machen jeweils unter 5 % der insgesamt festgestellten Forderungen aus. Bei erfolgreicher Eintreibung der Hauptforderung der beabsichtigten Klage stünden nach der Darlegung des Antragstellers nach Abzug der Masseverbindlichkeiten (unter Berücksichtigung einer dann erhöhten Insolvenzverwaltervergütung) 30.820,00 € zur Verteilung an die Insolvenzgläubiger zur Verfügung. Das Landgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Klage zurückgewiesen. Es sei den wirtschaftlich Beteiligten, nämlich den Gläubigern zu Nrn. 16, 19 und 15 zuzumuten, die Kosten des Rechtsstreits aufzubringen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragsstellers, der weiterhin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe begehrt. Auf seinen Schriftsatz vom 28.2.2005 (Bl. 102 ff. d.A.) nebst Anlage wird Bezug genommen. B. Die zulässige sofortige Beschwerde ist in der Sache unbegründet. Zu Recht hat es das Landgericht für die Gläubiger Nr. 16, 19 und 15 als zumutbar angesehen, die Prozesskosten aufzubringen (§ 116 S. 1 Nr. 1 ZPO). I. Wirtschaftlich Beteiligte im Sinne des § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO sind solche Insolvenzgläubiger, deren Befriedigungsmöglichkeiten sich verbessern, wenn der Insolvenzverwalter mit dem Rechtsstreit obsiegt (vgl. nur Zöller/Philippi, ZPO, 25. A. 2005, § 116 Rn. 6 m.w.N.). Dabei ist anerkannt, dass Vorschüsse nur denjenigen dieser Beteiligten zuzumuten sind, die die erforderlichen Mittel unschwer aufbringen können und deren zu erwartender Nutzen bei vernünftiger, auch das Eigeninteresse sowie das Prozessrisiko angemessen berücksichtigender Betrachtungsweise bei einem Erfolg der Rechtsverfolgung deutlich größer sein wird (BGH NJW 1991, 40, 41). Allerdings hat die Rechtsprechung noch keine Regeln dafür entwickelt, wann ein solcher deutlich "größerer" Nutzen gegeben ist. Nach den Beobachtungen des Senats nehmen u.a. deshalb die Beschwerdeverfahren, in denen um die Frage der Zumutbarkeit i.S.v. § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO gestritten wird, in jüngster Zeit deutlich zu. Es ist daher die Aufgabe der Rechtsprechung, im Wege der Rechtsfortbildung Grundsätze zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Zumutbarkeit in dieser Vorschrift aufzustellen, um insoweit eine einheitliche Rechtsprechung zu sichern und deren Vorhersehbarkeit zu gewährleisten. Insoweit lässt der Senat sich davon leiten, dass solche Grundsätze nicht nur eine möglichst gerechte Einzelfallbeurteilung ermöglichen, sondern auch die praktische Handhabbarkeit für die Insolvenzverwalter gewährleisten sollen. II. Dabei ist für die Frage der Zumutbarkeit nicht abstrakt auf die infolge der Prozessführung zu erwartende Quote abzustellen, sondern es ist der vom Gläubiger zur Ermöglichung einer Prozessführung zu leistende Vorschuss dem Betrag gegenüberzustellen, den er bei erfolgreicher Prozessführung voraussichtlich (zusätzlich) erwarten kann. 1. Die Höhe des vom einzelnen Gläubiger zu leistenden Vorschusses hängt neben dem Streitwert der Klage vor allem davon ab, wie viele Gläubiger zur Deckung der Prozesskosten herangezogen werden können. Neben den Gläubigern, die bei eigener Prozessführung selbst Prozesskostenhilfe beanspruchen könnten, den Massegläubigern, den Trägern der Sozialverwaltung sowie vielfach den Arbeitnehmern (vgl. BGH a.a.O.) scheiden insoweit vor allem die sog. Kleingläubiger aus. Denn einerseits können von diesen Vorschüsse nicht erwartet werden, weil sie auch bei erfolgreicher Prozessführung nur mit relativ geringfügigen Erlösen rechnen können, und andererseits wird der Insolvenzverwalter zur Akquirierung der benötigten Vorschüsse regelmäßig nur dann in der Lage sein, wenn er es insoweit mit einem überschaubaren Kreis von Gläubigern zu tun hat. Der Senat geht deshalb davon aus, dass nur solche Insolvenzgläubiger zu Vorschüssen herangezogen werden können, die an der Gesamtsumme der festgestellten Insolvenzforderungen selbst jeweils mit mindestens 5 % beteiligt sind. Der Kreis der potenziell vorschusspflichtigen Gläubiger beschränkt sich damit theoretisch auf höchstens 20. In der Praxis liegt er nach den Erfahrungen des Senats dann aber in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle deutlich unter 10. 2. Bei der Ermittlung des Betrages, um den sich die Befriedigungsaussichten für den einzelnen Gläubiger voraussichtlich verbessern, ist zunächst davon auszugehen, dass sich die Verteilungsmasse um den vollen im Erfolgsfalle zu titulierenden Betrag erhöht, soweit nicht dieser zunächst ganz oder teilweise zur Beseitigung einer Unterdeckung der Masse herangezogen werden muss. In diese Berechnung ist allerdings nicht nur die geltend gemachte Hauptforderung einzustellen, sondern es sind auch Nebenforderungen, namentlich rückständige Zinsen zu berücksichtigen. Handelt es sich nicht um eine Zahlungsklage, sondern z.B. um eine Klage auf Leistung von beweglichen oder unbeweglichen Sachen an die Masse, so tritt an die Stelle des Forderungsbetrags der voraussichtlich für diese Sache zu erzielende Verwertungserlös. Hierbei ist zugrunde gelegt, dass der im Rechtsstreit erstrittene Betrag im Regelfall auch realisiert werden kann. Legt der Insolvenzverwalter allerdings im Einzelfall substanziiert und nachvollziehbar dar, dass mit (vollständiger) Realisierung der zu titulierenden Forderung selbst im Falle einer Vollstreckung nicht zu rechnen ist, so ist dieses Risiko wirtschaftlich zu bewerten und ein entsprechender Abschlag vom Nominalbetrag der Forderung vorzunehmen. Gleiches gilt für besondere im Einzelfall bestehende, über das allgemeine mit jedem Prozess verbundene Risiko hinausgehende Prozessrisiken, etwa weil der Prozesserfolg in besonders hohem Maße ungewiss ist, sei es z.B. weil besondere Beweisrisiken gegeben sind oder die Klage auf eine Rechtsauffassung gestützt wird, die in der Rechtsprechung noch völlig ungeklärt ist. Auch dieses Risiko kann nur im Einzelfall bewertet und ggf. mit einem Abschlag vom Nennbetrag der eingeklagten Forderung berücksichtigt werden. Sodann ist für die weitere Berechnung im Grundsatz davon auszugehen, dass die Masse nach Abzug der vorweg zu befriedigenden Forderungen auf die festgestellten Insolvenzforderungen verteilt wird. Jedoch können auch insoweit weitere Darlegungen des Insolvenzverwalters im Einzelfall dazu führen, dass angemeldete, aber nicht festgestellte Forderungen ganz oder teilweise berücksichtigt werden, insbesondere wenn diese noch gar nicht geprüft oder vom Insolvenzverwalter zwar bestritten, aber bereits gegen die Masse eingeklagt sind. Umgekehrt können Forderungen, die nur für den Ausfall festgestellt sind (§ 52 S. 2 InsO), bei entsprechender Darlegung, dass sie voraussichtlich bei der Verteilung nicht (in voller Höhe) teilnehmen werden, im Einzelfall ganz oder teilweise unberücksichtigt bleiben. 3. Zur Beantwortung der Frage, in welcher Höhe den Gläubigern, deren Befriedigungsaussichten sich durch den Prozess verbessern, ein Vorschuss zuzumuten ist, sind zwar Verbesserungsbetrag und zu leistender Vorschuss einander gegenüber zu stellen. Jedoch kann insoweit keine feste Quote gebildet werden. Denn es kommt auch auf die absolute Höhe des zu leistenden Vorschusses an. Der Gesetzgeber hat durch die degressive Staffelung der Gebührentabellen im GKG und RVG verdeutlicht, dass auch das absolute Kostenrisiko gerade bei hohen Werten relativiert werden soll. Je höher die verfolgte Forderung ist, um so geringer ist relativ dazu der für die Rechtsverfolgung aufzubringende Betrag. Diese Wertung ist im Rahmen von § 116 ZPO auf die Frage der Zumutbarkeit eines Prozesskostenvorschusses durch die Gläubiger zu übertragen, weil es für einen Insolvenzgläubiger, dem nach dieser Vorschrift die Prozessfinanzierung obliegen soll, nicht zumutbar ist schlechter zu stehen als derjenige, der selbst eine eigene Forderung verfolgt. Aus diesem Grund ist für die Zumutbarkeitsprüfung darauf abzustellen, in welcher Höhe der Gläubiger Vorschüsse aufbringen müsste, wenn er den nach den vorstehenden Grundsätzen ermittelten Betrag, um den sich seine Befriedigungsaussichten verbessern, selbst in einem Rechtsstreit einklagen würde. Dies sind für die erste Instanz 2,5 Rechtsanwaltsgebühren zzgl. Postpauschale und USt. sowie 3,0 Gerichtsgebühren. Allerdings ist das Kostenrisiko eines Klägers in einem von ihm selbst geführten Rechtsstreit noch deutlich höher, weil er nicht nur die Vorschüsse für seinen Anwalt und das Gericht aufzubringen hat, sondern darüber hinaus bei ungünstigem Prozessausgang auch noch Kostenerstattungsansprüchen der Gegenseite ausgesetzt ist. Diese Gefahr droht dem Gläubiger, der einen Prozess des Insolvenzverwalters finanziert, nicht, weil sich etwaige Kostenerstattungsansprüche des Gegners nicht gegen ihn, sondern allein gegen die Insolvenzmasse richten. Gleichwohl erachtet es der Senat für angemessen, das Kostenrisiko des Insolvenzgläubigers auf einen Vorschuss in vorgenannter Höhe zu beschränken. Denn der Insolvenzgläubiger kann die Erfolgschancen der Verbesserung seiner Insolvenzquote aufgrund eines vom Insolvenzverwalter zu führenden Prozesses im Regelfall weitaus schlechter einschätzen als der Kläger, der eine eigene Forderung einklagt, die Erfolgsaussichten eines solchen Rechtsstreits. Er hat nämlich vielfach weder einen Einblick in die tatsächlichen und rechtlichen Risiken der Rechtsverfolgung noch in die Vollstreckungsaussichten gegen den jeweiligen Schuldner noch in die Zuverlässigkeit der Prognose der zu erwartenden Insolvenzquote, weil nachträgliche Forderungsanmeldungen erfolgen oder vom Insolvenzverwalter zunächst bestrittene Forderungen sich später als berechtigt erweisen können. All dies wird dazu führen, dass er im Vergleich zur Lage bei der Verfolgung einer eigenen Forderung in berechtigter Weise nur in geringerem Maße zur Eingehung eines Kostenrisikos bereit ist. III. Nach den vorstehenden Grundsätzen ist den Insolvenzgläubigern unter Nr. 16, 19 und 15 im vorliegenden Fall die Prozessfinanzierung zumutbar. Sie sind wirtschaftlich Beteiligte, weil sich ihre Befriedigungsmöglichkeiten verbessern, wenn der Antragsteller mit dem Rechtsstreit obsiegt. Denn während zur Zeit auf sie keine Quote entfiele, könnten sie bei einer Realisierung der Klageforderung mit einer Quote von etwa 5,5 % (32.620 € : 592.482,30 €) rechnen. Die zu verteilende Masse betrüge dann 32.620 €. Zu berücksichtigen sind bei dieser Prognose neben der geltend gemachten Hauptforderung auch die Zinsen, die bis zur voraussichtlichen Klagezustellung bereits etwa 1.800 € ausmachen. Der Gläubigerin der Forderung unter Nr. 2 ist generell als Träger der Sozialverwaltung kein Vorschuss zuzumuten. Gleiches mag für den Gläubiger der Forderung unter Nr. 8 gelten, weil er offensichtlich Arbeitnehmer ist. Jedoch können bereits die Gläubiger Nr. 16, 19 und 15 gemeinsam den notwendigen Vorschuss in zumutbarer Weise aufbringen. Es entfallen auf diese Gläubiger voraussichtlich folgende Erlöse durch die beabsichtigte Klage: Nr. 16: 5,5 % von 208.249,11 € = 11.453,70 € Nr. 19: 5,5 % von 139.647,57 € = 7.680,62 € Nr. 15: 5,5 % von 30.047,22 € = 1.652,60 €.

Somit wären diesen Gläubigern als Vorschuss zuzumuten: Nr. 16: (2,5 Rechtsanwaltsgebühren zzgl. Postpauschale und USt. sowie 3,0 Gerichtsgebühren nach einem Streitwert von bis zu 13.000 €) = 2.205,60 € Nr. 19: (2,5 Rechtsanwaltsgebühren zzgl. Postpauschale und USt. sowie 3,0 Gerichtsgebühren nach einem Streitwert von bis zu 8.000 €) = 1.716,00 € Nr. 15: (2,5 Rechtsanwaltsgebühren zzgl. Postpauschale und USt. sowie 3,0 Gerichtsgebühren nach einem Streitwert von bis zu 2.000 €) = 627,90 € Das sind zusammen 4.549,50 €, die den drei Gläubigern zumutbar wären. Dieser Betrag reicht aus, um den notwendigen Vorschuss von 4.424,60 € (2,5 Rechtsanwaltsgebühren zzgl. Postpauschale und USt. sowie 3,0 Gerichtsgebühren nach einem Streitwert von bis zu 50.000 €) für die beabsichtigte Klage aufzubringen. C. Nach § 574 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 ZPO ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, weil die Frage der Zumutbarkeit im Sinne des § 116 Nr. 1 ZPO grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts sowie die Sicherung einer Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu dieser Frage nach Auffassung des Senats eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (vgl. oben B. I.).

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