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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 24.03.2005
Aktenzeichen: 27 W 44/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 116
1. Insolvenzgläubigern, die mit weniger als 5 % an der Gesamtsumme der festgestellten Insolvenzforderungen beteiligt sind, ist die Aufbringung von Kosten für einen Rechtsstreit des Insolvenzverwalters generell nicht zuzumuten.

2. Im Übrigen kommt es für die Zumutbarkeit nicht auf die zu erwartende Insolvenzquote an, sondern es ist der für eine Prozessführung zu leistende Vorschuss dem Betrag gegenüber zu stellen, den der Gläubiger bei erfolgreicher Prozessführung voraussichtlich (zusätzlich) erwarten kann. Dem Insolvenzgläubiger kann ein Vorschuss in der Höhe zugemutet werden, in der er Vorschüsse aufzubringen hätte, wenn er den auf ihn voraussichtlich entfallenden Verbesserungsbetrag selbst in einem Rechtsstreit verfolgen würde.

3. Bei der Ermittlung des zusätzlich zu erwartenden Betrages sind auch Nebenforderungen zu berücksichtigen.

4. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine zugunsten der Masse titulierte Forderung vollständig realisiert werden kann und dass der dadurch zur Verteilung gelangende Mehrbetrag auf die festgestellten Forderungen entfällt.

5. Im Einzelfall können vom Insolvenzverwalten darzulegende besondere Umstände dazu führen, dass

a) die Klageforderung nur mit einem Teilbetrag zu bewerten ist,

b) auch bestrittene oder noch nicht geprüfte Forderungen bei der voraussichtlichen Verteilung ganz oder teilweise berücksichtigt werden,

c) Forderungen, die nur für den Ausfall festgestellt sind, ganz oder teilweise unberücksichtigt bleiben.


Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.

Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Klage unter Beiordnung von Rechtsanwalt C in E ohne Anordnung von Ratenzahlungen bewilligt.

Gründe: A. Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit der er einen Anfechtungsanspruch in Höhe von 15.884,13 € gemäß §§ 135 Nr. 2 InsO, 32 a, b GmbHG gegen den Gesellschafter-Geschäftsführer der Schuldnerin verfolgen will. Das Landgericht hat die begehrte Prozesskostenhilfe mit der Begründung verweigert, dass der Antragsteller nicht dargelegt habe, dass es den am Rechtsstreit wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten sei, die Prozesskosten aufzubringen. Mit seiner hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat der Antragsteller näher zu den angemeldeten und festgestellten Forderungen vorgetragen. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen, weil die Sparkasse N (die größte Gläubigerin) nach diesem Vortrag bei der Verteilung eine Quote von 12 % und einen die aufzubringenden Kosten um 2.034,06 € übersteigenden Betrag erwarten könne; ihr sei deshalb zuzumuten, die Prozesskosten aufzubringen. B. Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige Beschwerde ist begründet, weil nicht nur eine hinreichende Erfolgsaussicht für die beabsichtigte Klage (§ 114 ZPO) gegeben ist, sondern auch die Voraussetzungen des § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO vorliegen. Aus den glaubhaften Darlegungen des Antragstellers ergibt sich zum einen, dass die Kosten der Prozessführung aus der verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden können, und zum anderen, dass den wirtschaftlich Beteiligten die Aufbringung der Kosten nicht zuzumuten ist. I. Wirtschaftlich Beteiligte im Sinne des § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO sind solche Insolvenzgläubiger, deren Befriedigungsmöglichkeiten sich verbessern, wenn der Insolvenzverwalter mit dem Rechtsstreit obsiegt (vgl. nur Zöller/Philippi, ZPO, 25. A. 2005, § 116 Rn. 6 m.w.N.). Dabei ist anerkannt, dass Vorschüsse nur denjenigen dieser Beteiligten zuzumuten sind, die die erforderlichen Mittel unschwer aufbringen können und deren zu erwartender Nutzen bei vernünftiger, auch das Eigeninteresse sowie das Prozessrisiko angemessen berücksichtigender Betrachtungsweise bei einem Erfolg der Rechtsverfolgung deutlich größer sein wird (BGH NJW 1991, 40, 41). Allerdings hat die Rechtsprechung noch keine Regeln dafür entwickelt, wann ein solcher deutlich "größerer" Nutzen gegeben ist. Nach den Beobachtungen des Senats nehmen u.a. deshalb die Beschwerdeverfahren, in denen um die Frage der Zumutbarkeit i.S.v. § 116 S. 1 Nr. 1 ZPO gestritten wird, in jüngster Zeit deutlich zu. Es ist daher die Aufgabe der Rechtsprechung, im Wege der Rechtsfortbildung Grundsätze zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Zumutbarkeit in dieser Vorschrift aufzustellen, um insoweit eine einheitliche Rechtsprechung zu sichern und deren Vorhersehbarkeit zu gewährleisten. Insoweit lässt der Senat sich davon leiten, dass solche Grundsätze nicht nur eine möglichst gerechte Einzelfallbeurteilung ermöglichen, sondern auch die praktische Handhabbarkeit für die Insolvenzverwalter gewährleisten sollen. II. Dabei ist für die Frage der Zumutbarkeit nicht abstrakt auf die infolge der Prozessführung zu erwartende Quote abzustellen, sondern es ist der vom Gläubiger zur Ermöglichung einer Prozessführung zu leistende Vorschuss dem Betrag gegenüberzustellen, den er bei erfolgreicher Prozessführung voraussichtlich (zusätzlich) erwarten kann. 1. Die Höhe des vom einzelnen Gläubiger zu leistenden Vorschusses hängt neben dem Streitwert der Klage vor allem davon ab, wie viele Gläubiger zur Deckung der Prozesskosten herangezogen werden können. Neben den Gläubigern, die bei eigener Prozessführung selbst Prozesskostenhilfe beanspruchen könnten, den Massegläubigern, den Trägern der Sozialverwaltung sowie vielfach den Arbeitnehmern (vgl. BGH a.a.O.) scheiden insoweit vor allem die sog. Kleingläubiger aus. Denn einerseits können von diesen Vorschüsse nicht erwartet werden, weil sie auch bei erfolgreicher Prozessführung nur mit relativ geringfügigen Erlösen rechnen können, und andererseits wird der Insolvenzverwalter zur Akquirierung der benötigten Vorschüsse regelmäßig nur dann in der Lage sein, wenn er es insoweit mit einem überschaubaren Kreis von Gläubigern zu tun hat. Der Senat geht deshalb davon aus, dass nur solche Insolvenzgläubiger zu Vorschüssen herangezogen werden können, die an der Gesamtsumme der festgestellten Insolvenzforderungen selbst jeweils mit mindestens 5 % beteiligt sind. Der Kreis der potenziell vorschusspflichtigen Gläubiger beschränkt sich damit theoretisch auf höchstens 20. In der Praxis liegt er nach den Erfahrungen des Senats dann aber in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle deutlich unter 10. 2. Bei der Ermittlung des Betrages, um den sich die Befriedigungsaussichten für den einzelnen Gläubiger voraussichtlich verbessern, ist zunächst davon auszugehen, dass sich die Verteilungsmasse um den vollen im Erfolgsfalle zu titulierenden Betrag erhöht, soweit nicht dieser zunächst ganz oder teilweise zur Beseitigung einer Unterdeckung der Masse herangezogen werden muss. In diese Berechnung ist allerdings nicht nur die geltend gemachte Hauptforderung einzustellen, sondern es sind auch Nebenforderungen, namentlich rückständige Zinsen zu berücksichtigen. Handelt es sich nicht um eine Zahlungsklage, sondern z.B. um eine Klage auf Leistung von beweglichen oder unbeweglichen Sachen an die Masse, so tritt an die Stelle des Forderungsbetrags der voraussichtlich für diese Sache zu erzielende Verwertungserlös. Hierbei ist zugrunde gelegt, dass der im Rechtsstreit erstrittene Betrag im Regelfall auch realisiert werden kann. Legt der Insolvenzverwalter allerdings im Einzelfall substanziiert und nachvollziehbar dar, dass mit (vollständiger) Realisierung der zu titulierenden Forderung selbst im Falle einer Vollstreckung nicht zu rechnen ist, so ist dieses Risiko wirtschaftlich zu bewerten und ein entsprechender Abschlag vom Nominalbetrag der Forderung vorzunehmen. Gleiches gilt für besondere im Einzelfall bestehende, über das allgemeine mit jedem Prozess verbundene Risiko hinausgehende Prozessrisiken, etwa weil der Prozesserfolg in besonders hohem Maße ungewiss ist, sei es z.B. weil besondere Beweisrisiken gegeben sind oder die Klage auf eine Rechtsauffassung gestützt wird, die in der Rechtsprechung noch völlig ungeklärt ist. Auch dieses Risiko kann nur im Einzelfall bewertet und ggf. mit einem Abschlag vom Nennbetrag der eingeklagten Forderung berücksichtigt werden. Sodann ist für die weitere Berechnung im Grundsatz davon auszugehen, dass die Masse nach Abzug der vorweg zu befriedigenden Forderungen auf die festgestellten Insolvenzforderungen verteilt wird. Jedoch können auch insoweit weitere Darlegungen des Insolvenzverwalters im Einzelfall dazu führen, dass angemeldete, aber nicht festgestellte Forderungen ganz oder teilweise berücksichtigt werden, insbesondere wenn diese noch gar nicht geprüft oder vom Insolvenzverwalter zwar bestritten, aber bereits gegen die Masse eingeklagt sind. Umgekehrt können Forderungen, die nur für den Ausfall festgestellt sind (§ 52 S. 2 InsO), bei entsprechender Darlegung, dass sie voraussichtlich bei der Verteilung nicht (in voller Höhe) teilnehmen werden, im Einzelfall ganz oder teilweise unberücksichtigt bleiben. 3. Zur Beantwortung der Frage, in welcher Höhe den Gläubigern, deren Befriedigungsaussichten sich durch den Prozess verbessern, ein Vorschuss zuzumuten ist, sind zwar Verbesserungsbetrag und zu leistender Vorschuss einander gegenüber zu stellen. Jedoch kann insoweit keine feste Quote gebildet werden. Denn es kommt auch auf die absolute Höhe des zu leistenden Vorschusses an. Der Gesetzgeber hat durch die degressive Staffelung der Gebührentabellen im GKG und RVG verdeutlicht, dass auch das absolute Kostenrisiko gerade bei hohen Werten relativiert werden soll. Je höher die verfolgte Forderung ist, um so geringer ist relativ dazu der für die Rechtsverfolgung aufzubringende Betrag. Diese Wertung ist im Rahmen von § 116 ZPO auf die Frage der Zumutbarkeit eines Prozesskostenvorschusses durch die Gläubiger zu übertragen, weil es für einen Insolvenzgläubiger, dem nach dieser Vorschrift die Prozessfinanzierung obliegen soll, nicht zumutbar ist schlechter zu stehen als derjenige, der selbst eine eigene Forderung verfolgt. Aus diesem Grund ist für die Zumutbarkeitsprüfung darauf abzustellen, in welcher Höhe der Gläubiger Vorschüsse aufbringen müsste, wenn er den nach den vorstehenden Grundsätzen ermittelten Betrag, um den sich seine Befriedigungsaussichten verbessern, selbst in einem Rechtsstreit einklagen würde. Dies sind für die erste Instanz 2,5 Rechtsanwaltsgebühren zzgl. Postpauschale und USt. sowie 3,0 Gerichtsgebühren. Allerdings ist das Kostenrisiko eines Klägers in einem von ihm selbst geführten Rechtsstreit noch deutlich höher, weil er nicht nur die Vorschüsse für seinen Anwalt und das Gericht aufzubringen hat, sondern darüber hinaus bei ungünstigem Prozessausgang auch noch Kostenerstattungsansprüchen der Gegenseite ausgesetzt ist. Diese Gefahr droht dem Gläubiger, der einen Prozess des Insolvenzverwalters finanziert, nicht, weil sich etwaige Kostenerstattungsansprüche des Gegners nicht gegen ihn, sondern allein gegen die Insolvenzmasse richten. Gleichwohl erachtet es der Senat für angemessen, das Kostenrisiko des Insolvenzgläubigers auf einen Vorschuss in vorgenannter Höhe zu beschränken. Denn der Insolvenzgläubiger kann die Erfolgschancen der Verbesserung seiner Insolvenzquote aufgrund eines vom Insolvenzverwalter zu führenden Prozesses im Regelfall weitaus schlechter einschätzen als der Kläger, der eine eigene Forderung einklagt, die Erfolgsaussichten eines solchen Rechtsstreits. Er hat nämlich vielfach weder einen Einblick in die tatsächlichen und rechtlichen Risiken der Rechtsverfolgung noch in die Vollstreckungsaussichten gegen den jeweiligen Schuldner noch in die Zuverlässigkeit der Prognose der zu erwartenden Insolvenzquote, weil nachträgliche Forderungsanmeldungen erfolgen oder vom Insolvenzverwalter zunächst bestrittene Forderungen sich später als berechtigt erweisen können. All dies wird dazu führen, dass er im Vergleich zur Lage bei der Verfolgung einer eigenen Forderung in berechtigter Weise nur in geringerem Maße zur Eingehung eines Kostenrisikos bereit ist. III. Nach den vorstehenden Grundsätzen ist den Insolvenzgläubigern im vorliegenden Falle die Prozessfinanzierung nicht zumutbar. 1. Im vorliegenden Fall sind 4 Einzelgläubiger mit einem Betrag von mindestens 5 % der festgestellten Forderungen am Insolvenzverfahren beteiligt, nämlich die Sparkasse N mit 27.508,96 €, die E GmbH mit 17.724,75 €, die Finanzverwaltung O mit 6.699,00 € und Herr E2 mit 4.330,37 €, und kommen damit grundsätzlich für eine Prozessfinanzierung in Betracht. Sie hätten zusammen einen Vorschuss von 2.390,61 € aufzubringen (2,5 Rechtsanwaltsgebühren zzgl. Postpauschale und USt. sowie 3,0 Gerichtsgebühren nach einem Streitwert von bis zu 16.000 €). 2. Die der Masse bei einem Prozesserfolg zustehende Forderung beläuft sich im vorliegenden Fall einschließlich der Zinsen bis Mitte Juni 2005 auf ca. 17.000 €. Bei ihrer vollständigen Realisierung würde deshalb ein Betrag von ca. 9.120,00 € zur Verteilung gelangen, was bei festgestellten Forderungen von 66.185,02 € eine Insolvenzquote von ca. 13,8 % bedeutete. Indessen geht der Antragsteller in seiner Beschwerdebegründung davon aus, dass die vollständige Realisierung der Forderung voraussichtlich nicht erreicht werden wird. Dafür, dass diese Annahme mit hoher Wahrscheinlichkeit richtig ist, spricht die Stellungnahme des Antragsgegners zum Prozesskostenhilfe-Gesuch des Antragstellers. Denn dieser hat hier in glaubhafter Form geschildert, dass er nach der Insolvenz seiner Firma den Lebensunterhalt für seine vierköpfige Familie zunächst von der Sozialhilfe bestritten und eine anschließend im Jahre 2002 angetretene Stelle auch nur bis zum Sommer 2004 behalten hat. Der Senat legt deshalb zugrunde, dass jedenfalls nicht mehr als 2/3 der Forderung zu realisieren sind; das sind 11.333,33 €. Angesichts einer derzeitigen Unterdeckung der Masse von 7.881,47 € kämen dann noch 3.451,86 € zur Verteilung. Das ergibt bei festgestellten Forderungen von 66.185,02 € nur noch eine Insolvenzquote von ca. 5,22 %. Damit könnten die genannten Gläubiger aufgrund der Prozessführung folgende Beträge erwarten: die Sparkasse N 1.434,72 € die E GmbH 924,43 € die Finanzverwaltung O 349,39 € Herr E2 225,85 € 3. Somit wären diesen Gläubigern als Vorschuss zuzumuten: der Sparkasse N 522,70 € (2,5 Rechtsanwaltsgebühren zzgl. Postpauschale und USt. sowie 3,0 Gerichtsgebühren nach einem Streitwert von bis zu 1.500 €) der E GmbH 434,70 € (2,5 Rechtsanwaltsgebühren zzgl. Postpauschale und USt. sowie 3,0 Gerichtsgebühren nach einem Streitwert von bis zu 1.200 €) der Finanzverwaltung O 258,70 € (2,5 Rechtsanwaltsgebühren zzgl. Postpauschale und USt. sowie 3,0 Gerichtsgebühren nach einem Streitwert von bis zu 600 €) Herrn E2 162,00 € (2,5 Rechtsanwaltsgebühren zzgl. Postpauschale und USt. sowie 3,0 Gerichtsgebühren nach einem Streitwert von bis zu 300 €) Das ergibt insgesamt lediglich 1.378,10 € und ist deshalb nicht ausreichend, um den notwendigen Vorschuss von 2.390,61 € für die beabsichtigte Klage aufzubringen. IV. Eine Kostenentscheidung ist im Hinblick auf §§ 127 Abs. 4 ZPO, 3 GKG (Anlage 1) nicht veranlasst. V. Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde scheidet aus, weil gemäß § 127 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 ZPO die Bewilligung der Prozesskostenhilfe als solche nicht anfechtbar ist.

Ende der Entscheidung

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