Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 09.01.2007
Aktenzeichen: 29 W 33/06
Rechtsgebiete: AVAG, AZR-G


Vorschriften:

AVAG § 13 Abs. 1 S. 2
AZR-G § 27
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 12. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund vom 30. Mai 2006 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens haben die Antragsteller zu tragen.

Gegenstandswert: 10.300,- EUR

Gründe:

I.

Nach öffentlicher Zustellung der Klageschrift und der Ladung durch Aushang im Amtsgericht Kedzierzyn-Kozle und im Verwaltungsgebäude der Stadt Q ist der damals schon in Deutschland wohnende Antragsgegner durch das Amtsgericht Kedzierzyn-Kozle in Polen am 20.11.2003 zur Zahlung erhöhten Unterhalts an die Antragsteller verurteilt worden. Dem Antragsgegner wurde dem polnischen Recht entsprechend zu seiner Vertretung eine Gerichtspflegerin bestellt, der die Klageschrift und die nachfolgenden Schriftstücke zugestellt wurden.

Die Antragsteller haben die Vollstreckbarerklärung des Urteils in Deutschland beantragt, und zwar zunächst gestützt auf das Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen (HUVÜ), dann auf die Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen - VO (EG) Nr. 44/2001, EuGVVO -. Der Vorsitzende der 12. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund hat den Antrag mit der Begründung zurückgewiesen, die EuGVVO sei nicht anwendbar. Nach der HUVÜ könne eine Vollstreckbarerklärung nicht erfolgen, weil der Anspruch des Antragsgegners auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht gewahrt sei. Der Antragsgegner habe keine Kenntnis von dem gegen ihn gerichteten Verfahren haben und deshalb keinen Einfluss auf das Verfahren nehmen oder Rechtsmittel einlegen können.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beschwerde der Antragsteller, die ihr erstinstanzliches Begehren weiter verfolgen und meinen, die EuGVVO sei anwendbar. Das Landgericht hätte die der Entscheidung zugrunde gelegten Umstände nicht prüfen dürfen. Gegen den Antragsgegner seien schon mehrere Unterhaltsurteile ergangen. Zur Zeit des letzten Verfahrens sei sein Aufenthaltsort unbekannt gewesen. Selbst wenn im Übrigen die Zustellung der Klageschrift fehlerhaft gewesen sei, könne der Antragsgegner damit im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung nicht gehört werden, weil er keine Rechtsmittel im Ursprungsland eingelegt habe.

Der vom Senat gem. § 13 Abs. 1 S. 2 AVAG angehörte Antragsgegner verteidigt den angefochtenen Beschluss und macht geltend, es sei bekannt gewesen, dass er in E gewohnt habe, wenn auch seine genaue Wohnadresse nicht bekannt gewesen sei. Diese habe durch Anfrage beim Einwohnermeldeamt in Erfahrung gebracht werden können.

Der Senat hat eine amtliche Auskunft des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zur Frage eingeholt, ob und unter welchen Voraussetzungen die Anschrift des Antragsgegners in Deutschland hätte ermittelt werden können. Zur genauen Fragestellung wird auf den Beschluss vom 27.10.2006 und zum Ergebnis der Beweisaufnahme auf die schriftliche Auskunft vom 22.11.2006 Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist nach Art.13 Haager Unterhaltsvollstreckungsübereinkommen vom 2.10.1973 - HUVÜ -(BGBl. 1986 II 826) iVm. § 11 Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz vom 19.2.2001 - AVAG - (BGBl. I 288) zulässig. Sie hat in der Sache aber keinen Erfolg.

1.

Anwendbar ist die HUVÜ 1973, nicht die EuGVVO, wie das Landgericht zutreffend angenommen hat. Gem. Art. 66 Abs. 1 EuGVVO ist die EuGVVO nur auf solche Klagen anzuwenden, die nach Inkrafttreten der EuGVVO erhoben worden sind. In Polen ist die EuGVVO aber erst mit dem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft am 1.05.2004 in Kraft getreten. Zu diesem Zeitpunkt war das Ausgangsverfahren bereits beendet. Dem HUVÜ 1973 sind sowohl Deutschland (mit Wirkung vom 1.07.1987) als auch Polen (mit Wirkung vom 1.07.1996) beigetreten.

2.

Der Vollstreckbarerklärung des Urteils des Amtsgerichts Kedzierzyn-Kozle steht der Versagungsgrund des Art. 6 HUVÜ entgegen.

Das Verfahren vor dem polnischen Gericht ist als Säumnisverfahren zu werten. Art. 6 HUVÜ entspricht Art. 27 Nr. 2 des Brüsseler Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 (EuGVÜ). Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ findet auf Entscheidungen Anwendung, die gegen einen Beklagten ergangen sind, dem das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß und nicht rechtzeitig zugestellt worden ist und der im Verfahren nicht wirksam vertreten war, die aber wegen des Erscheinens eines angeblichen Vertreters des Beklagten vor dem Gericht des Urteilsstaats nicht als Versäumnisentscheidung ergangen sind (EuGH, Urteil vom 10.10.1996 - Rs. C-78/95 [Bernardus Hendrikman u. Maria Feyen/Magenta Druck & Verlag GmbH], Slg. 1996 I 2943 = NJW 1997, 1061 f.; ebenso Senat, Beschluss vom 21.8.2003, 29 W 1/03). Der Antragsgegner hatte von dem Verfahren keine Kenntnis. Er wurde zwar vertreten, hatte der Vertreterin aber keine Vollmacht erteilt.

Das das Verfahren einleitende Schriftstück ist dem Antragsgegner nicht ordnungsgemäß zugestellt worden. Dies richtet sich gem. Art. 6 HUVÜ nach dem Recht des Ursprungsstaats des Titels, hier also polnischem Recht. Danach konnte dem Antragsgegner, wenn dessen Anschrift unbekannt war, die Antragsschrift nebst Ladung in der vorgenommenen Form öffentlich zugestellt werden. Ob dies nach dem polnischen Zustellungsrecht ordnungsgemäß erfolgt ist, hat das Gericht des Vollstreckungsstaats in eigener Zuständigkeit und Verantwortung ohne Bindung an die Feststellungen des Gerichts des Urteilsstaats zu beurteilen (vgl. EuGH, Urteil vom 15-07-1982 - Rs 228/81 -, Slg. 1982, 2723 = NJW 1982, 1937; OLG Köln NJW-RR 2001, 1576, 1577).

Der Senat hat die Frage, ob die öffentliche Zustellung im Ursprungsprozess im Hinblick auf die konkreten Umstände dem polnischen Recht entsprach, nicht geprüft. Die Zustellung der Klageschrift und der Ladung wäre nach deutschem Recht wegen Fehlens der Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung nicht ordnungsgemäß gewesen. Es war jedenfalls bekannt, dass der Antragsgegner sich in Deutschland aufhielt. Dann hätte ein Auskunftsersuchen des polnischen Gerichts, einer polnischen Behörde (z.B. des Konsulats, an das sich die Antragsteller später wandten) oder der Antragsteller selbst beim damals noch zuständigen Bundesverwaltungsamt zur Mitteilung des Wohnorts des Antragsgegners geführt und eine Einwohnermeldeamtsauskunft zu dessen Anschrift. Dies ergibt sich aus der vom Senat eingeholten amtlichen Auskunft. Die Daten des Antragsgegners waren seit 1995 beim Bundesverwaltungsamt gespeichert. Nach § 27 AZR-G hätten die Antragsteller durch Vorlage des schon früher ergangenen Unterhaltstitels ihr rechtliches Interesse an der Auskunftserteilung nachweisen können.

Ob nach polnischem Recht der Wohnsitz des Antragsgegners als unbekannt gelten durfte, kann dahinstehen. Eine nach dem Recht des Urteilsstaats ordnungsgemäße Zustellung wäre gleichwohl nach Art. 6 HUVÜ als nicht ordnungsgemäß zu beurteilen, wenn darin ein Verstoß gegen die verfahrensrechtliche deutsche öffentliche Ordnung, den ordre public, läge (OLG Köln a.a.O.). Dies ist der Fall, weil die Entscheidung auf Grund eines Verfahrens ergangen ist, das von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Ausmaß abweicht, dass sie nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Verfahren ergangen angesehen werden kann (vgl. BGH NJW 1990, 2201, 2202 f. m.w.N.). Der Anspruch des Antragsgegners auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist verletzt worden. Die Anforderungen des

Art. 103 Abs. 1 GG werden zumindest dann nicht gewahrt, wenn eine öffentliche Bekanntmachung erfolgt, obwohl eine andere Form der Zustellung ohne weiteres möglich gewesen wäre; denn die Zustellungsfiktion der öffentlichen Bekanntmachung ist auch verfassungsrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Art der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar ist, sei es wegen des unbekannten Aufenthalts des Zustellungsempfängers, sei es wegen der Vielzahl oder der Unüberschaubarkeit des Kreises der Betroffenen (BVerfGE 61, 82, 109 ff. = NJW 1982, 2173; BVerfG NJW 1988, 2361). Dabei gelten für die Feststellung der Unbekanntheit des Aufenthaltsortes hohe Anforderungen, es sind eingehende Ermittlungen erforderlich (Musielak/Wolst, ZPO, 5. Aufl. 2007, § 185 Rn. 2). Bei Ausländern ist eine Anfrage beim Bundesverwaltungsamt erforderlich (Musielak/Wolst a.a.O.). Dass diese Ermittlungen durchgeführt wurden, haben die Antragsteller nicht vorgetragen. Aus der eingeholten Auskunft ergibt sich, dass eine Nachfrage beim Bundesverwaltungsamt, das nunmehr für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge tätig ist, Erfolg gehabt hätte und die Klage in Deutschland hätte zugestellt werden können.

3.

Dass der Antragsgegner keinen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung des polnischen Gerichts eingelegt hat, ist ohne Belang. Dieses Erfordernis gilt nur für den (hier nicht anwendbaren) Art. 34 Nr. 2 EuGVVO. Er wurde in die Vorschrift aufgenommen, weil der zuvor geltende Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ die Einschränkung nicht enthielt und der Europäische Gerichtshof den Artikel so ausgelegt hat, "dass er der Anerkennung eines in einem Vertragsstaat ergangenen Versäumnisurteils in einem anderen Vertragsstaat entgegensteht, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist, selbst wenn er später von der ergangenen Entscheidung Kenntnis erhalten und dagegen keinen nach der Verfahrensordnung des Urteilsstaats zulässigen Rechtsbehelf eingelegt hat." (Urteil vom 12.11.1992, 123/91, Minalmet/Brandeis; JZ 1993, 357). Bei der Prüfung der Vollstreckbarkeit solcher Klagen und öffentlichen Urkunden, die vor In-Kraft-Treten der EuGVVO erhoben bzw. aufgenommen - das heißt errichtet - worden sind (Art. 66 I EuGVVO), ist Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ im Sinne der bisherigen Rechtsprechung des EuGH anzuwenden. Eine Vorwirkung von Art. 34 EuGVVO kommt nicht in Betracht (BGH NJW 2004, 3189 f.).

Nicht anders ist Art. 6 HUVÜ auszulegen, der ebenso das Erfordernis eines Rechtsbehelfs gegen die Ursprungsentscheidung nicht enthält.

4.

Dass inzwischen weitere Titel gegen den Antragsgegner ergangen sind, ist ohne Belang. Es geht allein um die Vollstreckbarerklärung des Urteils vom 20.11.2003.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 97 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück