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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 06.11.2008
Aktenzeichen: 3 (s) Sbd. I 12/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 14
StPO § 453
StPO § 462a Abs. 4
Die durch die Strafverbüßung in anderer Sache begründete Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer gegenüber dem Gericht des ersten Rechtszuges bzw. dem Wohnsitzgericht besteht nach der Entlassung aus der Strafhaftunabhängig davon fort, ob sie mit einer vollstreckungsrechtlichen Entscheidung befasst war oder ist.
Tenor:

Das Landgericht - Strafvollstreckungskammer - Bielefeld ist für die Führung der Bewährungsaufsicht aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Bochum vom 26. Juli 2007 - 72 Ds 9 Js 461/04 - 825/05 - und die nach § 453 StPO zu treffenden Entscheidungen zuständig.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Bochum verurteilte den Probanden am 26.07.2007, rechtskräftig seit demselben Tag, wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung. Mit Beschluss vom 26.07.2007 hat das Amtsgericht Bochum die Bewährungsüberwachung und die nach § 453 StPO zu treffenden Entscheidungen an das Amtsgericht Witten als das für den Verurteilten zuständige Wohnsitzgericht abgegeben. In der Zeit vom 10.12.2007 bis zum 07.03.2008 verbüßte der Verurteilte in der Justizvollzugsanstalt C eine Freiheitsstrafe von drei Monaten aufgrund eines Urteils des Amtsgerichts Bochum vom 06.02.2003 (Az. 570 Js 568/02 V, StA Bochum) wegen Trunkenheit im Verkehr. Am 07.03.2008 wurde der Verurteilte nach Vollverbüßung aus der Justizvollzugsanstalt C entlassen.

Mit Beschluss vom 23.06.2008 hat das Amtsgericht Witten die Bewährungsüberwachung und die nach § 453 StPO zu treffenden Entscheidungen an das Landgericht - Strafvollstreckungskammer - in Bielefeld abgegeben und durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft Bochum das Bewährungsheft an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld übersandt. Diese hat am 09.07.2008 im Bewährungsheft vermerkt, dass nach ihrer Auffassung eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer nicht gegeben sei, und das Bewährungsheft durch Verfügung vom 30.07.2008 der Staatsanwaltschaft Bochum zurückgesandt, die es an das Amtsgericht Witten zurückleitete. Mit Verfügung vom 08.10.2008 legte das Amtsgericht Witten die Akten dem Oberlandesgericht Hamm mit der Bitte um Bestimmung des zuständigen Gerichts vor.

II.

Da zwischen dem Amtsgericht Witten und dem Landgericht - Strafvollstreckungskammer - Bielefeld Streit über die Zuständigkeit für die Bewährungsaufsicht im Sinne eines negativen Kompetenzkonflikts besteht, hat das Oberlandesgericht Hamm als das gemeinschaftliche obere Gericht gemäß § 14 StPO - die Voraussetzungen des § 19 StPO sind nicht erfüllt - das zuständige Gericht zu bestimmen.

Das Landgericht - Strafvollstreckungskammer - Bielefeld ist für die Führung der Bewährungsaufsicht und die weiteren, gemäß § 453 StPO zu treffenden Entscheidungen zuständig, § 462 a Abs. 4 S. 3 StPO.

Die Zuständigkeit des Amtsgerichts Witten gemäß § 462 a Abs. 2 S. 2 StPO endete mit der Aufnahme des Verurteilten in der JVA C zwecks Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, § 462 a Abs. 1 S. 1 StPO. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld für die im Rahmen der Bewährungsaufsicht zu treffenden Entscheidungen zuständig. Der Strafvollstreckungskammer obliegen nach der gesetzlichen Regelung des § 462 a StPO die nachträglichen Entscheidungen, sobald gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe vollstreckt wird, da ihr dann im Verhältnis zum erstinstanzlichen Gericht - bzw. hier zum Wohnsitzgericht - der Vorrang aufgrund ihrer Sachnähe zukommt.

Nach dem Konzentrationsgrundsatz des § 462 a Abs. 4 S. 3 StPO obliegen ihr jedoch nicht nur die Vollstreckung der Strafe, die der Verurteilte in ihrem Bezirk verbüßt, sondern auch die Bewährungsüberwachung und die insoweit zu treffenden Entscheidungen hinsichtlich sonstiger ausgesetzter Strafen oder Strafreste. Dies gilt im Verhältnis zum erstinstanzlichen Gericht sogar hinsichtlich solcher Entscheidungen, mit denen dieses zum Zeitpunkt des Strafantritts bereits befasst war (BGHSt 26, 118; 26, 187, 189 f.; 30, 189, 192).

Der Übergang der Zuständigkeit auf die Strafvollstreckungskammer hängt nicht davon ab, ob zum Zeitpunkt der Inhaftierung eine Entscheidung ansteht (BGHSt 30, 223, 224), und sie endet auch nicht mit der Entlassung des Verurteilten aus der Justizvollzugsanstalt. Lediglich der Übergang der örtlichen Zuständigkeit erfolgt von einer Strafvollstreckungskammer auf eine andere mit der Aufnahme des Verurteilten in der anderen Justizvollzugsanstalt, soweit nicht die zunächst zuständig gewesene Strafvollstreckungskammer bereits konkret mit einer bestimmten Frage befasst war, über die sie dann noch zu entscheiden hat (BGH, NStZ-RR 2007, S. 94, 95).

Durch die vollständige Verbüßung der Freiheitsstrafe fiel die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer auch nicht an das Gericht des ersten Rechtszuges oder an das Wohnsitzgericht zurück.

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld wurde mit der Aufnahme des Verurteilten in der zu ihrem Bezirk gehörenden Justizvollzugsanstalt zwecks Vollstreckung des Urteils vom 06.02.2003 in dem Verfahren 570 Js 568/02 V sowohl für diese Sache als auch gemäß § 462 a Abs. 4 S. 3 StPO für das Verfahren 72 Ds 9 Js 461/04 - 825/05 zuständig. Durch die vollständige Verbüßung in dem Verfahren 570 Js 568/02 V fiel die Zuständigkeit nicht deshalb an das Amtsgericht Witten zurück, weil dieses vorher zuständig war, da das Gesetz in solchen Fällen keinen derartigen Zuständigkeitswechsel vorsieht. Ein solcher lässt sich nicht aus § 462 a Abs. 1 S. 2 StPO herleiten, da diese Vorschrift in Fällen der vorliegenden Art im Zusammenhang mit dem Konzentrationsprinzip zu sehen und auszulegen ist. Nach dem Konzentrationsgrundsatz wurde die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld jedoch für beide Sachen zuständig. Nach Erledigung einer Sache findet der Konzentrationsgrundsatz in dem verbliebenen Verfahren weitere Anwendung (BGH, NJW 1978, S. 2561).

Die Verneinung einer Zuständigkeitsänderung erscheint auch generell sachgerecht aufgrund des allgemeinen Gesichtspunkts der Sachnähe sowie aufgrund der Tatsache, dass anderenfalls ein Zuständigkeitsübergang von der Höhe einer (voll) verbüßten Strafe abhängig wäre. Da nach der vollständigen Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren kraft Gesetzes Führungsaufsicht eintritt (§ 68 f Abs. 1 StGB), bliebe in einem derartigen Fall die Strafvollstreckungskammer gemäß § 462 a Abs. 4 S. 3 i.V.m. §§ 463 Abs. 7, 462 a Abs. 1 StPO für beide Sachen zuständig. Da eine unterschiedliche Folge der Zuständigkeit je nach Strafhöhe zu einer unnötigen Komplizierung führen würde und ein Zuständigkeitswechsel nicht selten die nachfolgende Sachbehandlung verzögert, dies aber vor allem im Interesse des Verurteilten vermieden werden soll, ist ein erneuter Zuständigkeitswechsel nach Vollverbüßung zu verneinen (BGH, NJW 1978, S. 2561; NStZ-RR 2007, S. 94, 95; Beschluss vom 19.01.2000, 2 ARs 509/99; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2007, S. 157, 158).

Demzufolge war die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld als das für die Bewährungsaufsicht zuständige Gericht zu bestimmen.

Ende der Entscheidung

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