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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 15.12.2005
Aktenzeichen: 3 OBL 90/05
Rechtsgebiete: StPO, StGB
Vorschriften:
StPO § 120 Abs. 1 | |
StPO § 121 | |
StPO § 121 Abs. 1 | |
StPO § 122 | |
StGB § 250 Abs. 2 |
Beschluss
Strafsache
gegen S.S.
wegen räuberischer Erpressung u.a., (hier: Haftprüfung gemäß §§ 121, 122 StPO).
Auf die Vorlage der Akten zur Haftprüfung durch das Oberlandesgericht gemäß §§ 121, 122 StPO hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 15. 12. 2005 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Tenor:
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Bielefeld vom 28.11.2005 - 39 Ls 52 Js 323/05 - 627/05 - AG Bielefeld - wird aufgehoben.
Zur Klarstellung werden weiterhin aufgehoben der Haftbefehl des Amtsgerichts Bielefeld vom 19.05.2005 - 9 Gs 2267/05 AG Bielefeld - sowie der Haftbefehl des Amtsgerichts Bielefeld vom 12.07.2005 - 35 Ds 13 Js 2054/03 AG Bielefeld -.
Gründe:
I.
Der Angeklagte befindet sich seit seiner Festnahme am 28.06.2005 in Untersuchungshaft.
Grundlage der Untersuchungshaft war zunächst der Haftbefehl des Amtsgerichts Bielefeld vom 19.05.2005 - 9 Gs 2267/05 AG Bielefeld -, der in dem Strafverfahren StA Bielefeld 52 Js 323/05 gegen den Angeklagten ergangen war.
Weiterhin erließ das Amtsgericht Bielefeld am 12.07.2005 in dem Verfahren 35 Ds 13 Js 2054/03 einen weiteren Haftbefehl zu diesem Aktenzeichen.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Bielefeld hat das Amtsgericht Bielefeld am 28.11.2005 unter dem Aktenzeichen 39 Ls 52 Js 323/05 - 627/05 - AG Bielefeld - einen neuen Haftbefehl gegen den Angeklagten erlassen und dem Angeklagten diesen neuen Haftbefehl am 02.12.2005 verkündet. Der Haftbefehl vom 28.11.2005 umfasst die Vorwürfe aus den beiden vorgenannten Haftbefehlen vom 19.05.2005 und vom 12.07.2005 und soll diese Haftbefehle ersetzen. Einen entsprechenden ausdrücklichen Ausspruch über die Aufhebung der Haftbefehle vom 19.05.2005 und vom 12.07.2005 enthält der Haftbefehl des Amtsgerichts Bielefeld vom 28.11.2005 hingegen nicht. Eine entsprechende Entscheidung ist auch nicht bei der Verkündung des Haftbefehls vom 28.11.2005 am 02.12.2005 ergangen. Der Senat hat daher zur Klarstellung mit der Aufhebung des Haftbefehls vom 28.11.2005 auch die Haftbefehle vom 19.05.2005 und vom 12.07.2005 aufgehoben.
II.
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Bielefeld vom 28.11.2005 war gemäß § 121 Abs. 1 StPO aufzuheben. Die Voraussetzungen für den Vollzug der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus liegen nicht vor. Ein wichtiger Grund i.S.d. § 121 Abs. 1 StPO ist hier nicht gegeben. Vielmehr ist das Verfahren nicht mit der in Haftsachen in besonderem Maße gebotenen Beschleunigung gefördert worden.
Gegen den Angeklagten ist am 19.05.2005 durch das Amtsgericht Bielefeld - 9 Gs 2267/05 - Haftbefehl mit dem Vorwurf ergangen, in der Zeit vom 01.03.2005 bis zum 17.05.2005 in Bielefeld durch drei selbstständige Handlungen in zwei Fällen eine räuberische Erpressung sowie in einem weiteren Fall eine versuchte Nötigung jeweils zum Nachteil des Zeugen W.G. begangen zu haben. Wegen der Einzelheiten der Vorwürfe wird auf den Haftbefehl vom 19.05.2005 Bezug genommen.
Aufgrund dieses Haftbefehls ist der Angeklagte am 28.06.2005 festgenommen worden und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Am 29.06.2005 ist ihm der Haftbefehl vom 19.05.2005 verkündet worden. Nachdem bereits zuvor die Vernehmung des Geschädigten W.G. erfolgt war, wurde am 01.07.2005 die Zeugin T.T. vernommen und sodann unter dem 18.07.2005 Anklage wegen der im Haftbefehl genannten Vorwürfe zum Schöffengericht in Bielefeld erhoben. Darüber hinaus enthält die Anklage noch den Vorwurf der versuchten schweren räuberischen Erpressung zum Nachteil des Zeugen M., begangen am 05.08.2004, die aber nicht Gegenstand der gegen den Angeklagten ergangenen Haftbefehle ist.
Die Anklageschrift vom 18.07.2005 ging am 21.07.2005 bei dem Schöffengericht in Bielefeld ein. Mit Datum vom 28.07.2005 verfügte der Vorsitzende des Schöffengerichts die Vorlage der Sache beim Landgericht zum Zwecke der Übernahme mit der Begründung, dass das Schöffengericht angesichts der Mindeststrafandrohung aus § 250 Abs. 2 StGB nicht zuständig sei.
Beim Landgericht gingen die Akten am 03.08.2005 ein. Am 05.08.2005 verfügte der Vorsitzende der Strafkammer die Zustellung der Anklageschrift mit einer Äußerungsfrist von 10 Tagen an den Verteidiger sowie an den damaligen Angeschuldigten.
Diese Verfügung wurde am 09.08.2005 bzw. am 10.08.2005 dem damaligen Angeschuldigten bzw. seinem Verteidiger zugestellt. Auf Antrag erhielt der Verteidiger am 17.08.2005 aufgrund der Verfügung des Vorsitzenden vom 15.08.2005 die Akte für drei Tage zur Einsichtnahme und gab sie am 23.08.2005 an das Landgericht zurück. Mit Beschluss vom 02.09.2005 übernahm das Landgericht weitere gegen den Angeklagten anhängige Verfahren von dem Amtsgericht in Bielefeld, deren Vorwürfe teilweise Gegenstand des Haftbefehls des Amtsgerichts Bielefeld vom 12.07.2005 - 35 Ds 13 Js 2054/03 - waren, aufgrund dessen seinerzeit Überhaft gegen den Angeklagten notiert war.
Gleichzeitig hatte das Landgericht die bei ihm anhängigen Verfahren verbunden, die zugrunde liegenden Anklagen der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 01.07.2004, 13.08.2004, 06.09.2004, 11.02.2005, 24.02.2005, 02.06.2005 und 18.07.2005 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren gegen den Angeklagten vor dem Amtsgericht Bielefeld - Schöffengericht - eröffnet.
Der Vorsitzende der Strafkammer verfügte am 06.09.2005 die Vorlage der Akten zur Staatsanwaltschaft Bielefeld mit der Bitte um Weiterleitung an das Amtsgericht Bielefeld. Dort gingen die Akten am 14.09.2005 über die Staatsanwaltschaft Bielefeld mit der Bitte um zeitige Terminierung ein.
Am 19.09.2005 verfügte der Vorsitzende des Schöffengerichts bei dem Amtsgericht Bielefeld die Wiedervorlage der Sache bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld mit dem Vermerk, dass vor dem Schöffengericht Bielefeld ein Termin vor Februar 2006 nicht möglich sei. Er werde die Sache dem Oberlandesgericht vorlegen oder die Haft aufheben.
Diese Verfügung ging am 21.09.2005 bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld ein. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld verfügte noch am selben Tage die erneute Vorlage der Akten bei dem Schöffengericht in Bielefeld und führte zur Begründung aus, dass die Terminierung der Sache erst im Februar 2006 von dort aus nicht nachvollzogen werden könne. Insbesondere müssten schon terminierte Nicht-Haftsachen aufgrund der Eilbedürftigkeit der vorliegenden Haftsache verschoben werden. Ein Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls werde nicht gestellt. Diese Verfügung ging am 04.10.2005 bei dem Schöffengericht in Bielefeld ein.
Mit Verfügung vom 06.10.2005 legte der Vorsitzende des Schöffengerichts die Akten per Sonderwachtmeister wiederum der Staatsanwaltschaft vor, wobei er sich dagegen verwahrte, dass er gegenüber der Staatsanwaltschaft zur Darlegung seiner Terminsgestaltung verpflichtet sei. Nach erneutem Eingang der Akten bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld am 07.10.2005 verfügte der dortige Dezernent am 12.10.2005 die Rückübersendung der Akten an das Schöffengericht in Bielefeld. Eine Aufhebung des Haftbefehls werde weiterhin nicht beantragt.
Am 19.10.2005 bestimmte der Vorsitzende des Schöffengerichts dann Hauptverhandlungstermin auf den 17.01.2006 und nahm in einem gesonderten Vermerk auf, dass der Verteidiger des Angeklagten Rechtsanwalt E. ihm gegenüber telefonisch erklärt habe, dass ihm (dem Verteidiger) ein Termin in dieser Sache innerhalb dieses Jahres "kaum noch möglich sei". Als nächster möglicher Hauptverhandlungstermin, der auch in das Terminsgefüge des Schöffengerichts passe, sei der 17.01.2006, 10.00 Uhr vorgesehen.
In der Folgezeit hat dann das Schöffengericht den Haftbefehl vom 28.11.2005 erlassen und ihn am 02.12.2005 dem Angeklagten verkündet.
III.
Die Sachbehandlung durch das Schöffengericht in Bielefeld verstößt gegen den in Haftsachen in besonderem Maße geltenden Beschleunigungsgrundsatz. Das Schöffengericht wäre nach Eingang der Akten bei ihm am 14.09.2005 verpflichtet gewesen, die vorliegende Haftsache unverzüglich zu terminieren. Bereits der Umstand, dass das Schöffengericht mit der Terminierung bis zum 19.10.2005 zugewartet hat, stellt eine deutliche Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes dar. Ein sachlicher Grund hierfür ist nicht erkennbar. Das Verfahren ist in der Zeit vom 14.09.2005 bis zum 19.10.2005 auch in keiner Weise gefördert worden. Der Vorsitzende des Schöffengerichts Bielefeld hätte entweder sofort terminieren oder den Haftbefehl gegen den Angeklagten gemäß § 120 Abs. 1 StPO wegen Unverhältnismäßigkeit oder wegen der drohenden Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes aufheben müssen. Für den tatsächlich erfolgten Schriftwechsel mit der Staatsanwaltschaft Bielefeld gab es keinerlei sachliche Rechtfertigung. Die dadurch eingetretene Verzögerung kann dem Angeklagten daher nicht zum Nachteil gereichen.
Aber auch die Terminierung der Sache auf den 17.01.2006 und damit auf einen Termin vier Monate und zwei Wochen nach der Eröffnung des Hauptverfahrens stellt eine eklatante Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes dar. Wichtige Gründe hierfür sind nicht erkennbar. Nach dem Vermerk des Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 19.10.2005 war der Verteidiger Rechtsanwalt E. nicht einmal mit Sicherheit verhindert, da es dort lediglich heißt, dass dem Verteidiger ein Termin noch im Jahre 2005 "kaum" noch möglich sei. Darüber hinaus hat das Schöffengericht auch nicht die Möglichkeit geprüft, anderweitig terminierte Nicht-Haftsachen aufzuheben und dadurch eine frühere Terminierung der vorliegenden Haftsache zu erreichen. Nach dem dem Senat vorgelegten Hauptverhandlungskalender hat das Schöffengericht in dem Zeitraum vom 01.10.2005 bis zum 28.12.2005 fast ausschließlich Nicht-Haftsachen verhandelt. Auch dies stellt eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes dar (vgl. nur Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 121 Rdnr. 22 m.w.N.).
Der Senat hat bereits vor Ablauf der Sechsmonatsfrist des § 121 Abs. 1 StPO entschieden, weil der Vorsitzende des Schöffengerichts auf telefonische Nachfrage des Senats erklärt hat, er werde die Sache keinesfalls noch vor dem 28.12.2005 terminieren. Vielmehr werde er urlaubsbedingt am 20.12.2005 die letzte Hauptverhandlung des Jahres 2005 durchführen. Eine Terminierung durch den Vertreter bis zu dem genannten Zeitpunkt erscheint bereits aufgrund der einzuhaltenden Ladungsfrist von einer Woche ausgeschlossen.
Ende der Entscheidung
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