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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 16.01.2003
Aktenzeichen: 3 Ss 1062/02
Rechtsgebiete: JGG, StPO


Vorschriften:

JGG § 31
StPO § 267
Die Nichteinbeziehung einer früheren Verurteilung ist als Ausnahme von der Regel auch dann näher zu begründen, wenn die Voraussetzungen dafür nahe liegen.
Beschluss

Strafsache

wegen gefährlicher Körperverletzung u.a..

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengerichts - Marl vom 19.07.2002 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16. 01. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 2, Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen - auch zum Wirkstoffgehalt des Rauschgifts im Fall 10 des angefochtenen Urteils - aufgehoben.

Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Marl zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - in Marl hat den Angeklagten am 19.07.2002 unter Freisprechung im Übrigen wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis in fünf Fällen, wegen Beleidigung sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Von der Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Bochum vom 02.04.1998 - 27 Ls 21 Js 1599/97 AK 37/98 - hat das Jugendschöffengericht gemäß § 31 Abs. 3 JGG abgesehen. Darüber hinaus hat das Jugendschöffengericht gegen den Angeklagten eine isolierte Sperrfrist für die Erteilung einer neuen Fahrerlaubnis von zwei Jahren verhängt.

Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Angeklagte mit am 25.07.2002 bei dem Amtsgericht in Marl eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers "Rechtsmittel" eingelegt. Mit weiterem Schriftsatz vom 24.09.2002, bei dem Amtsgericht Marl eingegangen am 26.09.2002, hat der Angeklagte das Rechtsmittel als Sprungrevision bezeichnet.

Der Angeklagte hat beantragt, das angefochtene Urteil hinsichtlich des Betäubungsmittel-Delikts (Anklage der StA Essen vom 03.04.2002 - 11 Js 1029/01 -) im. Schuldund Rechtsfolgenausspruch und im Übrigen den Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts (Jugendschöffengericht) Marl zurückzuverweisen. Der Angeklagte hat die Revision mit der zu einzelnen Punkten näher ausgeführten, im Übrigen aber allgemein erhobenen Sachrüge begründet.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten insgesamt gemäß § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.

Der Angeklagte hat mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 09.01.2003 zu der Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 09.12.2002 im Einzelnen Stellung genommen.

Die zulässige Revision des Angeklagten hat hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht. Zum Schuldspruch erweist sich die Revision dagegen als unbegründet.

1. Die Überprüfung des Schuldspruchs des angefochtenen Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, § 349 Abs. 2 StPO. Insbesondere lässt auch die Beweiswürdigung zu dem Fall 10 des angefochtenen Urteils - Anklage der StA Essen vom 03.04.2002 - 11 Js 1029/01 - im Ergebnis keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen. Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts ist insoweit zwar knapp, setzt sich aber sehr wohl mit der entscheidenden Frage eines etwaigen Eigeninteresses der Zeugin T. an einer Falschbelastung des Angeklagten auseinander. Wenn das Amtsgericht hier zu dem Ergebnis kommt, dass ein solches Eigeninteresse aufgrund der derzeitigen persönlichen Situation der Zeugin - Verbüßung einer mehrjährigen Haftstrafe - nicht erkennbar ist, so handelt es sich um eine tatrichterliche Würdigung, die der Senat hinzunehmen hat. Hinzu kommt zudem, dass, worauf das Amtsgericht zutreffend abgestellt hat, die Angaben der Zeugin durch den von der Polizei sichergestellten Zettel mit der Aufschrift "Bergi 3000" bestätigt werden, so dass hier keine klassische Situation "Aussage gegen Aussage" vorliegt, da Umstände außerhalb der belasten-den Aussage der Zeugin - nämlich der sichergestellte Zettel - für die Täterschaft des Angeklagten sprechen.

2. Dagegen hält der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils der rechtlichen Überprüfung durch den Senat nicht stand.

a) Zunächst ist hinsichtlich des vorgenannten Falles 10 des angefochtenen Urteils zu bemängeln, dass das angefochtene Urteil keinerlei Feststellungen zu den betäubungsmittelrelevanten Wirkstoffmengen des Rauschgifts enthält, mit denen der Angeklagte jeweils Handel getrieben hatte.

Neben Art und Menge des Betäubungsmittels ist für den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nämlich insbesondere dessen Wirkstoffgehalt maßgebend (BGH, Beschluss vom 26.05.2001 - 4 StR 110/01 -; BGH NJW 1992, 380; 1994, 1885, 1886 m.w.N.). Deshalb kann auch für eine sachgerechte schuldangemessene Festsetzung der Strafen im Betäubungsmittelstrafrecht auf nähere Feststellungen zum Wirkstoffgehalt regelmäßig nicht verzichtet werden (BGH, a.a.O.). Solche Feststellungen sind - unter Beachtung des Zweifelsgrundsatzes - mit hinreichender Genauigkeit auch dann möglich, wenn Betäubungsmittel nicht sichergestellt werden konnten und daher für eine Untersuchung durch Sachverständige nicht zur Verfügung stehen (BGH, Beschluss vom 26.05.2001 - 4 StR 110/01 -). Der Tatrichter muss dann unter Berücksichtigung anderer hinreichend feststellbarer Tatumstände wie Herkunft, Preis und Beurteilung der Betäubungsmittel durch Tatbeteiligte und letztlich des Grundsatzes "im Zweifel für den Angeklagten" feststellen, von welchem Wirkstoffgehalt und damit von welcher Qualität des Betäubungsmittels (mindestens) auszugehen ist (BayObLG, NStZ 2000, 210; ebenso BGH, Beschluss vom 09.05.2001 - 3 StR 36/01 -).

Dagegen wird der Schuldspruch des angefochtenen Urteils durch diesen Rechtsfehler nicht berührt, da das Amtsgericht den Angeklagten insoweit gerade nicht wegen Handeltreibens mit eirier nicht geringen Menge des Betäubungsmittels verurteilt hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 26.07.2001 - 4 StR 110/01 -).

b) Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils konnte weiterhin auch deshalb keinen Bestand haben, weil das Jugendschöffengericht nicht begründet hat, warum es von einer Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Bochum vom 02.04.1998 - 27 Ls AK 37198 - gemäß § 31 Abs. 3 JGG abgesehen hatte. Durch jenes Urteil war der Angeklagte wegen Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Die Nichteinbeziehung einer früheren Verurteilung gemäß § 31 Abs. 3 JGG stellt aber eine Ausnahme von der gemäß § 31 Abs. 2 JGG in der Regel gebotenen Bildung einer neuen Einheitsjugendstrafe dar (BGH, NStZ 2000, 263), die stets näherer Begründung bedarf (Eisenberg, JGG, 8. Aufl., § 31 Rdnr. 28). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt der Ausnahmetatbestand des § 31 Abs. 3 JGG dann in Betracht, wenn es nach einem ersten Urteil unter Missachtung der davon ausgehenden Warnfunktion erneut zu Straftaten kommt. Dem Angeklagten soll dann durch die Bildung zweier selbständiger Jugendstrafen das Ausmaß seiner erneuten Rechtsgutsverletzung eindringlich nahegebracht und er soll nicht in dem Glauben bestärkt werden, er habe "freie Hand" für die Begehung weiterer Straftaten (BGH, NStZ 2000, 263; BGHSt 36, 37, 43; BGH NStZ 1995, 595 m.w.N.). Dass das Jugendschöffengericht eine solche Fallkonstellation auch hier annehmen wollte, liegt nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils im Übrigen zwar nahe, zumal das Jugendschöffengericht im Rahmen der Strafzumessung unter dem Gesichtspunkt der schädlichen Neigungen betont hat, dass die bereits im Urteil des Amtsgerichts Bochum vom 02.04.1998 festgestellten schädlichen Neigungen sich hier erneut dadurch zeigten, dass der Angeklagte unbeeindruckt durch die Verurteilung zu einer Jugendstrafe unter Strafaussetzung zur Bewährung weiterhin besonders rücksichtslose Straftaten gegen andere Menschen beging und darüber hinaus hartnäckig und regelmäßig gegen geltende Gesetze verstieß. Gleichwohl kann dem angefochtenen Urteil aber nicht mit der gebotenen Deutlichkeit entnommen werden, dass dieser Gesichtspunkt tatsächlich für die Entscheidung nach § 31 Abs. 3 JGG tragend war. Da dem Senat eine eigene Strafzumessung insoweit verwehrt ist, musste der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils insgesamt aufgehoben werden.

C) Kein Bestand haben konnte schließlich auch der Ausspruch über die isolierte Sperrfrist gemäß § 69 a StGB. Auch hier hätte es nämlich gemäß § 267 Abs. 6 S. 1 StPO einer ausdrücklichen Begründung bedurft, die dem angefochtenen Urteil nicht entnommen werden kann.

d) Der Senat weist für die erneute Verhandlung vorsorglich darauf hin, dass die Ausführungen des Jugendschöffengerichts zur Bejahung schädlicher Neigungen bei dem Angeklagten keinen Rechtsfehler erkennen lassen. Insbesondere trägt bereits die Vielzahl der im vorliegenden Verfahren festgestellten Straftaten des Angeklagten die Annahme schädlicher Neigungen gemäß § 17 JGG. Gleichwohl wäre es wünschenswert, wenn nähere Feststellungen zu den Vorstrafen des Angeklagten getroffen worden wären, da dann die Entscheidung über das Vorliegen schädlicher Neigungen auf eine noch breitere Grundlage gestellt worden wäre (vgl. zu den Anforderungen insoweit OLG Hamm, NStZ-RR 1999, 377 = StV 1999, 658).

Ende der Entscheidung

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