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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 18.05.2006
Aktenzeichen: 3 Ss 108/06
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 231 |
Beschluss
Strafsache
gegen J.L.
wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls.
Auf die (Sprung-)Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Hattingen vom 21. September 2005 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 18. 05. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung und auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung der Angeklagten bzw. ihres Verteidigers gemäß § 349 Abs. 2 u. Abs. 4 StPO beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Hattingen zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird als offensichtlich unbegründet verworfen.
Gründe:
I.
Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht Hattingen die Angeklagte wegen versuchten Diebstahls in einem besonders schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten - ohne Bewährung - verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte durch ihren Verteidiger mit der Sprungrevision, die sie unter näheren Ausführungen mit der formellen und materiellen Rüge begründet hat.
II.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 13.03.2006 zu dem Rechtsmittel der Angeklagten Folgendes ausgeführt:
"Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision der Angeklagten ist zulässig. Ihr ist auch in der Sache ein Erfolg nicht zu versagen.
Zwar liegt der mit der Revision geltend gemachte Aufhebungsgrund gemäß § 338 Nr. 5 StPO nicht vor, da die Abwesenheit der Angeklagten während der Verlesung der Urteilsformel gemäß § 231 Abs.2 StPO nicht gesetzeswidrig gewesen ist. Diesbezüglich lässt sich dem Hauptverhandlungsprotokoll entnehmen, dass das Urteil nach einer zum Zwecke der Beratung vorgenommenen Unterbrechung der Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten verkündet worden ist. Der entsprechenden Verfahrensweise hat daher eine zulässige gerichtliche Entscheidung nach § 231 Abs. 2 StPO zugrunde gelegen, für die ein besonderer Beschluss nicht vorgeschrieben ist. Insoweit genügt es, dass das Gericht seine Absicht, die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten fortzusetzen, schlüssig zum Ausdruck gebracht hat (Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 231, Rdnr. 22). Dies wird durch die im Protokoll niedergelegte Verfahrensweise, wonach das Urteil in Abwesenheit der Angeklagten verkündet worden sei, in ausreichendem Maße dokumentiert.
Die auf die weiterhin erhobene Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen § 261 StPO vorzunehmende Überprüfung des Urteils führt jedoch zur Aufdeckung eines Rechtsfehlers zum Nachteil der Angeklagten.
Diese Verfahrensrüge ist den Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO entsprechend ausgeführt.
Das Amtsgericht hat in den Urteilsfeststellungen ausgeführt, das Gericht habe in Erwägung gezogen, die Strafe bzgl. der Angeklagten zur Bewährung auszusetzen, wenn auch mit einigen Bedenken. Die Angeklagte habe sich dann jedoch, als sich das Gericht zur Beratung zurückgezogen habe, dem Verfahren durch Flucht entzogen. Zur Urteilsverkündung sei sie nicht mehr anwesend gewesen. Ihrer Halbschwester, der Mitangeklagten S. sowie dem Verteidiger sei die Gelegenheit eingeräumt worden, die Angeklagte telefonisch zu erreichen und noch zurückzuholen, was aber nicht gelungen sei, weil sämtliche Kommunikationsmöglichkeiten seitens der Angeklagten L. unterbrochen worden seien. Aufgrund dieses Verhaltens habe die Sozialprognose in keinem Fall mehr als günstig eingestuft werden können, so dass eine Bewährung nicht mehr in Betracht gekommen sei. Diese Feststellungen finden indes in dem durch das Hauptverhandlungsprotokoll wiedergegebenen Inbegriff der Hauptverhandlung keine Stütze. Dem Protokoll ist insoweit nicht zu entnehmen, dass das Gericht vor Verkündung des Urteils erneut in die Beweisaufnahme eingetreten ist. Zwar hat es angesichts der Abwesenheit der Angeklagten offensichtlich Bemühungen entfaltet, die Rückkehr der Angeklagten in die Hauptverhandlung sicherzustellen, jedoch waren diese Bemühungen ersichtlich darauf gerichtet, das Erfordernis einer Weiterführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit der Angeklagten gem. § 231 Abs. 2 StPO festzustellen. Dem Protokoll ist insoweit nicht zu entnehmen, dass ein Wiedereintritt in die Beweisaufnahme ausdrücklich beschlossen worden ist.
Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass nach Feststellung der Abwesenheit der Angeklagten ihrem Verteidiger Gelegenheit gegeben worden sein könnte, zu der Absicht des Gerichtes, den Umstand der Abwesenheit der Angeklagten bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen zu wollen, Stellung zu nehmen. Gemäß § 261 StPO kann Grundlage der Überzeugungsbildung des Richters und damit der Urteilsfindung indes nur das sein, was innerhalb der Hauptverhandlung, d.h. vom Aufruf der Sache bis zum endgültig letzten Wort des Angeklagten vor dem erkennenden Gericht so erörtert worden ist, dass alle Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme hatten (zu vgl. Schoreit, Karlsruher Kommentar zur StPO, 5. Aufl., § 261 Rdnr. 6 m.w.N.).
Hinzu kommt, dass auch eine erneute Beratung des Gerichts dem Hauptverhandlungsprotokoll nicht zu entnehmen ist. Die damit für die Entscheidungsfindung durch das Amtsgericht explizit als bedeutsam bezeichnete Abwesenheit der Angeklagten ist demnach nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gewonnen worden. Dies lässt sich auch der als Anlage zum Protokoll genommenen Urteilsformel entnehmen, die ursprünglich dahingehend lautete, dass alle Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt werden sollten. Auch ein in gleicher Weise vorbereiteter Bewährungsbeschluss wurde durch die Vorsitzende offenbar nachträglich als ungültig markiert.
Da den tatrichterlichen Feststellungen ein zur Überzeugung des Gerichts feststehender Grund für die Abwesenheit der Angeklagten nicht zu entnehmen ist, sind die Feststellungen zum Rechtsfolgenausspruch insoweit lückenhaft. Die allein aus der bloßen eigenmächtigen Abwesenheit der Angeklagten hergeleitete negative Sozialprognose findet in den Urteilsgründen keine hinreichende Stütze.
Das Urteil ist daher auf die Sachrüge im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben."
Im Übrigen hat die Generalstaatsanwaltschaft hinsichtlich der weitergehenden Revision, die sie als unbegründet zu verwerfen beantragt, in ihrer Stellungnahme vom 04.04.2006 Folgendes ausgeführt:
"Zwar lässt sich der amtsgerichtlichen Darstellung des Tathergangs weder entnehmen, zu welchem Zeitpunkt noch an welchem Objekt die festgestellte Tat begangen worden ist, jedoch vermögen diese die verfahrensgegenständliche Tat umgrenzenden Angaben anhand der zugrunde liegenden Anklageschrift 6 Js 471/05 der Staatsanwaltschaft Essen vom 21.07.2005 bestimmt zu werden, der sich entnehmen lässt, dass das dem Urteil zugrunde liegende Geschehen sich am 05.07.2005 im Mehrfamilienhaus W.Straße in H. ereignete. Die Funktion der Anklageschrift, den der gerichtlichen Urteilsfindung zugrunde liegenden Lebenssachverhalt und die von ihr dargestellte Tat nach Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 07.03.2001 - 2 Ss 1058/00 -) erlaubt es vorliegend, das dem Urteil zugrunde liegende tatsächliche Geschehen nach diesen Kriterien zu bestimmen und hinreichend zu individualisieren, da weitere Taten nach dem Inhalt der Anklageschrift nicht Gegenstand des gerichtlichen Hauptverfahrens geworden sind und vor diesem Hintergrund eine Verwechslungsgefahr mit anderen Geschehnissen insoweit nicht besteht.
Der Revision ist daher insoweit ein Erfolg zu versagen."
Diesen insgesamt zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung zur Vermeidung von Wiederholungen an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.
Ende der Entscheidung
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