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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 14.04.2008
Aktenzeichen: 3 Ss 117/08
Rechtsgebiete: EMRK


Vorschriften:

EMRK Art. 6 Abs. 1
1. Damit eine Verletzung gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK festgestellt werden kann, ist zu prüfen, ob das Verfahren insgesamt unangemessen verzögert wurde. Eine gewisse Untätigkeit in einzelnen Verfahrensabschnitten führt dann noch nicht zu einer Verletzung der Konvention, wenn dadurch die Gesamtdauer des Verfahrens nicht unangemessen lang wird.

2. Eine in einem Verfahrensabschnitt eingetretene Verfahrensverzögerung kann durch eine überobligationsmäßige Beschleunigung in anderen Verfahrensabschnitten kompensiert werden.


Tenor:

Die Revision wird verworfen.

Gründe:

I.

Das AG Gütersloh hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen für schuldig befunden und ihn zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Gegen das Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht Rechtsmittel eingelegt und dies form- und fristgerecht sodann als Revision bezeichnet und mit der allgemeinen Sachrüge begründet. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Verwerfung des Rechtsmittels gem. § 349 Abs. 2 StPO beantragt.

II.

1.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils durch den Senat auf die Sachrüge hin hat keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Rechtlich nicht zu beanstanden ist es (anders als die Revision meint), wenn das Amtsgericht zu Lasten des Angeklagten wertet, dass er sich ohne wirtschaftliche Not in Betäubungsmittelgeschäfte mit harten Drogen von erheblichem Umfang verstrickt hat. Das Auskommen des Angeklagten war durch die Leistungen, die er als Asylbewerber erhielt, gesichert. Ein besonders ausgeprägtes und verwerfliches Gewinnstreben kann aber durchaus als Strafschärfungsgrund gewertet werden, wenn es - wie hier - das zur Tatbestandserfüllung erforderliche deutlich übersteigt (vgl. LK-Theune, 12. Aufl. § 46 Rdn. 93 m.w.N.).

2.

Näherer Erörterung bedarf allein Folgendes:

a) Im Hinblick auf die Einlegung eines nicht näher bezeichneten "Rechtsmittels" sind die Akten am 28.12.2007 an das Landgericht Bielefeld zur Durchführung des Berufungsverfahrens versandt worden. Auf den am 03.01.2008 beim Amtsgericht Gütersloh eingegangenen Schriftsatz des Verteidigers Rechtsanwalt Q, in dem das Rechtsmittel nunmehr als Revision bezeichnet und diese begründet wurde, geschah zunächst nichts. Erst am 26.01.2008 wurde dies bemerkt, woraufhin das Amtsgericht den Schriftsatz des Verteidigers dem Landgericht zuleitete. Das Landgericht hat die Akten daraufhin zur Durchführung des weiteren Verfahrens am 29.01.2008 an das Amtsgericht zurückgeleitet.

Hierdurch ist eine mehr als dreineinhalbwöchige Verfahrensverzögerung eingetreten, die das Revisionsgericht von Amts wegen im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 5 EMRK (der Angeklagte befindet sich in Untersuchungshaft) zu berücksichtigen hat (vgl. BGH NJW 2008, 860, 861; BGH NJW 2007, 2647; BGH NStZ 2004, 504, 505). Bei dieser Verzögerung handelt es sich aber nicht um eine kompensationspflichtige Verletzung der o.g. Vorschriften.

b) Der Senat kann dahinstehen lassen, ob dann, wenn - wie hier - die Verhängung der Jugendstrafe auch auf schädliche Neigungen gestützt wird, eine Kompensation durch einen bezifferten Abschlag von der erzieherisch gebotenen Strafe nicht in Betracht kommt (so: BGH NStZ-RR 2007, 61 f. m.w.N.).

c) Damit ein Verletzung gegen die genannten Vorschriften festgestellt werden kann, ist zu prüfen, ob das Verfahren insgesamt unangemessen verzögert wurde. Eine gewisse Untätigkeit in einzelnen Verfahrensabschnitten führt dann noch nicht zu einer Verletzung der Konvention, wenn dadurch die Gesamtdauer des Verfahrens nicht unangemessen lang wird (BVerfG NJW 2003, 2225; BVerfG NJW 1993, 3254, 3255; BGH NStZ 2004, 504, 505; NStZ-RR 2001, 294, 295). Letzteres kann hier nicht festgestellt werden.

Der Zeitablauf zwischen dem erstinstanzlichen Urteil und der Senatsentscheidung (nur dieser ist maßgeblich, da etwaige Verfahrensverzögerungen vor dem tatrichterlichen Urteil nicht mit der erforderlichen Verfahrensrüge beanstandet werden, vgl. dazu BGH NStZ 2004, 504) von fünf Monaten ist für sich genommen schon nicht unangemessen lang, wird dieser doch von zahlreichen gesetzlichen Fristen (§§ 275 Abs. 1 S. 2, 345 Abs. 1, 349 Abs. 3 StPO) und Förmlichkeiten (§§ 273 Abs. 4, 349 Abs. 2 und 3 S. 1 StPO) geprägt. Die oben genannte Verfahrensverzögerung wurde darüberhinaus auch kompensiert durch eine überobligationsmäßige Beschleunigung in anderen Verfahrensabschnitten. So hat das Amtsgericht bereits die Frist des § 275 Abs. 1 S. 2 StPO (im vorliegenden Fall aufgrund der Zahl der Verhandlungstage: 7 Wochen) nicht ausgeschöpft, sondern das Urteil bereits nach gut einem Monat zu den Akten gebracht, obwohl es sich um eine umfängliche Sache handelte und trotz des Geständnisses des Angeklagten eine nicht unerhebliche Beweiswürdigung erforderlich war. Bis zum Eingang der Akten bei der Generalstaatsanwaltschaft am 12.03.2008 war zwischenzeitlich noch über disziplinarische Maßnahmen im Rahmen der Untersuchungshaft zu entscheiden. Die Generalstaatsanwaltschaft hat sodann in vorbildlicher Weise das Verfahren weiter dadurch beschleunigt, dass die Akten mit der Antragsschrift vom 17.03.2008 bereits am 19.03.2008 dem Senat zugeleitet wurden, also die Sache in weniger als einer Woche bearbeitet wurde. Dass die Stellungnahme nur einen Umfang von etwa einer halben Seite hat, relativiert dies nicht. Der Umfang einer Antragsschrift oder einer Entscheidung sagt nämlich nur sehr begrenzt etwas über den dahinter stehenden Prüfungs- und Arbeitsaufwand aus. Hier war das - für eine amtsgerichtliche Entscheidung nicht gerade kurze - Urteil immerhin vollumfänglich auf seine materiellrechtliche Richtigkeit sowie auf das Vorliegen von Verfahrenshindernissen (zu dieser Prüfung bedarf auch der Sichtung einiger Aktenbestandteile) hin zu überprüfen. Schließlich hat der Senat selbst unmittelbar (d.h. am zweiten Werktag) nach Ablauf der Frist des § 349 Abs. 3 StPO entschieden.

III.

Von der Auferlegung von Kosten hat der Senat gem. § 74 JGG abgesehen.

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