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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 22.02.2005
Aktenzeichen: 3 Ss 19/05
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 21
StPO § 267
Bei einer 35 Minuten nach einem Unfallereignis entnommenen Blutprobe mit einem Mittelwert von 2,22 Promille ist die Frage einer verminderten Schuldfähigkeit auch bei Trunkenheitsfahrten regelmäßig zu erörtern. Das tatrichterliche Urteil muss in einem solchen Fall Feststellungen zum Tatzeitpunkt, zum Trinkende und zur Frage der auch hier in Betracht kommenden Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration enthalten.
Beschluss

Strafsache

gegen A.W.

wegen Straßenverkehrsgefährdung u.a.

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Strafrichter - Bielefeld vom 4. November 2004 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 22. 02. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung bzw. auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Strafausspruch hinsichtlich der für den Vorwurf der fahrlässigen Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung verhängten Einzelstrafe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Strafrichter - Bielefeld zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

Gründe:

I.

Der Angeklagte wurde durch das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 4. November 2004 wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs infolge Trunkenheit in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und wegen Diebstahls einer geringwertigen Sache zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 35,- € verurteilt. Ferner wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und die Straßenverkehrsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von noch sechs Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Wegen der Feststellungen des angefochtenen Urteils wird auf die Urteilsgründe von Bl. 2 des Urteils bis Bl. 3 oben, Ende des ersten Absatzes, Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er unter näheren Ausführungen die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

II.

Die Revision ist zulässig und hat mit der erhobenen Sachrüge teilweise Erfolg.

Soweit die Revision den Schuldspruch angreift, ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO), weil die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht aufdeckt. Auch die in zulässiger Form erhobenen Verfahrensrügen bleiben in der Sache ohne Erfolg.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 18.01.2005 Folgendes ausgeführt:

"Den in zulässiger Form erhobenen Verfahrensrügen ist der Erfolg in der Sache zu versagen.

Dies gilt zunächst für die formgerecht erhobene Rüge der Mitwirkung eines abgelehnten Richters (§ 338 Nr. 3 StPO).

Entgegen dem Revisionsvorbringen ist das betreffende Ablehnungsgesuch zu Recht verworfen worden.

Das beanstandete Verhalten der Vorsitzenden lässt bei einem verständigen Angeklagten nicht ein Misstrauen in die Unparteilichkeit der Richterin entstehen. Spannungen zwischen Richter und Verteidiger, die erst im Verfahren entstanden sind, begründen in aller Regel nicht die Besorgnis der Befangenheit (zu vgl. BGH StV 1993, 339). Dies gilt hier umso mehr, als dass die beanstandete Äußerung der Vorsitzenden erkennbar eine Reaktion auf punktuelles Verhalten des Verteidigers im Zusammenhang mit der Befragungspraxis eines Zeugen (Wiederholungsfrage) zu sehen ist (vgl. auch BGH NStZ 2000, 325). Eine weitergehende, gegen die Unvoreingenommenheit der Richterin sprechende (Über-)Reaktion, die auch bei einem verständigen Angeklagten die Besorgnis hätte bestehen lassen, die Vorsitzende werde auch künftiges Verteidigungsvorbringen nicht in der erforderlichen Distanziertheit zur Kenntnis nehmen, ist demgegenüber nicht ersichtlich.

Auch hat das Tatgericht im Ergebnis rechtsfehlerfrei dem Hilfsbeweisantrag auf Ablehnung eines Sachverständigengutachtens nicht stattgegeben.

Das Amtsgericht durfte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedenfalls von der völligen Ungeeignetheit des Beweismittels im Sinne des § 244 Abs. 3 StPO ausgehen. Zwar kann ein Sachverständiger schon dann kein völlig ungeeignetes Beweismittel im Sinne jener Norm darstellen, wenn er lediglich eine gewisse Wahrscheinlichkeit der unter Beweis gestellten Behauptung (hier Fahrereigenschaft des Zeugen Z.) nachzuweisen vermag. Dabei ist jedoch das bisherige (sonstige) Beweisergebnis nicht ohne Bedeutung (zu vgl. BGH Wistra 1993, 112). Nach den (rechtsfehlerfrei) getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts zu dem Unfallgeschehen, dem Umstand, dass dieser Zeuge aus dem Fahrzeug herausgeschleudert worden ist und dem Verletzungsbild ist jedenfalls aufgrund eigener Sachkunde auszuschließen, dass ein Sachverständiger eine zweifelsfreie Aussage zu der Frage, wo sich der Zeuge im Zeitpunkt des Unfalls im Pkw befunden hatte, hätte treffen können. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass eine Rekonstruierbarkeit der hierzu notwendigen Anknüpfungstatsachen nicht anzunehmen ist. Eine dahingehende zeitnahe ärztliche Dokumentation des genauen Verletzungsbildes des Zeugen ist nicht aktenkundig. Die von dem Tatgericht gewürdigten Bekundungen sämtlicher Zeugen geben zudem keinerlei Hinweis auf eine Fahrereigenschaft des Geschädigten. Dies gilt auch von dem Verteidigungsverhalten des Angeklagten, der insoweit in der Hauptverhandlung von seinem Einlassungsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat. "Thema" der dahingehenden Beweisaufnahme war demgemäss lediglich die Frage, ob der Angeklagte oder ein unbekannter Dritter das Fahrzeug geführt hat. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung kann somit ausgeschlossen werden, dass ein Sachverständigengutachten die Überzeugungsbildung des Tatrichters zu der Frage der Fahrereigenschaft des Angeklagten hätte beeinflussen können."

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.

Der Strafausspruch hinsichtlich der für das Trunkenheitsdelikt verhängten Einsatzstrafe von 60 Tagessätzen und damit der Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen hält allerdings der rechtlichen Nachprüfung nicht Stand. Zutreffend hat die Generalstaatsanwaltschaft insoweit auf einen grundlegenden Darstellungsmangel des angefochtenen Urteils hingewiesen und hierzu Folgendes ausgeführt:

"Allerdings kann der Strafausspruch hinsichtlich der für das Trunkenheitsdelikt festgesetzten Einsatzstrafe und damit der Gesamtgeldstrafe keinen Bestand haben. Auf der Grundlage des festgestellten Ergebnisses des Blutalkoholgutachtens, nach dem eine 35 Minuten nach dem Unfallereignis entnommene Blutprobe einen Mittelwert von 2,22 Promille ergab, offenbart das angefochtene Urteil einen grundlegenden Darlegungsmangel zur Frage des Vorliegens des Voraussetzungen des § 21 StGB. Bei einer solchen Blutalkoholkonzentration ist die Frage einer verminderten Schuldfähigkeit auch bei Trunkenheitsfahrten regelmäßig zu erörtern. Das tatrichterliche Urteil muss in einem solchen Fall Feststellungen zum Tatzeitpunkt, zum Trinkende und zur Frage der auch hier in Betracht kommenden Rückrechnung der Blutalkoholkonzentration enthalten (vgl. OLG Hamm, VRS 97, 351, OLG Hamm, Beschluss vom 24.08.2000 - 4 Ss 869/00 -). Die insoweit knappen Urteilsausführungen enthalten die erforderlichen Darlegungen nicht. Auch ist ein Beruhen des Strafausspruches auf diesen Darlegungsmangel nicht ausgeschlossen. Zwar ist bei der Verurteilung wegen eines Trunkenheitsdelikts im Straßenverkehr die fakultative Strafmilderung des § 49 StGB eher die Ausnahme (vgl. Senatsbeschluss vom 20.03.1990 3 Ss 196/90 -). Jedoch ist eine solche Möglichkeit in den einschlägigen Sachverhaltskonstellationen grundsätzlich eröffnet und erfordert die tatrichterliche Prüfung, ob der Angeklagte seinen Zustand "in vorwerfbarer Weise" selbst herbeigeführt hat, da er bei Trinkbeginn davon ausgehen musste, dass er noch ein Kraftfahrzeug lenken würde (zu vgl. BGH VRS 69, 118). Ein allgemeiner Grundsatz, dass bei Straftaten nach § 315 c Abs. 1 Nr. 1 a) bzw. nach § 316 stets oder jedenfalls in der Regel eine Strafrahmenmilderung zu versagen ist, besteht nicht (zu vgl. Leipziger Kommentar - König -, 11. Auflg., § 316 Rdn. 243 m.w.N.). Die dazu notwendigen Feststellungen zu den Umständen der Alkoholaufnahme vor der Benutzung des Pkws sind in dem angefochtenen Urteil nicht enthalten. Weder wird der Ausgangspunkt der Fahrt noch das Fahrziel oder die Motivation für die Benutzung des Kraftfahrzeuges dargelegt. Soweit Angaben in dem Urteil hierzu enthalten sind, beziehen sie sich lediglich auf die Wiedergabe von dahingehenden Bekundungen von Entlastungszeugen, die damit erkennbar die Umstände der (von dem Tatrichter nicht für glaubhaft erachteten) Übernahme des Fahrzeuges durch eine unbekannte dritte Person schildern wollten. Umgekehrt hat das Amtsgericht auch nicht ein Trinken in Fahrbereitschaft, welches regelmäßig zu einem Ausschluss eines Strafmilderung führt (zu vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52. Auflg., § 316 Rdn. 54), dargelegt."

Diesen Ausführungen tritt der Senat ebenfalls vollumfänglich bei und macht sie zum Gegenstand seisner Entscheidung.

Der Strafausspruch des angefochtenen Urteils leidet indes an einem weiteren Rechtsfehler. Das Amtsgericht hat die etwaigen Folgen der Verurteilung für die Bewährungsaussetzung der nach den Urteilsfeststellungen noch ausgesetzten Restfreiheitsstrafe aufgrund des Urteils des Landgerichts Bielefeld aus dem Jahre 1997 wegen mehrfacher gemeinschaftlicher Vergewaltigung nicht zugunsten des Angeklagten erwogen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein nicht unerheblicher Teil der Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt worden ist, und dem Angeklagten aufgrund der neuerlichen Tat insoweit eine gravierende Folge droht, als diese Bewährungsaussetzung gefährdet sein kann. Hierbei handelt es sich um eine Wirkung der Strafe, die gemäß § 46 StGB zu berücksichtigen ist (vgl. Tröndle/Fischer, StGB-Kommentar, 52. Aufl., Rdnr. 8 zu § 46; BayStV 87, 437). Soweit derartige für das Strafmaß materiell-rechtlich maßgebliche Leitgesichtspunkte (§ 46 StGB) nicht richtig gesehen oder nicht zugrunde gelegt worden sind, fehlt der Strafzumessung die einwandfreie Grundlage, so dass der Strafausspruch auch aus diesem Grund der Aufhebung unterliegt.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass aufgrund zu treffender weitergehender oder neuer Feststellungen eine Herabsetzung der zu verhängenden Gesamtstrafe geboten erscheint. Ein Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 354 Abs. 1 a StPO lag nicht vor.

Ende der Entscheidung

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