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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 20.09.2005
Aktenzeichen: 3 Ss 202/05
Rechtsgebiete: AuslG, StGB, StPO


Vorschriften:

AuslG § 92
StGB § 267
StGB § 47
StPO § 264
Zur einheitlichen Tat im Sinne von § 264 StPO wegen eines Verstoßes gegen § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG und einer Urkundenfälschung und zur Hinweispflicht nach 3 265 StPO.
Beschluss

Strafsache

gegen B.T.

wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz

Auf die (Sprung-) Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 21.02.2005 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 20. 09. 2005 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung bzw. auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung der Angeklagten bzw. ihrer Verteidigerin einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Schuldausspruch nebst den zugrunde liegenden Feststellungen hinsichtlich der Verurteilung wegen Urkundenfälschung sowie im Rechtsfolgenausspruch nebst den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bielefeld zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass die Angeklagte wegen Aufenthalts im Bundesgebiet ohne Pass und ohne Ausweisersatz verurteilt wird.

Gründe:

I.

Die Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 21.02.2005 wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen das Ausländergesetz in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden.

Mit der dem Verfahren zugrunde liegenden Anklage der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 29.12.2004 wird der Angeklagten vorgeworfen, am 21.12.2004 und zuvor in Bielefeld

a) sich entgegen § 92 Abs. 1 i.V.m. § 4 Abs. 1 und § 39 Abs. 1 AuslG ohne Pass und ohne Ausweisersatz im Bundesgebiet aufgehalten zu haben,

b) zur Täuschung im Rechtsverkehr eine gefälschte Urkunde gebraucht zu haben.

Nach dem Anklagevorwurf hielt sich die Angeklagte am vorgenannten Tattag um 14.00 Uhr, in Bielefeld Brönninghauser Straße 38 b, auf und ging dort der Prostitution nach. Zu ihrer wenige Tage zuvor erfolgten Einreise hatte sie einen gefälschten litauischen Reisepass benutzt, der auf ihre o.g. Personalien ausgestellt und mit ihrem Lichtbild versehen worden war. Tatsächlich war der Pass nach dem Anklagevorwurf in Litauen der Berechtigten entwendet und für die Angeklagte zum illegalen Gebrauch verfälscht worden.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts Bielefeld, die dem angefochtenen Urteil zugrunde liegen, ist die Angeklagte russische Staatsangehörige. Sie reiste am 07.12.2004 in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein. Nachdem sie in Münster ihren russischen Pass verloren hatte, besorgte sie sich einen litauischen Pass, der auf den Namen "Jevgenija Zacharova" ausgestellt war, und ließ diesen in Warburg mit ihrem Passfoto versehen. Bei einer am 21.12.2004 in Bielefeld durchgeführten Polizeikontrolle wies sie sich mit diesem Pass aus.

Das Amtsgericht hat die Angeklagte auf der Grundlage dieser Feststellungen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen § 92 Abs. 1 Ziffer 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 und 39 Abs. 1 AuslG in Tateinheit mit Urkundenfälschung (§ 267 StGB) für schuldig befunden.

Den Rechtsfolgenausspruch hat das Amtsgericht wie folgt begründet:

"Bei der Bemessung der Strafe war zugunsten der Angeklagten zu berücksichtigen, dass sie die Tat eingeräumt hat. Das Gericht hielt jedoch zur Einwirkung auf die Angeklagte und zur Vereidigung der Rechtsordnung die Verhängung einer Freiheitsstrafe für geboten, die es auf drei Monate bemessen hat. Die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe konnte zur Bewährung ausgesetzt werden, weil zu erwarten ist, dass sie sich diese Verurteilung zur Warnung dienen lässt."

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Angeklagten, mit der eine Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird.

II.

Die Revision ist zulässig und hat in der Sache teilweise zumindest vorläufig Erfolg.

1. Die Verurteilung der Angeklagten wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen das Ausländergesetz (§ 92 Abs. 1 Ziffer 2 AuslG i.V.m. § 4 Abs. 1 und 39 Abs. 1 AuslG) hält einer rechtlichen Überprüfung Stand. Das am 01.05.2005 in Kraft getretene Aufenthaltsgesetz enthält in § 95 Abs. 1 Nr. 1 einen entsprechenden Straftatbestand mit einer gleich hohen Strafandrohung wie § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG. § 95 Abs. 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz enthält daher kein milderes Recht i.S.d. § 2 Abs. 3 StGB, so dass im vorliegenden Verfahren weiterhin das Ausländergesetz Anwendung findet.

Die Überprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten nicht ergeben, soweit ihr ein Verstoß gegen § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG zur Last gelegt worden ist. Insoweit war daher die Revision entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen, allerdings mit der Maßgabe, dass die Angeklagte wegen Aufenthalt im Bundesgebiet ohne Pass und ohne Ausweisersatz verurteilt wird, um die gemäß § 260 Abs. 4 StPO erforderliche rechtliche Bezeichnung der Tat in der Urteilsformel nachzuholen.

2. Die Verurteilung der Angeklagten wegen einer Urkundenfälschung hält dagegen einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand.

a) Für die Verurteilung wegen Urkundenfälschung fehlt es allerdings nicht an dem Verfahrenserfordernis einer wirksamen Anklage, auch wenn die - unverändert - zugelassene Anklage der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 29.12.2004 den Vorwurf, die Angeklagte habe sich am 21.12.2004 in Bielefeld bei einer durchgeführten Polizeikontrolle mit einem litauischen Pass, der auf den Namen "Jevgenija Zacharova" ausgestellt und nachträglich mit dem Passbild der Angeklagten versehen worden sei, und damit mit einem verfälschten Pass ausgewiesen habe, nicht enthält. Gegenstand des Strafverfahrens und der Urteilsfindung ist nämlich die Tat im prozessualen Sinn gemäß § 264 StPO. Diese umfasst nicht nur den in der Anklage umschriebenen und dem Angeklagten dort zur Last gelegten Geschehensablauf. Zur Tat im prozessualen Sinn gehört vielmehr - unabhängig davon, ob Tateinheit (§ 52 StGB) oder Tatmehrheit (§ 53 StGB) vorliegt - das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang darstellt. Somit umfasst der Lebensvorgang, aus dem die zugelassene Anklage einen strafrechtlichen Vorwurf herleitet, alle damit zusammenhängenden und darauf bezüglichen Vorkommnisse, auch wenn diese Umstände in der Anklageschrift nicht ausdrücklich erwähnt sind (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 82 m.w.N.; NJW 1996, 1160 m.w.N.). Bei der Beurteilung dieser Frage kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an. Entscheidend ist, ob zwischen den in Betracht kommenden Verhaltensweisen - unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung - ein enger sachlicher Zusammenhang besteht (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 82; NJW 1997, 3034).

Im vorliegenden Fall besteht ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen dem der Angeklagten vorgeworfenen Verstoß gegen § 92 Abs. 1 Nr. 2 AuslG und der ihr mit dem angefochtenen Urteil vorgeworfenen Urkundenfälschung. Denn die Vorlage des gefälschten Passes bei der Polizeikontrolle am 21.12.2004 erfolgte nicht nur während des der Angeklagten vorgeworfenen Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland ohne Pass und ohne Ausweisersatz, sondern diente gerade dem Zweck, eine Aufdeckung dieses Sachverhaltes zu verbergen, indem durch die Vorlage des gefälschten Passes der Besitz des erforderlichen Ausweispapieres vorgetäuscht wurde. Bei dieser Sachlage ist der für die Annahme einer Tat i.S.d. § 264 StPO erforderliche enge sachliche Zusammenhang zwischen dem der Angeklagten zur Last gelegten Verstoß gegen das Ausländergesetz und der ihr vorgeworfenen Urkundenfälschung gegeben.

b) Die Verurteilung der Angeklagten wegen Urkundenfälschung kann aber deshalb keinen Bestand haben, weil insoweit die von der Revision erhobene Verfahrensrüge durchgreift.

Die Angeklagte rügt mit der Revisionsbegründung, das Gericht habe die Verurteilung wegen Urkundenfälschung auf eine - gegenüber der Anklage - in tatsächlicher Hinsicht veränderte Grundlage gestützt, ohne dass ihr zuvor ein entsprechender Hinweis gemäß § 265 StPO erteilt worden sei.

Diese Rüge hat Erfolg.

Wie mit der Revision zu Recht geltend gemacht wird, stützt die Anklage den Tatvorwurf der Urkundenfälschung auf die Vorlage eines verfälschten Passes bei der Einreise der Angeklagten in die Bundesrepublik Deutschland, während das Amtsgericht die Verurteilung wegen Urkundenfälschung in dem angefochtenen Urteil damit begründet hat, die Angeklagte habe einen verfälschten Pass bei einer am 21.12.2004 in Bielefeld durchgeführten Polizeikontrolle vorgelegt. Der Sachverhalt, durch den die Angeklagte nach der Anklageschrift am 29.12.2004 eine Urkundenfälschung begangen haben soll, unterschied sich auch nicht nur unwesentlich von demjenigen, den das Amtsgericht bei seiner Verurteilung wegen einer Straftat gemäß § 267 StGB zugrunde gelegt hat. Vielmehr unterschieden sich beide Sachverhalte nach Zeit und Ort. Darüber hinaus war nach dem Anklagevorwurf der gefälschte Reisepass nicht nur mit einem Lichtbild der Angeklagten, sondern auch mit deren Personalien versehen worden, während nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil der litauische Pass zwar das Foto der Angeklagten enthielt, aber auf einen anderen Namen ausgestellt war.

Das Gericht, das den Schuldspruch innerhalb des Rahmens der angeklagten Tat (§ 264 StPO) auf einen gegenüber der Anklage wesentlich veränderten Sachverhalt stützt, muss dem Angeklagten zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilen. Diese Hinweispflicht dient dem schutzwürdigen Verteidigungsinteresse des Angeklagten (vgl. BGH NStZ 1991, S. 550 m.w.N.). Es ist im vorliegenden Verfahren auch davon auszugehen, dass, wie die Revision geltend macht, ein entsprechender Hinweis der Angeklagten nicht erteilt worden ist. Auch aus der durch den Senat eingeholten dienstlichen Äußerung des Richters am Amtsgericht Heimann, der das angefochtene Urteil erlassen hat, ergibt sich nicht, dass die Hinweispflicht gemäß § 265 StPO erfüllt worden ist. Denn in der dienstlichen Äußerung wird ausgeführt, dass aus dem Gedächtnis nicht mehr angegeben werden könne, ob ein Hinweis erteilt worden sei, dass eine Verurteilung auch wegen des Verwendens eines gefälschten Passes am 21.12.2004 erfolgen könne. In der Hauptverhandlung sei darüber gesprochen worden, weil die Angeklagte angegeben habe, ihren Ausweis erst verloren und durch einen gefälschten ersetzt zu haben, als sie bereits in Deutschland gewesen sei.

Auf der Grundlage dieser Ausführungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Angeklagte, wie es erforderlich gewesen wäre (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 265 Rdnr. 23), umfassend und unmissverständlich darüber unterrichtet worden ist, dass das Gericht hinsichtlich des Vorwurfs einer Urkundenfälschung von einer veränderten Sachlage ausgehen wollte.

3. Die teilweise Aufhebung des Schuldausspruches hat, da der Tatrichter von zwei tateinheitlich begangenen Straftaten ausgegangen ist, zur Folge, dass auch der Rechtsfolgenausspruch entfällt. Dieser erweist sich darüber hinaus aber auch als rechtsfehlerhaft.

Gemäß § 47 Abs. 1, 1. Alt. StGB verhängt das Gericht eine kurze Freiheitsstrafe unter sechs Monaten nur, wenn es deren Verhängung aufgrund besonderer Umstände der Tat und in der Persönlichkeit des Täters für unerlässlich erachtet, wenn also unter dem Gesichtspunkt der Spezialprävention der Strafzweck "zur Einwirkung auf den Täter" durch eine Geldstrafe nicht oder kaum zu erreichen ist und aus diesem Grunde eine Freiheitsstrafe unverzichtbar erscheint, um den Täter dazu zu bringen, in Zukunft nicht mehr straffällig zu werden (vgl. OLG Hamm VRS 97, 410; Senatsbeschluss vom 25.06.2003 - 3 Ss 343/03 -; BGHSt 24, 165). Nach der gesetzesgeberischen Grundentscheidung des § 47 StGB soll die Verhängung kurzzeitiger Freiheitsstrafen weitgehend zurückgedrängt werden und nur noch ausnahmsweise unter ganz besonderen Umständen in Betracht kommen. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten kann danach regelmäßig nur dann Bestand haben, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist (vgl. BGHR StGB § 47 Abs. 1 Umstände 7 = NStZ 1996, 429; BGH StV 1994, 370 jeweils m.w.N.).

Anhand der oben wiedergegebenen Strafzumessungserwägungen des Amtsgerichts lässt sich jedoch nicht nachvollziehen, warum die verhängte kurzfristige Freiheitsstrafe vorliegend als einziges Reaktionsmittel für das der Angeklagten vorgeworfene Fehlverhalten in Betracht kommt. Die der Angeklagten zur Last gelegten Straftaten sind nicht als derart schwerwiegend einzustufen, dass schon aus diesem Grunde die Verhängung einer Geldstrafe nicht mehr in Betracht gekommen wäre. Erforderlich wäre es daher gewesen, sich bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB mit der Person der Angeklagten auseinanderzusetzen. Dies gilt umso mehr, als es sich bei der Angeklagten nach den Urteilsgründen um eine bislang nicht vorbestrafte Täterin handelt, die wegen der ihr in dem vorliegenden Verfahren zur Last gelegten Taten offenbar erstmals Freiheitsentzug in Form von Untersuchungshaft erlitten hat. Denn bei einer solchen Fallgestaltung sind in der Regel erhöhte Anforderungen an die Begründung einer unter sechs Monate liegenden Freiheitsstrafe zu stellen (vgl. Senatsbeschluss vom 05.09.2002 - 3 Ss 706/02 -; OLG Hamm, VRS 1997, 411 m.w.N.; OLG Köln, NJW 2001, 3491).

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