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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 25.08.2008
Aktenzeichen: 3 Ss 318/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 81a
StPO § 344
StPO § 257
Der Senat neigt der Auffassung zu, dass bei (Straßen-)Verkehrsdelikten, bei denen es auf die Überschreitung eines bestimmten BAK-Wertes ankommt, eine evidente Dringlichkeit, die die Annahme von Gefahr im Verzug rechtfertigt, für de Anordnung zwar nicht immer, aber häufig gegeben sein wird.

Zu den Anforderungen an die Verfahrensrüge, mit der geltend gemacht wird, dass bei einer Blutentnahme der Richtervorbehalt nicht beachtet worden ist.


Beschluss

Strafsache

gegen pp.

wegen Trunkenheit im Verkehr

Auf (Sprung)Revision der Angeklagte gegen das Urteil des Amtsgerichts - Strafrichter - Lemgo vom 11. März 2008 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 25. August 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richterin am Landgericht Rauhaus auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach Anhörung der Angeklagten einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Revision wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels trägt die Angeklagte.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat die Angeklagte wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40 Euro verurteilt, ihr die Fahrerlaubnis entzogen, den Führerschein eingezogen und angeordnet, dass ihr vor Ablauf von 8 Monaten keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf .

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr die Angeklagte am 13.11.2007 gegen 13.30 Uhr in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand mit einem PKW unter anderem dem Parkplatz der Firma Marktkauf in der Grevenmarschstraße. Die um 14.35 Uhr entnommene Blutprobe ergab einen BAK-Wert von 2,05 Promille.

Gegen das Urteil wendet sich die Angeklagte mit der Revision und rügt die Verletzung

formellen und materiellen Rechts.

II.

Die Revision ist statthaft (§ 335 Abs. 1 StPO) und zulässig. Die Angeklagte hat zunächst fristgerecht ein nicht näher bezeichnetes "Rechtsmittel" eingelegt und es sodann innerhalb der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 StPO) - was ausreicht (vgl. Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 335 Rdn. 3 m.w.N.) - als Sprungrevision bezeichnet.

Das Rechtsmittel ist aber offensichtlich unbegründet i. S. v. § 349 Abs. 2 StPO.

1. a) Die erhobene Verfahrens rüge der Verletzung des Richtervorbehalts des § 81a Abs. 2 StPO entspricht bereits nicht den Begründungsanfordungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO.

Nach dieser Vorschrift müssen bei Erhebung der Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen so genau dargelegt werden, dass das Revisionsgericht aufgrund dieser Darlegung das Vorhandensein - oder Fehlen - eines Verfahrensmangels feststellen kann, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen sind oder bewiesen werden. Eine Bezugnahme auf Akten, das Protokoll oder andere Schriftstücke ist unzulässig (BGH NJW 1995, 2047; OLG Hamm Urt. v. 12.02.2008 3 Ss 541/07 - juris; OLG Hamm Beschl. v. 10.01.2098 - 3 Ss 550/07 - juris; OLG Hamm NStZ-RR 2001,373 m.w.N.).

Diesen Anforderungen wird die Revision nicht gerecht. So heißt es zur Blutprobenentnahme: ,,Die sie kontrollierenden (von ihr selbst hinzugerufenen) Polizeibeamten haben eine Blutprobe veranlasst ohne Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft oder Ermittlungsrichter, diese Blutprobe wurde um 14.15 Uhr entnommen". Hier fehlt es bereits an Ausführungen dazu, dass die Blutprobenentnahme von den Polizeibeamten auf der Grundlage des §81a StPO angeordnet wurde und auch aus dem Urteil ergibt sich das nicht. Dass die Blutprobenentnahme auf der Grundlage des § 81a StPO erfolgte, ist auch nicht zwingend. So ist es auch durchaus denkbar, dass ein Beschuldigter sich freiwillig einer Blutprobenentnahme stellt. Die Einwilligung des Beschuldigtenwürde aber eine Anordnung. nach § 81a StPO entbehrlich machen (OLG Hamburg NZV 2008, 362, 364; Meyer-Goßner a.a.O. § 81a Rdn. 3). Folglich könnte dann, wenn wegen der Einwilligung schon überhaupt keine Anordnung nach § 81a StPO erforderlich ist, die fehlende richterliche Anordnung nicht schädlich sein. Dass die Angeklagte -hier- z.B. bedingt durch die Alkoholisierung- nicht einwilligungsfähig war, ist nicht ersichtlich. Das ergibt sich jedenfalls nicht aus den Urteilsfeststellungen, noch wird es von der Revision behauptet: Muss schon generell im Rahmen der Rüge der Verletzung des § 81a StPO vorgetragen werden, dass sich eine Blutprobenentnahme auch auf diese Vorschrift stützte und nicht etwa freiwillig erfolgte, so hätte hier um so mehr Anlass dazu bestanden, als die Revision selbst Anzeichen für eine Kooperation der Angeklagten mit den Ermittlungsbehörden vorträgt, nämlich dass diese selbst die Polizei (nach einem von ihr nicht verschuldeten Verkehrsunfall) herbeigerufen hatte.

Ferner fehlt es auch an dem Vortrag, wann die Angeklagte in der Hauptverhandlung der Verwertung des BAK-Gutachtens widersprochen hat. In der Revisionsbegründung heißt es lediglich: "Der Verwendung der Ergebnisse der Blutprobe hat die Angeklagte durch ihren Verteidiger in der Hauptverhandlung widersprochen. Das Gericht ist über diesen Widerspruch durch beantragten Beschluss hinweggegangen."

Der Widerspruch gegen die Verwertung eines Beweismittels ist nur bis zu dem durch §257 StPO bestimmten Zeitpunkt möglich (BGHSt38, 214; BGHSt 42, 15,22). Dies gilt nicht nur im Falle eines Verstoßes gegen Belehrungspflichten, sondern auch für etwaige Verstöße gegen § 81a StPO (OLG Hamburg NZV 2008,362,365). Es ist kein Grund ersichtlich, bei Verstößen im Rahmen der. Beweismittelbeschaffung unterschiedlich zu verfahren, so dass die vom Bundesgerichtshof in den zitierten Entscheidungen aufgestellten Grundsätze, die inzwischen auch vom Bundesgerichtshof selbst auf weitere Fallgestaltungen, wie einen Verfahrensverstoß bei Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen, angewendet werden (BGHSt 51; 1 ff:; vgl. zu dieser Tendenz auch: BGH NJW 2007,2269, 2273 f.), auf einen Verstoß der hier behaupteten Art übertragbar sind. Insbesondere steht es dem Beschuldigten frei, sich freiwillig einer Blutentnahme (unabhängig vom Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für ihre Anordnung) zu unterziehen, was von vornherein eine Anordnung nach § 81a StPO erübrigen würde. Derartige Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit sind disponibel, so dass es erst Recht im Ermessen des Beschuldigten stehen muss, ob er sich gegen die Verwertung von Erkenntnissen, die ursprünglich durch (etwaige formell rechtswidrig angeordnete) Zwangsmaßnahmen erlangt wurden, mit einem Widerspruch wenden will. Der Vortrag der Revision verhält sich indes zum Zeitpunkt des Widerspruchs, in der Hauptverhandlung nicht. Auch der Gesamtzusammenhang der Revisionsbegründung lässt nicht eindeutig auf einen Widerspruch bis zu diesem Zeitpunkt - und nicht etwa erst später - schließen.

b) Für zukünftige Fälle weist der Senat auf Folgendes hin:

Nach der Rechtsprechung des BVerfG (NJW 2007, 1345 und Beschluss vom 28.07.2008 - 2 BvR 784/08 = BeckRS 2008, 37714) müssen die Strafverfolgungsbehörden im Hinblick auf § 81a Abs. 2 StPO grundsätzlich versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine solche Anordnung treffen. Nur bei einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung kann davon abgesehen werden. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs muss mit einzelfallbezogenen Tatsachen begründet und in den Ermittlungsakten dokumentiert werden (vgl. dazu auch BVerfG Beschl. v. 31. 10.2007 - 2 BvR 1346/07 juris), sofern die Dringlichkeit nicht evident ist.

Der Senat neigt der Auffassung zu, dass eine evidente Dringlichkeit (Straßen-)Verkehrsdelikten, bei denen es auf die Überschreitung eines bestimmten BAK-Wertes ankommt, zwar nicht immer, aber häufig gegeben sein wird. Für die Prüfung im Einzelfall, ob eine Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die Einholung der richterlichen Anordnung zu gewärtigen ist, ist von folgenden Überlegungen auszugehen:

Bei den genannten Verkehrsdelikten ist eine exakte messtechnische Bestimmung des BAK-Wertes zum Tatzeitpunkt wesentlich für die Feststellung der Strafbarkeit. Selbst ohne Anrufung des Ermittlungsrichters ist meist die Erlangung einer Blutprobe, allein schon weil die Polizei zunächst herbeigerufen werden und den Sachverhalt ermitteln muss und wegen der Heranziehung des zur Entnahme notwendigen Arztes, meist nicht unter einer Stunde nach der Tat zu erreichen. Zu berücksichtigen ist auch, dass der Polizei kein eigenes Antragsrecht beim Ermittlungsrichter zusteht, sondern diese zunächst die Staatsanwaltschaft einschalten muss, sofern nicht die Fallgestaltung des § 165 StPO vorliegt (Erb in LR-StPO 26. Aufl. § 162 Rdn. 9; Meyer-Goßner StPO.51. Aufl. § 163 Rdn. 26; Rabe von Kühlewein JR 2007,518).

Zwar lässt sich auch durch eine nicht ganz so zeitnahe Blutprobe und deren Auswertung durch Rückrechnung auf den Tatzeitpunkt noch ein BAK-Wert ermitteln. Indes erfolgt diese Rückrechnung aufgrund bestimmter zu Gunsten des Beschuldigten angenommener statistischer Mindestwerte. Die tatsächlichen Abbauwerte liegen im allgemeinen (z.T. deutlich) höher, so dass sich mit zunehmendem Zeitablauf zwischen Tat und Blutprobenentnahme auch die Abweichungen zwischen einem zeitnah gemessenen tatsächlichen BAK-Wert und einem durch Rückrechnung ermittelten BAK-Wert ergeben (vgl. dazu näher: LG Braunschweig Beschl. v. 04.01.2008 - 9.Qs 381/07 - juris; LG Hamburg NZV 2008,213,214; LG Heidelberg Beschl. v. 19.06.2008 -1 Qs 41/08 - juris; Laschewski NZV 2007, 582, 583; a.A. OLG Stuttgart Beschl. v. 26.11.2007 - 1 Ss 532/07 - juris).

Erwägen der Staatsanwalt oder seine Ermittlungspersonen die Anordnung einer Blutprobenentnahme ohne Anrufung des Gerichts, so müssen sie Überlegungen zur voraussichtlichen Dauer bis zur Blutprobenentnahme im Falle der vorherigen Anrufung des Gerichts und zur Gefahr des Verlustes von Beweismitteln hierdurch anstellen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht jede Einholung einer richterlichen Anordnung nach § 81 a StPO zwingend unter Aktenvorlage schriftlich zu erfolgen hat. Die dahingehende Ansicht des LG Hamburg (NZV 2008,213,214 f.) und des LG Braunschweig (a.a.O.) ist mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht vereinbar, wonach durchaus zunächst zu versuchen ist, eine mündliche Anordnung einzuholen (BGH NJW 2007, 2269, 2273; vgl. auch: AG Essen Beschl. v. 11.10.2007 - 44 Gs 4677/07 - juris; Laschewski NZV 2008,215). Bei einer mündlichen Anordnung wäre die zeitliche Verzögerung, die in der Dauer der Mitteilung des Sachverhalts an den Staatsanwalt, der dann seinerseits den zuständigen Richter herausfinden und diesem den Sachverhalt schildern muss, eine gewisse Bedenkzeit des Staatsanwalts bezüglich seiner Antragstragstellung und des Richters bezüglich seiner Entscheidung und der Entgegennahme der Anordnung besteht, eher gering (vgl.. OLG Stuttgart a.a.O.: "im Idealfall binnen 1/4 Stunde"). In solchen Fällen muss zunächst die Herbeiführung einer richterlichen Anordnung versucht (es sei denn; der Beweisverlust wäre auch ,schon durch eine so geringfügige Verzögerung zu gewärtigen) und der Versuch in den Akten dokumentiert werden. Bei komplexeren Sachverhalten kann aber auch bereits dies längere Zeit in Anspruch nehmen oder es aber gar erforderlich sein, dass dem Richter die bisherigen Ermittlungsergebnisse in schriftlicher Form vorliegen, um sie richtig würdigen und den mit seiner Entscheidungskompetenz bezweckten Rechtsschutz effektiv gewährleisten zu können (vgl. Rabe von Kühlewein JR 2007, 517, 520). Auch hier wird allerdings - wenn das nicht von vornherein zeitlich offensichtlich aussichtslos erscheint - versucht werden müssen, zunächst eine Entscheidung des Richters herbeizuführen und erst, wenn dieser nicht erreicht werden kann oder sich zu einer Entscheidung ohne Aktenstudium nicht in der Lage sieht, kann eine eigene Anordnung getroffen werden. Je unklarer das Ermittlungsbild oder je komplexer der Sachverhalt ist und je genauer die BAK-Wert-Ermittlung sein muss, um so eher wird man daher eine Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden bejahen müssen (OLG Hamburg NZV 2008, 362, 364). Haben die Polizeibeamten eine Atemalkoholmessung durchgeführt und deutet diese nur auf eine geringfügige oder mäßige Überschreitung der die Strafbarkeit begründenden Grenzwerte hin, so wird man eher einen Verzicht der Einholung einer richterlichen (ggf. auch einer staatsanwaltschaftlichen) Anordnung für zulässig erachten können als bei einer ganz erheblichen Alkoholisierung, denn hier kommt es wegen der nur knappen Grenzwertüberschreitung auf ein möglichst genaues Ergebnis an (LG Berlin Beschl. v. 23.04.2008 - 528 Qs 42/08 = BeckRS 2008,12245; LG Itzehoe NStZ-RR 2008,249, 250); bei Drogen ist wiederum ein Abbau schneller und eine Rückrechnung schwieriger, so dass auch hier eher eine Eilkompetenz der Polizeibeamten zu bejahen sein wird (vgl. Rabe von Kühlewein JR 2007, 517, 518). Auch bei einem behaupteten Nachtrunk kommt es auf eine möglichst zeitnahe Messung des BAK-Wertes an, so dass in diesen Fällen ggf. die Einholung einer richterlichen Anordnung eine den Ermittlungserfolg gefährdende Verzögerung darstellen kann (vgl. BVerfG Beschl. v. 21.01.2008 - 2 BvR 2307/07; LG Berlin Beschl. v. 23.04.2008 - 528 Qs 42/08 = BeckRS 2008, 12245; LG Itzehoe NStZ-RR 2008, 249, 250). Will der Beschuldigte dessen Identität geklärt ist, unter Verweigerung einer freiwilligen Blutentnahme fliehen, so werden die, Ermittlungspersonen ihn wegen Gefahr im Verzuge auf § 81a Abs. 1 StPO auch ,ohne richterliche Anordnung festhalten können (vgl. Götz NStZ 2008,239,240). Im weiteren Verlauf werden die Ermittlungspersonen aber nach den oben geschilderten Grundsätzen ggf. eine richterliche Anordnung für die Blutentnahme noch herbeizuführen haben.

Ob bzw. inwieweit bei einer Verletzung des, Richtervorbehalts ein Beweisverwertungsverbot bezüglich des auf der Grundlage der ohne richterliche Anordnung erlangten Blutprobe eingeholten Gutachtens anzunehmen ist (vgl. dazu BVerfG Beschl. v. 28.07.2008 - 2 BvR 784/08 - BeckRS 2008, 37714), kann derzeit offen bleiben.

2.

Auch die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin hat keine Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist noch hinreichend zu entnehmen, dass ein Fall des sog. Nachtrunkes nicht gegeben war.

Dass in den Feststellungen der Tatort nur mit der Straße und einer Geschäftsbezeichnung, nicht hingegen mit der Bezeichnung der Ortschaft angegeben ist, ist unschädlich. Anhand der vorhandenen Angaben zur Tat ist diese eindeutig identifizierbar und eine Verwechslung mit etwaigen anderen Taten ausgeschlossen .

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs.1 StPO.

Ende der Entscheidung

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