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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 13.08.2009
Aktenzeichen: 3 Ss 323/09
Rechtsgebiete: StGB, BtMG


Vorschriften:

StGB § 46 Abs. 3
StGB § 47
BtMG § 29 Abs. 5
1. Wird ein Absehen von Strafe (§ 29 Abs. 5. BtMG) wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln vom Tatrichter mit der Begründung abgelehnt, dass der Täter durch den regelmäßigen Erwerb von Marihuana die kriminelle Handlung des Verkäufers unterstützt und auch erst möglich gemacht habe, so verstößt dies gegen § 46 Abs. 3 StGB.

2. Die Verhängung kurzzeitiger Freiheitsstrafen i.S.v. § 47 StGB kommt auch beim Erwerb von Betäubungsmitteln in geringer Menge zum Eigenverbrauch in Betracht, wenn der Täter wegen der über einen langen Zeitraum hinweg ständig wiederholten Erwerbstaten nicht mehr als "Probierer" oder "Gelegenheitstäter" eingestuft werden kann. Sie kommen grundsätzlich auch bei den zeitlich ersten Taten einer Tatserie in Betracht, wenn bereits diese Taten auf Wiederholung über einen längeren Zeitraum angelegt waren. Dies muss der Tatrichter aber näher darlegen.


Tenor:

1. Das angefochtene Urteil wird im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) hinsichtlich der Einzelstrafenaussprüche zu den Taten 1 bis 169,

b) im Gesamtstrafenausspruch.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bielefeld zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 169 Fällen und wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts erwarb der Angeklagte in der Zeit von Januar 2005 bis Juni 2008 ca. einmal wöchentlich, mindestens jedenfalls in 168 Fällen von dem gesondert verfolgten D. jeweils 2 Gramm Marihuana zum Preis von je 20 Euro zum Eigenkonsum, obwohl er - wie er wußte - die hierfür erforderliche Erlaubnis nicht besaß. Weitere 2,6 Gramm erwarb er kurz vor dem 24.07.2008 von einem Unbekannten in einem Park in C, von denen noch ein Rest von 0,22 Gramm bei ihm gefunden werden konnte. Schließlich befuhr er am 30.10.2008 die W-Straße in C mit einem PKW, obwohl er - wie er wußte - nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis war. Bei einer Polizeikontrolle legte er einen gefälschten schwedischen Führerschein vor.

Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Sprungrevision und rügt die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere bei der Strafzumessung.

II.

Die Revision hat teilweise Erfolg.

1.

Verfahrenshindernisse liegen nicht vor.

Dass die Anklage einen Zählfehler hinsichtlich der Gesamtzahl der dem Angeklagten vorgeworfenen Erwerbstaten enthält, begründet noch keinen funktionellen Mangel in dem Sinne, dass die ihm vorgeworfenen Taten nicht mehr hinreichend identifizierbar sind. Diese sind vielmehr durch den Anklagesatz und die daraus rechnerisch zutreffend ermittelbare Gesamtzahl der Taten hinreichend konkretisiert.

Der Senat legt den gerichtlichen Einstellungsbeschluss gem. § 154 StPO so aus, dass das Verfahren insoweit eingestellt wurde, als dem Angeklagten mehr als eine Erwerbstat pro Woche des Tatzeitraums mit der Anklage zur Last gelegt wurde, so dass eine Erwerbstat pro Woche, höchstens aber - insgesamt - 169 Erwerbstaten Verfahrensgegenstand geblieben sind (und nicht etwa so, dass etwa die Verfolgung bzgl. aller Taten ab bzw. bis zu einem bestimmten Zeitpunkt entgestellt worden ist).

2.

a) Im Strafausspruch war das angefochtene Urteil in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben und insoweit zurückzuverweisen (§§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 StPO), da die Erwägungen, mit denen das Amtsgericht in den Fällen 1 bis 169 ein Absehen von Strafe nach § 29 Abs. 5 BtMG ablehnt, durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen.

Das Amtsgericht führt aus, dass es von der Möglichkeit, von Strafe abzusehen, keinen Gebrauch gemacht hat, (u.a.) weil der Angeklagte durch den regelmäßigen über 3 1/2 Jahre währenden Erwerb von Marihuana die kriminelle Handlung des Verkäufers unterstützt und auch erst möglich gemacht hat.

Hierin liegt ein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB, da zum Nachteil des Angeklagten Umstände strafschärfend verwertet wurden, die schon Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes sind. Mit dem Erwerb von Betäubungsmitteln nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG ist zwangsläufig die Ermöglichung der Hingabe des Betäubungsmittels durch einen Dritten verbunden, denn der Tatbestand setzt voraus, dass der Täter die eigene tatsächliche Verfügungsgewalt über das Betäubungsmittel auf abgeleitetem Wege, das heißt im einverständlichen Zusammenwirken mit dem Vorbesitzer durch ein Rechtsgeschäft erlangt und die Verfügungsgewalt ausüben kann (vgl. Körner BtMG 6. Aufl. § 29 Rdn. 1276). Dieser Umstand kann daher nicht strafschärfend berücksichtigt werden. Selbst wenn man, was sich schon aus den Ausführungen des Amtsgerichts allerdings nicht zweifelsfrei entnehmen lässt, darauf abstellen wollte, dass durch den Erwerb - der nicht zwangsläufig entgeltlich sein muss - im vorliegenden Fall der kriminell handelnde Veräußerer wirtschaftlich unterstützt wurde, wäre eine Strafschärfung deswegen nicht frei von rechtlichen Bedenken. Angesichts des Umstandes, dass im Regelfall der Erwerb entgeltlich sein wird und der unentgeltliche Erwerb eher eine Ausnahme darstellen dürfte, wird man eher den unentgeltlichen Erwerb als strafmildernd und nicht den entgeltlichen Erwerb als strafschärfend zu bewerten haben (vgl. auch Körner BtMG 6. Aufl. § 29 Rdn. 1329).

Auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht das Urteil. Auch wenn hier angesichts der Vielzahl von Taten und der Dauer des Tatzeitraums ein Absehen von Strafe eher fernliegend erscheint, weil der Angeklagte kaum ein "Probierer" oder Gelegenheitskonsument sein dürfte (vgl. dazu BVerfG NJW 1994, 1477) kann der Senat seine Wertung nicht an die Stelle des Tatrichters setzen, so dass die Sache insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen war.

Da die Einzelstrafenaussprüche in den Fällen 1 - 169 keinen Bestand haben, konnte auch der Gesamtstrafenausspruch nicht bestehen bleiben.

b) Der Senat weist darauf hin, dass der neue Tatrichter auch zu prüfen haben wird, ob (jedenfalls) für die ersten Erwerbstaten tatsächlich die Verhängung einer einmonatigen Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung nach § 47 StGB unerlässlich ist.

Grundsätzlich ist dies bei Bagatelltaten im Betäubungsmittelbereich - wie hier - im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und unter Berücksichtung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung hinsichtlich der sog. "Probierer" und Gelegenheitskonsumenten (vgl. BVerfG NJW 1994, 1477) nur unter erhöhten Voraussetzungen möglich (vgl.: OLG Karlsruhe NJW 2003, 1825). Bei einer sich über dreieinhalb Jahre hinweg erstreckenden ständigen Wiederholung von Straftaten kann das allerdings - da hier von einem "Probierer" oder Gelegenheitstäter kaum mehr die Rede sein dürfte - durchaus der Fall sein. Bei der Verteidigung der Rechtsordnung kommt es darauf an, welche Bedeutung die Tat und Taten dieser Art als Verletzung der Rechtsordnung vor allem für den Rechtsgüterschutz haben, inwieweit Wiederholungsgefahr besteht und wie die Allgemeinheit auf eine Geldstrafe reagieren würde (BGH Beschl. v. 13.06.1979 - 3 StR 127/79 - juris). Die Ahndung der Taten mit bloßen Geldstrafen würde in der Allgemeinheit den Eindruck eines bloßen "Kavaliersdelikts" bestärken, obwohl doch aufgrund des langen Tatzeitraums und der Vielzahl der Taten in solchen Fällen eine nachhaltige Gefährdung der durch § 29 BtMG geschützten Volksgesundheit (vgl. BGH Urt. v. 10.10.1997 - 2 StR 520/97 - juris) zu gewärtigen ist.

Allerdings gilt dies nicht zwingend für die anfänglichen Taten des Angeklagten zu Beginn des Tatzeitraums. Hier wird die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung unter Hinweis auf Tatzeitraum und Vielzahl der Taten nur dann zu rechtfertigen sein, wenn bereits bei diesen Taten feststand, dass der Angeklagte kein bloßer "Probierer" oder "Gelegenheitskonsument" mehr war. Dass wäre z. B. der Fall, wenn sich feststellen ließe, dass der Angeklagte die Phase des "Probierers" oder "Gelegenheitskonsumenten" bereits vor Beginn des Tatzeitraums hinter sich gelassen hatte oder er schon mit Beginn des Tatzeitraums eine auf dauerhafte, regelmäßige Belieferung angelegte "Geschäftsbeziehung" zu dem Betäubungsmittellieferanten aufgebaut hatte.

3.

Im übrigen ist die Revision offensichtlich unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO, da die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

III.

Der Senat konnte vor Ablauf der Frist gem. § 349 Abs. 3 StPO entscheiden, da die Gegenerklärung des Angeklagten bereits eingegangen und eine weitere Stellungnahme nicht angekündigt war.

Ende der Entscheidung

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