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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 28.09.2004
Aktenzeichen: 3 Ss 348/04
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 177
StGB § 46
Zur Annahme eines minder schweren Falles.
Beschluss

Strafsache

gegen O.L.

wegen sexueller Nötigung

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der V. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 05.05.2004 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28. 09. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers sowie nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 u. Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch nebst den diesem zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Durch Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 20.01.2004 ist der Angeklagte wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Von einer Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Bielefeld vom 08.07.2003 - 10 Cs 34 Js 1049/03 - hat das Amtsgericht Bielefeld abgesehen. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Bielefeld mit dem angefochtenen Urteil verworfen.

Nach den Feststellungen, die das Landgericht Bielefeld zur Sache getroffen hat, hatte sich die Nebenklägerin, Frau D.S., im Frühjahr 2003 nach einer mehrjährigen Beziehung von dem Angeklagten getrennt, lebte aber zunächst weiterhin mit diesem und den beiden gemeinsamen Kindern in einer Wohnung.

Am 08.05.2003 trat die Nebenklägerin gemeinsam mit dem Zeugen R.L., den sie erst vor Kurzem kennengelernt hatte, eine bei einem Gewinnspiel von ihr gewonnene Fahrt in einer Stretchlimousine an. Der Angeklagte, dem der neue Bekannte der Nebenklägerin ein Dorn im Auge war, betrank sich an diesem Abend und er war hochgradig verärgert, als die Nebenklägerin erst mitten in der Nacht zurückkam.

Am nächsten Morgen gegen 11.30 Uhr - die Nebenklägerin versorgte gerade die beiden gemeinsamen Kinder - versuchte der Angeklagte, die Nebenklägerin wieder für sich zu gewinnen. Diese reagierte aber abweisend. Sie schob seinen Arm, den er um sie gelegt hatte, zurück und machte deutlich, dass die Beziehung für sie endgültig beendet sei. Der Angeklagte umklammerte daraufhin die Nebenklägerin. Diese versuchte sich vergeblich zu befreien und forderte den Angeklagten erfolglos auf, sie loszulassen. Der Angeklagte nahm sie vielmehr daraufhin in den Schwitzkasten, indem er einen Arm um ihren Hals legte und zudrückte und den anderen Arm um ihren Bauch legte. Mit den Worten: "Ich schlafe jetzt mit Dir, ob Du willst oder nicht", schob er die weiterhin von ihm festgehaltene Nebenklägerin in Richtung Schlafzimmer, wobei er sie oberhalb der Kleidung an der Scheide und mit seiner unter das von ihr getragene Top geschobenen Hand an der Brust berührte. Ein Fluchtversuch der Nebenklägerin aus dem Schlafzimmer wurde durch den Angeklagten vereitelt, der ihr sofort gefolgt war und sie im Flur gegen einen Schrank drückte. Die Nebenklägerin ging schließlich zu Boden, wobei sie immer noch von dem Angeklagten umklammert war. Der Angeklagte nahm sie hoch und warf sie durch das vor der Türöffnung des Kinderzimmers befindliche Gitter, das dadurch aus der Verankerung brach. Der Angeklagte hievte sodann die sich wehrende Nebenklägerin hoch und versuchte immer wieder mit seinen Beinen, ihre Beine auseinanderzudrücken. Während dieser Rangelei gelang es der Nebenklägerin unter Kraftanstrengung, sich in den Eingangsbereich der Küche zu bewegen. Dort ergriff sie ein Messer und stach nach hinten in Richtung des Angeklagten, den sie am Arm traf. Dieser ließ daraufhin die Nebenklägerin los, die erneut versuchte, aus der Wohnung zu flüchten. Sie wurde aber sogleich von dem Angeklagten eingeholt, der sie gegen die Wand drückte und ihr schließlich das Messer entriss. Dieses geriet dabei in Schwung und knallte nach unten und hätte fast den noch nicht drei Jahre alten Sohn des Angeklagten getroffen, der infolge des defekten Gitters vor seiner Tür aus dem Kinderzimmer hatte gelangen können. Das Kind schrie wie verrückt, worauf sich jetzt der Angeklagte beruhigte. Die Nebenklägerin rief daraufhin den Zeugen R.L. an, dem sie mitteilte, dass er sofort kommen solle, weil etwas Schreckliches passiert sei. Währenddessen verließ der Angeklagte die Wohnung.

Gegen das vorgenannte Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der eine Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt wird.

II.

Die Revision ist zulässig und hat in der Sache - zumindest vorläufig - teilweise Erfolg. Sie führt auf die erhobene Sachrüge zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch und zu einer Zurückverweisung der Sache in diesem Umfang an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld.

1. Die Revision hat keinen Erfolg, soweit sie sich auf den Schuldspruch des angefochtenen Urteils bezieht. Insoweit haben sich Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten nicht ergeben und war daher die Revision entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

2. Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils konnte dagegen keinen Bestand haben.

Die Strafkammer ist - durch Sachverständige beraten - zu dem Ergebnis gelangt, dass bei dem Angeklagten eine verminderte Schuldfähigkeit i.S.d. § 21 StGB, wenn auch mit Bedenken, nicht ausgeschlossen werden kann. Die Annahme eines minder schweren Falles der sexuellen Nötigung i.S.d. § 177 Abs. 5 StGB hat die Strafkammer dennoch verneint und zur Begründung u.a. ausgeführt:

"Trotz des Vorliegens der Voraussetzungen des § 21 StGB ist die Kammer jedoch - wie bereits ausgeführt - nicht zur Annahme eines minder schweren Falles i.S.d. § 177 Abs. 5 StGB gekommen. Zwar ist die Erheblichkeitsschwelle, die letztendlich zur Vollendung des Delikts - hier sexuelle Nötigung - führte, nur leicht überschritten, weil der sexuelle Übergriff - die Vollendung der sexuellen Nötigung - als solcher nicht von allzu schwerwiegender Natur gewesen ist. In diesem Rahmen darf aber nicht übersehen werden, dass der Angeklagte die sexuellen Nötigungshandlungen im Rahmen seines Versuches, die Zeugin zum Geschlechtsverkehr zu zwingen, begangen hat, was letztlich nur daran gescheitert ist, dass sich die Zeugin massiv zur Wehr gesetzt hat."

Die strafschärfende Berücksichtigung, dass die Tathandlung im Rahmen eines Versuches der Vergewaltigung der Nebenklägerin erfolgt sei, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand. Wie die Revision zu Recht rügt, bestand auf Grundlage der getroffenen Feststellungen für die Strafkammer Anlass zu der Prüfung, ob der Angeklagte von dem Versuch der Vergewaltigung der Nebenklägerin strafbefreiend zurückgetreten ist.

Ist der Täter von dem Versuch einer Straftat strafbefreiend zurückgetreten, gleichwohl aber wegen eines zugleich verwirklichten vollendeten Delikts zu bestrafen, so darf jedenfalls der auf die versuchte Straftat gerichtete Vorsatz nicht strafschärfend berücksichtigt werden. Dies gilt auch bei der im Rahmen der Strafzumessungserwägungen vorzunehmenden Prüfung der Frage, ob die vollendete Straftat als minder schwerer Fall zu beurteilen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 14.05.2003 - 2 StR 98/03 -, www.hrr-strafrecht.de).

Die Ausführungen der Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung, der Versuch einer Vergewaltigung der Nebenklägerin sei letztlich daran gescheitert, dass diese sich massiv zur Wehr gesetzt habe, steht nicht im Einklang mit den getroffenen Feststellungen. Danach hat sich der Angeklagte gerade nicht durch die heftige Gegenwehr der Nebenklägerin von seinem Vorhaben abhalten lassen, sondern hat noch, als die Nebenklägerin sich im Türrahmen der Küche befand, versucht, mit seinen Beinen die Beine der Nebenklägerin auseinanderzudrücken. Selbst der Umstand, dass die Nebenklägerin zu ihrer Verteidigung ein Messer ergriffen und auf ihn eingestochen hatte, hat den Angeklagten nicht veranlasst, von seinem Vorhaben Abstand zu nehmen. Vielmehr hat er die Nebenklägerin, als diese mit dem Messer flüchten wollte, sogleich wieder verfolgt und gewaltsam festgehalten. Erst das Schreien seines kleinen Sohnes hatte zur Folge, dass er sich beruhigte und die Nebenklägerin nicht weiter bedrängte. Dass es dem Angeklagten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich gewesen wäre, seine ursprüngliche Absicht, die Nebenklägerin gewaltsam zum Geschlechtsverkehr zu zwingen, noch zu verwirklichen, ist nicht ersichtlich. Ebensowenig lässt sich aus den Feststellungen entnehmen, dass der Angeklagte jedenfalls subjektiv die Vorstellung hatte, sein ursprüngliches Vorhaben nicht mehr durchführen zu können. Eine solche Vorstellung ist angesichts der Tatsache, dass es dem Angeklagten bis zu diesem Zeitpunkt gelungen war, Abwehrhandlungen der Nebenklägerin erfolgreich zu überwinden, auch nicht naheliegend. Das Erscheinen des kleinen Sohnes des Angeklagten stellte keinen unüberwindlichen äußeren Umstand dar, durch den der Angeklagte unabhängig von seinem Willen gehindert wurde, seinen ursprünglichen Tatplan weiter zu verfolgen.

Die Ablehnung eines minder schweren Falles der sexuellen Nötigung erweist sich im vorliegenden Fall aber auch aus einem anderen Grund als rechtsfehlerhaft.

Für die Entscheidung, ob ein minder schwerer Fall angenommen werden kann, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes maßgebend, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle so sehr abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint. Hierzu ist eine Gesamtbetrachtung erforderlich, bei der alle Umstände heranzuziehen und zu würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in Betracht kommen, gleichgültig ob sie der Tat selbst innewohnen, sie begleiten, ihr vorausgehen oder ihr nachfolgen (vgl. BGH NStZ 2000, 254).

Die Strafkammer hat bei der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung wesentliche strafmildernde Gesichtspunkte, nämlich dass es sich bei der hier in Rede stehenden Tat um eine partnerbezogene Affekthandlung unter der enthemmenden Wirkung von Alkohol gehandelt hat und der Angeklagte möglicherweise noch wegen des Verhaltens der Nebenklägerin am Vorabend (Fahrt in der Stretchlimousine mit dem Zeugen Robert XX) sehr erregt war, erst im Rahmen der konkreten Strafzumessungserwägungen, nicht aber, wie es erforderlich gewesen wäre, bereits bei der Prüfung des anzuwendenden Strafrahmens berücksichtigt. Schließlich stellt auch der Umstand, dass der Angeklagte sich bereits seit dem 31.07.2002 im vorliegenden Verfahren in Untersuchungshaft befindet, einen Umstand dar, mit dem sich die Strafkammer hätte auseinandersetzen müssen. Denn die Wirkung erlittener Untersuchungshaft stellt einen wichtigen der Tat nachfolgenden Strafzumessungsumstand dar, der auch bei der Strafrahmenwahl grundsätzlich nicht außer Betracht bleiben darf (vgl. BGH StV 1993, 245).

Auch die konkreten Strafzumessungserwägungen sind nicht frei von Rechtsfehlern.

Gemäß § 46 Abs. 1 S. 2 StPO sind bei der Strafzumessung auch die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, zu berücksichtigen. Zu den Auswirkungen der Bestrafung gehört auch der drohende Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 46 Randziffer 8). Die Strafkammer hätte daher im Rahmen der Strafzumessung sich auch damit befassen müssen, dass der Angeklagte aufgrund der abgeurteilten Tat mit einem Widerruf der durch Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 29.08.2000 gewährten Strafaussetzung zur Bewährung rechnen musste.

Schließlich halten auch die Erwägungen, mit denen die Strafkammer von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB abgesehen hat, einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand.

Die Strafkammer hat insoweit u.a. zur Begründung ausgeführt:

"Zwar hat der Angeklagte - so die beiden Sachverständigen - den Hang, im Rausch erhebliche Straftaten zu begehen und ist danach auch für die Allgemeinheit durchaus gefährlich. Die Unterbringung des Angeklagten scheitert aber an der Vorschrift des § 64 Abs. 2 StGB, nach der eine Unterbringung dann nicht angeordnet werden darf, wenn diese von vornherein aussichtslos erscheint. Das ist bei dem Angeklagten der Fall. Beide Sachverständigen haben festgestellt, dass der Angeklagte zu einer Mitarbeit in einer Therapie nicht bereit ist. Diese Einstellung hat er auch in der Hauptverhandlung kundgetan und bekundet, dass er kein Problem mit dem Alkohol habe. Ist jemand aber nicht therapiewillig, so sollte ihm eine solche Therapie auch nicht aufgedrückt werden, zumal der Versuch der Therapie als solcher natürlich eine gewisse Mitarbeit voraussetzt."

Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hat zu unterbleiben, wenn keine hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg besteht. Diese Voraussetzung ist allerdings nicht bereits schon dann gegeben, wenn der Täter nicht bereit ist, sich therapieren zu lassen. Vielmehr kann eine Anordnung gemäß § 64 StGB auch bei einem therapieunwilligen Täter gegen seinen Willen ausgesprochen werden, sonst wäre die Vorschrift des § 64 StGB überflüssig. Eine mangelnde Therapiebereitschaft des Täters kann freilich ein gegen die Erfolgsaussicht sprechendes Indiz sein. Das Gericht hat daher ggf. die Gründe eines etwaigen Motivationsmangels des Angeklagten festzustellen und zu überprüfen, ob konkrete Aussicht besteht, dass eine Therapiebereitschaft für eine erfolgversprechende Behandlung g e w e c k t werden kann. Der bloße Hinweis auf die Therapieunwilligkeit des Angeklagten in den Urteilsgründen belegt daher das Fehlen der Erfolgsaussicht nicht (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 64 Randziffer 16 u. 17 m.w.N.). Die Strafkammer hätte daher, wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 20.08.2004 zutreffend ausgeführt hat, erörtern müssen, worin die Wurzeln des bei dem Angeklagten festgestellten Motivationsmangels liegen und ob diese nicht durch die Unterbringung selbst beseitigt werden können.

Ende der Entscheidung

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