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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 19.10.2006
Aktenzeichen: 3 Ss 363/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 105 Abs. 1
StPO § 105 Abs. 1 S. 1
StPO § 136 a Abs. 3 S. 2
StPO § 162 Abs. 3
Eine grundsätzlich zulässige, im Einzelfall aber rechtswidrig durchgeführte Ermittlungshandlung (etwa die Durchsuchung einer Wohnung ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss) führt zu einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der so erlangten Erkenntnisse, wenn die Ermittlungshandlung nicht nur fehlerhaft, sondern objektiv willkürlich erfolgt ist und zu einem besonders schwerwiegenden Eingriff in die von der Verfassung geschützten Rechte des Angeklagten geführt hat. Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob das Beweismittel überhaupt auf rechtmäßige Weise hätte erlangt werden können.
Tenor:

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Der Angeklagte wird freigesprochen.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens sowie die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe:

I.

Durch das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Bielefeld ist der Angeklagte wegen Diebstahls oder Hehlerei in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte zwei Leuchten im Wert von 2.950,00 € bzw. 445,00 € entweder an verschiedenen Tagen im #### und ######## aus den Geschäftsräumen der Firma J in C2, wo er zu dieser Zeit als Praktikant beschäftigt war, entwendet oder er hat sich diese in dem Wissen, dass die Leuchten bei der Firma J entwendet worden waren, in Bereicherungsabsicht verschafft.

Der Angeklagte hat sich zum Tatvorwurf ausweislich des angefochtenen Urteils nicht eingelassen. Grundlage des Schuldspruchs durch das Amtsgericht waren ganz maßgeblich die Erkenntnisse aus einer Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten am ########, deren Verwertung der Angeklagte in der Hauptverhandlung widersprochen hat. Bei dieser an einem Mittwoch in der Zeit von 11.25 bis 11.45 Uhr von den Zeugen T und ##### C in Anwesenheit des Angeklagten durchgeführten Durchsuchung waren die entwendeten Leuchten in der Wohnung des Angeklagten versteckt aufgefunden worden. Die Beamten hatten sich am ######### gegen 9.20 Uhr wegen eines "Ladendiebstahls" zu der Firma J begeben, wo der Angeklagte von dem Geschäftsführer der Firma, dem Zeugen M, des Diebstahls von insgesamt drei hochwertigen Leuchten verdächtigt wurde, während der Angeklagte den Vorwurf zurückwies. Gegen 10.45 Uhr nahmen die Beamten von der Polizeiwache, zu welcher sie sich zwischenzeitlich mit dem Angeklagten begeben hatten, telefonisch Kontakt mit der Staatsanwaltschaft C2 auf. Hierzu ist im Ermittlungsbericht vom ######## vermerkt, dass die Staatsanwältin "Antrag auf Wohnungsdurchsuchung stellte". Ohne indes den Erlass eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses abzuwarten, begaben sich die Beamten sodann mit dem Angeklagten zum Zwecke der Durchsuchung zu dessen Wohnung. Dass der Angeklagte mit dieser Vorgehensweise einverstanden war, ergibt sich weder aus dem Ermittlungsvermerk vom ####### noch aus dem Durchsuchungsprotokoll vom selben Tage. Ebensowenig ist die Annahme von Gefahr im Verzug durch die Beamten dokumentiert worden.

II.

Die Revision hat mit der zulässig erhobenen Verfahrensrüge der Verwertung fehlerhaft erlangter Beweismittel unter Verstoß gegen ein Beweisverwertungsverbot Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und zum Freispruch des Angeklagten. Die aus der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten vom 10.08.2005 gewonnenen Erkenntnisse unterliegen einem Beweisverwertungsverbot. Sonstige den Schuldspruch tragende Beweismittel stehen nicht zur Verfügung.

Die Durchsuchung einer Wohnung ist ein schwerwiegender Eingriff in die durch Art. 13 Abs. 1 GG geschützte Privatsphäre. Dem Gewicht dieses Eingriffs und der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Schutzes der räumlichen Privatsphäre entspricht es, dass Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 S. 1 StPO die Anordnung einer Durchsuchung im Regelfall dem Richter vorbehält, der gemäß § 162 Abs. 3 StPO zu prüfen hat, ob die von der Staatsanwaltschaft beantragte (§ 162 Abs. 1 StPO) oder von der Polizei angeregte (§§ 163 Abs. 2 S. 2, 165 StPO) Untersuchungshandlung nach den Umständen des Falles gesetzlich zulässig ist.

Die Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und ihrer Hilfsbeamten wegen Gefahr im Verzug setzt voraus, dass konkrete, einzelfallbezogene Tatsachen ein sofortiges Tätigwerden zur Verhinderung eines Beweismittelverlustes erfordern. Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder auf kriminalistische Alltagserfahrungen gestützte, fallunabhängige Vermutungen reichen nicht aus. Die Strafverfolgungsbehörden müssen regelmäßig versuchen, eine richterliche Anordnung zu erlangen, bevor sie eine Durchsuchung beginnen. Nur dann, wenn ausnahmsweise schon die mit einem solchen Versuch verbundene zeitliche Verzögerung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde, dürfen sie selbst die Anordnung - wegen Gefahr im Verzug - treffen, ohne sich vorher um eine richterliche Entscheidung bemüht zu haben.

Der anordnende Beamte muss vor oder unmittelbar nach der Durchsuchung seine für den Eingriff bedeutsamen Erkenntnisse und Annahmen in den Ermittlungsakten dokumentieren und dabei insbesondere die Umstände darlegen, auf die er die Gefahr eines Beweismittelverlustes stützt. Auch muss erkennbar sein, ob er den Versuch unternommen hat, eine richterliche Entscheidung zu erlangen oder was dem in konkreten Einzelfall entgegenstand.

Gemessen an diesen vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätzen (vgl. BVerfG StV 2001, 207 ff. m. w. N.) erweist sich die Durchsuchung vom ####### nicht nur als fehlerhaft, sondern zudem als zumindest objektiv willkürlich und damit als besonders schwerwiegender Eingriff in die von der Verfassung geschützten Rechte des Angeklagten.

Welche Gründe die Beamten vorliegend dazu veranlasst haben, die Durchsuchung ohne Vorliegen einer richterlichen Durchsuchungsanordnung vorzunehmen, ist von ihnen zeitnah zu der Untersuchungshandlung nicht dokumentiert worden. Es ist auch weder dem Ermittlungsbericht noch dem Durchsuchungsprotokoll zu entnehmen, ob die Beamten Gefahr im Verzug überhaupt angenommen haben. Dass sie davon ausgegangen ist, Gefahr im Verzug liege vor, hat die Zeugin C indes im Rahmen der Hauptverhandlung bekundet, während der Zeuge T angegeben hat, ihm sei bewusst gewesen, dass es einer richterlichen Durchsuchungsanordnung bedurft hätte, weswegen er sich auch mit der Staatsanwaltschaft in Verbindung gesetzt habe. Beide Beamten haben zudem bekundet, dass sie es aber für unverhältnismäßig gehalten hätten, den Angeklagten bis zum Vorliegen der richterlichen Anordnung festzuhalten, für den Fall seiner Entlassung aber die Gefahr gesehen hätten, dass er Beweismittel beiseite schaffe.

Soweit danach überhaupt davon ausgegangen werden kann, die Beamten hätten subjektiv die Voraussetzungen für eine polizeiliche Eilanordnung für gegeben erachtet, so war diese gegebenenfalls irrtümliche Annahme angesichts der konkreten Gegebenheiten im Zeitpunkt der Vornahme der Durchsuchungsmaßname jedenfalls objektiv unter keinem nachvollziehbaren Gesichtspunkt gerechtfertigt. Der Angeklagte befand sich auf der Polizeiwache und hatte demnach keine Möglichkeit, etwas zu unternehmen, was zu einem Beweismittelverlust hätte führen können. Tatsachen, die darauf hindeuten, dass ein Aufschieben der Durchsuchung bis zum Erlass einer richterlichen Anordnung einen Ermittlungserfolg hätte gefährden können, sind nicht ersichtlich. Soweit die Beamten ihre dahingehende Befürchtung darauf stützten, der Angeklagte hätte im Falle seiner Entlassung Beweismittel beiseite schaffen können, ist dies für sich genommen zwar zutreffend. Es ist aber gar nicht ersichtlich, dass der Angeklagte noch für längere Zeit in unverhältnismäßiger Weise hätte festgehalten werden müssen. Mangels jedweder entgegenstehender Hinweise ist nämlich zum einen davon auszugehen, dass eine ermittlungsrichterliche Entscheidung darüber, ob eine Durchsuchungsanordnung ergeht oder nicht, an einem normalen Werktag, zudem Vormittags bei einem in wenigen Sätzen darstellbaren Tatverdacht in kurzer Zeit zu erlangen gewesen wäre. Zum anderen ist auch nicht erkennbar, dass er Angeklagte, der offenbar aus freien Stücken mit zur Polizeiwache gekommen war, nicht auch bereit gewesen wäre, dort bis zur Abklärung der Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Zeitraum eine richterliche Durchsuchungsentscheidung ergeht, zu verbleiben, zumal es ihm freistand, diesen Zeitraum jederzeit durch die Erklärung seines Einverständnisses mit der auf polizeilicher Anordnung beruhenden Durchsuchung abzukürzen. Schließlich hätte auch für den Fall, dass der Angeklagte vor dem Vorliegen einer richterlichen Entscheidung über die Wohnungsdurchsuchung hätte entlassen werden müssen, die Möglichkeit bestanden, einen Beweismittelverlust zu verhindern, indem Beamte sich zum Wohnort des Angeklagten begeben hätten, um vor Ort bis zu der richterlichen Durchsuchungsentscheidung ein etwaiges Fortschaffen der hier in dem Diebesgut gesuchten Beweismittel zu verhindern.

Zu der sich danach stellenden Frage, ob eine grundsätzlich zulässige, im Einzelfall aber rechtswidrig durchgeführte Ermittlungshandlung ein Beweisverwertungsverbot zur Folge hat, enthält die StPO - so z. B. in § 136 a Abs. 3 S. 2 - nur wenige Regelungen. Ein allgemeiner Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften, wie hier gegen § 105 Abs. 1 StPO, ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, existiert im deutschen Strafverfahrensrecht nicht (BVerfG NStZ 2006, 46, 47; BGH StV 1999, 185, 186, jeweils m. w. N). Grundsätzlich steht lediglich fest, dass es in einem Rechtsstaat auch keine Wahrheitserforschung um jeden Preis geben darf (vgl. BGH StV 1992, 212, 213 m. w. N.).

Nach der in der Rechtsprechung überwiegend und auch vom Senat vertretenen Abwägungslehre sind im Einzelfall die Interessen des Staates an der Tataufklärung gegen das Individualinteresse des Bürgers an der Bewahrung seiner Rechtsgüter abzuwägen (BVerfG StV 2002, 113, 114; BGH NStZ 1996, 200). Der Schweregrad der Verfahrensverstoßes ist dabei ebenso zu beachten wie der Umstand, dass die Strafverfolgungsbehörden einschließlich der Gerichte verpflichtet sind, Straftaten so weit wie möglich aufzuklären. Dabei ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch von Bedeutung, ob ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss erlassen worden wäre und das Beweismittel somit auch auf rechtmäßige Weise hätte erlangt werden können ("hypothetischer Ersatzeingriff"; BGH NStZ 1989, 375, 376; BGH StV 1999, 185, 187).

Die Abwägungslehre führt hier zur Unverwertbarkeit. Insofern war zunächst zu berücksichtigen, dass es sich aus den bereits oben dargestellten Gründen vorliegend um einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des Angeklagten gehandelt hat. Vorgeworfen wurden dem Angeklagten die Begehung von Diebstahlstaten, wobei der Wert der entwendeten Gegenstände allerdings nicht unerheblich war. Das Strafverfolgungsinteresse der Behörden, welches sich maßgeblich nach dem Schweregrad der aufzuklärenden Tat bemisst, ist demnach gemessen an anderen Straftaten jedenfalls nicht besonders hoch zu veranschlagen. Schließlich ist auch zweifelhaft, ob ein zutreffend über den Einzelfall informierter Richter vorliegend einen Durchsuchungsbeschluss erlassen hätte. Der für die Täterschaft des Angeklagten sprechende Tatverdacht stand hier nämlich auf schwachen Füßen. Er basierte ausschließlich auf den Angaben des Zeugen M, welcher den Angeklagten indes weder bei der Entwendung noch im Besitz der Leuchter nach deren Entwendung gesehen hatte. Der Zeuge hatte vielmehr aufgrund der Kompetenzverteilung sowie der üblichen Geflogenheiten in dem von ihm geführten Geschäft lediglich mutmaßen können, dass der Angeklagte die Leuchter entwendet haben müsse. Ob hiernach von dem zuständigen Richter ausreichende Anhaltspunkte für eine Täterschaft des Angeklagten gesehen worden wären, erscheint fraglich. Nach den Angaben des Zeugen M war es nämlich keineswegs fernliegend, dass die in den Empfangs- bzw. Verkaufsräumlichkeiten befindlichen Leuchter auch durch einen anderen Mitarbeiter der Geschäfts oder durch andere sich in den Räumlichkeiten befugtermaßen aufhaltende Personen, wie insbesondere Kunden, entwendet worden seien konnten. Konkrete, gerade auf den Angeklagten hindeutende Verdachtsmomente gab es nicht. Insofern kam insbesondere auch der Angabe des Zeugen M, der Angeklagte habe einen der Leuchter noch am Tag vor dessen Entwendung zum Zwecke der Reinigung in den Händen gehalten, keine besondere Indizwirkung zu.

Der Senat schließt aus, dass es ohne die Verwertung der Ergebnisse der Durchsuchung vom ######### zu einer Verurteilung des Angeklagten kommt. Die Bekundungen des Zeugen M reichen hierfür nach den obigen Ausführungen nicht. Sonstige Beweise, welche den zu den Tatvorwürfen schweigenden Angeklagten des Diebstahls oder der Hehlerei überführen könnten, fehlen. Da demnach feststeht, dass in einer erneuten Hauptverhandlung keine weiteren Feststellungen getroffen werden könnten, die zu einer Verurteilung führen können, war der Angeklagte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils freizusprechen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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