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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 04.09.2008
Aktenzeichen: 3 Ss 370/08
Rechtsgebiete: StGB, StPO, BZRG


Vorschriften:

StGB § 32
StGB § 59
StPO § 163b
StPO § 267 Abs. 3 S. 4
BZRG § 51
1. Zur Notwehr gegen Akte der öffentlichen Gewalt (im Rahmen der Identitätsfeststellung).

2. Eine getilgte Vorstrafe darf auch als Indiz im Rahmen der Beweiswürdigung nicht mehr zum Nachteil des Angeklagten verwertet werden.

3. Auch wenn die Anwendung einer bloßen Verwarnung mit Stafvorbehalt nicht nahe liegt, muss der Erörterungsfplicht des § 267 Abs. 3 S. 4 StPO genügt werden.


Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 25 Euro verurteilt. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte am Abend des 14.03.2007 in der T-Straße in C zwei Kinder am Hals gefasst und leicht zugedrückt. Wegen dieses Vorfalls wurden die Polizeibeamten G und N gerufen. Als sie vor dem Haus T-Str. 4 eintrafen, wurden sie von den Kindern und der Mutter des einen und dem Vater des anderen Kindes erwartet. Diese schilderten den Sachverhalt und benannten den Angeklagten als den Täter. Der Vater des einen Kindes, der Zeuge U, hatte früher im gleichen Haus wie der Angeklagte gewohnt und mit diesem zusammen gelegentlich "ein Bier" getrunken und verkehrt auch noch aktuell fast täglich in dem Haus, in dem der Angeklagte wohnt, um seinen Sohn zu besuchen. Mit den genannten Personen begaben sich die Polizeibeamten zur Wohnung des Angeklagten im Hause T-Str. 2, 2. Obergeschoss. Als der leicht alkoholisierte Angeklagte die Türe öffnete, war er sehr aufgebracht. Die Polizeibeamten versuchten zunächst beruhigend auf ihn einzuwirken und teilten ihm mit, dass gegen ihn wegen Körperverletzung zum Nachteil der Kinder Anzeige erstattet würde. "Zu diesem Zwecke sei die Angabe seiner Personalien unter Vorlage des Personalausweises erforderlich". Als der Angeklagte sich weigerte, seinen Ausweis auszuhändigen, erklärte der Zeuge G, dass er nunmehr nach Ausweispapieren durchsucht würde und wollte ihn am Arm ergreifen. Der Angeklagte schlug daraufhin mit der Faust gegen den Kopf des G, welcher eine Schädelprellung erlitt und am Tattag unter Kopfschmerzen und Übelkeit litt. Die Strafverfolgung wegen dieser Tat war bereits in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht gem. § 154a StPO auf den Vorwurf der vorsätzlichen Körperverletzung beschränkt worden. Die Tat zum Nachteil der Kinder ist nach § 154 StPO vorläufig eingestellt worden.

Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision und erhebt die Sachrüge sowie eine Verfahrensrüge.

II.

Die Revision hat bereits aufgrund der Sachrüge Erfolg.

1.

Das angefochtene Urteil weist hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der von den Polizeibeamten versuchten Durchsuchung einen durchgreifenden Erörterungsmangel auf, der es dem Revisionsgericht verwehrt, abschließend zu überprüfen, ob das Verhalten des Angeklagten etwa durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt war oder nicht.

Bei der sachlich-rechtlichen Prüfung, ob ein Erörterungsmangel vorliegt, ist allein die Urteilsurkunde Beurteilungsgrundlage (vgl. BGH NStZ-RR 2001, 174, 175; BGH NStZ-RR 2006, 50). Ein Erörterungsmangel ist dann gegeben - dies lässt sich als Ergebnis der Auswertung der höchstrichterlichen Rechtsprechung entnehmen -, wenn im Hinblick auf die Umstände des Falles die Erörterung einer bestimmten Problematik zu erwarten gewesen wäre (BGH NStZ 2001, 475, 476), nahe gelegen hätte (BGH NStZ 2001, 591, 592 f.) bzw. sich aufgedrängt hätte (BGH NStZ-RR 2006, 50), diese aber nicht vorgenommen wurde (OLG Hamm Urt. v. 22.04.2008 - 3 Ss 106/08 = BeckRS 2008, 10005).

Die Erörterung einer möglicherweise gegebenen Rechtfertigung des Verhaltens des Angeklagten nach § 32 StGB hätte sich hier aufgedrängt, da auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen Zweifel daran bestehen, ob die von den Polizeibeamten beabsichtigte Durchsuchung unter Festhalten des Angeklagten rechtmäßig war. War sie nicht rechtmäßig, was sich aufgrund der Urteilsfeststellungen aber nicht abschließend entscheiden lässt, könnte das Festhalten des Angeklagten oder eine Gewaltanwendung gegen ihn zum Zwecke der Durchsuchung einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff i.S.d. § 32 StGB darstellen.

Unter Zugrundelegung des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs (der nicht nur für § 113 Abs. 3 StGB sondern auch im Rahmen des § 32 StGB bei Abwehr von Akten der öffentlichen Gewalt von Bedeutung ist, vgl. Rönnau/Hohn in LK-StGB 12. Aufl. § 32 Rdn. 117) ist eine Diensthandlung dann rechtmäßig, wenn die sachliche und örtliche Zuständigkeit sowie die wesentlichen Förmlichkeiten eingehalten wurden. Zudem trägt der handelnde Organwalter die Pflicht, zur situationsangemessenen Beurteilung erkennbarer Eingriffsvoraussetzungen sowie im Falle eines durch die Eingriffsnorm eröffneten Ermessens zu einem adäquaten Ermessensgebrauch (BVerfG Beschl. v. 30.04.2007 - 1 BvR 1090/06 - juris; BGHSt 21, 334, 363; KG Berlin Beschl. v. 11.05.2005 - 1 Ss 61/05 - juris; KG Berlin Beschl. v. 30.11.2005 - 1 Ss 321/05 - juris; HansOLG Bremen Urt. v. 14.09.1976 - Ss 64/76 - juris; Eser in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 113 Rdn. 23 ff. m.w.N.).

Die bisherigen Feststellungen lassen nicht erkennen, dass eine situationsangemessene Beurteilung erkennbarer Eingriffsvoraussetzungen bzw. ein adäquater Ermessensgebrauch seitens der handelnden Polizeibeamten vorlag, vielmehr lassen sie daran zweifeln. Dass sie den Angeklagten nach § 163b Abs. 1 StPO zum Zwecke der Feststellung seiner Identität festhalten und durchsuchen durften, ist auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht erkennbar. Der Verdächtige darf nach § 163b Abs. 1 S. 2 StPO nur dann festgehalten werden, wenn die Identität sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Hier war es allerdings so, dass der Angeklagte aufgrund der Aussagen der Zeugen namentlich identifiziert und sein Wohnsitz bekannt war. Seine Identität war also geklärt, was auch den Polizeibeamten - angesichts des Umstandes, dass sie vor seiner Wohnungstüre standen - klar gewesen sein muss. Dass trotz der Zeugenaussagen und des Aufsuchens des Angeklagten an seiner Wohnung noch Zweifel an der Identität bestanden, welche weitere Maßnahmen erforderlich gemacht hätten (vgl. dazu Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 163b Rdn. 8), oder weitere Identitätsangaben, wie Geburtstag oder Geburtsort nicht leicht durch Auskunft aus dem Melderregister oder anderen Registern hätten herausgefunden werden können, ist aus den Urteilsgründen nicht ersichtlich. Auch stellte die Verweigerung von Personalangaben keine Ordnungswidrigkeit nach § 111 OWiG dar, wenn die für die Durchführung der jeweiligen staatlichen Aufgabe erforderlichen Angaben bereits bekannt waren (OLG Hamm NJW 1988, 274).

Es kann auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden, ob der Angeklagte die Tat zur Abwehr einer rechtswidrigen polizeilichen Maßnahme (Festhalten und Durchsuchung) beging. Die Sache bedarf daher erneuter Prüfung. Der neue Tatrichter wird allerdings eingehend zu würdigen haben, ob der Schlag des Angeklagten gegen den Kopf des Polizeibeamten i.S.d. § 32 StGB erforderlich und geboten war. Zwar drohte dem Angeklagten hier zumindest eine kurzfristige Verletzung seiner Fortbewegungsfreiheit, möglicherweise auch die Anwendung körperlicher Gewalt. Anderseits ist in Fällen, in denen der Vollstreckungsbeamte nicht offensichtlich bösgläubig oder amtsmissbräuchlich handelt und durch die Vollstreckungshandlung kein irreparabler Schaden droht aber durch die erforderliche Abwehr eine erhebliche Körperverletzung oder sogar der Tod des Amtsträgers droht, das Gebotensein einer solchen Abwehrhandlung zweifelhaft und der Betroffene wird auf den Rechtsweg zu verweisen sein (Eser in Schönke/Schröder a.a.O. Rdn. 37; vgl. auch BGH NStZ 1981, 23). Auch wird zu erörtern sein, ob es nicht mildere ebenso geeignete Mittel zur Abwehr eines etwaigen rechtswidrigen Angriffs, wie etwa das bloße Wegschubsen und/oder Schließen der Wohnungstüre, gab.

2.

Das angefochtene Urteil war auch deshalb aufzuheben, weil es auf einer Verletzung des Verwertungsverbotes des § 51 Abs. 1 BZRG beruht. Danach dürfen u.a. für den Fall, dass eine Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden ist, Tat und Verurteilung nicht mehr zum Nachteil des Angeklagten verwendet werden. Dies gilt auch bei der Verwendung als Indiz gegen den Angeklagten im Rahmen der Beweiswürdigung (BGH NJW 1990, 2264; BGHR BZRG § 51 Verwertungsverbot 9; KG Berlin NStZ-RR 2007, 353). Der Wortlaut der Vorschrift des § 51 Abs. 1 BZRG ist insoweit eindeutig. Der Senat sieht für eine Einschränkung des Verwertungsverbots keinen Ansatz, auch wenn diese Auslegung zu dem misslichen Ergebnis führt, dass die Verwertung früheren Fehlverhaltens von den Zufälligkeiten einer Aburteilung oder Nichtaburteilung abhängt. Denn wäre es wegen früherer Taten nicht zu einer Verurteilung gekommen, hätten diese durchaus im Rahmen der vorliegenden Hauptverhandlung festgestellt und zu Beweiszwecken verwertet werden können (vgl. BGHR BZRG § 51 Verwertungsverbot 8). Derartige Widersprüche zu beseitigen ist indes allein Sache des Gesetzgebers.

Das Landgericht hat hier - rechtsfehlerhaft - ausdrücklich die Vorstrafen und die mit diesen geahndeten früheren Taten des Angeklagten zu Beweiszwecken verwertet. Es schildert in den Feststellungen zur Person über mehrere Seiten hinweg eine Reihe von Vorstrafen, die in einem früheren BZR-Auszug aufgeführt waren. Es führt weiter aus, dass diese im aktuellen Auszug nicht mehr enthalten sind, dass diese aber zu Beweiszwecken, nicht jedoch zum Zwecke der Strafzumessung Verwendung finden könnten. Im Rahmen der Beweiswürdigung - in der es u.a. die Einlassung des Angeklagten, der Polizeibeamte habe ihn zuerst tätlich angegriffen, er (der Angeklagte) sei dann rückwärts gegen die Wand getaumelt, habe dabei reflexartig die Hände hochgerissen und dabei möglicherweise den Polizisten versehentlich getroffen, zu widerlegen galt - heißt es dann: "Weiterhin, wenn auch nicht ausschlaggebend, spricht für die Angaben der Zeugen G und N, dass dem Angeklagten zum einen Körperverletzungsdelikte durch spontane "Ausraster" nicht wesensfremd sind, er zum anderen ein gestörtes Verhältnis zu Polizeibeamten zu haben scheint, wie die ausschließlich zu Beweiszwecken verlesenen getilgten Vorteintragungen und früheren Vorverurteilungen zeigen".

Anders als in dem vom BGH NJW 1990, 2264 entschiedenen Fall vermag der Senat auch ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler nicht auszuschließen. Zwar bezeichnet das Landgericht seine Erwägungen selbst als "nicht ausschlaggebend". Dafür, dass diese aber doch bei der Beweiswürdigung eine Rolle gespielt haben, spricht - neben ihrer Erwähnung - dass die getilgten Vorstrafen umfänglich (und anders als in dem vom BGH entschiedenen Fall nicht nur beiläufig) dargestellt worden sind.

3.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass es rechtlichen Bedenken begegnet - wie mit der Verfahrensrüge vorgetragen -, dass die Urteilsgründe vorliegend nicht ergeben, warum entgegen des vom Verteidiger in der Hauptverhandlung gestellten Hilfsantrags - der ausreicht (vgl. OLG Hamm Beschl. v. 26.02.1991 - 1 Ss 139/91 .- juris) - die Tat nicht lediglich durch eine Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB) geahndet werden konnte (vgl. § 267 Abs. 3 S. 4 StPO). Das gilt auch dann, wenn die Fallgestaltung die Prüfung des § 59 StGB nicht unbedingt nahe legt (OLG Hamm Beschl. v. 19.11.1985 - 4 Ss 1328/85 - juris).

Ende der Entscheidung

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