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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 13.08.2003
Aktenzeichen: 3 Ss 397/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 329
StPO § 337
Zum Begriff der "genügenden Entschuldigung" und zur Beruhensfrage.
Strafsache

wegen Diebstahls,

(hier: Revision der Angeklagten gegen ein Verwerfungsurteil nach § 329 StPO),

Auf die Revision der Angeklagten vom 06. Februar 2003 gegen das Urteil der XIV. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 16. Januar 2003 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die Revisionshauptverhandlung vom 13. 08. 2003, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht als Vorsitzender,

Richter am Oberlandesgericht und Richter am Amtsgericht als beisitzende Richter,

Staatsanwältin als Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Angeklagten wird auf ihre Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe:

Das Amtsgericht Gütersloh hat die Angeklagte am 01. August 2002 wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 25,00 € verurteilt.

Die Berufung der Angeklagten gegen dieses Urteil hat das Landgericht Bielefeld mit dem angefochtenen Urteil vom 16. Januar 2003 gem. § 329 Abs. 1 StPO verworfen und zur Begründung ausgeführt:

"Die Angeklagte hat gegen das Urteil vom 01. August 2002 zwar rechtzeitig Berufung eingelegt, ist aber in dem heutigen Termin zur Hauptverhandlung, ungeachtet der durch die Urkunde vom 20. Dezember 2002 nachgewiesenen Ladung, ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden.

Die eingelegte Berufung war daher nach § 329 der Strafprozessordnung zu verwerfen."

Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte am 06.02.2003 zu Protokoll der Rechtspflegerin bei dem Landgericht Bielefeld Revision eingelegt und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung vom 16. Januar 2003 begehrt. Das Wiedereinsetzungsgesuch hat das Landgericht Bielefeld mit Beschluss vom 05. März 2003 verworfen.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuch und der Revision hat die Angeklagte Folgendes ausgeführt:

"Ich befand mich seit dem 08. Januar 2003 im Krankenhaus. Am 16. Januar 2003 wollte ich entlassen werden, um den Berufungstermin wahrzunehmen. Um ca. 11.30 Uhr wurde ich entlassen und ging nach Hause. Mein Ehemann hatte vor dem Landgericht am selben Tag um 11.30 Uhr einen Verhandlungstermin wahrzunehmen. Er wollte mit dem Richter, der auch für meine Berufungssache zuständig war, klären, ob mein Termin verlegt werden könne. Als er gegen 13.30 Uhr nach Hause kam, war es zu spät, um noch rechtzeitig zum Termin zu erscheinen. Im Übrigen hatte ich noch Schmerzen von dem operativen Eingriff. Mein Ehemann sagte mir, dass eine Bescheinigung des Krankenhauses als Entschuldigung reiche. Er besorgte daraufhin die Bescheinigung und faxte sie dem Gericht zu. Ich verweise insoweit auf die anliegende Erklärung meines Ehemannes."

Zu der Revision hat die Angeklagte ergänzend ausgeführt:

"Das Berufungsgericht hat die Aufklärungspflicht verletzt und nicht alle erkennbaren Entschuldigungsgründe bei der Entscheidung berücksichtigt. Mein Ehemann hatte dem zuständigen Richter erklärt, dass ich mich am Terminstag noch im Krankenhaus befand. Es war ersichtlich, dass es mir nicht gelingen würde, rechtzeitig eine Bescheinigung des Krankenhauses beizubringen. Der zuständige Richter hätte somit eine Bescheinigung des Krankenhauses einholen können. Die Voraussetzungen für die Verwerfung der Berufung haben somit nicht vorgelegen. Mein Ausbleiben in der Hauptverhandlung wäre dann genügend entschuldigt gewesen."

Die zulässige Revision der Angeklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das angefochtene Urteil ist zwar nicht frei von Rechtsfehlern, es beruht aber im Ergebnis nicht hierauf.

1. Der Senat teilt die Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft, dass das Landgericht hier den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung verkannt und weitere Aufklärung im Hinblick auf den Gesundheitszustand der Angeklagten rechtsfehlerhaft unterlassen hat. Insbesondere steht zu befürchten, dass das Landgericht der Angeklagten unzulässigerweise eine "Substantiierungslast" im Hinblick auf die schlüssige Darlegung eines Entschuldigungsgrundes auferlegt und dabei nicht hinreichend berücksichtigt hat, dass es nicht darauf ankommt, ob sich die Angeklagte genügend entschuldigt hat, vielmehr allein darauf, ob sie genügend entschuldigt ist (vgl. nur Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 329 Rdnr. 18). Die entsprechende Befürchtung ergibt sich insbesondere daraus, dass das Landgericht dem Ehemann der Angeklagten die Vorlage eines Attestes abverlangt hatte, erkennbar deshalb, weil es Zweifel an der Richtigkeit der von ihm für seine Ehefrau vorgebrachten Entschuldigung hatte (vgl. OLG Köln, StV 1989, 53, 54).

Möglicherweise aufgrund dieser fehlerhaften Anschauung von dem Rechtsbegriff der ausreichenden Entschuldigung hat das Landgericht weiterhin die gebotene Aufklärung unterlassen, ob der Angeklagten tatsächlich aus gesundheitlichen Gründen das Erscheinen in der Berufungshauptverhandlung unzumutbar war (vgl. zu dieser Aufklärungspflicht Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 329 Rdnr. 19 m. w. N.).

Zudem leidet das angefochtene Urteil unter dem Begründungsmangel, dass die Umstände, die nach Auffassung der Angeklagten ihr Fernbleiben in der Hauptverhandlung entschuldigen sollten, dort nicht ebenso ausführlich und vollständig enthalten sind, wie die Erwägungen des Tatrichters, sie als nicht genügende Entschuldigung anzusehen, um auf diese Weise dem Revisionsgericht die Überprüfung dieser Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit zu ermöglichen (OLG Hamm, NStZ-RR 2003, 86; ähnlich BayObLG, NStZ-RR 2003, 87).

Der Senat ist indes der Ansicht, dass das angefochtene Urteil entgegen § 337 Abs. 1 StPO auf diesen Rechtsfehlern nicht beruht. Die von der Angeklagten vorgebrachten Entschuldigungsgründe waren hier nämlich von vornherein und offensichtlich ungeeignet, ihr Fernbleiben zu entschuldigen (OLG Hamm, aaO) bzw. es fehlt hier an dem schlüssigen Vorbringen eines Entschuldigungsgrundes durch die Revision (BayObLG, aaO; OLG Hamm, 4. Senat für Bußgeldsachen, Beschluss vom 24.06.1999 - 4 Ss OWi 404/99 OLG Hamm; OLG Köln, VRS 67, 454; OLG Köln, NZV 1999, 264; BayObLG VRS 98, 201).

Das Vorbringen der Angeklagten ist erkennbar ungeeignet, ihr Ausbleiben in der Berufungshauptverhandlung zu entschuldigen. Die Angeklagte trägt insbesondere gerade nicht vor, dass sie aus gesundheitlichen Gründen bzw. aufgrund ihres Krankenhausaufenthaltes am Verhandlungstag, dem 16.01.2003, den Berufungstermin nicht wahrnehmen konnte. Vielmehr trägt sie selber vor, dass sie an jenem Tage um ca. 11.30 Uhr aus dem Krankenhaus entlassen wurde und dass der Termin zur Berufungshauptverhandlung erst am selben Tage um 14.00 Uhr stattfand. Es ist gerichtsbekannt, dass bei einer Anreise von Gütersloh (Sitz des Krankenhauses, aus dem die Angeklagte entlassen wurde) nach Bielefeld (Sitz des Landgerichts, vor dem der Termin zur Berufungshauptverhandlung wahrzunehmen war) die genannte Zeitspanne ohne weiteres ausreicht, um ein rechtzeitiges Erscheinen vor der Berufungskammer zu ermöglichen. Dementsprechend trägt die Angeklagte auch nicht etwa vor, dass sie aufgrund der zu knappen Zeit zwischen der Entlassung aus dem Krankenhaus und dem Beginn der Berufungshauptverhandlung an dem rechtzeitigen Erscheinen vor der Berufungskammer gehindert gewesen wäre. Vielmehr trägt sie allein vor, dass sie zunächst in Gütersloh auf ihren Ehemann gewartet habe, der am selben Tage um 11.30 Uhr einen Verhandlungstermin vor dem Landgericht Bielefeld wahrnehmen musste, und nur deshalb nicht rechtzeitig zur Berufungshauptverhandlung erscheinen konnte, weil ihr Ehemann erst gegen ca. 13.30 Uhr zu Hause (in Gütersloh) erschien. Das Zuwarten auf den Ehemann stellt aber unter keinem Gesichtspunkt eine geeignete Entschuldigung für das Fernbleiben der Angeklagten dar. Dieser war bekannt, dass sie um 14.00 Uhr einen Termin vor der Berufungskammer hatte, sie war über die Möglichkeit der Berufungsverwerfung bei unentschuldigtem Ausbleiben ihrerseits informiert und hatte sich gleichwohl nicht rechtzeitig zum Landgericht in Bielefeld begeben, um statt dessen das Erscheinen ihres Ehemannes und dessen Bericht über sein Gespräch mit dem zuständigen Berufungsrichter abzuwarten. Dagegen bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür - auch nicht nach dem Vorbringen der Revision - dass die Angeklagte zu diesem Zeitpunkt etwa noch aus gesundheitlichen Gründen gehindert gewesen wäre, vor dem Berufungsgericht in Bielefeld zu erscheinen, ob dass ihr eine rechtzeitige Anreise zum Termin vor dem Landgericht in Bielefeld um 14.00 Uhr im Anschluss an ihre Entlassung aus dem Krankenhaus gegen 11.30 Uhr am selben Tage nicht möglich gewesen wäre. Dies hätte die Angeklagte selbst mit ihrer Revisionsbegründung vortragen müssen. Die Revision muss nämlich alle Tatsachen vollständig vortragen, die für die Prüfung der Möglichkeit des Beruhens durch das Revisionsgericht erforderlich ist (BGH NStZ 1996, 400; BGHSt 30, 135; KG StV 2000, 184,190 m.w.N.; Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozess, 6. A., Rn. 473 a m.w.N.). Insbesondere bei besonderer Sachlage - hier der geringen Entfernung zwischen Gütersloh und Bielefeld bei einem der Angeklagten zur Verfügung stehenden Zeitraum von 2 1/2 Stunden für die Anreise zum Termin - ist eingehender Vortrag der Revision geboten (KG StV 2000, 184, 190; Dahs/Dahs, a.a.O.)

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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