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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 29.11.2004
Aktenzeichen: 3 Ss 467/04
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 261
StPO § 267
Zu den Anforderungen an die Urteilgründe im Fall des Wiedererkennens aufgrund einer im Ermittlungsverfahren durchgeführten Wahllichtbildvorlage.
Beschluss

Strafsache

gegen S.T.

wegen vorsätzlicher Körperverletzung.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der XIV. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 12.07.2004 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 29. 11. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Bielefeld hat den Angeklagten am 29.10.2003 wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Bielefeld mit dem angefochtenen Berufungsurteil das Urteil des Amtsgerichts unter Verwerfung der Berufung im Übrigen im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und den Angeklagten zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 50,- € verurteilt. Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten mit der Sachrüge.

II.

Die zulässige Revision des Angeklagten hat auch in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie zur Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld, § 354 Abs. 2 StPO. Die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils leidet nämlich an einem Rechtsfehler, der zur Aufhebung nötigt.

Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des insoweit bestreitenden Angeklagten wie folgt begründet:

"Die Kammer ist darüber hinaus aber auch davon überzeugt, dass der Angeklagte es war, der die Zeugen K. und T.E. geschlagen hat.

Der Angeklagte ist zwar bei der Wahllichtbildvorlage durch die Polizei nur vom Zeugen T.E. und nur als "wahrscheinlicher Täter" wiedererkannt worden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich der gesamte Vorfall innerhalb kurzer Zeit abgespielt hat, dass die Zeugen natürlicherweise durch das Vorgehen des Porsche-Fahrers und seines Beifahrers überrascht waren und dass die Lichtverhältnisse nicht sehr gut waren. In der Berufungshauptverhandlung war sich auch der Zeuge T.E. nicht mehr sicher, ob der Angeklagte der Täter gewesen war oder nicht. Trotz dieser Unsicherheiten kommt dem Umstand, dass der Zeuge T.E. den Angeklagten bei der Wahllichtbildvorlage durch die Polizei unter immerhin 12 möglichen Verdächtigen erkannt hat, eine gewisse Indizwirkung zu. Dies allein hätte der Kammer für eine Verurteilung allerdings nicht ausgereicht. Es kommt aber hinzu, dass feststeht, dass der Pkw Porsche mit dem amtlichen Kennzeichen XXXXXXX in der fraglichen Zeit am Tatort war und dass dieses Fahrzeug auf den Angeklagten zugelassen und am Tag zuvor an ihn ausgeliefert worden war. ..."

Nach diesen Ausführungen kam der Wiedererkennung des Angeklagten durch den Zeugen T.E. im Rahmen der Wahllichtbildvorlage durch die Polizei maßgebende Bedeutung für die Überführung des Angeklagten als Täter der ihm zur Last gelegten beiden Körperverletzungsdelikte zu. Bei dieser Sachlage hätte die Beweiswürdigung des Tatrichters aber eine für den Senat nachprüfbare Erörterung der subjektiven Gewissheit des Zeugen T.E. beim Wiedererkennen des Angeklagten anlässlich der Bildvorlage aufweisen müssen. Dies galt hier umso mehr, als der Zeuge den ihm vorher unbekannten Täter während der Verletzungshandlung nur kurze Zeit in einer spontanen Situation im Rahmen des sich entwickelnden Angriffs des Fahrers des PKW Porsche und seines Beifahrers auf den Zeugen T.E. und dessen Bruder beobachten konnte. In einem solchen Fall darf sich der Richter aber nicht ohne weiteres auf die Gewissheit des Zeugen beim ersten Wiedererkennen verlassen, sondern muss anhand objektiver Kriterien nachprüfen, welche Qualität eine solche Aussage im Ermittlungsverfahren hatte (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 26.05.2003 - 1 Ss 211/02 -, BeckRS 2004, 00224; OLG Frankfurt a.M., NStZ 1988, 41; OLG Koblenz, NStZ-RR 2001, 110; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2001, 109, 110).

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Es ist zwar die Äußerung des Zeugen T.E. mitgeteilt, er habe im Rahmen der Wahllichtbildvorlage bei der Polizei den Angeklagten als "wahrscheinlichen" Täter wiedererkannt. Um den Beweiswert dieser Aussage sachgerecht würdigen zu können, wäre es aber erforderlich gewesen, nähere Feststellungen zu Inhalt und Qualität der Wahllichtbildvorlage zu treffen, insbesondere auch dazu, ob sie den Anforderungen der Ziffer 18 RiStBV genügte. Im Einzelnen hätte der Tatrichter Feststellungen dazu treffen müssen, wie das Lichtbild des Angeklagten beschaffen und ob es überhaupt zu dessen Identifizierung geeignet war, ferner dazu, wie sich das Erscheinungsbild des Angeklagten heute darstellt. Weiter wären Feststellungen dazu zu treffen gewesen, welche Personen auf den anderen Lichtbildern der Wahllichtbildvorlage abgebildet waren, insbesondere ob es sich um Personen gleichen Geschlechts, ähnlichen Alters und ähnlicher Erscheinung verglichen mit dem Angeklagten handelte und ob aus der Form der Wahllichtbildvorlage auch nicht erkennbar war, welches der Lichtbilder den Beschuldigten darstellte (vgl. Ziffer 18 RiStBV) (vgl. hierzu OLG Koblenz, NStZ-RR 2001, 110, 111; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2001, 109, 110; OLG Frankfurt, NStZ 1988, 41, 42; OLG Zweibrücken, a.a.O.). Insbesondere kann insoweit von Bedeutung sein, ob die verwendeten Lichtbilder die gesamte Statur der jeweiligen Person oder nur ein Portrait zeigten (OLG Zweibrücken, a.a.O.; OLG Frankfurt, a.a.O.). Darüber hinaus kommen Feststellungen dazu in Betracht, welche Einzelheiten der Täterphysiognomie sich der Zeuge anlässlich des Tatgeschehens eingeprägt hat und aufgrund welcher konkreten Übereinstimmung er in der Lage war, das Lichtbild des Angeklagten im Rahmen der Wahllichtbildvorlage als das des Täters zu identifizieren. Mit festgestellten Mängeln des Vorlageverfahrens und der hierdurch bedingten Beeinträchtigung des Beweiswerts der Täteridentifizierung muss sich das Urteil auseinandersetzen, wobei unter Verwendung etwaiger zusätzlicher Beweisanzeichen alle gleich naheliegenden Deutungsmöglichkeiten für und gegen den Angeklagten zu erörtern sind (OLG Düsseldorf, a.a.O.). Auch muss der Tatrichter sich damit auseinandersetzen, aus welchen Gründen der Zeuge T.E. den Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht mehr wiedererkannt hat, insbesondere, ob der Angeklagte sein äußeres Erscheinungsbild inzwischen verändert hat, und zwar in Bezug einmal auf das bei der Wahllichtbildvorlage verwendete Lichtbild, dann auf sein Aussehen am Tattage und schließlich in Bezug auf sein äußeres Erscheinungsbild im Rahmen der Hauptverhandlung (vgl. OLG Koblenz, a.a.O.). Andererseits wird der erneut entscheidende Tatrichter nicht gehindert sein, dem Umstand ganz wesentliche Bedeutung für die Überführung des Angeklagten beizumessen, dass dessen PKW Porsche mit dem Kennzeichen XXXXXXX von dem Täter zur Tatzeit geführt wurde, nachdem der Angeklagte das Fahrzeug - wie im angefochtenen Urteil festgestellt - erst am 17.01.2003 beim Porsche-Zentrum in Bielefeld abgeholt hatte.

Da bereits die Sachrüge der Revision zu einem vorläufig vollen Erfolg verhilft, hatte der Senat auf die gleichfalls erhobene Rüge der Verletzung des § 261 StPO nicht mehr einzugehen. Diese Rüge wäre allerdings auch nicht begründet gewesen, da ohne die im Revisionsverfahren unzulässige Rekonstruktion der Hauptverhandlung nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Lichtbilder der Wahllichtbildvorlage im Wege des Vorhalts an den Zeugen T.E. in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind. Dies auszuschließen ist nämlich regelmäßig ohne Rekonstruktion der Hauptverhandlung nicht möglich (BGH, Beschluss vom 17.02.2004, 3 StR 448/03, BeckRS 2004, 03203; BGH NStZ 1997, 296). Insbesondere kann aus dem Schweigen des Sitzungsprotokolls hierfür nichts entnommen werden. Es ist nämlich nicht nur überflüssig sondern geradezu sachwidrig, die Verwendung von Augenscheinsurkunden als Vernehmungsbehelfe und den Vorhalt von Urkunden in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen (BGH, NStZ 2003, 320).

Ende der Entscheidung

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