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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 28.11.2006
Aktenzeichen: 3 Ss 509/06
Rechtsgebiete: StGB
Vorschriften:
StGB § 32 |
Beschluss
Strafsache
gegen R.W.
wegen gefährlicher Körperverletzung
Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Strafrichterin - Bielefeld vom 25. Juli 2006 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28. 11. 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bielefeld - Strafrichter - zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht - Strafrichterin - Bielefeld hat den Angeklagten durch das angefochtene Urteil wegen gefährlicher Körperverletzung im minder schweren Fall zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 45,- € verurteilt.
Zur Sache hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen:
"Am 22.12.2005 gegen 18 Uhr befuhr der Angeklagte mit seinem PKW die Detmolder Straße in Bielefeld stadtauswärts auf der linken Fahrspur. Als er auf die rechte Fahrspur wechselte, kam es beinahe zu einer Kollision mit dem auf dieser Spur fahrenden PKW des Zeugen M., der selber am Steuer saß und einen Unfall noch verhindern konnte, indem er auf den rechten Standstreifen auswich. Der Zeuge M. nahm dies zum Anlaß, hinter dem Fahrzeug des Angeklagten über eine Strecke von ca. 1 1/2 Kilometer bis zum Grundstück des Angeklagten an der Kolmarer Straße her zu fahren, um dem Angeklagten seine gefährliche Fahrweise vorzuhalten. Dort angekommen ging der Zeuge M. zu dem noch in seinem PKW vor der Garage sitzenden Angeklagten während die Beifahrerin des Zeugen M., die Zeugin W., im Auto blieb. Es kam zu einem Wortgefecht, in dessen Verlauf der Angeklagte den Zeugen mehrmals aufforderte, sein Grundstück zu verlassen. Sodann fuhr der Angeklagte mit seinem PKW rasant rückwärts in Richtung des Zeugen M., so dass dieser ausweichen musste, um nicht von dem Fahrzeug erfasst zu werden. Daraufhin schlug der Zeuge M. verärgert auf das Glasdach des Fahrzeugs des Angeklagten. Ein Schaden entstand hierdurch nicht. Nachdem der Angeklagte sein Auto in der Garage geparkt hatte, ging er in Richtung seiner Wohnungstür. Der Zeuge M. hatte zurück zu seinem Auto den gleichen Weg. Nach einem dabei geführten weiteren Disput holte der Angeklagte eine Dose Pfefferspray hervor, die er vorher aus dem PKW mitgenommen hatte, und sprühte den Inhalt der Dose ins Gesicht und in die Augen des Zeugen M.. Dieser fing an, sich durch Tritte und Schläge zu wehren, der Angeklagte sprühte immer weiter, bis der Zeuge zurücktaumelte und die gesamte Dose leer war.
Die Zeugin W. verständigte daraufhin die Polizei, die kurze Zeit später eintraf. Gegenüber den Polizeibeamten gab der Angeklagte an, dass der Zeuge M. ihn am Arm gepackt und gefragt hätte, ob er "Schiss" hätte. Daraufhin habe der Angeklagte aus Angst vor körperlicher Auseinandersetzung und körperlicher Unterlegenheit das Pfefferspray genommen und dem Zeugen in die Augen gesprüht. Daraufhin habe der Zeuge W. angefangen, seinerseits auf den Angeklagten einzutreten und einzuschlagen.
Der Zeuge M. erlitt durch das Pfefferspray eine schmerzhafte Reizung der Augen. Diese mussten ihm im Krankenhaus ausgewaschen und mit Salbe behandelt werden. Am folgenden Tag konnte er aufgrund der Verletzungsfolgen seiner Arbeit nicht nachgehen. Bleibende Schäden hat er nicht davongetragen."
Wegen der Ausführungen zur Beweiswürdigung und der rechtlichen Würdigung sowie der Strafzumessung wird auf die Gründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Gegen die vorgenannte Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die materielle Rüge gestützten Revision.
II.
Die rechtzeitig eingelegte und form- und fristgerecht begründete Revision hat in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg. Sie führt auf die erhobene Sachrüge hin zur Aufhebung des angefochtenen Urteils in vollem Umfang und zu einer Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Bielefeld.
Die Urteilsgründe halten in mehrfacher Hinsicht der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht Stand. So sind die getroffenen Feststellungen lückenhaft, weil sie keine hinreichend tragfähige Entscheidungs- und Prüfungsgrundlage für das Revisionsgericht bieten. Soweit das Amtsgericht ausführt, dass es zwischen dem Angeklagten und dem geschädigten Zeugen M. zu einem "Wortgefecht" gekommen sei und - etwas später - zu einem "weiteren Disput", fehlt es an näheren Darlegungen des Inhalts der Auseinandersetzungen. Diese sind hier von besonderer Relevanz, da - abgesehen von der Verletzung des Hausrechtes durch den Zeugen M. - durchaus auch Angriffe auf die Ehre des Angeklagten in Betracht kommen, die einer Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung entgegenstehen können, weil die Wahrnehmung eines Notwehrrechtes in Betracht kommt. Zu näheren Darlegungen war besondere Veranlassung deshalb geboten, weil der Angeklagte sich nach den eigenen Ausführungen des Amtsgerichts dahingehend eingelassen hat, dass der Zeuge M. ihn auf seinem Grundstück "massiv beschimpft" habe. Diese naheliegende Möglichkeit einer Notwehrlage ist ungeprüft geblieben, so dass dem Revisionsgericht eine tragfähige Entscheidungs- und Prüfungsgrundlage nicht vorliegt (vgl. KK-Kuckein, Kommentar zur StPO, 5. Aufl., Rdnr. 28 zu § 337).
Im Übrigen könnte auch eine Notwehrlage für den Angeklagten insoweit bestanden haben, als er sich durch den Zeugen M. möglicherweise in seiner körperlichen Unversehrtheit angegriffen sah bzw. tatsächlich war. Dies ist insoweit naheliegend, als das Amtsgericht selbst von der körperlichen Überlegenheit des Zeugen M. ausgeht und auch davon, dass dieser dem Angeklagten zumindest zeitweise körperlich äußerst nahegekommen ist ("bis der Zeuge zurücktaumelte") und der Zeuge den Angeklagten in drohender Weise ansprach.
Darüber hinaus ist nach den Feststellungen unklar geblieben, ob bei dem Einsatz des Pfeffersprays durch den Angeklagten der Zeuge M. bereits im Begriff war, das Grundstück zu verlassen, eine Notwehrlage also nicht mehr bestand und es sich insoweit um einen von Dominanzstreben gesteuerten Racheimpuls des Angeklagten bei dem Einsatz des Pfeffersprays handelte oder aber ob diese Maßnahme noch gerechtfertigt war, weil der Zeuge weiterhin nachhaltig gegen das Hausrecht verstieß bzw. andere Angriffe auf die Ehre oder die körperliche Unversehrtheit anhielten oder aus Sicht des Angeklagten vermeintlich bestanden. Hierzu bedurfte es auch näherer Feststellungen zu den örtlichen Verhältnissen am Tatort. Dass sich solche Feststellungen nicht treffen ließen, kann aufgrund der Ortskundigkeit des Angeklagten und der seinerzeit anwesenden Zeugen nicht angenommen werden. Auch ist den amtsgerichtlichen Feststellungen nicht zu entnehmen, dass Feststellungen zum Inhalt der verbalen Auseinandersetzungen nicht zu treffen waren - selbst wenn die Zeugin W. hierzu keine Angaben machen konnte. Die Beweislage "Aussage gegen Aussage" im Verhältnis des Angeklagten zu dem Zeugen M. macht Feststellungen zur Sache nicht schlechthin unmöglich, selbst wenn der Geschädigte und der Angeklagte konträre Angaben hierzu machen sollten; die Feststellungen des Amtsgerichts hierzu sind äußerst rudimentär und bieten keine tragfähige Prüfungsgrundlage für das Revisionsgericht. Dies gilt auch insoweit, als das Amtsgericht den Angaben der Zeugin W. gefolgt ist, die - entgegen den Feststellungen des Amtsgerichts, nach denen der Zeuge M. sich durch Tritte und Schläge gegen den mit dem Pfefferspray sprühenden Angeklagten gewehrt hat -, bekundet habe, dass es zu keinen Handgreiflichkeiten zwischen den beiden Männern gekommen sei. Die Beweiswürdigung leidet auch insoweit an einem gravierenden Mangel, als das Amtsgericht in keiner Weise die Glaubwürdigkeit der Zeugin, bei der es sich möglicherweise um eine dem Zeugen M. nahestehende Person, etwa eine Familienangehörige oder Lebensgefährtin handeln könnte, erwogen hat.
Die Feststellungen des Amtsgerichts sind auch insoweit zu beanstanden, als sie sich in keiner Weise mit der Frage der Putativnotwehr auseinandersetzen, nämlich der Möglichkeit, dass der Täter irrig die Voraussetzungen der Notwehr annimmt, weil er sich entweder angegriffen fühlt oder davon ausgeht, dass seine Verteidigung erforderlich und geboten sei (vgl. Tröndle/Fischer, StGB-Kommentar, 53. Aufl., Rdnr. 27 zu 32 m.w.N.). Naheliegend waren diese Erwägungen deshalb, weil der - nach den Ausführungen des Amtsgerichts körperlich unterlegene - Angeklagte sich dahingehend eingelassen hat, das Pfefferspray aus Angst hervorgeholt und eingesetzt zu haben. Wovor genau der Zeuge Angst hatte, hat das Amtsgericht indessen offengelassen. Insoweit sind die Ausführungen, dass er "dabei auch sein Hausrecht" wahren wollte, unvollständig und unzureichend.
Soweit das Amtsgericht schließlich in der rechtlichen Würdigung davon ausgeht, dass kein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff durch den Zeugen M. vorgelegen habe, ist dies unzutreffend. Auch das Hausrecht ist ein notwehrfähiges Rechtsgut, das mit scharfen Mitteln verteidigt werden darf (vgl. Senatsbeschluss vom 08.06.2005 - 3 Ss 204/05 -; BGH, StV 1982, 219; BGH NStZ 1995, 177; BGH NStZ 2002, 426; OLG Düsseldorf NJW 1997, 3383). Grundsätzlich ist der Angegriffene berechtigt, den Angriff sofort zu beenden oder zumindest abzuschwächen und die gegenwärtige Gefahr endgültig abzuwenden; der Angegriffene darf sich dabei grundsätzlich des Abwehrmittels bedienen, das er zur Hand hat und dessen Einsatz eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt (st. Rspr., vgl. Tröndle/Fischer, a.a.O., Rdnr. 16 c zu § 32 m.w.N.; BGH NStZ 2004, 615). Dass das Sprühen mit dem Pfefferspray eine unverhältnismäßige Verteidigungshandlung war, lässt sich aufgrund der Urteilsfeststellungen nicht nachvollziehen, zumal eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter grundsätzlich nicht stattfindet und es auf die Gleichwertigkeit des angegriffenen und des durch die Notwehrhandlung verletzten Rechtsgutes nicht ankommt; Verhältnismäßigkeit braucht lediglich zwischen dem Angriff und der Abwehr gegeben zu sein, nicht aber hinsichtlich der möglicherweise durch die Notwehr eingetretenen Folgen (vgl. Tröndle/Fischer, Rdnr. 16 zu § 32 m.w.N.). Dass der Einsatz des Pfeffersprays angesichts der körperlichen Unterlegenheit des Angeklagten unverhältnismäßig gewesen wäre, ist nicht plausibel und nicht nachvollziehbar. Dass der Zeuge M. sich die schmerzhafte Reizung der Augen zum Teil deshalb zugezogen hat, weil er sich durch körperliche Tritte und Schläge dem Angeklagten widersetzt und hierdurch das Weitersprühen veranlasst hat, darf bei dieser Betrachtung ebenfalls nicht unberücksichtigt bleiben.
Aufgrund der Mängel bei der objektiven wie subjektiven Feststellungen des angefochtenen Urteils einschließlich der Beweiswürdigung und der rechtlichen Beurteilung war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 StPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bielefeld, die auch über die Kosten der Revision zu befinden haben wird, zurückzuverweisen.
Ende der Entscheidung
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