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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 24.01.2007
Aktenzeichen: 3 Ss 521/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 261
StPO § 267
Wenn der Tatrichter eine Frage, für die er geglaubt hat, sachverständiger Hilfe zu bedürfen, im Widerspruch zu dem vorliegenden Sachverständigengutachten lösen will, muss er die Gründe hierfür in einer Weise darlegen, dass das Revisionsgericht nachprüfen kann, ob er das Gutachten zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat.
Beschluss

Verkündet am 24.01.2007

Strafsache

gegen F.B.

wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen.

Auf die Revision der Nebenklägerin S.B. gegen das Urteil der VI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 16.06.2006 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm aufgrund der Revisionshauptverhandlung vom 24. 01. 2007 an der teilgenommen haben:

pp.

am 24. 01. 2007 für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil der VI. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 16.06.2006 wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision und die der Nebenklägerin insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe:

I.

1. Das Amtsgerichts Gütersloh hatte den Angeklagten am 22.09.2005 wegen sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Jugendlichen in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 8 Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.

2. Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Bielefeld mit dem angefochtenen Urteil vom 16.06.2006 das Urteil des Schöffengerichts Gütersloh vom 22.09.2005 abgeändert und den Angeklagten freigesprochen.

Den Freispruch hat das Landgericht mit folgenden Erwägungen begründet:

"D.

Soweit es den Tatvorwurf, dass der Angeklagte in 2 Fällen sexuelle Handlungen an der Klägerin vorgenommen hat, als diese das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, betrifft, hat die Kammer keine zur Verurteilung des Angeklagten hinreichende Feststellungen zu treffen vermocht.

I.

Der Angeklagte hat dies bestritten und sich dahin eingelassen, die Nebenklägerin habe, als sich ihre Mutter in der Klinik befunden habe, gelegentlich sich zu ihm auf das Doppelbett gelegt, sie habe geweint, er habe sie dann in den Arm genommen; zu irgendwelchen sexuellen Handlungen sei es nicht gekommen. An dem Donnerstag, als die Mutter der Nebenklägerin aus der Klinik entwichen ist, sei er, nachdem er die Mutter in die Klinik zurückgefahren hat, nicht in seine Wohnung zurückgekehrt, sondern sogleich zu der Firma X. gefahren, um dort Fahrten mit dem LKW durchzuführen, ebenso wie er am Abend des 22.08.1997 für diese Firma den LKW gefahren habe. Einen ersten sexuellen Kontakt mit der Nebenklägerin habe er an seinem Geburtstag, den 03.06.1998 gehabt, als die Nebenklägerin ihn mehrfach geküsst habe. Am Wochenende des 27. auf den 28.06.1998, als die Nebenklägerin ihn von Holzminden aus besucht habe, habe er erstmalig mit der Nebenklägerin den Beischlaf vollzogen; dabei sei Y. gezeugt worden. Er habe dabei auch festgestellt, dass die Nebenklägerin bereits defloriert war.

II.

Diese Einlassung war dem Angeklagten nicht mit einer zur Verurteilung ausreichenden Sicherheit zu widerlegen.

1. Die Zeugin S.B. hat allerdings bekundet, sie sei an dem Donnerstag, nachdem am Wochenende zuvor ihre Mutter in die Westfälische Klink gebracht worden war und am Montag die Schule nach den Sommerferien wieder begonnen hatte, nach dem Schulbesuch "nach Hause" gekommen; der Angeklagte sei anwesend gewesen; da sie sehr müde gewesen sei, habe sie sich ins Bett legen wollen und dies auch dem Angeklagten gesagt. Der Angeklagte habe sie dann dazu aufgefordert, sich auf das Doppelbett im Schlafzimmer zu legen. Ihr sei das komisch vorgekommen, nachgefragt habe sie aber nicht. Tatsächlich habe sie sich dann bekleidet auf das Doppelbett gelegt; sie sei dann eingenickt, habe irgendwann bemerkt, dass sich der Angeklagte ebenfalls auf das Bett gelegt hatte, sei dann wieder eingenickt. Dann habe sie die Klingel und Rufe ihrer Mutter gehört. Der Angeklagte sei herunter zur Haustür gegangen, sie selbst habe aus dem Fenster geschaut und ihre Mutter vor dem Haus auf der Straße gesehen und gehört, wie diese gerufen hat "Wo ist Z.". Während ihre Mutter auf der Straße geblieben sei, sei der Angeklagte wieder hoch zu ihr in das Schlafzimmer gekommen; er habe ihr erklärt, dass er die Mutter wieder in die Klinik bringe. Der Angeklagte sei dann auch in seinem Pkw mit der Mutter fortgefahren. Sie selbst habe sich wieder auf das Bett gelegt. Nach einiger Zeit sei der Angeklagte zurückgekommen; er habe sich dann ganz nah neben sie gelegt und gesagt :Jetzt können wir weitermachen wo wir angefangen haben". Der Angeklagte habe dann betätschelt, eine Hand auf ihren Busen gelegt, dann habe er eine Hand unter ihr T-Shirt geschoben. Sie habe versucht, die Hand wegzudrücken, und, soweit sie sich erinnere, gesagt "Lass das". Der Angeklagte habe sie indessen vollständig ausgezogen. Sie wisse nicht, warum sie nicht versucht habe, den Angeklagten davon abzubringen; sie habe wohl gedacht, der Angeklagte mache doch, was er wolle. Da sie Angst vor dem Geschlechtsverkehr gehabt habe, habe sie ihre Beine zusammengedrückt; der Angeklagte habe jedoch ihre Beine auseinandergedrückt, habe sich auf sie gelegt und sei mit dem Glied in ihre Scheide eingedrungen und habe den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss ausgeführt. Anschließend habe der Angeklagte noch eine Weile, wie lange wisse sie nicht, neben ihr gelegen. Dabei habe er gesagt "Morgen bist du dran". Sie habe mit diesen Worten in dem Moment nichts anfangen können. Sowohl sie als auch der Angeklagte seien an dem Tag in der Wohnung geblieben, hätten aber nicht über das Vorgefallene gesprochen. Am Abend des folgenden Tages habe sie zu Bett gehen wollen und dem Angeklagten Gute Nacht gesagt. Der Angeklagte habe gesagt "Leg dich wieder in mein Bett, heute bist du dran". Der Angeklagte habe sich ausgezogen und auf das Doppelbett gelegt; sie selbst habe sich auch ausgezogen und habe sich zu dem Angeklagten gelegt. Der Angeklagte, dessen Glied erigiert gewesen sei, habe sie dann dazu aufgefordert, sich auf ihn zu setzen; dass habe sie auch gemacht, so sei der Angeklagte mit seinem Glied in ihre Scheide gekommen und habe wieder den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss ausgeführt.

Auf Vorhalt ihrer Aussage bei der Erstattung der Strafanzeige vom 18.01.2002, wonach der Angeklagte bereits, bevor die Mutter der Zeugin an der Tür geklingelt hatte, ihr mehrfach unter den Pullover gefasst habe, seine Hand über ihren Bauch hoch bis zu ihrem Busen habe wandern lassen, hat die Zeugin B. sogleich erklärt, es sei richtig, dass der Angeklagte schon vor dem Klingeln der Mutter mit den sexuellen Berührungen angefangen habe.

Auf Frage der Sachverständigen, was bei dem zweiten Geschlechtsverkehr anders gewesen sei als bei dem ersten, hat die Zeugin B. zunächst erklärt, sich daran nicht erinnern zu können; auf die spätere noch einmal wiederholte Frage der Sachverständigen hat die Zeugin geantwortet, es sei deshalb ganz anders gewesen, weil sie bei dem zweiten Mal "oben gewesen" sei. Auf Nachfrage der Sachverständige, wie sie, die Zeugin, die Äußerung des Angeklagten nach dem ersten Geschlechtsverkehr "Morgen bist du dran" am darauf folgenden Tag gedeutet habe, hat die Zeugin geantwortet, sie habe es dann so gedeutet, dass auch sie Spaß haben solle.

2. Die Kammer hat sich von der Richtigkeit dieser Bekunden der Zeugin S.B. nicht überzeugen können.

Allerdings ist die Sachverständige G-S. in ihrem in der Berufungsverhandlung mündlich erstatteten Gutachten zu dem Ergebnis gekommen, dass die Zeugin B. eine glaubhafte Aussage gemacht habe. Die Sachverständige hat diese Schlussfolgerung darauf (richtig: daraus, Senat) hergeleitet, dass die Zeugin trotz der Schädigung durch ihre Vorgeschichte, die zu Angstgefühlen, erheblich verminderten Selbstwertgefühl, mangelnder Wehrfähigkeit und fehlender altersgerechter Kontakte geführt habe, dennoch sich einen stabilen Persönlichkeitskern habe bewahren können; die Exploration habe recht gute Gedächtnisleistungen der Zeugin aufgewiesen; die Zeugin sei keine täuschungsbegabte Person; ihre den Angeklagten belastenden Angaben zeigten auch keine Ähnlichkeit mit den Belastungsangaben der Zeugin bezüglich des Missbrauchs durch ihren Vater und durch den Uwe Kardinal; der Inhalt und die Struktur der Aussage der Zeugin, die vorgenommene(n) räumlichen und zeitlichen Verknüpfungen sprächen für Glaubhaftigkeit; für eine Fremdbestimmung der Aussage seien Anhaltspunkte nicht vorhanden.

Die Kammer verkennt auch nicht, dass die verlesene Aussage des Zeugen Dr. Sch. für die Richtigkeit der Bekundung der Zeugin spricht, wenn auch nach dieser Aussage des Zeugen Dr. Sch. nicht auszuschließen ist, dass die Nebenklägerin mit einem Dritten Geschlechtsverkehr gehabt hat.

Gleichwohl hat die Kammer nicht überwindbare Zweifel an der Richtigkeit der Bekundungen der Zeugin B. über den angeblich im August 1997 erfolgten Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten.

Die Aussagen der Zeugin weisen nämlich wenig Konstanz auf. Zudem ist nach dem Eindruck der Kammer bei der Zeugin eine Tendenz vorhanden, ohne kritische Nachprüfung auszusagen, was von ihr erwartet wird.

Die Zeugin hat bei der Sachverhaltsdarstellung anlässlich der Anzeigenerstattung am 18.01.2002 den ersten Donnerstag im August 1997 als denjenigen Tag angegeben, an dem der Angeklagte das erste mal den Beischlaf mit ihr vollzogen haben soll. Bei ihrer Aussage am 11.03.2002 hat sie angegeben, am 08.08.1997 sei es zu der "ersten Vergewaltigung" gekommen. Der 08.08.1997 war ein Freitag. Beide Datumsangaben können aber nicht richtig sein, wenn das Geschehen, wie die Zeugin bereits am 18.01.2002 ausgesagt hat, zusammenfiel mit dem Entweichen ihrer Mutter aus der Westfälischen Klinik. Die Zeugin hat bei ihrer Vernehmung vor der Kammer keine Erklärung dafür geben können, wie es zu den unrichtigen Datumsangaben gekommen ist. Selbst wenn die unrichtigen Datumsangaben auf Fehler der Vernehmungsbeamten zurückzuführen sind, hat die Zeugin dies jedenfalls unkritisch übernommen.

Bei ihrer Vernehmung am 18.01.2002 hat die Zeugin angegeben, sie habe versucht, den Angeklagten wegzuschieben, als er damit begonnen habe, sie auszuziehen, das habe sie nicht geschafft, da der Angeklagte einfach stärker als sie gewesen sei. Bei ihrer Vernehmung am 11.03.2002 hat die Zeugin hingegen nicht davon berichtet, dass sie sich gegen das Ausziehen zu wehren versucht hat. Vielmehr hat sie auf mehrfache Nachfrage, ob sie dem Angeklagten zu verstehen gegeben hat, dass sie nicht mit ihm schlafen wolle, zunächst erklärt, das sie dazu körperlich und psychisch nicht in der Lage gewesen sei und zur Begründung auf die von ihr zuvor erlebten Fälle des sexuellen Missbrauchs verwiesen. Erst an anderer Stelle ihrer Vernehmung am 11.03.2002 hat die Zeugin dann bekundet, sie habe ganz am Anfang, nämlich am 08.08.1997, also an dem Tag an dem der Angeklagte das erste Mal mit ihr geschlafen haben soll, dem Angeklagten gesagt, dass sie das nicht möchte, sie habe klipp und klar nein gesagt. Bei ihrer Aussage vor dem Schöffengericht am 16.09.2005 hat die Zeugin bekundet, als der Angeklagte sie ausgezogen und an ihren Busen gefasst habe, habe sie mehrfach den Angeklagten weggestoßen. Bei ihrer Vernehmung durch die Kammer hat sie bekundet, als der Angeklagte eine Hand auf ihren Busen gelegt dann unter ihren T-Shirt geschoben habe, habe sie versucht, die Hand wegzuschieben, und - soweit sie sich erinnere - gesagt "Lass das". Außerdem hat die Angeklagte bei ihrer Vernehmung durch die Kammer erstmals bekundet, sie habe aus Angst vor dem Geschlechtsverkehr ihre Beine zusammengedrückt, der Angeklagte habe jedoch ihre Beine auseinandergedrückt.

Bei ihrer Vernehmung am 11.03.2002 hat die Zeugin B. im Hinblick auf den angeblich am Abend des folgenden Tages erneut erfolgten Beischlaf geschildert, es sei so gewesen, dass sich der Angeklagte wieder auf sie gelegt habe, und dann wiederum mit ihr geschlafen habe. Bei ihrer Aussage vor der Kammer hat die Zeugin indessen bekundet, bei dem zweiten Geschlechtsverkehr am folgenden Abend sei so gewesen, dass sie auf Aufforderung des Angeklagten sich auf den Angeklagten gesetzt habe; auf Nachfrage der Sachverständigen, was bei dem zweiten Geschlechtsverkehr anders gewesen sei als bei dem ersten, hat die Zeugin den Unterschied gerade darin ausgemacht, dass sie beim zweiten Mal "oben gewesen" sei. Schließlich hat die Zeugin bei ihrer Aussage vor der Kammer zunächst bekundet, erst, nachdem ihre Mutter geklingelt hat und der Angeklagte die Mutter wieder in die Klinik zurückgebracht hat und in die Wohnung zurückgekehrt sei, habe der Angeklagte mit den sexuellen Annäherungen begonnen. Auf Vorhalt ihrer Aussage vom 18.01.2002 hat die Zeugin dann ohne großes Nachdenken erklärt, es sei so gewesen, dass der Angeklagte schon vor dem Klingeln der Mutter mit den sexuellen Berührungen begonnen gehabt habe. Bei ihrer Aussage vom 11.03.2002 hat die Zeugin andererseits wieder erklärt gehabt, der Angeklagte habe sie weder angesprochen noch irgendwie berührt gehabt, bevor die Mutter geklingelt hatte.

Angesichts der Häufung der Widersprüche der Bekundungen der Zeugin B. bei ihren verschiedenen Aussagen, die nicht nur die zeitliche Einordnung und bloßes untergeordnetes Randgeschehen betreffen, hat die Kammer bereits insgesamt Zweifel daran, ob die Zeugin, soweit sie über den von dem Angeklagten mit ihr vor Vollendung ihres 16. Lebensjahres ausgeführten Geschlechtsverkehr berichtet hat, wirklich zu dieser Zeit Erlebtes wiedergegeben hat.

Die Zweifel werden dadurch bestärkt, dass die Zeugin kontinuierlich seit ihrer Vernehmung am 11.03.2002 bekundet hat, der zweite Geschlechtsverkehr habe sich am Tage nach dem ersten Geschlechtsverkehr abends ereignet; auch auf ausdrückliche Nachfrage bei ihrer Vernehmung vor der Kammer ist die Zeugin bei dieser zeitlichen Einordnung verblieben und hat einen Irrtum ausgeschlossen. Wenn der erste Geschlechtsverkehr an dem Tage geschehen ist, als die Mutter der Zeugin aus der Westfälischen Klinik entwichen ist, was nach den unter B. VI. getroffenen Feststellungen am Donnerstag, den 21.08.1997 war, kann der zweite Geschlechtsverkehr nach den unter B. II getroffenen Feststellungen nicht am Abend des folgenden Tages sich ereignet haben."

3. Gegen das in ihrer Anwesenheit verkündete Urteil hat die Nebenklägerin mit Schriftsatz ihrer Verteidigerin vom 21.06.2006, eingegangen bei den Bielefelder Justizbehörden am 22.06.2006, Revision eingelegt. Am 31.07.2006 ist das schriftliche Urteil der Nebenklagevertreterin zugestellt worden. Diese hat daraufhin die Revision mit am 31.08.2006 bei den Bielefelder Justizbehörden eingegangenem weiteren Schriftsatz mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts sowie mit der Verfahrensrüge begründet, das Landgericht habe die Nebenklägerin nicht rechtzeitig zu dem Termin am 02.06.2006 geladen.

II.

Die zulässige Revision der Nebenklägerin hat auf die Sachrüge bereits vollen Erfolg, so dass es auf die - im Übrigen unzulässige - Verfahrensrüge nicht mehr ankommt.

Das freisprechende Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht Stand, denn die Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtsfehlerhaft.

1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; kann er die erforderliche Gewissheit nicht gewinnen und zieht er die hiernach gebotene Konsequenz und spricht frei, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Revisionsgericht die Beweisergebnisse anders gewürdigt und Zweifel überwunden hätte. Ein Urteil kann indes keinen Bestand haben, wenn die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn sie lückenhaft ist, namentlich wesentliche Feststellungen nicht berücksichtigt oder naheliegende Schlussfolgerungen nicht erörtert, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannter Anforderungen gestellt sind (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. BGH NStZ-RR 2004, 238, 239 m. w. N.; BGH NStZ-RR 1999, 301, 302 m. w. N.; BGH NJW 2002, 2188, 2189).

2. Die Beweiswürdigung der Berufungskammer ist lückenhaft. Ein durchgreifender Rechtsmangel ist daran zu erblicken, dass sich die Kammer nur unzureichend mit dem Gutachten der zur Glaubwürdigkeit gehörten Sachverständigen auseinandergesetzt hat.

Die Kammer hat, nachdem sie die die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin bejahenden Ausführungen der Sachverständigen G-S. zunächst kurz referiert hat, ausgeführt, dass sie trotz des die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin bejahenden Gutachtens der Sachverständigen und trotz der verlesenen Aussage des die Nebenklägerin behandelnden Frauenarztes Dr. Sch., wonach dieser am 17.11.1997 eine 2 - 3 Monate zurückliegende Defloration bei der Nebenklägerin festgestellt hatte, Zweifel an der Richtigkeit der Bekundung der Nebenklägerin über den angeblichen im August 1997 erfolgten Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten nicht habe überwinden können.

Dies hat die Kammer wie ausgeführt damit begründet, dass die Aussagen der Nebenklägerin wenig Konstanz aufwiesen und dass zudem nach dem Eindruck der Kammer bei der Nebenklägerin eine Tendenz vorhanden sei, ohne kritische Nachprüfung auszusagen, was von ihr erwartet werde. Dies hat die Kammer dann anhand der von der Nebenklägerin im zeitlichen Verlauf im Einzelnen im Rahmen dieses Strafverfahrens gemachten Aussagen dargelegt.

Diese Beweiswürdigung hält der rechtlichen Überprüfung durch den Senat nicht Stand. Das Landgericht ist seiner Darlegungspflicht zum Ergebnis der Anhörung der Sachverständigen nicht in ausreichendem Maße nachgekommen. Wenn der Tatrichter eine Frage, für die er - wie hier - geglaubt hat, sachverständiger Hilfe zu bedürfen, im Widerspruch zu dem Gutachten lösen will, muss er die Gründe hierfür in einer Weise darlegen, dass das Revisionsgericht nachprüfen kann, ob er das Gutachten zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat (BGH NStZ-RR 1997, 172). Dazu gehört zwingend, dass die Strafkammer sich in den Urteilsgründen mit der Frage auseinandersetzt, welches Gewicht den von ihr im Einzelnen dargestellten Abweichungen in der Aussage der Nebenklägerin nach Auffassung der von der Kammer gehörten Glaubwürdigkeitssachverständigen allgemein sowie in Bezug auf die Beurteilung der speziellen Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin zukommt (BGH NStZ-RR 1997, 172; BGHR StPO, § 261, Zeuge 14). Dasselbe gilt für die von der Kammer herausgearbeitete Tendenz der Nebenklägerin, ohne kritische Nachprüfung auszusagen, was von ihr erwartet wird. Auch hier hätte es der Erörterung in den Urteilsgründen bedurft, ob auch die Sachverständige eine solche Tendenz bei der Nebenklägerin festgestellt hatte und aus welchen Gründen die Sachverständige gegebenenfalls gleichwohl zu dem Ergebnis gekommen war, die Angaben der Nebenklägerin seien glaubhaft. Ohne solche Darlegungen lässt sich für die Revisionsgericht nämlich nicht beurteilen, ob das Landgericht von einem falschen Maßstab bei der Beweiswürdigung im Hinblick auf die Verwertung des Sachverständigengutachtens ausgegangen ist (BGH, NStZ-RR 1997, 172; BGH NStZ 2000, 550, 551).

Abweichungen des Aussageinhalts erlauben nämlich nicht ohne Weiteres den Schluss auf die Unglaubhaftigkeit; jedenfalls darf das Kriterium Widerspruchsfreiheit und Konstanz einer Aussage nicht überbewertet werden (BGH NStZ-RR 1997, 172; BGH NStZ 2000, 550 551).

Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass auch der Inhalt der in der ersten Instanz von der Nebenklägerin gemachten Aussagen im Rahmen der Prüfung der Aussagekonstanz ermittelt und verwertet werden muss (Senat, Beschluss vom 07.11.2006 - 3 Ss 329/06 OLG Hamm).

3. Die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils erweist sich auch deshalb als rechtsfehlerhaft, weil sie über schwerwiegende Verdachtmomente gegen den Angeklagten ohne nähere Erörterung hinweggeht.

Der Tatrichter ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinanderzusetzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen. Eine Beweiswürdigung, die über schwerwiegende Verdachtsmomente ohne Erörterung hinweg geht, ist deshalb rechtsfehlerhaft (BGH, NStZ-RR 2004, 238, 239; BGH NStZ 2002, 656, 657).

Der die Nebenklägerin behandelnde Frauenarzt Dr. Schelinger hatte nach dem Urteilsfeststellungen bekundet, dass er am 17.11.1997 eine Defloration bei der Nebenklägerin festgestellt habe, die nach seiner Einschätzung zwei bis drei Monate zurücklag und nicht etwa durch einen Tampon verursacht worden sei. Dies stellt ein ganz erhebliches Indiz für die Täterschaft des Angeklagten dar. Dieser soll nach den Angaben der Nebenklägerin mit ihr nämlich im August 1997 und damit exakt in dem Zeitraum, in dem nach den Angaben des Arztes die Defloration erfolgt war, Scheidenverkehr gehabt haben. Mit diesem Indiz hätte sich die Strafkammer näher auseinander setzen müssen. Allein der Hinweis in der Beweiswürdigung, es sei nicht auszuschließen, dass die Nebenklägerin mit einem Dritten Geschlechtsverkehr gehabt habe, reicht insoweit nicht aus. Das Urteil gibt nämlich keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür wieder, dass es tatsächlich in dem fraglichen Zeitraum zu Geschlechtsverkehr zwischen der Nebenklägerin und einem Dritten gekommen sein könnte. Immerhin lebte die Nebenklägerin nach den Urteilsfeststellungen seit Mitte Juli 1997 gemeinsam mit ihrer Mutter in der Wohnung des Angeklagten. Dass sie in dieser Zeit einen Freund hatte oder ansonsten intime Kontakte zu Männern unterhielt, stellt das Urteil jedoch nicht fest.

4. Weiterhin ist zu beanstanden, dass die Kammer die Angaben der Nebenklägerin insbesondere auch deshalb für unzuverlässig hält, weil die Nebenklägerin einen zweiten Geschlechtsverkehr mit dem Angeklagten am Abend des 22.08.1997 bekundet habe, aufgrund der von der Kammer in Augenschein genommenen Tachoscheibe aber feststehe, dass der Angeklagte am 22.08.1997 in der Zeit von etwa 16.45 Uhr bis etwa 45 Minuten nach Mitternacht einen LKW der Firma X. geführt habe.

Die Kammer hat sich hier zum einen nicht näher mit der sich aufdrängenden Frage befasst, ob die Eintragung des Datums "22.08.1997" auf der fraglichen Tachoscheibe überhaupt von dem Angeklagten stammt und ob eine solche Eintragung durch den Angeklagten oder einen Dritten erst im nachhinein erfolgt sein kann. Die Eintragung des Fahrernamens und des Datums auf einer Tachoscheibe wurde im Jahr 1997 nämlich noch handschriftlich durch den jeweiligen Fahrer vorgenommen und ist deshalb ohne weiteres manipulierbar. Ohne einen Abgleich mit den Einsatzlisten des Unternehmers betreffend den jeweiligen LKW bzw. Fahrer kommt diesen Eintragungen daher kaum ein Beweiswert zu.

Die Kammer führt hierzu zwar aus, für die Richtigkeit der Angaben des Angeklagten und gegen eine Fälschung spreche, dass von den drei Scheiben, die der Angeklagte vorgelegt habe, nur eine Scheibe ein Datum trage, welches im Hinblick auf die dem Angeklagten zur Last gelegten Taten von Relevanz sei. Wenn es der Angeklagte darauf angelegt hätte, sich durch gefälschte Tachoschreiben ein Alibi zu verschaffen, wäre zu erwarten gewesen, dass der Angeklagte eine Scheibe mit dem Datum des 21.08.1997 versehen hätte. Diese Argumentation überzeugt wenig. Immerhin hatte der Angeklagte ja selbst eingeräumt, sich am 21.08.1997, als die Mutter der Nebenklägerin aus der Klinik entwichen sei, in seiner Wohnung aufgehalten und die Mutter in die Klinik zurückgefahren zu haben. Ein Kontakt zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin am Nachmittag des 21.08.1997 stand damit auch nach der Einlassung des Angeklagten fest, so dass es hierfür gar keines durch eine Tachoscheibe untermauerten Alibis bedurfte.

Im Übrigen ist auch nach den Feststellungen der Strafkammer nicht ausgeschlossen, dass der von der Nebenklägerin angegebene zweite Geschlechtsverkehr am Tage nach dem ersten Geschlechtsverkehr sich vor dem festgestellten Fahrtantritt des Angeklagten um 16.45 Uhr ereignet haben kann. Zwar hat die Nebenklägerin nach den Urteilsfeststellungen angegeben, der zweite Geschlechtsverkehr habe sich am Tage nach dem ersten Geschlechtsverkehr "abends" ereignet. Für den Senat ist indes nicht nachvollziehbar, warum entscheidend gegen die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin sprechen soll, dass sie diesen zweiten Geschlechtsverkehr im Tagesverlauf möglicherweise falsch eingeordnet haben könnte. Immerhin lag das Geschehen zum Zeitpunkt der ersten Vernehmung der Nebenklägerin am 11.03.2002 bereits 4 1/2 Jahre zurück. Die zeitliche Einordnung "abends" ist auch nicht durch nähere Details, die die Nebenklägerin im Rahmen ihrer Vernehmung angegeben hätte, in dem Sinne ausgeführt, dass eine Tatbegehung bereits am Nachmittag des 22.08.1997 ausgeschlossen wäre.

Damit bleibt die Beweiswürdigung der Strafkammer auch insoweit und insgesamt lückenhaft.

Ende der Entscheidung

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