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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 30.09.2003
Aktenzeichen: 3 Ss 530/03
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 249
StPO § 344
Ist der genaue Wortlaut einer Urkunde von erheblicher beweismäßiger Bedeutung, ist ein Vorhalt kein geeignetes Verfahren zur Beweiserhebung. Die Urkunde muss dann verlesen werden.
Beschluss

Strafsache

gegen F. F.

wegen Verbreitung pornographischer Schriften (hier: Sprungrevision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom 21.5.2003)

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts - Strafrichter - Gelsenkirchen-Buer vom 21.5.2003 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 30. 09. 2003 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht - Strafrichter - Gelsenkirchen-Buer hat den Angeklagten wegen Verbreitung pornographischer Schriften zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, verurteilt.

Dem angefochtene Urteil liegen folgende Feststellungen zu Grunde:

"Am 17.05.2002 versandte das Bundeskriminalamt in Wiesbaden an alle Kriminalämter Erkenntnisse aus Ermittlungsmaßnahmen des US-Inspection-Services (künftig abgekürzt: UIS). Der UIS hatte am 08.09.1999 aufgrund von Anzeigen aus der Bevölkerung, wonach eine Internet-Firma namens Landslide Inc. Zugang zu Internet-Seiten mit Kinderpornographie anbietet, bei dieser Firma eine Hausdurchsuchung vorgenommen. Dieser Hausdurchsuchung gingen verdeckte Ermittlungen voraus, im Zuge derer Beamte des UIS durch den Abschluss mehrerer Mitgliedschaften Zugang zu verschiedenen kinderpornographischen Webseiten erlangten und entsprechendes Beweismaterial sicherten. Landslide wurde durch das amerikanische Ehepaar R. in Forth Worth (Texas) am 13.02.1997 gegründet und bis zu seiner Festnahme im September 1999 betrieben.

Zunächst konnte über Landslide nur Zugang zu pornographischen Webseiten erlangt werden. Zwischen Ende 1998 und Anfang 1999 erkannten WebMaster von kinderpornographischen Seiten den Service als Möglichkeit, ihre Seiten einer zahlenden Kundschaft anzubieten. Daraufhin explodierten die Einnahmen von Landslide regelrecht.

Das verwendete Geschäftsmodell stellte sich so dar, dass die Firma Landslide als BilligSecure-Access-Provider das Geld für die Betreiber der Kinderpornographieseiten einnahm und dann teilweise an diese weiterleitete.

Landslide akzeptierte Kreditkarten oder Zahlungen per Post und stellte den Kunden Zugangskennnummern zur Verfügung. Während der Anmeldung im Internet gab der Kunde Namen, seine Anschrift, sein Passwort, Angaben zu seiner Kreditkarte sowie seine E-Mail-Adresse an.

Die Kreditkartenangaben wurden automatisch überprüft und das Programm glich den Namen mit der angegebenen Anschrift ab.

Dem Kunden wurde, sobald die Kreditkartenangaben angenommen worden waren, die entsprechende Zugangs-Kennnummer per E-Mail zugesandt. Die Kreditkartenangaben wurden dann an die kreditkartenverwaltenden Firmen übermittelt. Sobald das Geld bei der verwaltenden Firma einging, wurde es automatisch auf das Firmenkonto von Landslide weitergeleitet. Circa 2/3 dieser Einnahmen wurden anschließend an den Webmaster überwiesen.

Der 38-jährige Thomas R. wurde im August 2001 wegen der dargestellten Straftat von einem Bundesgericht in den Vereinigten Staaten von Amerika zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Seine 33-jährige Ehefrau Janice R. erhielt eine Strafe von 14 Jahren.

Bei der Durchsuchung wurde eine Datenbank im MS-Access-Format mit einer Kundenliste sichergestellt. Die Gesamtzahl an Einträgen übersteigt 390.000. Die Firma nahm in der kurzen Zeit, in der sie bestand, schätzungsweise 5,5 Millionen US-Dollar ein.

Das Bundeskriminalamt überprüfte aufgrund der Informationen aus den USA die in der Kundendatenbank von Landslide enthaltenen Angaben zu Namen und E-Mail-Adressen. Unter den registrierten Kunden war auch der Angeklagte zu finden. Dieser ist als Polizeibeamter des Polizeipräsidenten Gelsenkirchen im Bereich der computerfähigen Datenpflege tätig.

Bei der Durchsuchung wurde eine CD gefunden und diese grob gesichtet. Diese weist unter anderem brutale Vergewaltigungen von Kindern auf. Bei dem Angeklagten wurde eine umfangreiche Durchsuchung durchgeführt. Während der Durchsuchung zeigte sich der Beamte kooperativ und er gab sofort zu, dass auf den Festplatten Kinderpornographie zu finden sein werde. Weiterhin gab der Beamte an, dass er sich schon seit Jahren für Pornographie interessiere. An die Kinderpornographie sei er nur durch Zufall gekommen. Er habe unter dem Begriff Pictures Natures Bilder für Einladungskarten gesucht. Unter diesen Angeboten seien dann drei Bilder gewesen, die einen erwachsenen Mann und ein Mädchen beim Geschlechtsverkehr darstellten. Es habe sich um knallharte Kinderpornographie gehandelt. Zunächst sei er erschrocken gewesen.

Dann sei er allerdings auf den Geschmack gekommen und sei immer wieder dort hinein gegangen und habe die Bilder aufgerufen.

Er habe auch seine Kreditkartennummer angegeben.

Bei der gezeigten Kinderpornographie habe es sich um Geschlechtsverkehr zwischen erwachsenen Männern und kleinen Mädchen gehandelt.

Diese Darstellung habe ihn angeregt und er habe sich teilweise selbst befriedigt.

Insgesamt wurden fünf Festplatten mit kinderpornographischen Daten sichergestellt, zwei Festplatten stammten aus dem Polizeipräsidium in Buer und wurden durch den Angeklagten überspielt.

Alle diese Feststellungen des Gerichts beruhen auf den Ermittlungen des Bundeskriminalamtes, dem Ergebnis der durchgeführten Durchsuchung sowie der geständigen Einlassung des Angeklagten."

Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er u.a. unter näheren, den Zulässigkeitsanforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Ausführungen die Verletzung der §§ 249, 261 StPO rügt.

II.

Die Revision ist zulässig und auch begründet.

Die Revision beanstandet zu Recht eine Verletzung der §§ 249, 261 StPO, weil ein Schriftstück, das dem Urteil zugrundegelegt wurde, nicht Gegenstand der Verhandlung gewesen ist.

Die Urteilsgründe nehmen mehrfach auf ein Schreiben des Bundeskriminalamtes vom 17.5.2002 Bezug, das im Wortlaut auszugsweise auf den Seiten 3 und 4 des Urteils wiedergegeben ist. Ausweislich der Sitzungsniederschrift (§ 274 StPO) wurde dieses Schreiben nicht im Wege des Urkundenbeweises verlesen oder in sonst zulässiger Weise (z.B. im Wege des Selbstleseverfahrens nach § 249 II StPO) in die Hauptverhandlung eingeführt.

Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf diesem Verstoß beruht. Auch über einen Vorhalt dieses Schreibens an den Angeklagten verhält sich die Sitzungsniederschrift nicht. Unter Umständen kann zwar ein Vorhalt an Zeugen, Sachverständige oder Angeklagte eine Beweiserhebung im Rahmen des Urkundenbeweises erübrigen, dies gilt aber nicht, wenn es auf den genauen Wortlaut ankommt (vgl. Meyer-Goßner 46. Aufl., § 249 Rn 28 mwN). Dies ist hier der Fall. Der Strafrichter stützt auf den Wortlaut dieses Schreibens maßgeblich die Feststellung, dass es sich bei den beim Angeklagten sichergestellten Dateien um Kinderpornographie handelt, welche "eine weit verzweigte Organisation" vertreibt.

Die Urteilsgründe belegen somit, dass der genaue Wortlaut des sechsseitigen Schreibens von erheblicher beweismäßiger Bedeutung war. Ein Vorhalt - selbst wenn er erfolgt wäre - war deshalb kein geeignetes Verfahren zur Beweiserhebung, da in einem solchen Falle nicht die Urkunde selbst, sondern nur die dazu abgegebene Erklärung der Person, der sie vorgehalten wurde, Beweisgegenstand ist. Dazu kommt, dass dann, wenn in der Hauptverhandlung nicht verlesene Schriftstücke ohne Hinweis auf eine bestätigende Einlassung des Angeklagten oder eine solche Erklärung einer anderen Auskunftsperson im Urteil wörtlich wiedergegeben werden, dies in der Regel darauf hindeutet, dass der Wortlaut selbst zum Zwecke des Beweises verwertet worden ist und nicht nur eine gegebenenfalls auf einen Vorhalt abgegebene Erklärung (vgl. BGH NStZ 1999, 424; vgl. auch BGH StV 1987, 421).

Das Urteil unterliegt somit schon auf Grund dieses Verfahrensverstoßes der Aufhebung, so dass der Senat offen lassen kann, ob und in welchem Umfang die übrigen geltend gemachten Verfahrensrügen ebenfalls durchgreifen könnten.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat noch auf folgendes hin:

1) Der Tatrichter wird im Rahmen der neuen Hauptverhandlung Feststellungen zu treffen haben, ob es sich bei dem vom Angeklagten heruntergeladenen Film- und Bilddateien tatsächlich um kinderpornographische Dateien handelt, also Bilddateien, die sexuelle Handlungen an Personen unter vierzehn Jahren, § 176 Absatz 1 StGB, zeigen. Allein das insoweit abgegebene Geständnis des Angeklagten, "bei der gezeigten Kinderpornographie handele es sich um Geschlechtsverkehr zwischen erwachsenen Männern und kleinen Mädchen" rechtfertigt dieses nicht ohne weiteres. Der Tatrichter mag insoweit die Dateien - zumindest stichprobenhaft - nach Ausdruck selbst in Augenschein nehmen oder aber den auswertenden Beamten hierzu als Zeugen zu vernehmen.

2) Soweit es bei der Strafzumessung auf den Umfang des sichergestellten Materials ankommt, sind hierzu konkrete Angaben erforderlich . Die Feststellung, es seien fünf Festplatten mit kinderpornographischen Daten sichergestellt, ist nicht aussagekräftig.

3} Der Tatrichter wird darüber hinaus bei der Strafzumessung, sofern die Verteidigung erneut - selbst wenn nur hilfsweise - einen Antrag auf Erteilung einer Verwarnung mit Strafvorbehalt stellt, diesen Antrag im Urteil bescheiden müssen (OLG Hamm MDR 1991, 1191, OLG Hamm 3 Ss 1029100 Beschluss vom 8.2.2001).

4) Schließlich wird der Tatrichter - unter Zugrundelegung des bestehenden Strafrahmens - und unter Beachtung der in § 46 StGB niedergelegten Grundsätze auch zu berücksichtigen haben, dass der Angeklagte sich nach der Tat in psychotherapeutische Behandlung begeben hat.



Ende der Entscheidung

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