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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 12.02.2008
Aktenzeichen: 3 Ss 541/07
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 344 Abs. 2 S. 2 | |
StPO § 338 Nr. 5 | |
StPO § 140 Abs. 2 |
Tenor:
1. Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bielefeld zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts trat der unter Alkoholeinfluß stehende Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 11.11.2006 zweimal mit dem beschuhten Fuß gegen die Stirn seines am Boden liegenden Opfers. Dieses erlitt hierdurch eine Platzwunde, außerdem blutete seine Nase. Zuvor hatte der weitere - nichtrevidierende -Verurteilte R den Geschädigten von hinten gegen den Nacken bzw. die Schulter geschlagen, wodurch dieser zu Boden gestürzt war.
Gegen das Urteil hat der Angeklagte zunächst Berufung eingelegt und dann - nach Urteilszustellung am 16.08.2007 - mit Schriftsatz vom 24.08.2007 erklärt, dass das Rechtsmittel als Revision geführt werden solle. Der Mitverurteilte R hat die von ihm eingelegte Berufung mit anwaltlichem Schriftsatz vom 21.08.2007, in dem die ausdrückliche Ermächtigung hierzu versichert wird, zurückgenommen.
Der Angeklagte rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat beantragt, das angefochtene Urteil mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bielefeld zurückzuverweisen.
II.
Die (nach Berufungsrücknahme durch den Mitverurteilten, vgl. § 335 Abs. 3 StPO) stathafte und zulässige Revision hat teilweise Erfolg.
1.
Das angefochtene Urteil war im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und wie geschehen zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO), da die Strafzumessungserwägungen des Amtsgerichts rechtlicher Überprüfung nicht Stand halten. Diese sind lückenhaft und widersprüchlich. Hierauf beruht das Urteil auch.
a) In dem Urteil heißt es, dass davon auszugehen sein, dass die Angeklagten bei der Tat unter Alkoholeinfluss gestanden haben, aber kein Anlass bestehe, dies strafmildernd zu berücksichtigen, da das Alkoholproblem und die daraus resultierende Kriminalität dem Mitverurteilten R in einer früheren Verurteilung bereits vor Augen geführt worden sei. Warum die frühere Verurteilung des R Anlass geben sollte, bei dem Angeklagten von einer möglichen Strafmilderung nach § 21 StGB abzusehen, bleibt offen.
Unschädlich ist es in diesem Zusammenhang, dass das Amtsgericht die Alkoholisierung des Angeklagten nicht auch im Hinblick auf eine mögliche Schuldunfähigkeit gem. § 20 StGB erörert, denn dafür bestand nach dem während der Tat und dem Vortatgeschehen gezeigten Leistungsverhalten des Angeklagten kein Anlass. Soweit die Revision auf eine weitergehende Alkoholisierung hinaus will, ist ihr Vorbringen zum Teil urteilsfremd.
b) Widersprüchlich ist es auch, wenn das Amtsgericht einerseits eine gemeinschaftliche Begehung der Körpverletzung verneint, andererseits aber (auch) dem Angeklagten die Schmerzen des Opfers im Bereich Schulter/Nacken, die offensichtlich vom Schlag des Mitverurteilten stammen, straferschwerend zurechnet.
c) Schließlich begegnet es auch Bedenken, wenn straferschwerend berücksichtigt wird, dass es sich um einen "gemeinen" Überfall gehandelt habe, ohne dass näher erläutert wird, worin das Amtsgericht das über den Umstand einer gefährlichen Körperverletzung hinausgehende "Gemeine" erblickt.
2.
Die weitergehende Revision ist unbegründet, da die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin im übrigen keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufzeigt. Insbesondere begegnet es hier keinen rechtlichen Bedenken, dass der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) verurteilt wurde, auch wenn keine näheren Feststellungen zur Art der Beschuhung getroffen werden konnten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kommt es für die Frage, ob der Schuh am Fuß als ein gefährliches Werkzeug i.S. dieser Vorschrift anzusehen ist, auf die Umstände des Einzelfalles an. Selbst ein Turnschuh kann danach ein gefährliches Werkzeug sein (BGH NStZ 2003, 662, 663; NStZ 1999, 616 m.w.N.). Im Hinblick darauf kann kein Zweifel bestehen, dass auch ein möglicherweise leichterer Schuh nach seiner konkreten Verwendungsart - hier: eines Trittes in das Gesicht - geeignet ist, erhebliche Körpverletzungen hervorzurufen. Hier zeigt sich die Geeignetheit des Schuhs dazu an den beschriebenen Verletzungen. Näherer Feststellungen zur Art des Schuhs bedurfte es daher im vorliegenden Einzelfall nicht. Die von der Revision angeführte Entscheidung BGH NStZ 1984, 328 steht dem nicht entgegen, da diese, was die Werkzeugqualität der Turnschuhe angeht, durch die oben genannten Entscheidungen nach Ansicht des Senats überholt ist und im vorliegenden Fall auch - anders als dort - konkret auf die Tritteinwirkung zurückgehende Verletzungen beschrieben sind, anhand derer sich die Werkzeugqualität ohne weiteres erschließt.
3.
Auch der erhobenen Rüge der Verletzung der §§ 338 Nr. 5, 140 Abs. 2 StPO war der Erfolg zu versagen.
Die Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 5 StPO entspricht nicht den Begründungsanforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Nach dieser Vorschrift müssen bei Erhebung der Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen so genau dargelegt werden, dass das Revisionsgericht aufgrund dieser Darlegung das Vorhandensein - oder Fehlen - eines Verfahrensmangels feststellen kann, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen sind oder bewiesen werden (OLG Hamm NStZ-RR 2001, 373 m.w.N.).
Das hat der Beschwerdeführer nicht getan. Er teilt als Verfahrenstatsachen lediglich mit, dass der Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr - bei Strafaussetzung zur Bewährung - verurteilt wurden ist. Es heißt weiter: "Der Angeklagte war ohne Verteidiger. Ihm ist von Amts wegen kein Verteidiger bestellt worden. Einen Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers hat er aus Unkenntnis nicht gestellt."
a) Es kann dahinstehen, ob die Rüge bereits deswegen nicht hinreichend ausgeführt ist, weil nicht ausdrücklich erwähnt wird, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung ohne Verteidiger war, denn allein hierauf kommt es bei § 338 Nr. 5 StPO an. Die Revisionsbegründung ist unklar, da nicht deutlich wird, worauf sich das Unverteidigtsein bezieht. Sie ermöglicht allerdings auch die Auslegung, dass der Angeklagte während des gesamten bisherigen Strafverfahrens, also auch während der Hauptverhandlung unverteidigt war.
b) Die Rügebegründung entspricht aber jedenfalls deswegen nicht den oben genannten Anforderungen, weil sie sich zu wesentlichen, für eine Pflichtverteidigerbestellung relevanten Umständen nicht verhält. Zutreffend ist, dass die Verhandlung ohne einen Verteidiger, in Fällen, in denen dem Angeklagten ein solcher nach § 140 Abs. 2 StPO zu bestellen gewesen wäre, gegen § 338 Nr. 5 StPO verstößt (Meyer-Goßner 50. Aufl. § 338 Rdn. 41). Dann bedarf es aber auch der Ausführung, warum die "Schwere der Tat" bzw. die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder die "Verteidigungsunfähigkeit" die Mitwirkung eines Verteidigers erfordert (OLG Hamm NStZ-RR 2001, 373; Meyer-Goßner a.a.O.).
Unter Zugrundelegung der oben geschilderten Verfahrenstatsachen meint die Revision, dass dem Angeklagten wegen der Straferwartung von einem Jahr ein Pflichtverteidiger zu bestellen gewesen wäre.
Dahinstehen kann, ob der Revisionsführer nicht bereits nähere Ausführungen dazu hätte machen müssen, wie sich die Straferwartung zu Beginn der Hauptverhandlung darstellte.
Unter Zugrundelegung der Urteilsfeststellungen kann davon ausgegangen werden, dass hier eine Straferwartung von einem Jahr gegeben war. Es wird aber übersehen, dass die "Jahresgrenze" keine gesetzlich festgelegte Grenze für die Notwendigkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers ist. Ob eine Pflichtverteidigerbestellung wegen der "Schwere der Tat" erforderlich ist, bestimmt sich nach der obergerichtlichen Rechtsprechung vor allem nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung, wobei hier eine Straferwartung von um ein Jahr Freiheitsstrafe zu Grunde gelegt wird (vgl. dazu näher OLG Düsseldorf StV 2002, 236; OLG Hamm, NStZ-RR 1997, 78; OLG Hamm NStZ-RR 2001, 373; OLG München wistra 2006, 118; OLG Rostock Beschl v. 24.06.2002 - I Ws 273/02; OLG Saarbrücken Beschl. v. 24.04.2007 - Ss 25/07; ThürOLG StraFo 2005, 200; OLG Koblenz StraFo 2006, 285; KK-Laufhütte StPO 5. Aufl. § 140 Rdn. 21; Meyer-Goßner a.a.O. § 140 Rdn. 23). Hierbei handelt es sich aber nicht um eine starre Grenze. Vielmehr sind nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung auch die Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten, die sich nach dem Zustand seiner Persönlichkeit und den Umständen des Falles richtet, zu berücksichtigen (vgl.: OLG Düsseldorf StV 2002, 236; OLG Hamm NStZ-RR 1997, 78; OLG München Beschl. v. 13.12.2005 - 5 StRR 129/05= wistra 2006, 118; ThürOLG StraFo 2005, 200; OLG Rostock Beschl. v. 24.06.2002 - I Ws 273/02; OLG Saarbrücken Beschl. v. 24.04.2007 - SS 25/07). Hierzu verhält sich die Rügebegründung indes nicht. Insbesondere wird nicht ausgeführt, warum sich der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung stehende, knapp 27-jährige, im Berufsleben als Bäcker stehende Angeklagte, sich gegen den in rechtlicher und tatsächlicher (nur wenige zu vernehmende Zeugen, Tat wurde auf Videoüberwachung aufgezeichnet) Hinsicht einfach gelagerten Vorwurf nicht hätte angemessen verteidigen können. Das ergibt sich auch nicht aus dem Satz, dass der Angeklagte aus Unkenntnis keinen Pflichtverteidiger beantragt habe.
Dass wegen einer weiteren als gefährlicher Körperverletzung angeklagten Tat die Straferwartung so hoch gewesen ist (zwei Jahre und mehr), dass auf jeden Fall ein Pflichtverteidiger zu bestellen gewesen wäre, kann der Senat anhand der Rügebegründung ebenfalls nicht hinreichend nachprüfen, da die Revision nicht mitteilt, welches Schicksal das Verfahren hinsichtlich dieses zweiten Vorwurfs genommen hat und sich dies für den Senat auch nicht aus den übrigen von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmenden Urkunden ergibt.
Für eine Pflichtverteidigerbestellung wegen der anderen in § 140 Abs. 2 StPO genannten Umstände enthält die Rügebegründung ebenfalls keine Anhaltspunkte.
Ende der Entscheidung
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