Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 06.05.2004
Aktenzeichen: 3 Ss 62/04
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 201
Zur Umgrenzungsfunktion der Anklage in einem BtM-Verfahren
Beschluss

Strafsache

gegen H.C.

wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Lübbecke vom 09.10.2003 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 06. 05. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird nebst den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Lübbecke zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Mit der Anklage der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 06.08.2003 wird dem Angeklagten zur Last gelegt in der Zeit von April, Mai 2001 bis zum 12.02.2003 in Lübbecke durch 25 Handlungen unerlaubt Betäubungsmittel erworben zu haben. Der Anklagevorwurf wird wie folgt konkretisiert:

"Im Tatzeitraum erwarb der Angeschuldigte in seiner Wohnung in Lübbecke von dem gesondert Verfolgten Dieter K. bei 25 Gelegenheiten jeweils 25 g Haschisch."

Das Amtsgericht Lübbecke hat in der Hauptverhandlung vom 09.10.2003 das Verfahren hinsichtlich 15 Fälle des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Mit dem angefochtenen Urteil hat es den Angeklagten wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 10 Fällen verurteilt und gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verhängt.

Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

"In der Zeit von Oktober 2002 bis zum 12.02.2003 erwarb der Angeklagte von dem gesondert Verfolgten Dieter K. in Lübbecke in mindestens 10 Fällen Haschisch in einer Größenordnung von jeweils ca. 25 g. Er telefonisch Kontakt zum Zeugen K. auf. Die Übergabe fand kurze Zeit nach dem jeweiligen Telefonat statt. Man traf sich u.a. vor dem "Jägerstübchen", vor dem Geschäft "van Behren" oder dem Sportgeschäft "Soja" in Lübbecke oder in seiner Wohnung. Der Kaufpreis betrug anfangs 80,- € und später 75,- €, da der Zeuge K. eine günstigere Einkaufsquelle gefunden hatte."

Die Einlassung des Angeklagten, er habe bei dem Zeugen K. zu keinem Zeitpunkt Drogen erworben, hat das Amtsgericht aufgrund der nach seiner Auffassung glaubhaften Aussage des Zeugen K. als widerlegt angesehen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Zeuge K. habe sachlich und widerspruchsfrei einen Sachverhalt entsprechend der getroffenen Feststellungen geschildert. Anhaltspunkte, dass der Zeuge den Angeklagten zu Unrecht belastet haben könnte, seien nicht erkennbar. Selbst der Angeklagte habe eingeräumt, dass es zwischen ihm und dem Zeugen nie zu einem Streit gekommen sei. Der Zeuge K. habe sich vielmehr durch seine Aussage selbst belastet und müsse mit einer empfindlichen Strafe für die von ihm begangenen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz rechnen.

Gegen das o.g. Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der eine Verletzung materiellen und formellen Rechts gerügt wird.

II.

Die Revision hat mit der erhobenen Sachrüge Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und zu einer Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die außerdem erhobene Verfahrensrüge vorliegend durchgreift, da sie der Revision zu keinem weitergehenden Erfolg verhelfen könnte.

Die Verurteilung des Angeklagten wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 10 Fällen konnte keinen Bestand haben, weil es zweifelhaft ist, ob bzw. in welchem Umfang diese Taten Gegenstand der diesem Verfahren zugrunde liegenden Anklage der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 06.08.2003 sind.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts erfolgte die Übergabe der von dem Angeklagten erworbenen Betäubungsmitteln in den 10 abgeurteilten Fällen u.a. vor dem "Jägerstübchen", vor dem Geschäft "van Behren" oder dem Sportgeschäft "S." in Lübbecke. Nach der Anklage der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 06.08.2003 erfolgte die Übergabe des Rauschgiftes jedoch in allen Fällen in Lübbecke in der Wohnung des Angeklagten.

Von der Anklage abweichende Feststellungen hinsichtlich des Tatortes brauchen allerdings die Identität zwischen Anklage und abgeurteilter Tat nicht aufzuheben. Voraussetzung dafür ist aber, dass die in der Anklage beschriebene Tat unabhängig von dem dort genannten Tatort nach anderen Merkmalen hinreichend individualisiert werden kann (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 264 Randziffer 7 a m.w.N.; BGH NJW 2000, 3293 m.w.N. betreffend den gleichgelagerten Fall einer Veränderung des Tatzeitraums). Diese Voraussetzungen sind hier aber nicht gegeben. Vielmehr werden dem Angeklagten mit der Anklageschrift 25 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz vorgeworfen, die sich jeweils am selben Tatort abgespielt haben sollen und auch in Bezug auf den Tathergang (Ankauf von jeweils 25 g Haschisch) gleichgelagert waren und keine besonderen Individualisierungsmerkmale aufgewiesen haben. Aus dem angefochtenen Urteil lässt sich auch nicht entnehmen, dass die 10 abgeurteilten Taten die einzigen Verstöße des Verurteilten gegen das Betäubungsmittelgesetz während des zugrunde gelegten Tatzeitraumes von Oktober 2002 bis zum 12.02.2003 waren. Vielmehr hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Angeklagte in mindestens 10 Fällen Haschisch in einer Größenordnung von jeweils 25 g angekauft hat. Angesichts dessen kann der Senat auch nicht ausschließen, dass es sich bei den abgeurteilten Taten, soweit sie sich auf einen Erwerb von Betäubungsmitteln außerhalb der Wohnung des Angeklagten in Lübbecke beziehen, um andere als die angeklagten Straftaten gehandelt hat, mit der Folge, dass es hinsichtlich der Verurteilung wegen dieser Taten an der erforderlichen Verfahrensvoraussetzung einer Anklageerhebung fehlen würde.

Eine andere Beurteilung wäre allerdings geboten, wenn das Amtsgericht aufgrund der Aussage des Zeugen K. zu der Feststellung gelangt wäre, dass es sich bei den von dem Zeugen in der Hauptverhandlung geschilderten Haschischverkäufen an den Angeklagten trotz der teilweise von der Anklageschrift trotz der teilweise von der Anklageschrift abweichenden Tatortangaben um diejenigen Betäubungsmittelankäufe durch den Angeklagten handelt, die ihm mit der Anklageschrift zur Last gelegt werden. Dann wäre nämlich die erforderliche Identität zwischen angeklagten und abgeurteilten Taten gegeben.

Ob dies hier zutrifft, lässt sich aus dem angefochtenen Urteil, das sich mit der Frage der Tatidentität nicht befasst, jedoch nicht entnehmen.

Der aufgezeigte Mangel erfasst den gesamten Schuldausspruch. Nach den Urteilsfeststellungen erfolgte die Übergabe des von dem Angeklagten erworbenen Rauschgifts zwar zum Teil auch in seiner Wohnung in Lübbecke, wie ihm mit der Anklageschrift vorgeworfen worden ist. Diese Taten wären daher von der Anklageschrift umfasst. Der Senat vermag aber auf der Grundlage des angefochtenen Urteils nicht festzustellen, um welche Taten es sich dabei gehandelt hat. Denn in den Urteilsgründen wird nicht angegeben, bei wie vielen der abgeurteilten Taten die Übergabe des von dem Angeklagten erworbenen Rauschgifts in der Wohnung des Angeklagten in Lübbecke erfolgt ist.

Darüber hinaus konnte das angefochtene Urteil auch deshalb keinen Bestand haben, weil sich die Beweiswürdigung als lückenhaft und damit fehlerhaft erweist.

Die getroffenen Feststellungen beruhen, wie in dem angefochtenen Urteil ausgeführt wird, auf den Angaben des Zeugen K.. Bei diesem Zeugen handelt es sich um den einzigen Belastungszeugen, so dass davon auszugehen ist, dass die den jeweiligen Tatort betreffenden Angaben in der Anklageschrift, die nur den Zeugen K. neben einem Polizeibeamten als weiteren Zeugen aufführt, auf Angaben beruhen, die von dem Zeugen K. herrühren. Das Amtsgericht hat daher auf der Grundlage einer Beweissituation entschieden, bei der Aussage gegen Aussage steht; nämlich die Aussage des Zeugen K. wegen die widerstreitende Einlassung des Angeklagten.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bedarf es in Fällen von Aussage gegen Aussage einer lückenlosen Gesamtwürdigung aller Indizien (vgl. BGH NJW 1998, 3788 m.w.N.). Erforderlich ist insbesondere, dass Abweichungen in den Angaben des einzigen Belastungszeugen bei seinen verschiedenen Vernehmungen umfassend dargestellt werden (vgl. BGH NStZ 2003, 494 m.w.N.). Allein auf die Angaben des einzigen Belastungszeugen, dessen Aussage in einem wesentlichen Detail als bewusst falsch anzusehen ist, kann eine Verurteilung nicht gestützt werden. Will der Richter der Aussage im Übrigen folgen, müssen Indizien für deren Richtigkeit vorliegen, die außerhalb der Aussage selbst liegen. Daher muss der Richter dann, wenn die Aussage dieses Zeugen in einem wesentlichen Punkt von seinen früheren Angaben abweicht, im Urteil darlegen, dass keine bewusst falschen Angaben vorgelegen haben (vgl. BGH NJW 1998, 3788). Der Amtsrichter hätte daher die unterschiedlichen Tatortangaben des Zeugen K. im Urteil darlegen und sich mit diesen im Hinblick auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen kritisch auseinandersetzen müssen. Diesen Anforderungen genügt das amtsgerichtliche Urteil, in dem der Gesichtspunkt der Aussagenkonstanz bei der Würdigung der Angaben des Zeugen K. überhaupt nicht erörtert wird, aber nicht gerecht.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Lübbecke zurückzuverweisen.



Ende der Entscheidung

Zurück