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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 05.09.2002
Aktenzeichen: 3 Ss 706/02
Rechtsgebiete: AuslG, StGB, StPO
Vorschriften:
AuslG § 92 | |
StGB § 47 | |
StPO § 267 |
2. Die Verhängung einer kurzfristigen Freiheitsstrafe kann nicht damit begründet werden, dass es dem Angeklagten aus rein praktischen Gründen nicht möglich wäre, eine etwaige Geldstrafe zu begleichen .
Beschluss Strafsache gegen B.P, alias V.P. wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz
Auf die Sprungrevision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 23.05.2002 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 05. 09. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 2, 4 StPO einstimmig beschlossen:
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bielefeld zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Bielefeld hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Zum Tatgeschehen hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen:
"Der Angeklagte ist erstmalig im September 1992 nach Deutschland eingereist. Am 24.09.1992 stellte er Asylantrag, der am 16.12.1992 abgelehnt wurde. Er erhob hiergegen Klage. Per Urteil vom 25.06.1997 wurde der Asylantrag des Angeklagten unanfechtbar abgelehnt. Am 20.04.1998 wurde er daraufhin nach Nepal abgeschoben. Am 28.02.2002 ist der Angeklagte erneut nach Deutschland eingereist. Er hat in Schwalbach-Hessen Asylantrag gestellt unter dem Namen V.P., geboren am 19.11.1975. Von dort aus wurde er weitergeleitet nach Bielefeld, wo er sich am 04.03.2002 unter Vorlage der Weiterleitungsbescheinigung Bl. 18 d.A. bei der Zentralen Ausländerbehörde vorstellte und dort festgenommen wurde. Der Angeklagte ist von Nepal nach Indien gereist und von dort dann per Flugzeug eingereist. Noch im Rahmen der Haftbefehlsverkündung erklärte er gegenüber dem Haftrichter, sein richtiger Name sei V.P. und er sei am 17.11.1975 in Dhading geboren. Die seinerzeit bei der Asylantragstellung verwendeten Personalien seien falsch gewesen."
Vor dem Amtsgericht hatte der Angeklagte dann angegeben, sein richtiger Name sei B.P.P., er sei im Jahre 1969 unter nicht näher bekanntem Datum geboten.
Der Angeklagte war nach seiner vorläufigen Festnahme am 04.03.2002 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bielefeld vom 05.03.2002 - 9 Gs 1087/02 - seit diesem Tage bis zur Verkündung des angefochtenen Urteils am 23.05.2002 in Untersuchungshaft.
Die Verhängung der kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB hat das Amtsgericht wie folgt begründet:
"Nach Abwägung aller Umstände hält das Gericht die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gemäß § 47 Abs. 1 StGB zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung für erforderlich. Denn dem Angeklagten wäre es aus rein praktischen Gründen nicht möglich, eine etwaige Geldstrafe zu begleichen, da er in Deutschland keine Aufenthaltsgenehmigung und auch kein Vermögen hat. Andererseits muss nach der schon im Vorfeld erfolgten Abschiebung dem Angeklagten klar gemacht werden, dass er nicht beliebig nach Deutschland wieder einreisen kann. Insofern hält das Gericht eine Freiheitsstrafe von drei Monaten für tat- und schuldangemessen. Die Freiheitsstrafe konnte zur Bewährung ausgesetzt werden, da dem Angeklagten eine günstige Sozialprognose zu machen ist. Der Angeklagte ist bislang nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten und dürfte durch die schon erlittene Untersuchungshaft hinreichend beeindruckt sein, um künftig weiteren Straftaten vorzubeugen."
Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht Sprungrevision eingelegt und mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bielefeld zurückzuverweisen, allgemein die Verletzung sachlichen Rechts gerügt.
II.
Die zulässige Revision des Angeklagten hat hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg. Im Übrigen war sie gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
1. Aufgrund der vom Amtsgericht in von der Revision nicht angegriffener Weise getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte der unerlaubten Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 1 a und b AuslG schuldig gemacht. Die unerlaubte Einreise nach § 92 Abs. 2 Nr. 1 a AuslG und der unerlaubte Aufenthalt i.S.v. § 92 Abs. 2 Nr. 1 b AuslG i.V.m. § 8 Abs. 2 S. 1 AuslG stehen zueinander in Idealkonkurrenz (BGHR AuslG § 92 Abs. 2 Konkurrenz 1, Urteil vom 17.10.2000). Der Unwertgehalt einer solchen ausländerrechtlichen Straftat würde nämlich nur unvollkommen erfasst, wenn bei Fällen der vorliegenden Art allein auf die unerlaubte Einreise abgehoben würde, da die Dauer und die Umstände eines sich unmittelbar anschließenden unerlaubten Aufenthaltes den Schuldgehalt mit prägen (ebda.).
Der Angeklagte kann sich auch nicht mit Erfolg auf den persönlichen Strafaufhebungsgrund aus Art. 31 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28.07.1951 i.V.m. § 92 Abs. 4 AuslG berufen.
Nach Art. 31 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention verpflichten sich die vertragsschließenden Staaten der Konvention wegen unrechtmäßiger Einreise oder Aufenthalts keine Strafen gegen Flüchtlinge zu verhängen, die unmittelbar aus einem Gebiet kommen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit i.S.v. Art. 1 bedroht waren, und die ohne Erlaubnis in das Gebiet der vertragsschließenden Staaten einreisen oder sich dort aufhalten, vorausgesetzt, dass sie sich unverzüglich bei den Behörden melden und Gründe darlegen, die ihre unrechtmäßige Einreise oder ihren unrechtmäßigen Aufenthalt rechtfertigen. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Angeklagte hat sich nämlich nach den Feststellungen des Amtsgerichts nicht unverzüglich bei den Behörden gemeldet und die Gründe dargelegt, die seine unrechtmäßige Einreise und seinen unrechtmäßigen Aufenthalt rechtfertigen. Er ist am 28.02.2002 nach Deutschland eingereist und hat offenbar unmittelbar nach der Einreise hier einen Asylantrag gestellt. Dieses Verhalten rechtfertigt hier indes nicht die Anwendung des Art. 31 Abs. 3 der Genfer Flüchtlingskonvention, da der Angeklagte den Asylantrag unter falschen Personalien gestellt hat. Durch dieses Verhalten fehlt es hier bereits an der erforderlichen Vorstellung der eigenen Person bei den Behörden, da der Angeklagte sich unter falschen Personalien gemeldet hatte. Er hatte auch nicht etwa einen Asylfolgeantrag gestellt und dabei die Gründe dargelegt, die seine unrechtmäßige Einreise und/oder seinen unrechtmäßigen Aufenthalt rechtfertigten. Vielmehr hat er den Anschein zu erwecken versucht, dass durch seine Einreise und sein Aufenthalt als Erstantragsteller eines Asylantrages ihm ein Aufenthaltsrecht nach § 55 Abs. 1 S. 1 AsylVfG zustehe. Fehlt es somit an der unverzüglichen Meldung i.S.v. Art. 31 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention, so war das Amtsgericht auch nicht gehalten, Feststellungen zum Inhalt des von dem Angeklagten erneut gestellten Asylantrages zu treffen (vgl. BayObLG, StV 1999, 99). Da der Asylantrag des Angeklagten mit Urteil vom 25.06.1997 rechtskräftig abgelehnt worden war, kann er sich auch nicht auf straffreien Zugang zum Bundesgebiet gemäß Art. 16 a Abs. 1 des Grundgesetzes berufen. Nach rechtskräftiger Ablehnung seines Asylantrages besteht ein Aufenthaltsrecht nämlich nur dann, wenn ein entsprechender Asylfolgeantrag i.S.d. § 71 AsylVfG gestellt worden ist und wenn zudem das Bundesamt das Bestehen von Wiederaufnahmegründen nach § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG festgestellt und deshalb ein weiteres Asylverfahren eingeleitet hat (BayObLG, StV 1999, 99, 100; NStZ 1996, 395 f).
2. Allerdings kann der Strafausspruch des angefochtenen Urteils keinen Bestand haben. Das Amtsgericht hat mit rechtsfehlerhaften Erwägungen die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB für die Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe bejaht.
Gemäß § 47 Abs. 1, 1. Alternative StGB verhängt das Gericht eine kurze Freiheitsstrafe unter sechs Monaten nur, wenn es deren Verhängung aufgrund besonderer Umstände in der Tat oder in der Persönlichkeit des Täters für unerlässlich erachtet, wenn also unter dem Gesichtspunkt der Spezialprävention der Strafzweck "zur Einwirkung auf den Täter" durch eine Geldstrafe nicht oder kaum zu erreichen ist und aus diesem Grunde eine Freiheitsstrafe unverzichtbar erscheint, um den Täter dazu zu bringen, in Zukunft nicht mehr straffällig zu werden (OLG Hamm VRS 97, 410, 411; BGHSt 24, 165). Nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung des § 47 StGB soll die Verhängung kurzzeitiger Freiheitsstrafen weitestgehend zurückgedrängt werden und nur noch ausnahmsweise unter ganz besonderen Umständen in Betracht kommen. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten kann danach regelmäßig nur dann Bestand haben, wenn sie sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist (OLG Hamm, VRS 99, 410, 411; VRS 96, 191; BGHR StGB § 47 Abs. 1 Umstände 7 = NStZ 1996, 429; BGH StV 1994, 370 jeweils m.w.N.).
Nach den Strafzumessungserwägungen des angefochtenen Urteils steht zu befürchten, dass sich das Amtsgericht der engen Voraussetzungen des Gesetzesbegriffs der Unerlässlichkeit nicht bewusst war. Das Amtsgericht hält die Verhängung der kurzen Freiheitsstrafe hier lediglich für "erforderlich", was bereits nach dem Wortsinn weniger ist als "unerlässlich". Allein diese sprachliche Ungenauigkeit gefährdet für sich genommen allerdings noch nicht den Bestand des angefochtenen Urteils. Den weiteren Strafzumessungserwägungen kann indes ebenfalls nicht hinreichend entnommen werden, dass besondere Umstände in der Person oder in der Tat des Angeklagten die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe unerlässlich machen. In der Regel sind nämlich dann erhöhte Anforderungen an die Begründung einer unter sechs Monate liegenden Freiheitsstrafe zu stellen, wenn es sich wie hier um einen bislang noch nicht vorbestraften Täter handelt, der unmittelbar nach der Tat offenbar erstmals Freiheitsentzug in Form von Untersuchungshaft erlitten hat (OLG Hamm, VRS 97, 411 m.w.N.; OLG Köln, NJW 2001, 3491).
Zudem hat das Amtsgericht rechtsfehlerhaft darauf abgestellt, dass es dem Angeklagten aus rein praktischen Gründen nicht möglich wäre, eine etwaige Geldstrafe zu begleichen, da er in Deutschland keine Aufenthaltsgenehmigung und auch kein Vermögen hat. Auf diesen Gesichtspunkt darf vielmehr im Rahmen des § 47 StGB - wie auch sonst - keinesfalls abgestellt werden (BGH GA 68, 84; OLG Düsseldorf, MDR 1970, 1025; OLG Hamm, MDR 1975, 329). Fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Angeklagten führt vielmehr allein zu der Anwendung des § 42 StGB (Zahlungserleichterungen) oder der §§ 459 c ff. StPO (Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., § 40 Rdnr. 3 und § 47 Rdnr. 7 m.w.N.).
Endlich steht auch die Erwägung des Amtsgerichts, der nicht vorbestrafte Angeklagte dürfte durch die schon erlittene Untersuchungshaft hinreichend beeindruckt sein, um künftig weiteren Straftaten vorzubeugen, der Annahme entgegen, die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe gegen ihn sei unerlässlich i.S.v. § 47 Abs. 1 StGB.
Ende der Entscheidung
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