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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 09.09.2003
Aktenzeichen: 3 Ss 736/02
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 47
Nicht jeder unerlaubte Aufenthalt eines Ausländers muss, um das Vertrauen der Bevölkerung in den Schutz der Rechtsordnung zu erhalten, eine - wenn auch kurzfristige - Freiheitsstrafe im Sinne des § 47 StGB nach sich ziehen.
Beschluss

Strafsache

wegen illegaler Wiedereinreise in das Bundesgebiet u.a.,

(hier: (Sprung-)Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 31.05.2002).

Auf die (Sprung-)Revision der Angeklagten vom 03.06.2002 gegen das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 31.05.2002 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 09. 09. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung und auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft sowie nach Anhörung der Angeklagten bzw. ihres Verteidigers gemäß § 349 Abs. 2, 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bielefeld zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision der Angeklagten wird als offensichtlich unbegründet verworfen.

Gründe:

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 18.08.2003 zu der Revision der Angeklagten Folgendes ausgeführt:

"I.

Die (Sprung-)Revision richtet sich gegen das Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 31.05.2002, mit dem die Angeklagte wegen illegaler Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden ist (Bl. 73-75 d.A.).

II.

Die statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Ihr ist ein teilweiser Erfolg nicht zu versagen.

Die auf die allgemeine Sachrüge vorzunehmende Überprüfung des Urteils hat einen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten bzgl. des Schuldspruchs nicht ergeben.

Allerdings kann der Strafausspruch des angefochtenen Urteils keinen Bestand haben. Das Amtsgericht hat mit rechtsfehlerhaften Erwägungen die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB für die Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe bejaht und angenommen, die Verhängung der Freiheitsstrafe sei zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich.

Die Verteidigung der Rechtsordnung gebietet die Verhängung einer Freiheitsstrafe, wenn ernstlich zu befürchten ist, dass die Allgemeinheit ihr Vertrauen in die Wirksamkeit der Strafrechtspflege ohne die Verhängung einer Freiheitsstrafe verliert und dadurch das allgemeine Rechtsbewußtsein nachhaltig beeinträchtigt wird. Es müssen besondere Umstände vorliegen, die den Verstoß von Durchschnittsfällen negativ abheben oder als so schwerwiegend erscheinen lassen, dass das Absehen von Freiheitsstrafen die Rechtstreue der Bevölkerung und ihr Vertrauen in die Unverbrüchlichkeit des Rechts ernstlich erschüttern würde (Schönke/Schröder-Stree, StGB, 25. Auflg., Rd. 14 zu § 47 m.w.N.). Für die Entscheidung darüber, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Verhängung von Freiheitsstrafen gebietet, kann die Schuld des Täters wesentlich ins Gewicht fallen. Je größer die Schuld, desto eher wird das Vertrauen der Bevölkerung erschüttert, wenn keine Freiheitsstrafe verhängt wird (Schönke/Schröder-Stree, a.a.O., Rdn. 15).

Den insoweit im angefochtenen Urteil erörterten Erwägungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Verhängung der kurzen Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich ist. Es ist nur schwerlich nachvollziehbar, dass das Vertrauen der Bevölkerung, im Schutz der Rechtsordnung zu leben, erschüttert werden könnte und die Rechtstreue der Bevölkerung gefährdet werden könnte, wenn eine Ausländerin wegen der vorliegenden Tat unter Berücksichtigung ihrer besonderen Umstände nicht zu einer Freiheitsstrafe, sondern zu einer Geldstrafe verurteilt werden würde. Nicht jeder unerlaubte Aufenthalt eines Ausländers muss, um das Vertrauen der Bevölkerung in den Schutz der Rechtsordnung zu erhalten, eine - wenn auch kurzfristige - Freiheitsstrafe nach sich ziehen.

Es wird aus dem Urteil auch nicht hinreichend deutlich, warum generalpräventive Gesichtspunkte die Verhängung der kurzfristigen Freiheitsstrafe erforderlich machen. Richtig ist, dass der Gedanke der Generalprävention in letzter Zeit wieder stärker hervortritt und in der Rechtsprechung Berücksichtigung gefunden hat. Dies gilt jedoch vor allem für besondere Formen der schweren Kriminalität, die in letzter Zeit vermehrt die Rechtsordnung, Leib, Leben und Vermögen anderer gefährdet haben (zu vgl. Beispielsfälle bei Tröndle/Fischer, StGB, 51. Auflg., Rdn. 12 zu § 46). So liegt der vorliegende Fall aber nicht. Konkrete Hinweise darauf, dass Ausländer in jüngster Zeit vermehrt illegal in die Bundesrepublik Deutschland einreisen und sich hier unerlaubt aufhalten, nennt das Urteil nicht.

Berücksichtigt man außerdem, dass das Amtsgericht bei der Bemessung der Strafe im Wesentlichen strafmildernde Gesichtspunkte angeführt hat, so wird deutlich, dass auch wegen der eher unterdurchschnittlichen Schuld der Angeklagten die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe unvertretbar ist. Jedenfalls würde ein neutraler Beobachter, der alle Umstände des Falles kennt, Verständnis dafür aufbringen, dass die Angeklagte "nur" zu einer Geldstrafe verurteilt würde."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an und macht sie zur Grundlage seiner Entscheidung.

Ende der Entscheidung

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