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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 09.09.2005
Aktenzeichen: 3 Ss OWi 191/05
Rechtsgebiete: StPO, OWiG, StVG


Vorschriften:

StPO § 265
StPO § 265 Abs. 1
StPO § 265 Abs. 2
StPO § 274
StPO § 344 Abs. 2 S. 2
OWiG § 71
StVG § 25
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Minden zurückverwiesen.

Gründe: I. Das Amtsgericht Minden hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße von 100,- Euro und einem Fahrverbot von 1 Monat verurteilt. Das Amtsgericht hat zur Sache die folgenden Feststellungen getroffen: "Am 15.01.2004 befuhr er gegen 20.28 Uhr die BAB # Q FR E mit seinem Fahrzeug ##-##. In Höhe des Kilometers 283,850 - im Bereich einer 50 km/h -Beschränkung - wurde er vom Verkehrsmessgerät Multanova Typ MU VR 6 F, geeicht bis zum 31.12.2004, erfasst. Das Gerät wurde nach Segmentprüfung um 14.45 Uhr aufgestellt und war bis 21.30 Uhr in Betrieb. Das klare Messfoto zeigt das Fahrzeug annähernd in Bildmitte, andere Fahrzeuge, die den Messvorgang beeinträchtigen könnten, sind nicht ersichtlich. Bis zum Messpunkt durchfuhr der Betroffene eine Fahrtstrecke mit folgender Beschilderung: km 281,950 Z. 123 Baustelle 800 m r+l km 282,000 Z. 274 100 km/h r+l km 282,150 Z. 500 Überleitung von drei auf zwei Fahrstreifen nach rechts 600 m r+l km 282,250 Z. 274 80 km/h r+l km 282,350 Z 500 Überleitung von drei auf zwei Fahrstreifen nach rechts 400 m r+l km 282,450 Z.276 Überholverbot Lkw, Busse, Pkw m. Anhänger r+l km 282,550 Z. 500 Überleitung von drei auf zwei Fahrstreifen nach rechts 200 m r+l km 282,650 Z. 274 60 km/h mit Zusatzzeichen Radarkontrolle r+l km 282,750 Z.276 Überholverbot f. Lkw, Busse, Pkw mit Anhänger r+l km 282,850 Z. 500 Überleitung nach links 200 m r+l km 283,030 Z. 274 50 km/h mit Zusatzzeichen Radarkontrolle r+l km 283,300 Z. 274 50 km/h r+l km 283,480 Z.274 50 km/h mit Zusatzzeichen Gefahrenstelle r+l km 283,850 Standort der Radarmessstelle am rechten Fahrbahnrand. Die von dieser Strecke vorhandene Bilderfolge wurde ebenfalls eingesehen und zur Urteilsgrundlage gemacht. ...... Damit war von einem Messwert von 82 km/h und einem verwertbaren Wert von 79 km/h auszugehen. Bei der Vielzahl der Warnhinweise, der Vielzahl der Schilder, teilweise mit Radarhinweis - jeweils beidseitig - ist das Gericht von Vorsatz ausgegangen. Die Vielzahl der Hinweise auf 80 km/h, 60 km/h und letztlich 3 x 50 km/h, einmal mit Hinweis auf Radar, spricht dafür, dass hier gerade kein Übersehen Grundlage des Fahrverhaltens, sondern ein bewusstes Zuschnellfahren vorlag.

Damit liegt Vorsatz vor und es konnte nicht bei 50 Euro verbleiben. 100 Euro und ein Fahrverbot von 1 Monat erschien geboten." Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffen mit seiner Rechtsbeschwerde, die er mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts näher begründet hat. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Urteil aufzuheben.

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat zumindest vorläufig Erfolg. Sie führt bereits auf die Verfahrensrüge hin zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zu einer Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht Minden. Der Betroffene beanstandet in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S.2 StPO, 71 OWiG genügenden Form zu Recht, das Amtsgericht habe einen erforderlichen rechtlichen Hinweis nach § 265 Abs. 2 StPO auf die Möglichkeit der Verhängung eines Fahrverbotes nach § 25 StVG unterlassen. Nach § 265 Abs. 1 StPO darf ein Angeklagter nicht aufgrund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne dass er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist. Ebenso ist gemäß § 265 Abs. 2 StPO zu verfahren, wenn sich erst in der Hauptverhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung rechtfertigen. Auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren ist die Vorschrift des § 265 StPO anzuwenden (Göhler § 71, Rn 50 m.w. N.).

Daraus folgt, dass der Betroffene z.B. darauf hingewiesen werden muss, wenn die Festsetzung der Geldbuße auf eine andere Bußgeldvorschrift als die im Bußgeldbescheid angegebene gestützt wird. Der dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegende Bußgeldbescheid des Kreises N vom 6.5.2004 sah ein Bußgeld wegen Geschwindigkeitsüberschreitung von 50,- Euro vor. Die Nichtangabe der Schuldform im Bußgeldbescheid hat zur Folge, dass in der Regel von dem Vorwurf fahrlässigen Handelns auszugehen ist (vgl. BayObLG DAR 1988, 368; OLG Hamm VRS 61, 292, 293; MDR 1973, 783; Göhler OWiG, 13. Aufl., § 71 Rn 50 mwN). Das hat die Verwaltungsbehörde erkennbar auch getan, denn sie hat sich mit ihren Sanktionen an die im Bußgeldkatalog vorgegebenen, von fahrlässiger Begehung und gewöhnlichen Tatumständen ausgehenden Regelsätze gehalten (vgl. §§ 1 II , 2 I BKatV). Die Anordnung eines Fahrverbotes war dagegen im Bußgeldbescheid nicht vorgesehen. Zwar handelt es sich bei dem Fahrverbot nach § 25 StVG weder um einen besonders vorgesehen Umstand, der die Strafbarkeit erhöht, noch um eine Maßregel der Besserung und Sicherung im Sinne des § 265 Abs. 2 StPO, sondern um eine Nebenfolge (Henschel § 25 StVG Rn. 11). In der Rechtsprechung ist allerdings anerkannt, dass in entsprechender Anwendung des § 265 Abs. 2 StPO ein Hinweis erforderlich ist, wenn der Tatrichter ein im Bußgeldbescheid nicht angeordnetes Fahrverbot verhängen will (BGHSt 29, 274; Göhler § 71 Rn 50; Bohnert Kommentar zum OWiG, 2003, § 71 84, Rebmann/Roth/Herrmann OWiG 3. Aufl (März 1998) § 74 Rn 9 mit weiteren Nachweisen der Rechtsprechung). Der BGH folgert dies aus der Notwendigkeit, für die Verhängung des Fahrverbots gemäß § 25 StVG über die bloße Begehung einer Verkehrsordnungswidrigkeit hinausgehende Feststellungen zu treffen. Dieses Erfordernis rechtfertige eine entsprechende Anwendung des § 265 Abs. 2 StPO, der die Fälle betreffe, in denen ein bestimmtes Merkmal zum gesetzlichen Tatbestand hinzutritt und dadurch die Strafbarkeit erhöht oder die Anordnung der Maßnahme der Besserung und Sicherung rechtfertigt. Hinzu kommt, dass § 265 StPO eine gesetzliche Konkretisierung der allgemeinen prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts ist. Auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren soll der Betroffene dadurch in die Lage versetzt werden, seine Verteidigung auf die neuen Gesichtspunkte einzustellen zum Beispiel durch Vortrag von persönlichen oder beruflichen Umständen, die der Anordnung eines Fahrverbotes entgegenstehen könnten. Die Hinweispflicht dient damit auch der Gewährung rechtlichen Gehörs und der Garantie eines fairen Verfahrens (MeyerGoßner § 265 Rn. 3 ff.). Ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls ist dem Verteidiger nur der rechtliche Hinweis erteilt worden, das auch die Ahndung wegen einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung in Betracht käme, nicht aber der Hinweis auf die Möglichkeit der Verhängung eines Fahrverbotes nach § 25 StVG. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 und 2 StPO zu den wesentlichen Förmlichkeiten der Hauptverhandlung gehört, deren Beachtung nach § 274 StPO nur durch das Protokoll bewiesen werden kann (BGHSt 23, 95,96; BGH, StV 1994, 232; OLG Hamm, NJW 1980, 1587, BGH bei Dallinger MDR 1970, 198; OLG Brandenburg NStZ-RR 2002, 179; OLG Brandenburg DAR 2000, 40; OLG Stuttgart DAR 1989, 392; SK-Schlüchter StPO (Mai 1995) § 265 Rn 35 u 52; Pfeiffer StPO 2. Aufl § 265 Rn 8 a.E.) oder ob es ausreicht, wenn der Betroffene oder der Verteidiger durch den Gang der Hauptverhandlung über die Veränderung unterrichtet wird, was auch im Wege des Freibeweises ermittelbar sein soll (so bei Veränderung der Sachlage nach § 265 Abs. 4 StPO BGHR StPO § 265 IV Hinweispflicht 5; OLG Frankfurt StV 1985, 224; weitergehend Göhler OWiG 13, Aufl § 71 Rn. 50 a.E; OLG Düsseldorf NZV 1994, 204 unter unzutreffender Bezugnahme auf OLG Frankfurt StV 1985, aaO). Denn der Umstand, dass der Bußgeldrichter ausweislich seines Vermerkes vom 1.3.2005 den rechtlichen Hinweis auf vorsätzliches Handeln wegen der Uneinsichtigkeit des Verteidigers und des Betroffenen erteilt hat, vermag - unabhängig von der Sachfremdheit dieser Erwägung - den ( im Umkehrschluss) unterbliebenen Hinweis auf die Möglichkeit eines Fahrverbotes - mag dieser auch weder förmlich erfolgen müssen noch protokollpflichtig sein ( OLG Düsseldorf aaO; Göhler aaO) - nicht zu ersetzen. Dass der Verteidiger hierdurch oder durch den Gang der Hauptverhandlung im übrigen über die Änderung des rechtlichen Gesichtspunktes im Hinblick auf das Fahrverbot unterrichtet worden wären, lässt sich daraus nicht herleiten. Es ist nicht auszuschließen, dass der Betroffene im Fall eines entsprechenden rechtlichen Hinweises seine Verteidigung anders eingerichtet, möglicherweise auch den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurückgenommen oder auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hätte (vgl. OLG Hamm, VRS 63, 56). Die Anordnung der Maßregel beruht daher auf dem Verfahrensverstoß (§ 337 StPO). Zwar betrifft der dargestellte Verfahrensmangel unmittelbar nur den Rechtsfolgenausspruch. Da der Betroffene bzw. dessen Verteidiger aber nach Erteilung des rechtsfehlerhaft unterbliebenen Hinweises möglicherweise seinen Einspruch gegen den Einspruch zurückgenommen hätte und ihm diese Verfahrensweise nicht abgeschnitten werden darf, ist das Urteil insgesamt mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO). Würde die Aufhebung und Zurückverweisung dagegen auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt, käme eine Rücknahme des Einspruchs nicht mehr in Betracht (vgl. LR/Hanack StPO 25. Aufl. § 302 Rn. 14). Die Sache war daher zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Minden zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO). Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat noch auf Folgendes hin: Zwar war sind an die Urteilsgründe im Bußgeldverfahren keine hohen Anforderungen zu stellen. Die Gründe müssen jedoch so beschaffen sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht zur Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung hinsichtlich aller objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale entnehmen kann, welche Feststellungen der Tatrichter getroffen hat (zu vgl. Göhler, 13. Auflg., § 71 OWiG, Rn. 42 m.w.N.). Das Urteil muss in der Regel auch erkennen lassen, auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugung gestützt hat, wie sich der Betroffene eingelassen hat und ob das Gericht dieser Einlassung folgt oder ob und inwieweit es seine Einlassung für widerlegt ansieht (Göhler, a.a.O., Rn. 43 m.w.N.). Das Rechtsbeschwerdegericht hat bereits mehrfach anlässlich vergleichbarer Fälle darauf hingewiesen, dass sich den Urteilsgründen entnehmen lassen muss, worauf sich die vorgenannten Feststellungen zur Beschilderung, zu dem zur Anwendung gelangten Messverfahren, zum Messwert und zu dem in Abzug gebrachten Toleranzwert gründen. Es fehlen Ausführungen, dass diese Feststellungen etwa aufgrund der Angaben eines Polizeibeamten getroffen wurden oder durch das Verlesen von Urkunden in die Hauptverhandlung eingeführt wurden. Zwar kann die Feststellung einer Geschwindigkeitsüberschreitung in Ausnahmefällen auch auf ein uneingeschränktes, glaubhaftes Geständnis des Betroffenen gestützt werden, so wenn er die von ihm zugestandene Geschwindigkeit aufgrund einer Beobachtung des Tachometers oder anhand eigener Erfahrungswerte geschätzt hat (Göhler, a.a.O., Rn. 43 f m.w.N.). Eine derartige Fallgestaltung hat hier aber - der Betroffene hat durch seinen Verteidiger lediglich eingeräumt, das Fahrzeug zum fraglichen Zeitpunkt geführt zu haben - offenkundig nicht vorgelegen.

Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass derjenige Betroffene, der die durch einen Geschwindigkeitstrichter von ihm verlangte erhöhte Aufmerksamkeit grob nachlässig nicht erbringt, grob nachlässig oder gleichgültig mit der Folge handelt, dass nicht nur die Verhängung eines Fahrverbotes wegen einer auch subjektiv groben Pflichtwidrigkeit angemessen erscheint, sondern auch ernsthaft geprüft werden muss, ob nicht vorsätzliches Handeln vorliegt.

Ende der Entscheidung

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