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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 11.05.2004
Aktenzeichen: 3 Ss OWi 239/04
Rechtsgebiete: BKatV


Vorschriften:

BKatV § 4
Angaben des Betroffenen zu beruflichen oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die ein Absehen vom Fahrverbot begründen sollen, dürfen vom Tatrichter nicht ungeprüft übernommen werden. Vielmehr muss das Urteil sich mit der Glaubhaftigkeit von Angaben des Betroffenen auseinandersetzen, der sich auf besondere Härten wie etwa drohenden Existenz- oder Arbeitsplatzverlust beruft.
Beschluss

Bußgeldsache

gegen O.K.

wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Straßenverkehr.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen das Urteil des Amtsgerichts Herford vom 16. Dezember 2003 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 11. 05. 2004 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Herford zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Herford hat den Betroffenen durch Urteil vom 16. Dezember 2003 wegen einer fahrlässig begangenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 200,00 € verurteilt, von der Verhängung des im Bußgeldbescheid vom 06. August 2003 angeordneten Fahrverbotes von einem Monat jedoch abgesehen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft Bielefeld mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde. Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld beigetreten.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat einen zumindest vorläufigen Erfolg. Die Rechtsfolgenentscheidung des angefochtenen Urteils weist einen materiell-rechtlichen Mangel auf. Die Begründung, mit der das Amtsgericht von der Verhängung des Regelfahrverbotes abgesehen hat, hält der rechtlichen Überprüfung nicht Stand.

1. Die Erwägungen, mit denen das Amtsgericht von der Verhängung eines Fahrverbotes gem. § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV in Verbindung mit lfd. Nr. 11.3.6 der Tabelle 1 c) des Bußgeldkataloges, § 4 Abs. 4 BKatV, abgesehen hat, sind rechtsfehlerhaft. Zwar kann nach § 4 Abs. 4 BKatV in Ausnahmefällen unter Erhöhung der Geldbuße von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden. Nach obergerichtlicher Rechtsprechung reichen hierfür erhebliche Härten im Einzelfall oder aber eine Vielzahl für sich genommener gewöhnlicher durchschnittlicher Umstände aus (BGH NZV 1992, 117, 119; Jagusch-Henschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., Rdnr. 24 f. zu § 25 StVG m. w. N.). Die Entscheidung, ob trotz der Verwirklichung des Regeltatbestandes der Bußgeldkatalogverordnung der Einzelfall einen solchen Ausnahmecharakter hat, unterliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung. Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes freies Ermessen eingeräumt, vielmehr ist der ihm verbleibende Entscheidungsspielraum durch gesetzlich niedergelegte und durch von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt. Insoweit unterliegt die verhängte Rechtsfolge hinsichtlich ihrer Angemessenheit in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzung eines Durchschnittsfalles oder Regelfalles, zu der auch die Frage der Verhängung des Fahrverbotes oder des Absehens von einem solchen nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist. Soweit der Tatrichter ein Absehen vom Regelfahrverbot allein aus beruflichen Gründen des Betroffenen für angemessen erachtet, reicht hierzu nicht jeder berufliche Nachteil aus. Nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung rechtfertigt vielmehr nur eine Härte ganz außergewöhnlicher Art, die ggf. im Verlust der wirtschaftlichen Existenz zu sehen ist, den Verzicht auf ein Fahrverbot, (vgl. OLG Hamm, VRS 90, 210, 212; OLG Hamm, DAR 1996, 325; OLG Hamm NZV 1995, 366 f). Angaben des Betroffenen zu beruflichen oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten dürfen dabei vom Tatrichter nicht ungeprüft übernommen werden. Vielmehr muss das Urteil sich mit der Glaubhaftigkeit von Angaben des Betroffenen auseinandersetzen, der sich auf besondere Härten wie etwa drohenden Existenz- oder Arbeitsplatzverlust beruft (Henschel, a. a. O., § 25 StVO Rdnr. 26 m. w. N.). Die damit entscheidende Frage, ob die Vollstreckung des einmonatigen Fahrverbotes arbeitsrechtlich tatsächlich eine Kündigung durch den Arbeitgeber des Betroffenen rechtfertigen würde, hat das Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil indes dahinstehen lassen. Dies ist rechtsfehlerhaft. Hier hätte sich das Amtsgericht eine sichere Überzeugung bilden müssen. Es hätte sich auch mit der Frage auseinandersetzen müssen, inwieweit es dem Betroffenen zuzumuten ist, beruflichen Nachteilen infolge des Fahrverbotes durch rechtzeitige Planung von Urlaub während der einmonatigen Verbotsfrist zu begegnen, zumal ihm hier noch die 4-Monats-Frist des § 25 Abs. 2 a StVG zu gewähren wäre (vgl. Henschel, a. a. O., § 25 StVG Rdnr. 25). Insoweit reichen aber wiederum die Feststellungen des Amtsgerichts, es sei nachvollziehbar, dass der Betroffene den Jahresurlaub nicht zusammenhängend nehme könne, nicht aus. Das Amtsgericht hätte darlegen müssen, wie viele Wochen Jahresurlaub der Betroffene zusammenhängend nehmen kann und ob ihm zuzumuten ist, die danach verbleibende restliche Zeit des Fahrverbotes durch geeignete Maßnahmen zu überbrücken, etwa durch die Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel oder eines Fahrers, beispielsweise aus dem Kreis der Arbeitskollegen.

Schließlich tragen die Erwägungen des Amtsgerichts zum sogenannten Augenblicksversagen nicht das Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbots. Ein Augenblicksversagen ist insbesondere dann ausgeschlossen, wenn ein Geschwindigkeitszeichen 274 vor der Messstelle mehrfach wiederholt worden ist oder der Messstelle ein sogenannter Geschwindigkeitstrichter vorausgeht, durch den die zulässige Höchstgeschwindigkeit stufenweise mittels mehrerer nacheinander aufgestellter Vorschriftszeichen herabgesetzt wird (BGHSt 43, 251). Hiermit hätte sich das Amtsgericht auseinandersetzen und zu der Anordnung der Geschwindigkeitszeichen nähere Feststellungen treffen müssen. Allein der Hinweis auf die Art der Bebauung bzw. die für den Betroffenen erkennbare äußere Situation verfing schon deshalb nicht, weil sich die Ordnungswidrigkeit hier offenbar tatsächlich im außerörtlichen Bereich und gerade nicht innerorts ereignet hatte. Die Feststellungen des Amtsgerichts hierzu reichen jedenfalls nicht aus, um in rechtlich haltbarer Weise die Einlassung des Betroffenen, er sei für einen Moment unaufmerksam gewesen und habe deshalb das Geschwindigkeitszeichen übersehen, als unwiderlegt ansehen zu dürfen.

2. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils ist nicht angefochten. Insoweit ist daher Teilrechtskraft eingetreten. Dem steht nicht entgegen, dass das Amtsgericht hier möglicherweise irrtümlich von einer Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb geschlossener Ortschaften ausgegangen ist. Der Schuldspruch bezieht sich nämlich ausschließlich auf das Vorliegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung im Sinne von Nr. 11 BKatV während die Frage der Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung und der Begehungsweise innerorts oder außerorts allein die Rechtsfolge, nämlich die Höhe der Geldbuße und die Dauer des Fahrverbotes, betrifft.

Ende der Entscheidung

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