Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 08.08.2003
Aktenzeichen: 3 Ss OWi 321/03
Rechtsgebiete: OWiG


Vorschriften:

OWiG § 30
OWiG § 87
Ein gegen eine juristische Person im selbstständigen Verfahren gemäß § 30 Abs. 4 OWiG ergangener Bußgeldbescheid stellt keine ausreichende Verfahrensgrundlage gegen deren gesetzlichen Vertreter dar.
Beschluss

Bußgeldsache

wegen Anordnung des Verfalls eines Geldbetrages.

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Minden/Westf. vom 15. Januar 2003 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 08. 08. 2003 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Das Verfahren wird eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der der Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

Durch Verfallsbescheid vom 17.05.2001 hat der Landrat des Kreises Minden-Lübbecke gegen die Firma H. GmbH P. gemäß § 29 a Abs. 2 u. 4 OWiG i.V.m. § 87 Abs. 3 u. 6 OWiG den Verfall eines Geldbetrages in Höhe von 24.000,- DM angeordnet. Der Bescheid war adressiert an die vorgenannte Firma, und zwar zu Händen der Geschäftsführerin I.B., Ilserheider Str. 23 in 32649 P.. Gegen die Verfallsanordnung wurde durch die H. GmbH P. rechtzeitig Einspruch eingelegt.

Nach zwei Hauptverhandlungsterminen am 06.06.2002 und 15.08.2002 vor dem Amtsgericht Minden, die nicht zu einem Abschluss des Verfahrens geführt hatten, wurde zuletzt erneuter Hauptverhandlungstermin auf den 15.01.2003 anberaumt. In diesem Hauptverhandlungstermin wurde folgendes Urteil verkündet:

"Der Verfall von 7.800,- € aus dem Bauvorhaben B. wird festgestellt.

Die Betroffene trägt Kosten und Auslagen."

Ausweislich der Sitzungsniederschrift des Amtsgerichts Minden vom 15.01.2003 erging dieses Urteil in der Bußgeldsache gegen I.B. Nachdem diese mit Schriftsatz ihrer Verteidiger vom 22.01.2003 gegen dieses Urteil Rechtsbeschwerde mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts eingelegt hatte, wurden durch den Amtsrichter am 24.01.2003 sodann folgende Urteilsgründe zu den Akten gebracht:

Gegen die Betroffene ist folgender Bescheid des Kreises Minden-Lübbecke ergangen:

Bescheid über den Verfall eines Geldbetrages

Aufgrund §§ 29 a Abs. 2 und 4 in Verbindung mit § 87 Abs. 3 und 6 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (Ordnungswidrigkeitengesetz - OWiG) vom 19.2.1987 (BGBl. I S. 602), in der zurzeit geltenden Fassung ordne ich gegen die Firma H. GmbH P. den Verfall eines Geldbetrages in Höhe von 24.000,- DM (in Worten: Vierundzwanzigtausend Deutsche Mark) an. Dieser Betrag ist auf eines der ausgewiesenen Konten der Kreiskasse Minden-Lübbecke unter Angabe des Kassenzeichens 007.1.0013.2 zu überweisen.

Begründung:

Die H. GmbH P. ist im Handelsregister des Amtsgerichts Minden in Abt. B unter Nr. 2613 mit den Tätigkeiten "Handel mit Baustoffen aller Art und Vertrieb von Bauteilen" seit dem 23.2.2000 eingetragen. Als einzelvertretungsbefugte Geschäftsführerin wird Frau I.B., geboren am 3.3.1939 in P., ausgewiesen.

Laut Anzeige bei der Stadt P. datiert der Betriebsbeginn vom 3.4.2000.

Der Landkreis Celle informiert mich jedoch, dass die H. GmbH wesentliche Tätigkeiten des Maurer- und Betonbauer-Handwerks ausübt.

So beobachtete ein Ermittler am 1.3.2001 im Baugebiet "Auf der Heide" in 28339 Wathlingen drei Personen, welche mit Maurerarbeiten beschäftigt gewesen sind. Entsprechende Lichtbilder liegen mir vor.

Als Bauherren wurden die Eheleuten Sonja und Thomas B. festgestellt. Sie hatten am 15.12.2000 die H. GmbH mit der Erstellung eines Einfamilienhauses zum Festpreis von netto 198.163,78 DM beauftragt; mit dem Bau ist am 26.2.2001 begonnen worden.

Die o. g. Bauarbeiter erklärten anlässlich ihrer Zeugenvernehmung am 5.3.2001, bei der H. GmbH als Maurer angestellt zu sein.

Gemäß § 1 Abs. 1 HwO ist der selbstständige Betrieb eines Handwerks als stehendes Gewerbe nur den in der Handwerksrolle eingetragenen natürlichen und juristischen Personen und Personengesellschaften (selbstständige Handwerker) gestattet. Ein Gewerbebetrieb ist gemäß § 1 Abs. 2 HwO Handwerksbetrieb, wenn er handwerksmäßig betrieben wird und ein Gewerbe vollständig umfasst, das in der Anlage A zur HwO aufgeführt ist, oder Tätigkeiten ausgeübt werden, die für dieses Gewerbe wesentlich sind (wesentliche Tätigkeiten).

Die H. GmbH P. wurde laut Auskunft der Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe zu Bielefeld vom 4.5.2001 aber bisher nicht in die Handwerksrolle eingetragen.

Dass die in Frage stehenden Tätigkeiten im Rahmen eines insgesamt handwerklich und nicht industriell geführten Betriebes durchgeführt werden, ist als gegeben anzusehen.

Die ausgeführten Tätigkeiten sind auch wesentlich im Sinne der HwO, denn es handelt sich um solche, die den Kernbereich des Maurer- und Betonbauer-Handwerks ausmachen, ihm also sein essentielles Gepräge verleihen. Zur Klärung, ob Tätigkeiten wesentlich für das in der Anlage A zur HwO unter I Nr. 1 der Gruppe der Bau- und Ausbaugewerbegewerbe zugeordnete Maurer- und Betonbauer-Handwerk sind, wird die am 21.1.1993 erlassene Verordnung über das Berufsbild und über die Prüfungsanforderungen im praktischen und im fachtheoretischen Bereich der Meisterprüfung für das Maurer-Handwerk (MauMstrV) herangezogen, s. BGBl. 1993 I S. 90

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 3 dieser Verordnung sind

- Entwurf Herstellung, Montage und Instandsetzung von Bauwerken einschließlich Bauwerksteilen und Fertigbauwerken, insbesondere aus künstlichen und natürlichen Steinen, aus Bauplatten, Beton und Stahlbeton sowie die

- Herstellung von Mauerwerk aus künstlichen und natürlichen Steinen für den Hoch- und Tief- sowie den Landeskultur- und Wasserbau dem Berufsbild des Maurers und Betonbauers zuzurechnende Tätigkeiten. Sie erfordern wegen ihres Schwierigkeitsgrades die in § 1 Abs. 2 der MauMstrV etwa unter

Nr. 1) Kenntnisse der Statik im Mauerwerks- und Betonbau,

Nr. 2) Kenntnisse über Statik im Stahlbeton-, Holz- und Stahlbau,

Nr. 3) Kenntnisse über bauphysikalische Zusammenhänge des Wärme-, Schall-, Brand- und Feuchteschutzes,

Nr. 4) Kenntnisse der Konstruktionen im Mauerwerks-, Beton- und Stahlbetonbau,

Nr. 5) Kenntnisse über Konstruktionen im Holz- und Stahl- sowie im Trockenbau,

Nr. 11) Kenntnisse über Vermessungsarbeiten,

Nr. 13) Kenntnisse des Aufmaßes und der Mengenberechnungen,

Nr. 14) Kenntnisse der Einrichtung und des Betriebes von Baustellen,

Nr. 17) Kenntnisse der berufsbezogenen Vorschriften der Arbeitssicherheit und des Arbeitsschutzes,

Nr. 22) Herstellen von Mauerwerk aus künstlichen und natürlichen Steinen,

Nr. 23) Be- und Verarbeiten der Bau- und Hilfsstoffe,

Nr. 26) Herstellen und Verarbeiten, Nachbehandeln und Prüfen von Beton,

Nr. 32) Herstellen von Estrichen, insbesondere von Zementestrichen, und von Bodenbelägen aus künstlichen und natürlichen Steinen und Platten,

Nr. 35) Auf- und Abbauen von Arbeits- und Schutzgerüsten beschriebenen Kenntnisse und Fertigkeiten.

Der Bußgeldtatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Bekämpfung der Schwarzarbeit vom 6.2.1995 (BGBl. I S. 165) in der zurzeit geltenden Fassung ist verwirklicht. Hiernach handelt ordnungswidrig, wer Dienst- oder Werksleistungen in erheblichem Umfange erbringt, obwohl er ein Handwerk als stehendes Gewerbe selbstständig betreibt, ohne in der Handwerksrolle eingetragen zu sein.

Da der H. GmbH durch diese ordnungswidrigen Handlungen wirtschaftliche Erlöse zugeflossen sind, kann gemäß § 29 a Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 4 OWiG gegen sie im selbstständigen Verfahren der Verfall eines Geldbetrages bis zu der Höhe angeordnet werden, die dem Wert des Erlangten entspricht.

Der Umfang des Erlangten und dessen Wert können laut Abs. 3 dieser Vorschrift geschätzt werden. Gegenstand des Verfalls ist also nicht nur der Vermögensvorteil abzüglich der Kosten und Aufwendungen sondern die Gesamtheit des durch die Tat Erlangen, mithin der so genannte Bruttogewinn.

Um die Bemühungen um eine Eintragung der H. GmbH in die Handwerksrolle zu würdigen, ordne ich jedoch nicht die o. g. Bauauftragssumme, sondern lediglich 15 % der bislang den Eheleuten B. im Zeitraum vom 27.1. bis 30.3.2001 in Rechnung gestellten Beträge (161.553,84 DM), mithin gerundet 24.000,- DM, als verfallen an.

Der erwähnte Prozentsatz wird in der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen als Mittelwert für das prozentuale Verhältnis vom Reingewinn zum wirtschaftlichen Umsatz eines Bauunternehmens mit einem durchschnittlichen Jahrensumsatz von 400 bis 1.000 TDM ausgewiesen.

Hinweis:

Wegen der bereits erwähnten Bemühungen um eine Eintragung der H. GmbH in die Handwerksrolle verzichte ich vorerst auf eine Untersagung der Handwerksausübung nach § 16 Abs. 3 HwO, erwarte aber, dass ich über die Entscheidung der Handwerkskammer zeitnah unterrichtet werde."

Nach mehreren Verhandlungen in denen die rechtliche Problemstellung umfangreich erklärt und abgeklärt wurde, hat das Gericht um eine weitere aufklärende Mitteilung des Kreises gebeten. Diese lautet:

"Verfallsangelegenheit gegen die Fa. H. GmbH Unter Bezugnahme auf das Protokoll der Hauptverhandlung vom 15.8.2002 habe ich aus den Rechnungen der Fa. H. GmbH an die Auftraggeber B. (Bl. 34 - 44 d.A.) den auf das Maurer-Handwerk entfallenden Anteil wie folgt bereichnet:

Datum der Rechnung Gewerk Betrag (ohne MwSt) DM 02.02.2001 Fundamente, Sohlenplatte 19.816,38 17.02.2001 Mauerwerk EG 19.816,38 26.02.2001 Betondecke EG 19.816,38 13.03.2001 Mauerwerk DG 19.816,38 30.03.2001 Klinkermauerwerk 9.908,18 8.3.2001 Garage, Rohbau 12.931,04 Summe 102.104,74

Der Endbetrag entspricht 52.205,32 € und damit in etwa dem auf Blatt 31 ausgewiesenen Anteil der Rohbaukosten an den Gesamtbaukosten. In Anlehnung an den Ausgangsbescheid vom 17.5.2001 wären 15 v. H. dieses Betrages, mithin rd. 7.800,- € als verfallen anzuordnen."

Entsprechend diesen Feststellungen mußte das Gericht dann, weil es der rechtlichen Wertung im Bescheid folgt, den Verfallbetrag auf 7.800 Euro festsetzen.

Kosten: § 465 StPO."

Hieraus hat die Geschäftsstelle dann das bei den Akten befindliche vollständige Urteil Bl. 122 bis 128 d.A. fertigen lassen, das allerdings von dem Amtsrichter nicht mehr unterschrieben worden ist.

II.

Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen ist zulässig, insbesondere ist das Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde hier statthaft, da das Amtsgericht Minden eine Hauptverhandlung durchgeführt und über die Verfallanordnung durch Urteil entschieden hat (vgl. Boujong in KK-OWiG, § 87 Randziffer 83 zu der entsprechenden Rechtslage nach Erlass eines selbstständigen Einziehungsbescheides).

Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Sie führt wegen des Fehlens einer Verfahrensvoraussetzung gemäß § 206 a StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG zur Einstellung des Verfahrens.

Gemäß § 87 Abs. 6 OWiG gelten die Absätze 1, 2 Satz 1 u. 2 sowie Absatz 3 Satz 1 bis 3 Halbsatz 1 und Absatz 5 des § 87, die die Anordnung einer Einziehung betreffen, für die Anordnung des Verfalls entsprechend.

Der im selbstständigen Einziehungsverfahren zu erlassene selbstständige Einziehungsbescheid steht gemäß § 87 Abs. 3 OWiG einem Bußgeldbescheid in formeller als auch in materieller Hinsicht gleich (vgl. Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, 3. Aufl., § 87 Randziffer 52). Gemäß § 87 Abs. 6 OWiG gilt dies für die Verfallsanordnung im selbstständigen Verfallsverfahren entsprechend.

Ein wirksamer Bußgeldbescheid gegen den Betroffenen ist Verfahrensvoraussetzung für die Durchführung des gerichtlichen Verfahrens in Bußgeldsachen (vgl. Göhler, OWiG, 13. Aufl., vor §71 Randziffer 2).

Im vorliegenden Verfahren ist zwar eine einem Bußgeldbescheid entsprechende selbstständige Verfallsanordnung durch den Bescheid des Landrates des Kreises Minden-Lübbecke vom 17.05.2001, mit dem der Verfall eines Geldbetrages in Höhe von 24.000,- DM gemäß § 29 a Abs. 2 u. 4 OWiG i.V.m. § 87 Abs. 3 u. 6 OWiG angeordnet worden ist, ergangen. Dieser Bescheid richtete sich aber gegen die Firma H. GmbH P. und nicht gegen deren Geschäftsführerin und Rechtsmittelführerin im vorliegenden Rechtsbeschwerdeverfahren I.B..

Ein gegen eine juristische Person im selbstständigen Verfahren gemäß § 30 Abs. 4 OWiG ergangener Bußgeldbescheid stellt keine ausreichende Verfahrensgrundlage gegen deren gesetzlichen Vertreter dar, so dass das Verfahren auf die Rechtsbeschwerde gegen den gesetzlichen Vertreter unter Aufhebung der Sachentscheidung einzustellen ist, wenn gegen diesen eine Geldbuße festgesetzt wird (vgl. Göhler, a.a.O., § 66 Randziffer 6). Die im vorliegenden Verfahren ergangene selbstständige Verfallsanordnung vom 17.05.2001 stellte daher keine ausreichende Verfahrensgrundlage für eine gerichtliche Verfallsanordnung gegen die Rechtsmittelführerin dar mit der Folge, dass das angefochtene Urteil aufzuheben und gleichzeitig die Einstellung des Verfahrens gemäß § 206 a StPO auszusprechen war. Dass sich das in der Hauptverhandlung am 15.01.2003 verkündete Urteil tatsächlich gegen die Rechtsmittelführerin richtet, diese also nicht etwa nur bei der Anfertigung des vollständigen Urteils Bl. 122 ff. d.A. durch die Schreibkanzlei als Betroffene bezeichnet worden ist, ergibt sich aus der Sitzungsniederschrift vom 15.01.2003, in der es ausdrücklich heißt:

"Bußgeldsache gegen I.B., wohnhaft I. Straße 23, 32469 P.."

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.

Durch die Senatsentscheidung hat sich, worauf der Senat vorsorglich hinweist, das selbstständige Verfallsverfahren gegen die Firma H. GmbH P. nicht erledigt. Über deren Einspruch gegen die selbstständige Verfallsanordnung des Landrates des Kreises Minden-Lübbecke vom 17. Mai 2001 ist vielmehr noch eine Entscheidung zu treffen.

Ende der Entscheidung

Zurück