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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 15.05.2008
Aktenzeichen: 3 Ss OWi 669/07
Rechtsgebiete: OWiG


Vorschriften:

OWiG § 31
OWiG § 71
Wird in der Hauptverhandlung über den Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid ein bereits von der Verwaltungsbehörde bei Erlass eines neuen Bußgeldbescheides aufgehobener Bußgeldbescheid verlesen, so hindert dies nicht die verjährungsunterbrechende Wirkung bestimmter späterer Verfahrensverhandlungen, wenn allen Beteiligten klar ist, um welchen Bußgeldbescheid es geht und die Tat, die beiden Bußgeldbescheiden zu Grunde liegt, identisch ist.
Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Minden zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Der Landrat des Kreises N hat am 05.07.2006 gegen den Betroffenen wegen einer am 19.04.2006 begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung einen Bußgeldbescheid erlassen, in dem eine Geldbuße von 275 Euro sowie ein Fahrverbot von zwei Monaten festgesetzt worden ist. Hiergegen hat der Betroffene rechtzeitig Einspruch eingelegt. Der von ihm beauftragte Verteidiger hat eine Vollmacht vorgelegt, in der es u.a. heißt: "Diese Vollmacht erstreckt sich insbesondere auf folgende Befugnisse: 1) Verteidigung und Vertretung in Bußgeldsachen und Strafsachen in allen Instanzen, auch für den Fall der Abwesenheit (...)".

Mit Schriftsatz vom 31.07.2007 hat der Verteidiger eine Geschwindigkeitsüberschreitung eingeräumt, wendete sich aber insbesondere gegen das Fahrverbot. Daraufhin hat der Landrat am 06.11.2006 einen neuen Bußgeldbescheid - unter Aufhebung des bisherigen -erlassen, in dem die Geldbuße auf 415 Euro und das Fahrverbot auf einen Monat festgesetzt worden ist. Auch hiergegen hat der Betroffene durch seinen Verteidiger fristgerecht Einspruch eingelegt. Am 20.11.2006 hat der Landrat die Sache daraufhin über die StA Bielefeld an das AG Minden abgegeben - wo sie am 30.11.2007 eintrafen - und den Betroffenen hiervon benachrichtigt. In dem Abgabeschreiben heißt es u.a. : "Ihr Einspruch vom 17.11.2006 gegen den Bußgeldbescheid vom 06.11.2006 ist form- und fristgerecht eingelegt worden". Am 11.01.2007 und am 18.01.2007 hat das Amtsgericht Minden Termin zur Hauptverhandlung anberaumt.

Der erste Hauptverhandlungstermin fand am 28.02.2007 in Abwesenheit des Angeklagten statt. Im Protokoll heißt es: "Der Bußgeldbescheid vom 05.07.2006 wurde verlesen". Nach Einholung eines Gutachtens hat das Amtsgericht am 14.05.2007 und am 11.06.2007 neuen Hauptverhandlungstermin auf den 25.07.2007 anberaumt. Mit Schriftsatz vom 24.07.2007, per Telefax am gleichen Tage beim Amtsgericht eingegangen, hat der Verteidiger beantragt, den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden. Die Fahrereigenschaft sei unstreitig, weitere Einlassungen werde er nicht abgeben. Im Hauptverhandlungstermin, zu dem der Betroffene nicht erschienen war, hat das Amtsgericht abgelehnt, den Betroffenen von seiner Pflicht zum persönlichen Erscheinen zu entbinden und den Einspruch verworfen, weil der Betroffene unentschuldigt dem Termin ferngeblieben sei, die von ihm vorgetragenen Gründe keine ausreichende Entschuldigung darstellten und mit Rücksicht auf die Ausführungen des Verteidigers, dass die "Konkretisierung des Tatorts nicht konkret sei" die Vernehmung des Betroffenen und damit sein Erscheinen zwingend notwendig sei.

II.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in Ihrer Antragsschrift u. a. Folgendes ausgeführt:

"Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und führt zu einem - zumindest vorläufigen - Erfolg.

Die Verfahrensrüge des Betroffenen, mit der er die Gesetzeswidrigkeit der Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG geltend macht und damit auch die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt, entspricht den Anforderungen des § 79 Abs. 3 i. V. m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

Nach den genannten Vorschriften muss bei einer Verfahrensrüge der Tatsachenvortrag so vollständig sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen des Betroffenen zutrifft. Wird die Versagung rechtlichen Gehörs gerügt, muss in der Begründungsschrift durch entsprechenden Tatsachenvortrag schlüssig dargelegt werden, dass ein Verstoß gegen Artikel 103 Abs. 1 GG vorliegt. In diesem Fall obliegt es dem Betroffenen, darzulegen, aus welchen Gründen das Gericht seinem Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG hätte stattgeben müssen. Der Betroffene muss also darlegen, aus welchen Gründen der Tatrichter von seiner Anwesenheit in der Hauptverhandlung einen Beitrag zur Aufklärung des Sachverhalts unter keinen Umständen hätte erwarten dürfen. Hierzu ist es erforderlich, den im Bußgeldbescheid erhobenen Tatvorwurf und die konkrete Beweislage im Einzelnen vorzutragen. In diesem Zusammenhang ist in aller Regel auch darzulegen, wann und mit welcher Begründung der Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gestellt worden ist und wie das Gericht diesen Antrag entschieden hat (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27.05.2004 - 2 SsOWi 332/04 -). Da der Anspruch auf rechtliches Gehör zudem nur dann verletzt ist, wenn die erlassene Entscheidung auf einem Verfahrensfehler beruht, der seinen Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Partei hat, müssen in der Begründungsschrift konkret die Tatsachen dargelegt werden, anhand derer die Beruhensfrage geprüft werden kann. Vorliegend ermöglicht die Begründungsschrift des Betroffenen eine Überprüfung seitens des Rechtsbeschwerdegerichts, ob nach diesen Grundsätzen eine Versagung rechtlichen Gehörs vorliegt. In der Begründungsschrift wird der Wortlaut des Schriftsatzes des Verteidigers des Betroffenen vom 24.07.2007, mit dem die Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen beantragt worden war, vollständig wiedergegeben. Aus der Begründungsschrift ergibt sich auch der dem Betroffenen zur Last gelegte Verkehrsverstoß. Der Begründungsschrift ist ferner zu entnehmen, dass und mit welcher Begründung der Betroffene einen Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gestellt hat. Ferner wird dargelegt, dass dieser Antrag vom Gericht nicht im Sinne des Betroffenen beschieden worden ist. Schließlich ist der Begründungsschrift zu entnehmen, dass der Betroffene eine Einlassung zur Sache abgegeben und außerdem erklärt hat, dass von ihm in der Hauptverhandlung keine weitere Aufklärung der Sache zu erwarten sei.

Bleibt der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung fern und wird daraufhin der Einspruch durch Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, so kann die Einspruchsverwerfung das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzen, wenn einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen (§ 73 Abs. 2 OWiG) zu Unrecht nicht entsprochen worden ist (OLG Hamm, Senatsbeschluss vom 20.09.2005 - 3 SsOWi 626/05 -).

Das Amtsgericht hätte dem Entbindungsantrag stattgeben müssen. Dieser ist wirksam gestellt worden. Insbesondere konnte dieser auch noch zu Beginn der Hauptverhandlung nach Aufruf der Sache durch den Verteidiger gestellt werden (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 16.08.2006 - 2SsOWi 348/06 -). Nach § 73 Abs. 2 OWiG entbindet das Gericht den Betroffenen auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Die Entbindung ist nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt (zu vgl. OLG Hamm, Senatsbeschluss vom 20.09.2005 - 3 SsOWi 626/05 -). Das Gericht ist vielmehr verpflichtet, dem Entbindungsantrag zu entsprechen, wenn die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen.

Auf dieser Grundlage kann die Entscheidung des Amtsgerichts keinen Bestand haben. Der Betroffene hatte seine Fahrereigenschaft eingeräumt. Mit Schriftsatz vom 24.07.2007 hatte der Verteidiger mitgeteilt, dass der Betroffene seine Fahrereigenschaft eingeräumt habe. Darüber hinaus hat er erklärt, dass der Betroffene in der Hauptverhandlung keine weitere Einlassung abgeben werde. Aufgrund dieser Angaben war klargestellt, dass von der persönlichen Anwesenheit des Betroffenen im Hauptverhandlungstermin keine weitergehende Aufklärung des Tatvorwurfs zu erwarten war. Im Übrigen war dem Verteidiger zudem eine Vertretungsvollmacht erteilt worden, so dass dieser Erklärungen für den Betroffenen hätte abgeben können. Schließlich beruht die angefochtene Entscheidung auf einem Verfahrensfehler, der seinen Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags des Betroffenen hat, so dass das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Minden zurückzuverweisen ist."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.

III.

Ergänzend bemerkt der Senat:

Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist zwischenzeitlich keine Verfolgungsverjährung eingetreten. Die Unterbrechung der Verfolgungsverjährung erfolgte zuletzt jeweils durch den Erlass des zweiten Bußgeldbescheides (§ 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG), den Eingang der Akten beim Amtsgericht (§ 33 Abs. 1 Nr. 10 OWiG), die Anberaumungen der Hauptverhandlungstermine am 08.01. und 18.01.2007 (§ 33 Abs. 1 Nr. 11 OWiG) sowie am 14.05.2007 und 11.06.2007. Dass in dem ersten Hauptverhandlungstermin der erste - bereits aufgehobene - Bußgeldbescheid verlesen wurde, ändert daran nichts. Zunächst ist die darin beschriebene Tat identisch mit der im zweiten Bescheid benannten Tat, so dass klar war, sich das Verfahren auf die Tat vom 19.04.2006 bezieht. Darüber hinaus war aber auch allen Beteiligten klar, dass es in dem Verfahren um den Bußgeldbescheid vom 06.11.2006 geht. Das ergibt sich daraus, dass darin der frühere Bescheid aufgehoben worden war, dass in der Mitteilung der Verwaltungsbehörde über die Abgabe an das Gericht der Bußgeldbescheid vom 06.11.2006 bezeichnet ist und dass in dem Schreiben des Verteidigers vom 24.07.2007, welches in der Rechtsbeschwerdeschrift im Wortlaut mitgeteilt wird, selbst auf den Bußgeldbescheid vom 06.11.2006 Bezug genommen wird.

Auch ein Verfahrenshindernis wegen eines zu unbestimmten Bußgeldbescheides besteht nicht. Dieser erfüllt, auch wenn darin nur die gefahrene Geschwindigkeit nach Abzug des Toleranzwertes (nicht aber der Toleranzwert selbst) angegeben ist, seine Umgrenzungsfunktion (vgl. OLG Hamm Beschl. v. 15.06.2007 - 1 Ss OWi 324/07). Dass im ersten Hauptverhandlungstermin der falsche Bußgeldbescheid verlesen wurde, stellt einen - hier allerdings nicht gerügten, weiteren - Verfahrensfehler, aber ebenfalls kein Verfahrenshindernis dar.

Ende der Entscheidung

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