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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 26.02.2004
Aktenzeichen: 3 Ss OWi 88/04
Rechtsgebiete: BKatV


Vorschriften:

BKatV § 4
Zum Absehen vom Regelfahrverbot
Beschluss

Bußgeldsache

gegen W.P.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen vom 30. Oktober 2003 gegen das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 16. Oktober 2003 - in den Gründen gem. § 77 b OWiG in Verbindung mit § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO ergänzt durch den Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 04. November 2003 - hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 26. 02. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Essen zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Essen hat durch das angefochtene Urteil gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb einer geschlossenen Ortschaft (fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 StVG in Verbindung mit §§ 3 Abs. 3 Ziff. 1, 49 Abs. 1 Ziff. 3 StVO) eine Geldbuße von 200,00 € festgesetzt. Von der Verhängung eines Fahrverbotes gem. § 4 Abs. 1 BKatV in Verbindung mit laufender Nummer 11.3.6 der Tabelle 1 c des Bußgeldkataloges hat das Amtsgericht abgesehen.

Nach den aufgrund der geständigen Einlassung des Betroffenen getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts befuhr dieser am 06. Mai 2003 um 06.52 Uhr mit dem Pkw, amtliches Kennzeichen XXXXXX in Essen die Zeunerstraße. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug 50 km/h. Die gemessene Geschwindigkeit betrug zumindest 82 km/h (abzüglich Toleranz). Der Betroffene hätte bei Einhaltung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können, dass er die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 32 km/h überschritt.

Unter Erhöhung der Regelgeldbuße von 100,00 € auf 200,00 € hat das Amtsgericht von der Verhängung des Fahrverbotes abgesehen. Hierzu hat es ausgeführt, dass der Betroffene sich in der Hauptverhandlung einsichtig und reuig gezeigt habe und es sich ausweislich des Verkehrszentralregisterauszuges um einen erstmaligen Verstoß gehandelt habe. Zudem habe sich der Vorfall in den frühen Morgenstunden ereignet, so dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer weitestgehend auszuschließen sei. Ferner sei zu berücksichtigen, dass die gemessene Geschwindigkeit von 82 km/h lediglich 2 km/h über der Grenze von 80 km/h gelegen habe, die in der Regel zur Verhängung eines Fahrverbotes führe. Zudem hat das Gericht berücksichtigt, dass der Betroffene, der von Beruf Mechaniker ist, angestellt bei der Firma MTW Motorgroup in Essen, nicht nur bezüglich der Zurücklegung der Fahrten von und zur Arbeitsstelle auf die Fahrerlaubnis angewiesen sei, sondern darüber hinaus auch im täglichen beruflichen Einsatz.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft Essen mit der Rechtsbeschwerde, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Rechtsbeschwerde ist ausweislich der Rechtsbeschwerdebegründung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und macht in erster Linie geltend, dass die Urteilsgründe ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes nicht tragen. Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel der örtlichen Staatsanwaltschaft beigetreten.

II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat einen zumindest vorläufigen Erfolg, denn die Rechtsfolgenentscheidung des angefochtenen Urteils weist einen materiell-rechtlichen Rechtsfehler auf. Die Begründung, mit der das Amtsgericht von der Verhängung des Regelfahrverbotes abgesehen hat, hält der rechtlichen Überprüfung nicht Stand.

Die Erwägungen, mit denen das Amtsgericht von der Verhängung eines Fahrverbotes gem. § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV in Verbindung mit laufender Nr. 11.3.6 der Tabelle 1 c des Bußgeldkataloges, § 4 Abs. 4 BKatV abgesehen hat, sind rechtsfehlerhaft. Zwar kann nach § 4 Abs. 4 BKatV in Ausnahmefällen unter Erhöhung der Geldbuße von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden. Nach obergerichtlicher Rechtsprechung reichen hierfür erhebliche Härten im Einzelfall oder aber eine Vielzahl für sich genommener gewöhnlicher durchschnittlicher Umstände aus, um eine Ausnahme zu begründen (BGH NZV 1992, 117, 119, Jagusch/Henschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., Rdnr. 15 b zu § 25 StVG mit zahlreichen w. N.). Die Entscheidung, ob trotz der Verwirklichung des Regeltatbestandes der Bußgeldkatalogverordnung der Einzelfall einen solchen Ausnahmecharakter hat, dass von einem Fahrverbot abgesehen werden kann, unterliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung. Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, vielmehr ist der ihm verbleibende Entscheidungsspielraum durch gesetzlich niedergelegte und durch von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt. Insoweit unterliegt die verhängte Rechtsfolge hinsichtlich ihrer Angemessenheit in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalles oder Regelfalles, zu der auch die Frage der Verhängung des Fahrverbots oder des Absehens von einem solchen nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist.

Weder der Umstand, dass die gemessene Geschwindigkeit nur knapp über dem Grenzwert der tabellarischen Stufe nach der Bußgeldkatalogverordnung lag, noch der Umstand, dass es sich um einen erstmaligen Verstoß und einen einsichtigen, geständigen Betroffenen handelte, sind Gründe, die bereits ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes rechtfertigen (vgl. NZV 95, 201, NZV 97, 240). Soweit der Tatrichter ein Absehen vom Fahrverbot aus beruflichen Gründen des Betroffenen für angemessen erachtet, tragen diese Erwägungen ein Absehen vom Fahrverbot ebenfalls nicht. Nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung rechtfertigt nicht jeder berufliche Nachteil die Ausnahme vom Regelfahrverbot, sondern grundsätzlich darf nur eine Härte ganz außergewöhnlicher Art, die ggf. im Verlust der wirtschaftlichen Existenz zu sehen ist, zum Verzicht auf ein Fahrverbot führen (vgl. OLG Hamm, VRS 90, 210, 212; OLG Hamm, DAR 1996, 325; OLG Hamm, NZV 1995, 366 f.). Insoweit fehlen jedoch ausreichende und geprüfte Feststellungen des Amtsgerichts zu den beruflichen Folgen eines Fahrverbotes für den Betroffenen. So war insbesondere zu erörtern, ob mögliche berufliche Folgen dadurch gemildert werden können, dass der Betroffene seinen Jahresurlaub oder zumindest einen Teil davon während der Dauer des Fahrverbots in Anspruch nimmt. Weiter bedarf es der Prüfung, inwieweit der Betroffene zumindest vorübergehend etwa durch Wechsel oder Tausch des Einsatzgebietes seine Arbeit auch ohne Führerschein nachkommen kann. Die eigenen Angaben des Betroffenen sind zudem nicht ungeprüft und unkritisch hinzunehmen, sondern hinsichtlich der Glaubhaftigkeit in geeigneter Weise zu überprüfen (vgl. Jagusch/Henschel, a. a. O., Senatsbeschlüsse vom 11.03.1997 - 3 Ss OWi 100/97 - und vom 24.05.1998 - 3 Ss OWi 160/98).

Nach alledem sind durch das Amtsgericht weitere tatsächliche Feststellungen zu treffen. Wegen der Wechselwirkung von Bußgeldhöhe und Fahrverbot kann der Rechtsfolgenausspruch insgesamt keinen Bestand haben. Der Senat hat ihn daher mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Essen zurückverwiesen, welches auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde zu befinden haben wird. Für eine Verweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Essen besteht kein Anlass.



Ende der Entscheidung

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