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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 20.09.2007
Aktenzeichen: 3 Ss OWi 900/06
Rechtsgebiete: OWiG, StPO


Vorschriften:

OWiG § 74
StPO § 267
Im Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG müssen sowohl die Umstände, die nach Auffassung des Betroffenen sein Fernbleiben in der Hauptverhandlung entschuldigen sollten, als auch die Erwägungen des Tatrichters, diese nicht als genügende Entschuldigung anzusehen, so ausführlich und vollständig dargelegt werden, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein anhand der Urteilsgründe die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung zu überprüfen vermag.
Beschluss

Bußgeldsache

gegen M.J.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Marl vom 19.05.2006 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 20. 09. 2007 durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin (§ 80 a Abs. 1 OWiG) nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde wird wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs zugelassen.

Das angefochtene Urteil wird nebst den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Marl zurückverwiesen.

Gründe:

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 05.01.2007 u.a. Folgendes ausgeführt:

"I.

Der Landrat des Kreises Recklinghausen hat gegen den Betroffenen durch Bußgeldbescheid vom 13.09.2005 wegen Nichteinhaltens des erforderlichen Abstandes von einem vorausfahrenden Fahrzeug eine Geldbuße in Höhe von 112,50 EUR verhängt (Bl. 4-5 d.A). . In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Marl am 19.05.2006 ist der Betroffene nicht erschienen. Das Amtsgericht hat daraufhin den Einspruch des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 2 OWiG wegen unentschuldigten Ausbleibens des Betroffenen im Hauptverhandlungstermin verworfen (BI. 51-52 d.A.). Gegen dieses seinem Verteidiger am 24.05.2006 (Bl. 55 d.A.) zugestellte Verwerfungsurteil hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 30.05.2006, bei dem Amtsgericht Marl per Telefax eingegangen am 31.05.2006 (BI. 57ff. d.A.), Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Das Amtsgericht Marl hat am 22.06.2006 den Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen das Verwerfungsurteil als unbegründet verworfen (BI. 73 f. d.A.).

Mit Beschluss des Landgerichts Essen vom 07.08.2006 (BI. 86-87 d.A.) ist die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde des Betroffenen als unbegründet verworfen worden.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig gestellt und form- und fristgerecht begründet worden.

Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, da es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben. Die Verfahrensrüge des Betroffenen, mit der er die Gesetzwidrigkeit der Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG geltend macht und damit auch die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt, entspricht den Anforderungen der §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

Wird die Versagung rechtlichen Gehörs gerügt, muss in der Begründungsschrift durch entsprechenden Tatsachenvortrag schlüssig dargelegt werden, dass ein Verstoss gegen Art. 103 Abs. 1 GG vorliegt. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gibt einen Anspruch darauf, sich zu allen entscheidungserheblichen und dem Betroffenen nachteiligen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern. Bleibt der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung fern und wird daraufhin der Einspruch des Betroffenen durch Urteil gem. § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, so kann die Einspruchsverwerfung das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzen, wenn rechtzeitig vorgebrachte und hinreichende Entschuldigungsgründe von dem erkennenden Gericht nicht berücksichtigt worden sind (zu vgl. BayObLG, DAR 2003, 463; OLG Köln NZV 1999, 264; 1992, 419). Der Beschwerdeschrift ist hinreichend zu entnehmen, dass der Betroffene Entschuldigungsgründe für sein Nichterscheinen in der Hauptverhandlung, nämlich die beruflich die veranlasste Teilnahme am Sommerfest "Lebendiger Jungfernstieg" in der Zeit vom 19.05.2006 bis 21.05.2006, vorgebracht hat. Die Rechtsbeschwerde macht geltend, das Gericht habe diese Entschuldigung zu Unrecht als nicht ausreichend gewertet. Sie stellt damit in verfahrensrechtlich zulässiger Weise die angefochtene Entscheidung mit der Rüge, das Amtsgericht habe den Begriff der genügenden Entschuldigung verkannt, zur Überprüfung.

Die somit formgerecht mit der Verfahrensrüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtlichen Gehör und eines Verstosses gegen § 74 Abs. 2 OWiG erhobene Rechtsbeschwerde hat in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg. Die Urteilsbegründung des Amtsgerichts genügt bereits nicht den Anforderungen, die an den notwendigen Inhalt eines gemäß § 74 Abs. 2 OWiG ergangenen Verwerfungsurteil zu stellen sind.

Danach müssen sowohl die Umstände, die nach Auffassung des Betroffenen sein Fernbleiben in der Hauptverhandlung entschuldigen sollten, als auch die Erwägungen des Tatrichters, diese nicht als genügende Entschuldigung anzusehen, so ausführlich und vollständig dargelegt werden, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein anhand der Urteilsgründe die Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung zu überprüfen vermag (vgl. Senatsbeschluss vom 28.10.2002 - 2 Ss OWi 873/02 -; Senat in MDR 1997, 686; BayObLG, NJW 1999, 879; OLG Köln, NZV 1999, 261; Göhler, OWiG, 14. Auflg., § 74 Rdn. 48 b m.w.N.). Insbesondere muss aus den Gründen ersichtlich sein, ob der Tatrichter den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung zutreffend erkannt und angewendet hat. Insoweit ist maßgeblich, ob der Betroffene nach den Umständen, die dem Tatrichter bekannt sind oder hätten bekannt sein müssen, tatsächlich entschuldigt ist. Nicht entscheidend ist, ob er sich entschuldigt hat. Bei unaufschiebbaren und besonders bedeutsamen beruflichen oder geschäftlichen Angelegenheiten kann dem Betroffenen ausnahmsweise das Erscheinen vor Gericht unzumutbar sein (OLG Düsseldorf, NJW 1997, 2062). Ob diese Voraussetzungen vorliegend erfüllt sind, hätte das Amtsgericht, das durch Schriftsatz des Verteidigers vom 17.05.2006 Kenntnis von der Verkaufstätigkeit in Hamburg genommen hat, im Wege des Freibeweises etwa durch Nachfrage beim Verteidiger oder durch telefonische Rücksprache mit dem Betroffenen selbst, insbesondere inwieweit eine Vertretung möglich ist, ermitteln und in der Urteilsbegründung detailliert unter Abwägung der Pflicht zum Erscheinen einerseits und der Bedeutung der beruflichen Hinderungsgründe andererseits darlegen müssen. Hierüber hat das Amtsgericht hingegen keine ausreichenden Feststellungen getroffen. In den Urteilsgründen heißt es hierzu lediglich, "die von dem Betroffenen vorgetragenen Gründe sind keine genügende Entschuldigung, da der Betroffene den Termin im Mai trotz seiner Verkaufstätigkeit in Hamburg hätte wahrnehmen können. Es wäre nämlich möglich gewesen, sich für einige Stunden durch Mitarbeiter vertreten zu lassen". Einzelheiten darüber, wann die Geschäftsreise festgelegt worden ist, ob die Termine hätten verschoben werden können oder durch einen anderen Mitarbeiter des Betroffenen wahrgenommen werden können oder ob eine persönliche Anwesenheit des Betroffenen erforderlich war, sind in dem Urteil ebenso wenig dargelegt wie die Erwägungen des Tatrichters, diese als nicht genügende Entschuldigung anzuerkennen.

Dem Rechtsbeschwerdegericht ist daher eine Überprüfung des angefochtenen Urteils zur Frage der Entschuldigung des Betroffenen verwehrt. Dieser Begründungsmangel wäre nur dann unschädlich, wenn die vom Betroffenen vor Erlass des Urteils vorgetragenen Entschuldigungsgründe von vornherein und offensichtlich ungeeignet gewesen wären, sein Fernbleiben zu entschuldigen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 24.06.1999 - 4 Ss OWi 404/99 - m.w.N.). Ein derartiger Ausnahmefall liegt bei der vorgebrachten Verhinderung wegen wichtiger Geschäftstermine aber nicht vor. Zwar haben berufliche Angelegenheiten gegenüber der Pflicht, vor Gericht zu erscheinen, grundsätzlich zurückzutreten. In besonderen Fällen, wenn berufliche oder geschäftliche Angelegenheiten unaufschiebbar und von besonderer Bedeutung sind, können sie aber bei einer Gesamtbetrachtung das Erscheinen in der Hauptverhandlung für den Betroffenen unzumutbar machen (zu vgl. Göhler, a.a.O., § 74, Rdn. 29 m.w.N.)."

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an und macht sie zur Grundlage seiner Entscheidung.

Ende der Entscheidung

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