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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 07.12.2005
Aktenzeichen: 3 U 107/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 14.04.2005 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Münster abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe: I. Die am 21.07.1945 geborene Klägerin verlangt von dem Beklagten die Zahlung von Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für alle weiteren materiellen und immateriellen Schäden wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung (unterlassene Thromboseprophylaxe vor und nach einer diagnostischen Laparoskopie des Unterbauchs vom 03.05.1999) im Rahmen der stationären Behandlung vom 02.05. bis 08.05.1999 auf der gynäkologischen Abteilung der P.-Klinik in N, deren Chefarzt der Beklagte ist. Nach der am 03.05.1999 durchgeführten Laparoskopie und einem weiteren - nicht vom Beklagten durchgeführten - Eingriff vom 12.05.1999, der als Minimaleingriff keine Thromboseprophylaxe erforderte, wurde am 21.05.1999 bei der Klägerin eine tiefe Beinvenenthrombose links festgestellt. Seitdem befindet sie sich laufend in ärztlicher Behandlung. Erst am 16.07.1999 wurde eine APC-Resistenz (Faktor - V-Leiden) der Klägerin festgestellt. Hierbei handelt es sich um den häufigsten genetisch bedingten Risikofaktor für die Entstehung von Thromboembolien. Das Landgericht hat nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens nebst ergänzender Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. P einen groben Behandlungsfehler festgestellt und den Beklagten - mit Ausnahme der Zinsmehrforderung - antragsgemäß verurteilt. Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen. Mit der Berufung wiederholt und vertieft der Beklagte seinen erstinstanzlichen Sachvortrag und macht im Wesentlichen geltend: Die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. P seien nicht geeignet, die rechtliche Wertung des Landgerichts, das Unterlassen einer Thromboseprophylaxe sei ein grober Behandlungsfehler, zu tragen. Der Beklagte habe das Thromboserisiko keineswegs ignoriert, sondern den konservativen Weg der Prophylaxe gewählt und deshalb Anweisung gegeben, die Klägerin noch am Operationstag zu mobilisieren. Das Landgericht habe fehlerhaft einen Kausalzusammenhang zwischen der unterlassenen Thromboseprophylaxe und der später eingetretenen Thrombose bejaht. Vorsorglich hat der Beklagte die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür beantragt, dass die am 21.05.1999 festgestellte Thrombose nicht auf die unterlassene Thromboseprophylaxe zurückzuführen sei. Der Beklagte beantragt, das am 14.04.2005 verkündete und am 21.04.2005 zugestellte Urteil des Landgerichts Münster, Aktenzeichen 11 O 1059/04 aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie verteidigt das angefochtene Urteil und macht im Wesentlichen geltend: In der Anhörung habe der Sachverständige sein schriftliches Gutachten präzisiert und ausgeführt, dass die Erstoperation Ursache der Thrombose gewesen sein könne. Das Unterlassen der Thromboseprophylaxe im Rahmen der Erstoperation sei ein grober Behandlungsfehler. Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die beigezogenen Behandlungsunterlagen und das Sitzungsprotokoll vom 07.12.2005 Bezug genommen. Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch Vernehmung des Sachverständigen Prof. Dr. P. II. Die Berufung ist begründet. Das Urteil ist abzuändern und die Klage abzuweisen, da der Klägerin entgegen der Auffassung des Landgerichts keine Schadensersatzansprüche gegenüber dem Beklagten zustehen. Der Senat folgt bei der Bewertung der medizinischen Zusammenhänge den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. P. Der Sachverständige hat sein schriftliches Gutachten vom 03.09.2004 erläutert und seine bisher im Rechtsstreit gemachten Ausführungen ergänzt. 1. Im Ausgangspunkt ist das Landgericht zwar zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte behandlungsfehlerhaft handelte, indem er die Klägerin am 03.05.1999 ohne vorherige Thromboseprophylaxe operiert hat. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. P hätte der Beklagte am Vortag der diagnostischen Laparoskopie eine Thromboseprophylaxe beginnen und diese bis zum Entlassungstag - dem 08.05.1999 - durchführen müssen. Denn die Operationsdauer (55 Minuten) und die Schwere des Eingriffs (Lösen erheblicher Verwachsungen; Resektion) indizierten ohne Zweifel eine "mittlere Operation", die eine solche Prophylaxe generell erforderlich macht. Darüber hinaus lagen bei der Klägerin weitere Risikofaktoren vor (Lebensalter 53 Jahre; Nikotinabusus). Die von dem Beklagten durchgeführte frühe Mobilisation der Klägerin erfüllt nach den Feststellungen des Sachverständigen nicht die Voraussetzungen für eine Thromboseprophylaxe; vielmehr kam hierfür nur der Einsatz von Thrombose hemmenden Stoffen (Heparin, Marcurmar) in Betracht. 2. Die Klägerin hat jedoch nicht den ihr obliegenden Beweis erbracht, dass der Behandlungsfehler des Beklagten für die tiefe Beinvenenthrombose ursächlich geworden ist. Denn es steht nicht fest, dass durch den Einsatz von Heparin die aufgetretene Thrombose verhindert worden wäre. Der Sachverständige Prof. Dr. P hat dazu ausgeführt, dass es sehr fraglich ist, ob die Thromboseprophylaxe die spätere Thrombose verhindert hätte, weil bereits etwa 24 Stunden nach der Einnahme nahezu keine Wirkung des Heparins mehr festzustellen und eine neue Gabe erforderlich ist. Auch dem Senat ist aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt, dass der Einsatz von Heparin zwar die Wahrscheinlichkeit der Entstehung einer Thrombose signifikant herabsetzt (so unter anderem z. B. Senat, Urteil vom 13.10.2003, 3 U 71/03). Es verbleibt jedoch ein so hoher Prozentsatz an Fällen, in denen sich trotz adäquater Thromboseprophylaxe das entsprechende Risiko in Form von Thromben verwirklicht hat, dass begründete Zweifel an der Kausalität verbleiben. Der Sachverständige hat zur Frage der Ursächlichkeit lediglich festgestellt, dass es möglich ist, dass sich während der unterlassenen Thromboseprophylaxe vom 03.05. bis 08.05.1999 ein Focus gebildet hat, auf dessen Grundlage sich später die Thrombose entwickelte. Der Sachverständige hat aber auch diese Feststellung dahingehend eingeschränkt, dass selbst mit heute vorhandenen medizinischen Mitteln nicht festgestellt werden kann, ob sich vorliegend tatsächlich ein Focus gebildet hatte oder nicht. Vielmehr befindet man sich in diesem Bereich auf dem Gebiet der Spekulation. Beweiserleichterungen kommen der Klägerin nicht zugute. Der Sachverständige hat den unterbliebenen Einsatz von Heparin nicht als ein medizinisches Fehlverhalten bezeichnet, das aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler dem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Damit ist ein grober Behandlungsfehler nicht festzustellen. Hinsichtlich der Angaben vor dem Landgericht (Anhörung vom 10.02.2005), in denen er es als "unverständlich" bezeichnet hatte, dass bei der Operation vom 03.05.1999 keine Thromboseprophylaxe durchgeführt wurde, hat der Sachverständige bei seiner Vernehmung durch den Senat eine Klarstellung dahingehend vorgenommen, dass "unverständlich" im Sinne von "es liegt ein klarer und eindeutiger Behandlungsfehler vor" zu verstehen sei. Einen im Rechtssinne groben Behandlungsfehler hätte der Sachverständige nur dann als gegeben erachtet, wenn das Faktor - V-Leiden der Klägerin bereits zum Zeitpunkt des Ersteingriffs am 03.05.1999 bekannt gewesen, aber keine Thromboseprophylaxe betrieben worden wäre. Vorliegend war auch zu berücksichtigen, dass die Leitlinien des Jahres 1999 der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie eine Thromboseprophylaxe nicht für obligat halten, sondern eine solche nur empfehlen. Insoweit hat der Sachverständige ausgeführt, dass eine Veränderung des medizinischen Standards seit Anfang/Mitte der 90iger Jahre dergestalt zu beobachten ist, dass die neuen, aktuellen Leitlinien kritischer im Sinne von "weicher" als frühere Leitlinien formuliert sind. Zudem ist in jedem Einzelfall das Risiko einer Nachblutung abzuwägen. Das führt zu dem Ergebnis, dass die hier vorliegende diagnostische Laparoskopie im Unterbauchbereich einen erheblich geringeren Risikofaktor darstellt als beispielsweise eine offene Unterschenkelfraktur im Jahre 2000, die Gegenstand des mit dem Sachverständigen erörterten Senatsurteils vom 13.10.2003 (a.a.O.) war und unter den dort gegebenen Bedingungen ein Hochrisikoprofil darstellte. Gleichwohl ist auch im dortigen Verfahren ein anderer Sachverständiger - und diesem folgend der Senat - nicht von einem grob fehlerhaften Versäumnis ausgegangen. In der Gesamtschau liegt damit zwar ein eindeutiger Behandlungsfehler des Beklagten vor, aber noch kein Verstoß gegen elementare Grundsätze, so dass der Fehler nicht schlechterdings unverständlich ist. Die prozessualen Nebenentscheidungen resultieren aus den §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Entscheidung des Senats betrifft einen Einzelfall, der keine grundsätzliche Bedeutung besitzt. Von Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte oder des Bundesgerichtshofs ist der Senat nicht abgewichen. Das Urteil beschwert die Klägerin mit weniger als 20.000,-- Euro.

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