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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 21.12.2005
Aktenzeichen: 3 U 137/05
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 529
ZPO § 531
ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1
BGB § 253 Abs. 2
BGB § 280 Abs. 1
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 847 a.F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 25. Mai 2005 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die am 07.06.1947 geborene Klägerin verlangt von dem Beklagten die Zahlung von Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für alle materiellen und alle künftigen immateriellen Schäden wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung im Rahmen der stationären Behandlungen vom 09.04. bis 20.04.2002 und vom 03.11. bis 15.11.2002 im Elisabeth-Hospital in S, wo der Beklagte - ein niedergelassener Facharzt für Orthopädie - als Belegarzt am 10.04.2002 und am 04.11.2002 jeweils eine Operation am linken Fuß durchgeführt hat.

Am 10.04.2002 wurde u.a. eine Hallux valgus-Operation durchgeführt (Großzehenkorrektur nach Reverdin/Green; Hammer- bzw. Krallenzehen bei D 2 bis D 4), am 04.11.2002 u.a. eine Hallux varus-Operation (Großzehenkorrektur; Krallenzehe D 5).Die Klägerin behauptet u.a. eine Fehlstellung der linken Großzehe nach der zweiten Operation sowie eine bestehende Taubheit im Vorderfuß.

Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines schriftlichen fachorthopädischen Gutachtens nebst Ergänzungsgutachten des Sachverständigen X abgewiesen. Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Mit der Berufung macht die Klägerin im Wesentlichen geltend:

Es habe bereits keine Indikation für den Eingriff vorgelegen, der Beklagte habe vielmehr auf eine Gewichtsreduktion hinweisen müssen. Der Eingriff sei auch behandlungsfehlerhaft ausgeführt worden. Seit dem Eingriff sei der gesamte Vorderfuß taub, Folge sei eine erhebliche Gehbehinderung, weil sie den Fuß nicht mehr abrollen könne. Der Beklagte habe sie zudem nicht hinreichend aufgeklärt, es fehle bereits die Grundaufklärung über den Schweregrad des Eingriffs. Der Beklagte habe bei überaus zweifelhafter Erfolgsaussicht einen Eingriff mit greifbarem Letalitätsrisiko gewagt. Bei ordnungsgemäßer Aufklärung hätte sie dem nicht zugestimmt. Sie hätte zunächst ihr Gewicht reduziert, offene Schuhe getragen und dann weiter gesehen. Das Landgericht habe schließlich Beweisangebote unberücksichtigt gelassen.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils

1. den Beklagten zu verurteilen, an sie ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld und 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.09.2003 zu zahlen,

2. festzustellen, dass der Beklagte auch verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen weiteren nicht vorhersehbaren immateriellen und sämtlichen materiellen Schaden zu ersetzen, der der Klägerin aus der fehlerhaften Behandlung bei dem Beklagten in den Jahren 2001 bis Ende 2002 entstanden ist und noch entstehen wird, soweit er nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen ist.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und macht im Wesentlichen geltend:

Die Klägerin sei vor den operativen Eingriffen ordnungsgemäß aufgeklärt worden, insbesondere auch über das in ihrem Fall erhöhte Thrombose-/Embolierisiko, und dies nicht nur durch ihn, den Beklagten, sondern zudem auch durch den Chefarzt Prof. Dr. L. Der Beklagte sieht das Vorbringen zum Entscheidungskonflikt als verspätet an. Zudem sei die Klägerin über Jahre hinweg nicht bereit gewesen, ihr Gewicht zu reduzieren; sie hätte deshalb in jedem Fall in den Eingriff eingewilligt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die beigezogenen Behandlungsunterlagen und das Sitzungsprotokoll zum Senatstermin vom 21.12.2005 Bezug genommen.

II.

Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten weder Schadensersatzansprüche aus den §§ 823 Abs. 1, 847 a.F. BGB oder aus Schlechterfüllung des Behandlungsvertrags (Operation vom April 2002) noch stehen ihr solche Ansprüche aus den §§ 280 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB bzw. aus den §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB (Operation vom November 2002) zu.

Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen. Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme kann auch der Senat keinen Behandlungsfehler im Rahmen der medizinischen Versorgung der Klägerin im April und November 2002 feststellen. In der medizinischen Beurteilung des Geschehens folgt auch der Senat den Feststellungen des Sachverständigen X, der sein schriftliches Gutachten vom 27.10.2004 eingehend und sachlich überzeugend begründet und dies durch ergänzende Stellungnahme vom 08.02.2005 erläutert hat.

1.

Sowohl die Hallux valgus-Operation vom 10.04.2002 als auch die Hallux varus-Operation vom 04.11.2002 waren zweifelsfrei indiziert.

Unter Berücksichtigung der Krankheitsgeschichte der Klägerin, und hier insbesondere die mit den Fehlstellungen der Zehen verbundenen dauernden Beschwerden, waren nach den Ausführungen des Sachverständigen sowohl die Erstoperation als auch - nach der schicksalhaft eingetretenen Überkorrektur - die Zweitoperation ohne echte Alternative.

Entgegen der Auffassung der Klägerin war der Beklagte nicht verpflichtet, sie zuvor auf eine Gewichtsreduktion hinzuweisen, denn hierzu war die Klägerin über Jahre hinweg nicht bereit. Bei ihr besteht seit Jahren eine Adipositas per magna. Bereits in dem Arztbrief Dr. F vom 04.05.1993 (Bl. 62 d.A.) ist ein adipöser Ernährungszustand der Klägerin aufgeführt. Selbst die während des Aufenthalts in der orthopädischen Fachklinik Y vom 19.09. bis 10.10.2002 dringend angestrebte Gewichtsreduzierung verlief ergebnislos: Das Aufnahme- und das Entlassungsgewicht waren identisch.

2.

Die Durchführung beider Operationen verlief nach den Feststellungen des Sachverständigen ohne Auffälligkeiten, war fehlerfrei und entsprach damit dem guten Facharztstandard. Anhand der postoperativ gefertigten Röntgenaufnahmen vom 24.04.2002 und 08.05.2002 hat der Sachverständige festgestellt, dass die linke Großzehe gerade und regelrecht positioniert war bei bereits stattgehabter Durchbauung der Mittelfußknochenosteotomien. Die ursprünglich - auf den präoperativen Aufnahmen - vorhandenen Zehengrundgelenkfehlstellungen waren nicht mehr nachweisbar. Damit konnte zunächst sowohl die weichteilmäßige als auch die knöcherne Korrektur der Fehlstellung erreicht werden.

Auf den Röntgenaufnahmen vom 04.07.2002 und 28.10.2002 hat sich dann zwar eine zunehmende Fehlstellung der linken Großzehe im Sinne einer Überkorrektur der korrigierten Großzehengrundgelenkstellung (sog. Hallux varus-Stellung) gezeigt. Die Ursache der Überkorrektur liegt aber offensichtlich in einer schicksalhaften narbigen Schrumpfung der Großzehengrundgelenkskapsel, die in diesem Umfang weder vorhersehbar noch vermeidbar war. Andere Ursachen sind nach den Feststellungen des Sachverständigen auszuschließen.

Im Hinblick auf diese Ausführungen des Sachverständigen war das Landgericht auch nicht gehalten, zur Frage des behaupteten Behandlungsfehlers noch ergänzend die Bl. 13 und Bl. 61 d.A. benannten Zeugen zu vernehmen; hier geht es allein um Sachverständigen-, nicht um Zeugenbeweis.

Auch nach der zweiten Operation hat sich im Röntgenbild vom 19.11.2002 eine regelrechte Stellung der Großzehe und der Kleinzehe gezeigt.

3.

Auch die Aufklärungsrüge der Klägerin bleibt erfolglos.

Grundsätzlich besteht zwar eine Haftung des behandelnden Arztes für alle Folgen eines - mangels hinreichender Aufklärung - rechtswidrigen Eingriffs. Die Klägerin ist im Ergebnis aber hinreichend aufgeklärt worden, teilweise bedurfte sie ohnehin keiner Aufklärung mehr.

In den Perimed-Bögen vom 22.03./02.04.2002 und vom 28.10./03.11.2002 hat die Klägerin unterzeichnet, über die jeweils geplante Operation in einem Aufklärungsgespräch ausführlich informiert worden zu sein. Der Perimed-Bogen enthält nach den Feststellungen des Sachverständigen eine ausführliche Darstellung und Erwähnung sämtlicher möglicher Komplikationen. Zudem hat der Beklagte in beide Perimed-Bögen die jeweils vorgesehenen operativen Maßnahmen eingezeichnet und auch entsprechend im Begleittext angekreuzt. Unstreitig hat auch jeweils das erforderliche vertrauensvolle Gespräch zwischen der Klägerin und dem Beklagten stattgefunden.

Der Schweregrad der Operation ist sowohl im Perimed-Bogen benannt ("bis hin zu einer lebensbedrohlichen Lungenembolie trotz aller Vorbeugung.") als auch schon präoperativ der Klägerin bekannt gewesen. Sie hat bereits in der Klageschrift (Bl. 12 d.A.) vorgetragen, sich die (erste) Operation lange überlegt zu haben, weil sie über längere Zeiträume blutverdünnende Mittel genommen habe und deshalb für sie jede Operation "letztlich lebensgefährlich" - so die Klägerin - gewesen sei.

Auf das Risiko einer Nervenverletzung, die in der Regel folgenlos bleibt, aber eben auch Ausnahmen kennt, wird ausdrücklich im Perimed-Bogen hingewiesen.

Ebenfalls wird dort ausdrücklich auf das Risiko einer Überkorrektur hingewiesen. Entgegen den Ausführungen in der Berufungsbegründung bestand für die Klägerin auch kein deutlich erhöhtes Risiko einer Narbenbildung mit der Folge einer dadurch provozierten Überkorrektur. Der Sachverständige hat dazu ausgeführt, dass es in etwa 5 bis 7 % der Operationen zu einer Überkorrektur (intraoperativ und postoperativ) kommt. Das Risiko einer Überkorrektur durch narbige Schrumpfung liegt noch deutlich darunter.

Schließlich ist die Klägerin nicht nur von dem Beklagten, sondern auch von dem Chefarzt Prof. Dr. L auf das in ihrem Fall wegen des Faktor-V-Leidens besondere Thromboserisiko hingewiesen worden. Dies folgt aus dem Arztbrief Dr. L vom 05.03.2002 und vom 04.11.2002.

Zudem ist in jedem Fall von einer hypothetischen Einwilligung der Klägerin auszugehen, denn sie hat einen subjektiven Entscheidungskonflikt - unabhängig davon, ob dieses Vorbringen gemäß den §§ 529, 531 ZPO zurückzuweisen ist - nicht hinreichend plausibel dargelegt.

Zwar gilt die Patientenhoheit auch für solche Entscheidungen, die Dritte nicht ohne Weiteres nachzuvollziehen vermögen, es bedarf aber in einem solchen Fall näherer Darlegung, inwiefern ein subjektiver Entscheidungskonflikt vorgelegen haben soll. Hieran fehlt es vorliegend. Die Klägerin hat nach eigenen Angaben in den Jahren 1961 bis 2000 insgesamt 9 Operationen vornehmen lassen, darunter u.a. 1984 eine Hallux valgus-Operation links und 1993 eine Hallux valgus-Operation rechts. Im Jahr 1996 ist es - ohne Operation - zu einer Thrombose (Lungenembolie) gekommen. In der Folge ist das Faktor-V-Leiden der Klägerin festgestellt worden.

Der Klägerin war demnach spätestens seit 1996 bekannt, dass jede Operation gerade für sie ein erhebliches (Thrombose-)Risiko beinhaltete. Wegen der immer stärker werdenden Beschwerden hat sie sich dennoch zur Operation entschlossen.

Vor den Eingriffen von April und November ist die Klägerin zudem jeweils über mehrere Tage stationär im Elisabeth-Krankenhaus aufgenommen worden, um wegen der Risiken im Hinblick auf das bekannte Faktor-V-Leiden von dem Medikament Marcumar auf eine intravenöse Heparingabe umgestellt zu werden, weil mit Ausnahme des Heparinprodukts der Firma O bei ihr eine Heparin-Allergie bestand.

Bei dieser Sachlage - Inkaufnahme schwerer Thromboserisiken, Durchführung von Eingriffen vergleichbarer Schwere wie im Jahre 2002 sowohl vor als auch nach Kenntnis von dem Faktor-V-Leiden - ist ein plausibler Entscheidungskonflikt nicht mehr darstellbar.

Die prozessualen Nebenentscheidungen resultieren aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht.

Das Urteil beschwert die Klägerin mit mehr als 20.000,00 €.

Ende der Entscheidung

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