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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 19.01.2004
Aktenzeichen: 3 U 160/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 847 a. F.
BGB § 823
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 160/03 OLG Hamm

Verkündet am 19. Januar 2004

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 19. Januar 2004 durch den Richter am Oberlandesgericht Sommerfeld als Vorsitzenden sowie die Richter am Oberlandesgericht Lüblinghoff und Kosziol

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 7. Mai 2003 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der im Jahr 1977 geborene Kläger erlitt am Morgen des 03.05.1996 auf dem Weg zur Arbeit mit seinem PKW einen Verkehrsunfall. Dabei war er frontal gegen einen Baum geprallt. Aufgrund der sehr erheblichen Kopfverletzungen wurde der Kläger noch am Unfallort intubiert und per Rettungshubschrauber zur stationären Behandlung in die Städtischen Kliniken ... geflogen. Bei Einlieferung durch den erstversorgenden Notarzt war der Kläger intubiert, analgosediert und kontrolliert beatmet. Dabei zeigten sich u. a. im Bereich des Schädels multiple Schnittwunden im Bereich des Unterkiefers; der gesamte Gesichtsschädel wird bei der Aufnahme als instabil beschrieben. Aufgrund des festgestellten Befundes wurde unmittelbar eine Computertomographie des Schädels angeordnet. Der radiologische Befund ergab u. a. eine Trümmerfraktur des Gesichtsschädels mit Einbeziehen der Knochenwand des Sinus maxillaris, beidseits Dislokation von Frakturfragmenten im ventrolateralen Anteil des sinus maxillaris, links mehr als rechts; ferner eine Trümmerfraktur im Bereich des sinus ethmoidalis beidseits, Orbitabodenfraktur beidseits, links stärker als rechts, Fraktur der lateralen Orbitawand links mit Dislokation nach lateral. Hinweise für eine intracerebrale Blutung sowie für ein Hirnödem lagen nicht vor. Eine Konsiliaruntersuchung durch einen Mund-, Kiefer- Gesichtschirurgen der Städtischen Krankenanstalten ... vom 04.05.1996 beschreibt einen "weiterhin intubierten, sedierten und kontrolliert beatmeten Patienten". Es wird u. a. eine weiterhin leichte Anisokorie links größer als rechts beschrieben und eine ophalmologische Untersuchung empfohlen. Noch am selben Tag wird von der Beklagten, die Fachärztin für Augenheilkunde ist, eine augenärztliche Konsiliaruntersuchung durchgeführt. Die konsiliarische Fragestellung lautet: "Bulbuskontusion? Procedere von augenärztlicher Seite". Die Beklagte fand den Kläger intubiert und sediert vor. Die Augen des Klägers waren bereits mit Salbe versorgt worden. Die Beklagte stellte fest, daß bei dem Kläger ein Brillenhämatom, links ausgeprägter als rechts bestand. Eine Anisokorie (eine seitendifferente Weite der Pupillen) lag nach den Feststellungen der Beklagten zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht vor. Die Bindehaut war chemotisch; eine Bulbusperforation bestand nicht. Die Pupille wurde als rund und eng beschrieben. Aufgrund des Salbenfilms war ein Funduseinblick nicht möglich. Die Beklagte verordnete feuchte Umschläge für die Augenlider sowie die äußerliche Anwendung von Heparin AS. Eine Kontrolle sollte für Montag, den 06.05.1996 erfolgen, wobei der Kläger ohne aufgelegte Augensalbe vorgestellt werden sollte. Am 05.05.1996 wurde der Kläger in bewußtseinsklarem Zustand von ... in die Universitätsklinik in ... verlegt. Dort wurde am 06.05.1996 um 16.00 Uhr das erste und um 19.30 Uhr das zweite augenärztliche Konsil durchgeführt. Dabei wurde festgestellt, daß die geweitete Pupille links nicht mehr auf Licht reagierte. Noch am selben Abend wurde eine Dekompressionsoperation durchgeführt. Bereits das augenärztliche Konsil des ersten postoperativen Tages am 07.05.1996 ergab eine komplette Erblindung des linken Auges. Dieser Befund änderte sich in der Folgezeit nicht mehr.

Der Kläger hat die Beklagte auf Zahlung eines Schmerzensgeldes - Vorstellung: 40.000,- Euro - und Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz zukünftiger materieller und immaterieller Schäden in Anspruch genommen. Er hat behauptet, die Konsiliaruntersuchung am 04.05.1996 sei nicht fachgerecht durchgeführt worden. Die Beklagte habe es insbesondere unterlassen, beide Augen zu untersuchen und einen sogenannten swinging-flash-light-Test durchzuführen. Wenn dies geschehen wäre, wäre eine Sehnervschädigung am linken Auge festgestellt und eine sofortige Operation durchgeführt worden. Dann wäre er auf dem linken Auge nicht erblindet. Die Beklagte hat behauptet, die Konsiliaruntersuchung am 05.05.1996 regelrecht durchgeführt zu haben. Aus dem CT habe sich kein Anhalt für eine Kompression des Sehnerven ergeben. Sie habe beide Augen des Klägers untersucht, die Pupillen seien gleich eng gewesen. Obwohl sie versucht habe, die Salbe in den Augen zu entfernen, sei ihr aufgrund des verbliebenen Salbenfilm ein Einblick auf die Netzhaut und den Sehnerven nicht möglich gewesen. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, daß der Kläger nicht bewiesen habe, daß die Konsiliarutnersuchung der Beklagten vom 04.05.1996 nicht fachgerecht gewesen sei.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der Berufung und beantragt,

das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 07.05.2003 - Aktenzeichen 4 U 260/02 - abzuändern und

1.

die Beklagte zu verurteilen, an ihn aufgrund der ärztlichen Fehlbehandlung vom 04.05.1996 ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit dem 07.09.1999 zu zahlen;

2.

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtlichen weiteren zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden, soweit er zur Zeit nicht absehbar ist und nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen ist, resultierend aus der ärztlichen Fehlbehandlung vom 04.05.1996, zu ersetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Parteien wiederholen, vertiefen und ergänzen ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die in dieser Instanz gewechselten Schriftsätze mit ihren Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat die Parteien angehört und den Sachverständigen ... sein schriftliches Gutachten erläutern lassen. Insoweit wird auf den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 19.01.2004 verwiesen.

Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keine Schadensersatzansprüche aus den §§ 847 a. F., 823 BGB oder aus einer schuldhaften Verletzung von Sorgfaltspflichten des Behandlungsvertrages. Fehler der Beklagten bei der Behandlung des Klägers lassen sich nicht feststellen.

Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Auch die erneute Beweisaufnahme durch den Senat hat nicht ergeben, daß der Kläger durch die Beklagte fehlerhaft behandelt worden ist. In der Beurteilung des Behandlungsgeschehens macht sich der Senat die überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen ... zu eigen. Danach bestehen keine Anhaltspunkte dafür, daß die Konsiliaruntersuchung am 04.05.1996 durch die Beklagte nicht dem medizinischen Standard entsprechend durchgeführt worden ist. Dabei geht auch der Senat davon aus, daß die Beklagte beide Augen des Klägers untersucht hat, und zwar auch unter Berücksichtigung der Aussage der Zeugin ... . Auch im Senatstermin vermochte die Aussage dieser Zeugin den Senat nicht davon zu überzeugen, daß das linke Auge des Klägers nicht untersucht worden ist. Dabei geht der Senat nicht davon aus, daß diese Zeugin bewußt die Unwahrheit gesagt hat. Es kann durchaus sein, daß nach der subjektiven Wahrnehmung dieser Zeugin nur die Untersuchung des rechten, nicht aber des linken Auges in Erinnerung geblieben ist. Diese subjektive Wahrnehmung mag auch dadurch manifestiert worden sein, daß die Beklagte möglicherweise etwas ungehalten gewirkt haben mag, weil der Salbenfilm nicht zu entfernen und deshalb ein Einblick auf den Sehnerv nicht möglich war. Aus der Dokumentation läßt sich jedenfalls ableiten - auch wenn dort nur das Wort Pupille erwähnt worden ist -, daß die Beklagte beide Augen in dem gebotenen Umfang untersucht hat. Dies ergibt sich insbesondere aus der Formulierung "Bindehaut chemotisch, links mehr als rechts". Daraus sei abzuleiten, so der Sachverständige, daß beide Augen untersucht und geöffnet worden sind. Ein Einblick auf die Bindehaut sei, bei dem Zustand des Klägers, wie der im Senatstermin vorgelegten Bildokumentation zu entnehmen ist, ohne Öffnung der Augen nicht möglich gewesen.

Die Durchführung des sogenannten swinging-flash-light-Tests sei, so der Sachverständige, am 04.05.1996 nicht geboten gewesen. Bei der Pupillenausgangsweite sei nicht davon auszugehen, daß mit einer solchen Untersuchung eine Schädigung des Sehnerven hätte festgestellt werden können. Selbst wenn eine Sehnervschädigung festgestellt worden wäre, würde dies der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Ob dann die Operation, wie sie am Abend des 06.05.1996 in ... durchgeführt worden ist, eher erfolgt wäre, bliebe, so der Sachverständige, spekulativ.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Das Urteil beschwert den Kläger mit mehr als 20.000,- Euro. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierzu nicht vorliegen (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Ende der Entscheidung

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