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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 26.01.2005
Aktenzeichen: 3 U 161/04
Rechtsgebiete: BGB, ZPO
Vorschriften:
BGB § 823 I | |
BGB § 847 a.F. | |
ZPO § 285 I | |
ZPO § 397 I | |
ZPO § 402 | |
ZPO § 412 I |
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 20. April 2004 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die am 18.3.1963 geborene Klägerin wurde am 18.10.2000 wegen einer Kahnbeinfraktur des linken Sprunggelenks im St. Elisabeth-Krankenhaus in H operiert. Nach ihrer Entlassung aus der stationären Behandlung am 24.10.2000 wurde die Klägerin ab dem 25.10.2000 ambulant vom Beklagten, der als niedergelassener Chirurg tätig ist, betreut. Mehrfach wechselte, weitete und unterfütterte der Beklagte den Gipsverband am linken Bein. Am 28.11.2000 entfernte der Beklagte den Gips und dokumentierte "Keine lokale Schwellung". Am 21.12.2000 dokumentierte der Beklagte: "Keine lokale Schwellung, reizlose Weichteilverhältnisse". Am 2.1.2001 dokumentierte er: "anhaltende Schwellneigung" und wies die Klägerin wieder in das St. Elisabeth-Krankenhaus ein. Wegen der Einzelheiten der EDV-Dokumentation des Beklagten wird auf Bl. 7-11 d.A. Bezug genommen. Bei der Klägerin wurde sodann ein Morbus Sudeck-Syndrom festgestellt. Die Klägerin wirft dem Beklagten vor, dessen Entstehung nicht rechtzeitig erkannt zu haben.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 I Nr. 1 ZPO).
Mit der Berufungsbegründung macht die Klägerin im Wesentlichen geltend: Sie habe bereits unmittelbar nach der Operation vom 18.10.2000 über inadäquat starke Beschwerden geklagt. Zwei bis drei Wochen nach der Operation, spätestens Mitte November 2000, sei deshalb mit einem M. Sudeck zu rechnen gewesen. Sie habe schon vor Dezember 2000 Anzeichen eines M. Sudeck (Brennen, erhebliche Schwellneigung, Kochen des Fußes) gehabt und dem Beklagten mitgeteilt. In der Frühphase sei die Diagnose anhand einer Kernspintomographie möglich. Jedenfalls Mitte Dezember 2000 hätte der Beklagte aufgrund inadäquat starker Beschwerden mit einem M. Sudeck rechnen müssen. Die Dokumentation des Beklagten sei unrichtig. Das Landgericht habe zu Unrecht angenommen, dass sich am Verlauf der Behandlung nichts geändert hätte, wenn der M. Sudeck früher erkannt worden wäre.
Die Klägerin beantragt,
das am 20.4.2004 verkündete Urteil des Landgerichts Bielefeld, Az.: 4 O 539/02, abzuändern und,
1.
den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld - Vorstellung: 15.000,-. € - nebst 5% Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit dem 21.6.2002 zu zahlen, welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird,
2.
den Beklagten zu verurteilen, an sie 5.526,04 € nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 21.6.2002 zu zahlen,
3.
festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr auch jeden weiteren aus der Fehlbehandlung in der Zeit vom 25.10.2000 bis zum 2.1.2001 entstandenen Schaden zu ersetzen, soweit er nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen ist,
hilfsweise die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtzuges zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er macht im Wesentlichen geltend, ein M. Sudeck könne sich auch später als 2-3 Wochen nach der Operation entwickeln. Jedenfalls habe die Krankheit hier so früh noch nicht diagnostiziert werden können.
Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die beigezogenen Krankenunterlagen und das Sitzungsprotokoll zum Senatstermin vom 26. Januar 2005 Bezug genommen.
II.
Die Berufung bleibt ohne Erfolg.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keine Ansprüche auf Schmerzensgeld sowie Feststellung der Ersatzpflicht gem. § 823 I BGB i. V. mit § 847 BGB a.F. oder - soweit materielle Schäden in Frage stehen - Schlechterfüllung des Behandlungsvertrages. In der medizinischen Beurteilung des Geschehens macht sich der Senat die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. Q zu Eigen, der das Gutachten auch bei seiner Anhörung in zweiter Instanz eingehend und sachlich überzeugend begründet hat.
1.
Auf der Grundlage der Behandlungsdokumentation des Beklagten hat der Sachverständige kein Diagnoseversäumnis festgestellt. Zur Überzeugung des Senats ist die Behandlungsdokumentation des Beklagten vertrauenswürdig. Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass sie authentisch und vom Beklagten insbesondere auch nicht nachträglich verändert worden ist. EDV-Dokumentationen sind zulässig und seit langem üblich. Den Umstand, dass der Beklagte am 21.12.2000 dokumentierte "keine lokale Schwellung" und bei Wiedervorstellung der Klägerin am 2.1.2001 "anhaltende Schwellneigung", hat der Beklagte plausibel erklärt: Die Klägerin teilte ihm am 2.1.2001 mit, dass eine Schwellung seit Weihnachten anhalte. Das ist glaubhaft, denn auch im Rahmen ihrer Untersuchung durch den Sachverständigen hat die Klägerin erklärt, dass sich nach Weihnachten jedenfalls eine verstärkte Schwellneigung ergeben habe (Bl. 130 d.A.). Der Senat verkennt nicht, dass der Beklagte seinerzeit kein EDV-Programm benutzte, welches gegen nachträgliche Veränderung gesichert war. Soweit ersichtlich, hat die Rechtsprechung jedoch bisher keine Bedenken gegen die Veränderbarkeit geäußert (Geiß/ Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 4. Aufl., Rn. B 204). Auch der vorliegende Fall gibt keinen Anlass dazu. Denn im Senatstermin hat der Beklagte glaubhaft versichert, dass die Dokumentation nicht nachträglich verändert worden sei. Auch der Sachverständige hat die Dokumentation bei seiner Anhörung im Senatstermin als medizinisch plausibel angesehen und festgestellt, dass er eine solche auch in seiner Klinik erwarten würde.
2.
Vor dem 2.1.2001 gab es keine Anzeichen, die auf einen Morbus Sudeck des linken Beins der Klägerin schließen lassen mussten. Die von ihr behaupteten Schwellungen hat die Klägerin nicht unter Beweis gestellt. Auf das Zeugnis des Dr. C2, dessen ladungsfähige Anschrift die Klägerin im Übrigen nicht mitgeteilt hat, kommt es nicht an, weil die Klägerin mit ihm bereits am 17.11.2000 gesprochen haben will. Der Gips wurde ihr jedoch erst am 28.11.2000 abgenommen. Der Sachverständige hat festgestellt, dass bis dahin der Gips das Problem gewesen sein könne (Bl. 169 d.A.). Dr. C2 hat nach Angaben der Klägerin im Übrigen auch keine Schwellungen gesehen, sondern soll nur bekunden, dass die Klägerin ihm davon berichtet hat (Bl. 97 d.A.). Das ist ein letztlich nicht überzeugungskräftiges Indiz. Die Diskrepanz zwischen den Behauptungen der Klägerin und der Dokumentation des Beklagten sind zur Überzeugung des Senats damit zu erklären, dass das subjektive Befinden der Klägerin nicht mit dem objektiven Befund in Einklang zu bringen war. Eine solche Situation kann gerade bei dem variantenreichen und vielgestaltigen Morbus Sudeck-Syndrom eintreten, wie der Sachverständige erläutert hat. Ein Patient könne seinen Fuß durchaus als glühend heiß empfinden, ohne dass dies nach außen festzustellen ist. Das Problem des Morbus Sudeck sei seine erhebliche Variationsbreite, auch bezüglich der Dauer der Entwicklung.
3.
Der Gesundheitszustand der Klägerin hätte sich auch nicht nachweislich verbessert, wenn der Morbus Sudeck bereits früher, etwa kurz nach der Gipsabnahme am 28.11.2000, erkannt worden wäre. Der Sachverständige hat festgestellt, dass die Therapie des Morbus Sudeck nicht selten mit schlechten Ergebnissen vergesellschaftet ist. Selbst wenn alle medizinischen Möglichkeiten ausgeschöpft seien, sei es möglich, dass der Behandlungserfolg ausbleibe.
4.
Ein Verstoß des Landgerichts gegen § 285 I ZPO liegt nicht vor. Ausweislich des Sitzungsprotokolls haben die Parteien über das Ergebnis der Beweisaufnahme verhandelt (Bl. 171 d.A.)
Es ist auch nicht veranlasst, ein neues Sachverständigengutachten einzuholen, weil die Voraussetzungen des § 412 I ZPO nicht gegeben sind.
Eine Schriftsatzfrist zu den mündlichen Ausführungen des Sachverständigen im Senatstermin war der Klägerin nicht zu gewähren, insbesondere nicht zu weiteren Heilungsmöglichkeiten des Morbus Sudeck. Es liegt ein bereits in erster Instanz vorgelegtes schriftliches Gutachten vor, welches der im Senatstermin erneut angehörte Gutachter verfasst hat. Dem Recht der Partei zur mündlichen Befragung des Sachverständigen gem. §§ 397 I, 402 ZPO hat der Senat Rechnung getragen. Eine Schriftsatzfrist wäre zu gewähren, wenn es zu Unklarheiten, Widersprüchen, offenen Fragen oder Einführung von neuen Fakten gekommen wäre (Steffen/ Dressler, Arzthaftungsrecht, 9. Aufl., Rn. 592f, 595f). Das ist hier nicht der Fall.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 I, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 543 II ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht.
Das Urteil beschwert die Klägerin mit mehr als 20.000,- € (Art. 26 Nr. 8 EGZPO).
Ende der Entscheidung
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