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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 14.07.1999
Aktenzeichen: 3 U 171/98
Rechtsgebiete: ZPO, BGB
Vorschriften:
ZPO § 711 Satz 1 | |
ZPO § 710 | |
ZPO § 712 | |
ZPO § 97 Abs. 1 | |
ZPO § 108 | |
ZPO § 708 Nr. 10 | |
BGB § 847 | |
BGB § 823 | |
BGB § 831 | |
BGB § 30 | |
BGB § 31 |
Es kann unerheblich sein, daß ein Patient über das (allgemeine) Risiko der Materialermüdung nicht aufgeklärt worden ist.
OBERLANDESGERICHT HAMM
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
3 U 171/98 OLG Hamm 6 O 50/97 LG Bochum
Verkündet am 14. Juli 1999
Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts
In Sachen
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 19. April 1999 durch die Richter am Oberlandesgericht Kamps, Rüthers und Lüblinghoff
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 20. Mai 1998 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bochum wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 15.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Allen Parteien wird gestattet, die Sicherheitsleistung auch durch eine unbedingte und unbefristete Bürgschaft einer deutschen Großbank, Genossenschaftsbank oder öffentlichen Sparkasse zu erbringen.
Tatbestand:
Die am 17.09.1927 geborene Klägerin stürzte am 25.06.1993 beim Kirschenpflücken von einer Leiter und zog sich dabei Frakturen am Oberschenkel und am Oberarmkopf zu. Noch am Unfalltage wurde die Klägerin in die chirurgische Abteilung des Krankenhauses in dessen Trägerin die Beklagte zu 1) ist, eingeliefert. Nach erfolgter Unterzeichnung des Einwilligungsformulars für die Anästhesie und für den durchzuführenden ärztlichen Eingriff erfolgte die operative Erstversorgung des Oberschenkelbruchs mittels Einbringens einer Condylenplatte. Der Oberarmkopf wurde ebenfalls mittels einer 8-LochPlatte stabilisiert. Der Beklagte zu 2) ist Chefarzt der dortigen Unfallchirurgie. Verantwortlich operierender Arzt am 25.06.1993 war der Beklagte zu 3), weiterer Operateur war der Beklagte zu 4).
Am 26.08.1993 wurde die Klägerin unter Überweisung an ihre Hausärztin entlassen. Die bereits während des Krankenhausaufenthaltes durchgeführten krankengymnastischen Bewegungsübungen, insbesondere mittels Wassergymnastik, wurden weitergeführt. Unter dem 14.09.1993 nahm die Klägerin im Hause der Beklagten zu 1) an einer Wassergymnastik teil, die von dem Beklagten zu 8) als medizinischen Bademeister im Hause der Beklagten zu 1) geleitet wurde. Bei dieser Wassergymnastik wurde die Klägerin angehalten, mit dem rechten Bein eine 8 zu beschreiben, dabei verspürte sie einen heftigen Schmerz unterhalb der rechten Leiste. Aufgrund anhaltend starker Schmerzen begab sich die Klägerin am 15.09.1993 erneut in das Krankenhaus der Beklagten zu 1). Sie wurde dort von der Beklagten zu 5) als diensthabende Oberärztin untersucht, nach Fertigung von Röntgenaufnahmen nach Hause entlassen und zur Nachuntersuchung in drei Wochen bestellt. Am 18.09.1993 telefonierte die Klägerin mit dem Beklagten zu 6). Die Einzelheiten des Telefonats sind streitig.
Am 20.09.1993 begab sich die Klägerin erneut in das Krankenhaus der Beklagten zu 1). Dort stellte der Beklagte zu 2) fest, daß sowohl der Oberschenkel als auch die im ehemaligen Frakturbereich des Oberschenkels eingesetzte Platte vollständig gebrochen war. Am folgenden Tag wurde die Klägerin durch die Beklagten zu 5), 6) und 7) erneut operiert und wurde am 15.10.1993 aus dem Krankenhaus entlassen. Die Klägerin konnte nach ihrer Entlassung mehrere Monate lang nicht richtig laufen. Ihr rechtes Bein zeigt im weiteren Verlauf eine Verkürzung um 4 cm und weist einen sogenannten 0-Wuchs auf. Im April 1994 wurde die Klägerin im Krankenhaus in erneut operiert. Danach folgten weitere Aufenthalte in anderen Kliniken.
Die Klägerin hat die Beklagten auf Zahlung materieller Schäden in Höhe von 31.801,42 DM, Zahlung eines Schmerzensgeldes - Vorstellung: gestaffelt bis zu 65.000,00 DM - und Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftiger Schäden in Anspruch genommen. Sie hat behauptet, die Operation am 25.06.1993 sei unter Mißachtung der Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt. Sie habe über das Risiko einer Materialermüdung der Condylenplatte aufgeklärt werden müssen. Sie sei zu früh aus dem Krankenhaus entlassen worden. Die Platte am Oberschenkel sei am 14.09.1993 wegen fehlerhafter Anweisung des Beklagten zu 8) beschädigt worden und gebrochen. Der Haarriß sei auf den Röntgenbildern vom 15.09.1993 zu erkennen gewesen. Am 18.09.1993 habe der Beklagte zu 6) bei einem Telefonat ihr gegenüber erklärt, daß alles in Ordnung sei. Die am 21.09.1993 durchgeführte Operation sei verspätet gewesen. Die Beklagten stellen eine fehlerhafte Behandlung in Abrede. Das spätere Lockern im Oberarm sei keine Folge einer fehlerhaften Operationstechnik, sondern beruhe auf einer verletzungsimmanenten Knochennekrose.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, daß die Klägerin bis auf das Nichterkennen des Haarrisses auf den Röntgenbildern vom 15.09.1993 regelrecht behandelt worden sei. Die Klägerin habe nicht bewiesen, daß das Nichterkennen des Haarrisses am 15.09.1993 negative Folgen für sie gehabt habe. Die Beweislast treffe sie, weil nur ein einfacher und kein schwerer Behandlungsfehler vorliege. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung und beantragt,
1.
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 31.801,42 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 26.02.1996 zu zahlen;
2.
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 65.000,00 DM betragen soll, nebst 4 % Zinsen seit dem 26.02.1996 zu zahlen, wobei die Haftung der Beklagten zu 3) bis 8) auf einen niedrigeren Betrag, der dem jeweiligen Verschulden dieser Beklagten entspricht, beschränkt werden kann;
3.
festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, sämtliche materielle und immaterielle Schäden, die ihr aufgrund des Verhaltens der Beklagten am 25.06.1993, 25.08.1993, 14.09.1993, 15.09.1993, 18.09.1993 sowie 21.09.1993 noch entstehen, zu ersetzen, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergeht.
Die Beklagten beantragen,
1.
die gegnerische Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen;
2.
in den der Revision unterliegenden Sachen zu ihren Gunsten
a)
als Gläubiger es bei der Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung gemäß §§ 711 Satz 1, 710 ZPO zu belassen;
b)
als Schuldner die Schutzanordnung aus § 712 ZPO zu treffen;
c)
ihr nachzulassen, die gemäß § 711 ZPO oder § 712 ZPO zu bestimmende Sicherheitsleistung auch durch Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlichen Sparkasse zu erbringen.
Die Parteien wiederholen, vertiefen und ergänzen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die in dieser Instanz gewechselten Schriftsätze mit ihren Anlagen Bezug genommen.
Der Senat hat die Klägerin und die Beklagten zu 3), 5), 6) und 8) angehört sowie den Sachverständigen Dr. sein schriftliches Gutachten erläutern lassen. Insoweit wird auf den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 19. April 1999 (Bl. 354 - 361 d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg. Die Klägerin hat gegen die Beklagten keine Schadensersatzansprüche aus den §§ 847, 823, 831, 30, 31 BGB oder aus einer schuldhaften Verletzung von Sorgfaltspflichten des Behandlungsvertrages.
Eine fehlerhafte Behandlung der Klägerin liegt zwar darin, daß bei der Versorgung des Oberarms am 25.6.1993 der falsche Schraubentyp verwandt worden ist. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, ist zudem ein weiterer Behandlungsfehler, und zwar ein solcher der Beklagten zu 5) darin zu sehen, daß diese Ärztin den Haarriß in der eingebrachten Platte am Oberschenkel am 15.9.1993 übersehen hat. Der Senat konnte aber ausschließen, daß der Heilungsverlauf bei regelrechtem Vorgehen positiv beeinflußt worden wäre. Die Beklagten haften der Klägerin auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Aufklärungsverschuldens, weil insbesondere die Aufklärung vor der Erstoperation den Anforderungen genügte.
Bis auf die Wahl des falschen Schraubentyps und das Übersehen des Haarrisses hat die Klägerin nicht bewiesen, daß sie im Krankenhaus der Beklagten zu 1) fehlerhaft behandelt worden ist. Dazu macht sich der Senat die Ausführungen des Sachverständigen Dr. der sein Gutachten überzeugend erläutert hat, zu eigen. Die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. werden auch nicht durch das von der Klägerin vorgelegte Privatgutachten des Dr. am 15.6.1999 erschüttert oder in Frage gestellt. Mit den dem Privatgutachten zugrundeliegenden Fragestellungen hat sich der Sachverständige Ganghoff bereits insbesondere im Senatstermin eingehend auseinandergesetzt. Danach ist der bei der Operation am 25.6.1993 eingesetzte Plattentyp nicht zu beanstanden. Es sei auch nicht zwingend üblich, alle Löcher der eingebrachten Platte mit Schrauben zu besetzen. Wenn die Schraube aufgrund von Verletzungen nicht packen könne, sei es nichtsinnvoll das entsprechende Loch zu besetzen. Für das Abweichen vom Ideal - von dem der Privatgutachter ausgeht - betreffend die craniale Einbringung und die Valgisierung des Oberschenkelhalses habe es, so der Sachverständige Ganghoff, akzeptable intraoperative Gründen gegeben. Dies gelte auch, so der Sachverständige, für die Versorgung des Oberarmknochens.
Anhaltspunkte dafür, daß die Entlassung der Klägerin am 26.8.1993 verfrüht war, bestehen nicht. Auch die Anleitungen, die die Klägerin bei der Entlassung bekommen hat, genügen den Anforderungen. Das verordnete Bewegungsbad und insbesondere die Wassergymnastik am 14.9.1993 waren nicht kontraindiziert. Vielmehr sei, so der Sachverständige, die Anordnung des Bewegungsbades für den Heilungsverlauf als positiv anzusehen. Die am 14.9.1993 durchgeführte Übung - Beschreibung einer 8 - sei nicht zu beanstanden.
Daß die Klägerin am 18.9.1993 durch den Beklagten zu 6) telefonisch abgewiesen und an den Notarzt oder an die Chefarztambulanz am Montag, dem 20.9.1993 verwiesen worden sein soll, hat sie nicht bewiesen. Der als Partei vernommene Beklagte zu 6) hat dies nicht bestätigt, sondern angegeben, eine Patientin oder einen Patienten in einer solchen Situation noch nie an einen anderen Arzt verwiesen zu haben.
Schließlich bestehen auch keine Anhaltspunkte, so der Sachverständige, für ein fehlerhaftes Vorgehen bei der Operation am 21.9.1993 oder für eine verfrühte Entlassung am 26.8.1993.
Daß die Verwendung des falschen Schraubentyps (Kortikalisstatt Spongiosaschraube) und das Nichterkennen des Haarrisses am 15.9.1993 keine negativen Auswirkungen auf den Heilungsverlauf gehabt haben, steht nach Auffassung des Senats fest. Auch insoweit hat der Sachverständige überzeugend dargelegt, daß das desolate Ergebnis durch die Verwendung von Spongiosaschrauben nicht hätte positiv beeinflußt werden können. Sowohl das Auftreten der Oberarmkopfnekrose als auch die Stabilisierung sei unabhängig von dem jeweiligen Schraubentyp.
Am 15.9.1993 sei die Platte bereits im wesentlichen gebrochen gewesen. Durch diesen Bruch und nicht durch das Übersehen des Bruches habe sich, so der Sachverständige, der Heilungsverlauf verzögert.
Selbst wenn man diese Kausalitätsfrage anders als der Senat beurteilen würde, würde dies der Berufung nicht zum Erfolg verhelfen. Dann bleiben zumindest erhebliche Zweifel, ob sich der Heilungsverlauf bei regelrechter Behandlung für die Klägerin positiver dargestellt hätte. Die Beweislast für den behaupteten Ursachenzusammenhang trifft die Klägerin, weil die festgestellten Behandlungsfehler weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit als grob anzusehen sind. Ein schwerer Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst ist in dem Verhalten der behandelnden Ärzte nicht zu sehen. Den Ausführungen des Sachverständigen ist nicht zu entnehmen, daß die festgestellten Fehler aus objektiv ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich sind, weil sie einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfen.
Der Senat hält insbesondere den Eingriff vom 25.6.1993 für gerechtfertigt. Unter Berücksichtigung der notfallmäßigen Erstversorgung genügt die zuvor erfolgte Aufklärung den Anforderungen. Eine Aufklärung ist dann ausreichend, wenn sie dem Patienten eine allgemeine Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren vermittelt (BGH VerSR 1984, 465, 466; 1992, 960, 961). Mit dem Hinweis auf Wundheilungsstörungen, Thrombosen, Embolien und Osteitis war dem Aufklärungsbedürfnis der Klägerin genüge getan, denn damit war die Schwere und Richtung des konkreten Risikospektrums angegeben. Über seltene Risiken ist aufzuklären, wo sie, wenn sie sich verwirklichen, die Lebensführung schwer belasten und trotz ihrer Seltenheit für den Eingriff spezifisch, für den Laien überraschend sind (Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 7. Aufl., Rdn. 329, 333). Daß die Klägerin nicht zusätzlich über das Risiko des Plattenbruchs informiert worden ist, hält der Senat für unerheblich. Das Risiko des Plattenbruchs kommt bei 10.000 Patienten in zwei oder drei Fällen vor. Das ist von den Parteien unstreitig gestellt worden (Seite 3 des Protokolls vom 20.5.1998, Blatt 229 d. A.). Unter Berücksichtigung der zuvor aufgezeigten Grundsätze hält es der Senat - auch im Hinblick auf die notfallmäßige Erstversorgung - für unerheblich, daß die Klägerin über das (allgemeine) Risiko der Materialermüdung nicht aufgeklärt worden ist (vgl. Urteil des Senats vom 16.9.1998 - 3 U 190/97 -).
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 108, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Das Urteil beschwert die Klägerin mit mehr als 60.000,00 DM.
Ende der Entscheidung
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