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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 07.07.2004
Aktenzeichen: 3 U 264/03
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 823
BGB § 847
BGB a.F. § 284
BGB a.F. § 288
ZPO § 286
ZPO § 288
ZPO § 290
ZPO § 447
ZPO § 448
ZPO § 287 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Hamm Im Namen des Volkes Urteil

3 U 264/03

Verkündet am 7. Juli 2004

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juli 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Baur sowie die Richter am Oberlandesgericht Lüblinghoff und Reuter

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 01.10.2003 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die am 22.05.1962 geborene Klägerin verlangt Schadensersatz wegen einer von dem Beklagten am 18.01.1999 bei ihr durchgeführten Rückenoperation, in deren Folge sich bei ihr eine komplette Querschnittslähmung einstellte.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird zunächst gemäß § 540 ZPO auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

Mit der Berufung rügt der Beklagte Fehlerhaftigkeit der Beweisaufnahme durch das Landgericht, weshalb dieses fälschlicherweise zur Feststellung eines Behandlungsfehlers gekommen sei. Es sei versäumt worden, einen orthopädischen Gutachter zur Ermittlung des für ihn geltenden Standards zu beauftragen. Der Beklagte behauptet, dass insofern ein Kompetenzstreit zwischen Neurochirurgen und Orthopäden bestehe. Der erstinstanzliche Sachverständige Dr. T habe bei der Kausalitätsfeststellung zudem nicht die strengen Maßstäbe für die Beweisführung berücksichtigt. Der Beklagte meint ferner, dass das Landgericht versäumt habe, den Sachverständigen von Amts wegen sowie aufgrund seiner Ausführungen im Schriftsatz vom 09.05.2003 mündlich anzuhören. Verfahrensfehlerhaft sei auch seine - des Beklagten - Anhörung unterblieben. Darüber hinaus wiederholt und vertieft der Beklagte seine Behauptung, dass die Klägerin an einer Gefäßanomalie im Bereich der Rückenmarksgefäße gelitten habe, welche die Querschnittslähmung schicksalhaft ausgelöst habe. Die von ihm gewählte Operationsmethode entspreche dem orthopädischen Standard. Der Eingriff habe diagnostischen Zwecken gedient. Wegen der bestehenden Scheuermann-Kyphose bei der Klägerin sei eine breite Öffnung des Rückenkanals mit Darstellung der dazu gehörigen Segmentalnervenwurzeln geboten gewesen. Intraoperativ sei dann eine Kontrolle mit zwei Dissektoren erfolgt, um nachzusehen, ob die Bandscheibe von lateral hier auf den Nervenaustrittspunkt gedrückt habe. Dabei sei das Rückenmark weder verschoben noch verlagert worden. Hätte sich hierbei ergeben, dass ein Bandscheibenvorfall hätte entfernt werden müssen, wäre ergänzend ein lateraler Zugang gewählt worden. Zur Unterstützung seiner Behauptung, dass die von ihm gewählte Operationsmethode den medizinischen Standard gewahrt habe, legt der Beklagte Stellungnahmen des Dr. N vom 22.11.2003 (Bl. 217 f.) und vom 06.01.2004 (Bl. 219 f.) vor. Er behauptet, dass sich die bei der Klägerin eingetretene Querschnittslähmung noch zurückbilden könne. Daher sowie aufgrund der bestehenden Vorschädigung der Klägerin hält er das Schmerzensgeld für übersetzt. Hinsichtlich des Haushaltsführungsschadens rügt er, dass das Landgericht Beweiserhebungen dazu versäumt habe, ob die Einschränkung der Klägerin bei den Haushaltstätigkeiten tatsächlich 77 % betrage.

Der Beklagte beantragt, nachdem er den zunächst angekündigten Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung an das Landgericht nicht weiter verfolgt, noch, das am 01.10.2003 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und verteidigt das angefochtene Urteil. Sie vertieft ihre Behauptung, dass das vom Beklagten intraoperativ durchgeführte Beiseiteschieben des Duralsacks in Höhe des Thorakalmarks kontraindiziert gewesen sei.

Der Senat hat die Parteien angehört und Beweis erhoben durch uneidliche Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. N2. Wegen der Ergebnisse der Parteianhörung und der Sachverständigenvernehmung wird auf den Berichterstattervermerk zum Senatstermin vom 07.07.2004 verwiesen. Der Sachverständige Prof. Dr. N2 hat ferner die wesentlichen Ergebnisse seiner Begutachtung in einer schriftlichen Stellungnahme vom 28.05.2004 zusammengefasst. Insofern wird auf Bl. 227 ff. d. A. verwiesen. Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung bleibt erfolglos.

Der Beklagte ist der Klägerin aufgrund der Operation vom 18.01.1999 und ihrer Folgen gemäß §§ 823, 847 BGB, hinsichtlich der materiellen Schäden auch aufgrund einer positiven Vertragsverletzung des mit der Klägerin geschlossenen Behandlungsvertrages, zum Schadensersatz verpflichtet. Die Operation war in zweierlei Hinsicht behandlungsfehlerhaft (dazu 1). Darüber hinaus war sie aber auch rechtswidrig, weil eine rechtfertigende Einwilligung der Klägerin in den Eingriff aufgrund unzureichender Aufklärung nicht vorlag (dazu 2.). Die Operation hat die komplette Querschnittslähmung bei der Klägerin verursacht (dazu 3.).

1.

Die Operation am 18.01.1999 war behandlungsfehlerhaft, weil sie zum einen nicht indiziert war, zum anderen unsachgemäß ausgeführt wurde. Dies hat die vom Senat durchgeführte Beweisaufnahme zur Überzeugung des Senats im Sinne des § 286 ZPO ergeben.

Der Senat hat der Rüge des Beklagten, dass zur Beurteilung des medizinischen Standards, dem der Arzt den Patienten schuldet, weitgehend ein Sachverständiger aus demjenigen Fachgebiet heranzuziehen hat, dem der beklagte Arzt angehört (vgl. BGH, NJW 1995, Seite 776 (777); Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 9. Aufl., Rdn. 602), dadurch Rechnung getragen, dass er in Ergänzung des erstinstanzlichen neurochirurgischen Gutachters zusätzlich Herrn Prof. Dr. N2 als orthopädischen (und chirurgischen) Sachverständigen beauftragt hat.

Der Senat hat keine Bedenken, den Ausführungen des Sachverständigen zu folgen. Prof. Dr. N2 ist dem Senat seit Jahren aus einer Vielzahl von Verfahren als außerordentlich kompetenter und zuverlässiger Sachverständiger bekannt. Seine Ausführungen sind auch im vorliegenden Fall in jeder Hinsicht schlüssig und nachvollziehbar. Auf die zahlreichen Nachfragen und Vorhalte vermochte er stets eine überzeugende Antwort zu geben. Wesentliche Aussagen von ihm werden gestützt durch die Ausführungen des erstinstanzlich tätigen Sachverständigen Prof. Dr. T, der den gewählten Zugang zum Operationsgebiet als fehlerhaft bewertet hat, aber auch durch die Ausführungen des für den medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen tätigen Sachverständigen Prof. Dr. Dr. M in seinem Gutachten vom 06.03.2000, der die Operationsindikation für nicht gegeben erachtete. Die Überzeugungskraft des Sachverständigen wird auch nicht durch die Ausführungen des von dem Beklagten gestellten Privatgutachters Dr. Y erschüttert. Zwar hat dieser in mehreren Punkten den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. N2 widersprochen, jedoch waren dessen Ausführungen ersichtlich interessengeleitet und in wesentlichen Punkten auch nach eigener Einschätzung lediglich spekulativ. Zudem zeigte sich Dr. Y nur unzureichend über den Sachverhalt informiert, wie insbesondere dadurch deutlich wurde, dass er fälschlich und ersichtlich ins Blaue hinein behauptete, dass die Kernspinaufnahme vom 20.01.1999 die Wirbelregion D 10 nicht zeige.

a.

Die Operation vom 18.01.1999 war nicht indiziert. Es bestand nur eine minimale Chance im niedrigen einstelligen Prozentbereich, die Ursache der langjährigen Beschwerden der Klägerin zu finden und zu beheben. Weder waren alle diagnostischen Möglichkeiten ausgeschöpft, da noch die vorherige Einholung eines CT erforderlich war, noch waren die konservativen Behandlungsmöglichkeiten erschöpft, da noch eine stationäre konservative Therapie, wie auch eine Schmerztherapie als aussichtsreiche Behandlungsalternativen zur Verfügung standen.

Dies hat der Sachverständige Prof. Dr. N2 überzeugend ausgeführt. Seine Einschätzung hat er nachvollziehbar damit begründet, dass die Klägerin vor der Operation neurologisch unauffällig war und dass die am 29.10.1998 gefertigte MRT lediglich einen kleinen thorakalen Bandscheibenvorfall zeigte, der gegenüber einer Voraufnahme von 1996 keine wesentliche Veränderung aufwies. Weder eine strukturelle Myelopathie noch eine spinale Einengung waren zu erkennen. Ob bei der Klägerin tatsächlich, wie vom Beklagten angenommen, eine Intercostalneuralgie bestand, war nach allen Umständen, insbesondere nach der Beurteilung der Neurologin Dr. Dr. D. fraglich. Unter diesen Umständen bestand kein Anhaltspunkt dafür, dass die Beschwerden der Klägerin auf mechanischen Veränderungen beruhten, die mit dem bildgebenden Verfahren nicht erkennbar waren. Weitere Sicherheit wäre insofern noch durch ein CT zu erlangen gewesen, das besser als die eingeholten MRT die knöchernen Strukturen zeigte. Soweit der Beklagte sich darauf berufen hat, dass es ihm darum ging, zu überprüfen, ob knöcherne Veränderungen im Bereich der Nervenaustrittsöffnung zu einer Einengung des Nerven führen würden, findet sich in dem vorhandenen bildgebenden Material für das Vorhandensein solcher Veränderungen keine Grundlage. Widerlegt ist auch die Darstellung des Beklagten, dass sich intraoperativ eine derartige knöcherne Veränderung bestätigte. Denn hiergegen spricht nicht nur das vorhandene bildgebende Material, sondern auch der vom Beklagten selbst gefertigte Operationsbericht. Der Sachverständige hat überzeugend dargelegt, dass die Ausführungen des Beklagten nicht erkennen lassen, dass der Beklagte Verknöcherungen entfernt hätte, die den Nerv einengen. Insbesondere lässt die Beschreibung, dass der Interlaminärraum weitgehend knöchern geschlossen gewesen sei und eine Facettektomie durchgeführt worden sei, eine solche Deutung nicht zu. Eine Dokumentation des entsprechenden Befundes wäre aber erforderlich gewesen, weil der Operationsbericht erkennen lassen muss, ob mit der Operation das erreicht wurde, was erreicht werden sollte.

Soweit die Operation ausnahmsweise gleichwohl gerechtfertigt gewesen sein könnte, wenn die Patientin in Kenntnis aller Umstände, insbesondere der minimalen Erfolgschancen, den Eingriff gleichwohl gewünscht hätte, lässt sich ein solcher Wunsch der Klägerin nicht feststellen. Der Senat hat keine Bedenken, der Darstellung der Klägerin zu folgen, dass sie keinen Hinweis auf die geringen Erfolgsaussichten der Operation erhalten hatte und von einer beträchtlichen Chance ausging, dass durch die Operation ihre Beschwerden beseitigt werden konnten. Ihre offene und von erkennbarem Bemühen um wahrheitsgemäße Schilderung getragene Darstellung wird gestützt durch den von ihr unterschriebenen Einwilligungsbogen, der auf Seite 3 den Hinweis enthält, dass "die meisten Patienten (über 75 %) ... mit dem Operationsergebnis zufrieden" seien. Nur in 10 % aller Operationen sei das Ergebnis unbefriedigend. Eine solche Darstellung musste und durfte die Klägerin dahin verstehen, dass der Operationserfolg sogar deutlich überwiegend wahrscheinlich sein würde. Auch die Stellungnahme des Dr. S2 vom 06.11.2000 enthält keinen Hinweis darauf, dass er bei dem von ihm durchgeführten Aufklärungsgespräch einen derartigen Hinweis gegeben hätte. Schließlich hat der Beklagte selbst auch nicht substantiiert dargelegt, dass er die Klägerin über eine derartig geringe Erfolgschance im unteren einstelligen Prozentbereich, wie sie der Sachverständige Prof. Dr. N2 eingeordnet hat, hingewiesen hat.

b.

Auch die Durchführung der Operation war fehlerhaft.

So hat der Senat bereits keinen ernsthaften Zweifel daran, dass der gewählte dorso-mediale Zugang für den vom Beklagten geplanten und durchgeführten Eingriff ungeeignet war, weil es dem Beklagten darum ging, die Bandscheibe bei der Klägerin über diesen Zugang zumindest zu inspizieren. Der Sachverständige Prof. Dr. N2 hat insofern ausgeführt, dass der gewählte Zugang keine Sicht auf die Bandscheibe zulässt, weil das Rückenmark dazwischen liegt und angehoben werden muss, um den Bandscheibenbereich einsehen zu können. Eine solche Anhebung ist, wie auch schon der erstinstanzliche Sachverständige Priv.-Doz. Dr. T ausgeführt hat, fehlerhaft, da sich hier durch eine erhöhte Gefahr einer Rückenmarksverletzung und einer nachfolgenden Querschnittslähmung ergibt. Soweit dem der Beklagte jetzt entgegenhält, dass es ihm bei der Wahl des Zugangs nicht darum gegangen sei, die Bandscheibe zu inspizieren, sondern an das Nervenaustrittsloch zu gelangen, erscheint dies nicht glaubhaft. Denn alle vorhandenen Unterlagen deuten darauf hin, dass für den Beklagten bei der Operation die von ihm angenommene Bandscheibenproblematik im Vordergrund stand. Insbesondere fehlt es an einer plausiblen Erklärung des Beklagten dafür, dass er die Beklagte ein Aufklärungsformular unterzeichnen ließ, welches für die operative Behandlung von Bandscheibenvorfällen im Lendenwirbelbereich vorgesehen war, welches jedoch handschriftlich noch dahin abgeändert wurde, dass ein Bandscheibenvorfall im Bereich der Brustwirbelsäule TH 6/7 angegangen werden sollte. Auch die Stellungnahme des das Aufklärungsgespräch mit der Klägerin führenden Dr. S vom 06.11.2000 spricht ausdrücklich von einer geplanten Bandscheibenoperation. Die Einlassung des Beklagten, dass Dr. S2 möglicherweise die Zielrichtung des Eingriffs missverstanden hat, findet nirgendwo eine Stütze.

Aber auch dann, wenn man die Richtigkeit der Einlassung des Beklagten unterstellen würde, dass er den Eingriff mit vorrangig diagnostischer Zielsetzung durchführen wollte, wurde der Eingriff fehlerhaft durchgeführt. Zwar wäre in diesem Fall nicht schon die Wahl des Zugangs fehlerhaft gewesen, vielmehr bot sich für eine Inspektion des Nervenaustrittslochs der gewählte Zugang sogar an. Fehlerhaft war es jedoch in jedem Fall, das Rückenmark mit zwei Dissektoren nach Anlegen von Watteläppchen anzuheben, um das Bandscheibenfach zu explorieren, selbst wenn dies lediglich für die Dauer von wenigen Sekunden geschehen sein sollte. Dass es zu einem derartigen Anheben des Rückenmarks gekommen ist, steht für den Senat außer Zweifel. Der Beklagte hat einen solchen Geschehensablauf bereits mit seinem Schriftsatz vom 05.02.2003 mit Geständniswirkung im Sinne des § 288 ZPO vorgetragen. Seine dortige Schilderung steht in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Neurologen F2 in dessen Arztbrief vom 26.01.1999 an den Beklagten. In diesem Brief gibt er ebenfalls eine Schilderung des Beklagten wieder, dass der Duralsack vorsichtig etwas beiseite geschoben worden sei. Soweit der Beklagte bei seiner Anhörung durch den Senat demgegenüber ausgeführt hat, dass er tatsächlich das Rückenmark nicht berührt habe und lediglich mit den Dissektoren den Zwischenraum vorsichtig ausgetastet habe, vermag der Senat dieser - auch durch den Operationsbericht nicht belegten - Darstellung keinen Glauben zu schenken. Im Übrigen hat der Beklagte auch weder substantiiert dargelegt noch nachgewiesen, dass er sich bei seiner Darstellung im Schriftsatz vom 05.02.2003 gemäß § 290 ZPO im Irrtum befunden hat.

Das Anheben des Rückenmarks war jedoch in jedem Falle wegen der damit verbundenen Gefahr der Rückenmarksverletzung und Querschnittslähmung fehlerhaft, ohne dass es darauf ankommt, dass dies möglicherweise nur von geringer Dauer war. Dies hat der Sachverständige Prof. Dr. N2 in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Sachverständigen Dr. T ausgeführt und wird letztlich von dem Beklagten auch nicht mehr in Zweifel gezogen.

2.

Der vom Beklagten durchgeführte Eingriff war zudem rechtswidrig, weil die Klägerin nicht nur unzureichend über - noch nicht ausgeschöpfte - konservative Alternativen, sondern insbesondere auch unzureichend über die Operation aufgeklärt wurde. Zwar war sie sich nach eigener Einlassung wie auch nach den Ausführungen des Dr. S in seiner Stellungnahme vom 06.11.2000 und den Ausführungen im Aufklärungsbogen vom 15.01.1999 über die mit der Operation verbundenen Risiken, insbesondere auch der Gefahr einer Querschnittslähmung, bewusst. Der Beklagte hat jedoch versäumt, der Klägerin die Erfolgsaussichten des Eingriffs in der gebotenen Weise darzustellen, so dass sie ein zutreffendes Bild von der Schwere und Richtung des Eingriffs hatte (vgl. hierzu Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 9. Aufl., Rdn. 329 m. w. N.). Wie bereits ausgeführt wurde, hat der Senat keinen Zweifel daran, dass der Klägerin dargestellt worden war, dass sie mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Verbesserung hinsichtlich ihrer Beschwerden oder sogar Beschwerdefreiheit erlangen würde. Tatsächlich lag die Erfolgsaussicht des Eingriffs im niedrigen einstelligen Prozentbereich, weshalb die Klägerin über das Verhältnis der Risiken zu den Chancen des Eingriffs ein falsches Bild vermittelt bekam.

Der Senat war nicht gehalten, zu dem Inhalt der Erläuterungen, die der Beklagte nach eigener Behauptung der Klägerin gegeben haben will, den Beklagten als Partei zu vernehmen. Die Klägerin hat dem diesbezüglichen Antrag im Sinne des § 447 ZPO widersprochen. Eine Vernehmung gemäß § 448 ZPO war nicht geboten, da es schon an einem ausreichend schlüssigen Vortrag des Beklagten, erst recht aber an jeglichem Anbeweis für die Richtigkeit der von ihm behaupteten Darstellung des Geschehensablaufs fehlt. Vielmehr sprechen, wie bereits ausgeführt wurde, die vorhandenen Unterlagen und alle Umstände dagegen, dass die Klägerin darüber unterrichtet war, dass der vorgenommene Eingriff nur eine sehr geringe Erfolgschance besaß.

3.

Durch die rechtswidrige und fehlerhafte Operation vom 18.01.1999 ist die Querschnittslähmung der Klägerin verursacht worden. Der Sachverständige hat insofern ausgeführt, dass für ihn keine andere Ursache der Querschnittslähmung als die vom Beklagten vorgenommene Operation in Betracht kommt. Die Querschnittslähmung ist durch eine mechanische Beeinträchtigung im Rahmen der Operation ausgelöst worden. Dementsprechend war in der postoperativen Kernspinaufnahme vom 20.01.1999 in Höhe des Operationgsgebiets eine Läsion erkennbar, die den Eintritt der Querschnittslähmung erklärlich macht. Dass der Radiologe Dr. P in seinem Arztbrief vom 21.01.1999 den betroffenen Bereich zwischen TH 5 und TH 8 beschreibt, hat der Sachverständige Prof. Dr. N2 nachvollziehbar damit erklärt, dass es infolge der Läsion zu Wassereinlagerungen gekommen ist, weshalb sich der Kernspinbefund ausgedehnter als der neurologische Befund darstellt. Auch in der Bescheinigung der X-Klinik vom 11.02.1999 wird eine motorisch, sensibel und vegetativ komplette Querschnittslähmung unterhalb TH 6/7 beschrieben.

Die Überzeugung des Senates wird durch die Ausführungen des Neurologen F2 in seinem Arztbrief vom 26.01.1999 nicht erschüttert. Zwar beschreibt Herr F ein komplettes Querschnittssyndrom ab D 10 abwärts, welches unterhalb des Operationsgebietes läge und einen Zusammenhang mit der vorgenommenen Operation ausschließen würde. Dies überzeugt jedoch nicht. Für eine Schadensursache im Bereich von D 10 fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Nach der nachvollziehbaren Darlegung des Sachverständigen Prof. Dr. N2 kann die Möglichkeit vernachlässigt werden, dass es bei der Klägerin zeitgleich zu der Operation im Bereich von D 10 zu einer schicksalhaften Rückmarksschädigung gekommen sein müsste, die sich auf der kurze Zeit später gefertigten Kernspintomographieaufnahme nicht zeigt, während die eindeutig vorhandene Blutung im Bereich von D 6/7, die eine Querschnittslähmung erklärlich machen würde, ohne Auswirkung geblieben sein müsste. Eine derartige Konstellation liegt im rein theoretischen Bereich, auch für eine Gefäßanomalie bei der Klägerin fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Gerade die Tatsache, dass der Beklagte während der Operation das Rückenmark angehoben hatte und dadurch die besondere Gefahr einer Rückenmarksschädigung hervorgerufen hat, macht den eingetretenen Schadensverlauf allein plausibel.

Einer ergänzenden Vernehmung des Zeugen F2 bedurfte es nicht. Die Frage, ob die Querschnittslähmung vom Bereich D 10 oder vom Bereich D 6/7 abwärts ausging, ist keine wahrnehmungsabhängige Frage, die von einem Zeugen zu beantworten wäre, sondern ist allein Sachverständigenfrage. Es kann daher unterstellt werden, dass der Zeuge F2 die Richtigkeit seiner Darstellung im Arztbrief vom 26.01.1999 bekundet. Soweit es jedoch auf die Sachkunde zur Beurteilung des Ausgangspunktes der Querschnittslähmung ankommt, folgt der Senat aus den bereits genannten Gründen den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. N2.

4.

Die vom Landgericht festgesetzte Schmerzensgeldhöhe von 220.000,-- Euro ist gerechtfertigt. Maßgeblich war hierbei insbesondere die schwer wiegende Behinderung, die die noch recht junge Klägerin zeitlebens hinnehmen muss. Der Sachverständige hat insofern plausibel ausgeführt, dass eine Verbesserung der Situation nicht mehr zu erreichen ist. Durch die Behinderung ist die Klägerin rollstuhlpflichtig und benötigt für zahlreiche alltägliche Verrichtungen Hilfe. Ihr gesamtes Leben hat sich verändert, ihre Ehe ging auseinander. In ihrem gesamten Alltag muss sie sich auf die Behinderung einstellen, wozu insbesondere auch die ständige Katheterisierung und die Notwendigkeit der Darmentleerung zählt. Zwar ist nicht zu verkennen, dass die Klägerin auch vor der Operation an einem erheblichen Wirbelsäulenleiden litt, welches ihre Lebensqualität in den Jahren zuvor nicht unbeträchtlich eingeschränkt hatte. Jedoch rechtfertigt die Verschlechterung der Gesamtsituation den ausgeurteilten Betrag, zumal nach den Ausführungen des Sachverständigen durchaus nicht ausgeschlossen werden kann, dass das ursprüngliche Rückenleiden der Klägerin erfolgreich hätte therapiert werden und ihr die Schmerzen hätten genommen oder wenigstens gelindert werden können.

Zutreffend hat das Landgericht auch den Haushaltsführungsschaden der Klägerin für den Zeitraum vom 01.08.1999 bis zum 31.08.2001 mit 12.238,85 Euro bemessen. Dies ergibt eine Schadensschätzung im Sinne des § 287 Abs. 1 ZPO, wobei die Schätzung anhand der Tabelle von Schulz-Borck/Hofmann, Schadensersatz bei Ausfall von Hausfrauen und Müttern im Haushalt, 6. Aufl., erfolgt. Die Behinderung der Klägerin besteht in einer kompletten Querschnittslähmung und Rollstuhlpflichtigkeit, die, wie auch der Sachverständige bestätigt hat, einer Paraplegie gleichkommt. Da die Klägerin im fraglichen Zeitraum einen Haushalt mit zunächst vier, sodann drei Personen führte, kann die Einschränkung nach der Tabelle 6 a auf 77 % geschätzt werden. Dies entspricht auch den Ausführungen des Sachverständigen, der die Klägerin im Haushalt zu rund 3/4 eingeschränkt hielt. Soweit der Beklagte demgegenüber eine derart starke Beeinträchtigung der Klägerin im Haushalt bestreitet, fehlt hier der Anhaltspunkt für eine geringere Einschränkung der Klägerin. Einer Beweiserhebung über die konkrete Einschränkung bedurfte es nicht, da mangels entgegen stehender Anhaltspunkte von einem Regelfall, wie er in den Tabellen berücksichtigt ist, ausgegangen werden konnte. Der Zeitbedarf von 20,32 Wochenstunden, den die Klägerin und ihr folgend das Landgericht für die Hilfeleistung angesetzt haben, liegt angesichts der Tatsache, dass im Haushalt der Klägerin nach ihrer glaubhaften Darstellung auch die beiden Töchter leben, sogar noch unterhalb der Bedarfssätze, die aufgrund der Tabelle 8 geschätzt werden können. Die Kosten der Ersatzkraft in Höhe von 1.368,75 DM gemäß Tabelle 5 bei einer Einordnung der Ersatzkraft in BAT VIII sind ebenfalls gerechtfertigt und werden von dem Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Berechnung wird auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen.

5.

Der Zinsanspruch der Klägerin folgt aus §§ 284, 288 BGB (a. F.).

6.

Die Feststellung der Einstandspflicht des Beklagten für die zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden der Klägerin ist begründet, da aufgrund ihrer schweren Behinderung mit den daraus entstehenden Folgekosten ein künftiger materieller Schaden ebenso möglich ist wie eine zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sicher absehbare weitere Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes als Folge der Operation vom 18.01.1999.

7.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO war nicht geboten. Die Entscheidung des Senats betrifft einen Einzelfall, der keine grundsätzliche Bedeutung besitzt. Von Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte oder des Bundesgerichtshofes ist der Senat nicht abgewichen.

8.

Der Gewährung einer Schriftsatzfrist an den Beklagten bedurfte es nicht. Eine solche wäre nur geboten, wenn die Anhörung des Sachverständigen eine neue oder ausführlichere Beurteilung ergeben hätte, die bisher nicht Gegenstand des Prozesses war (vgl. Steffen/Dressler, a.a.O., Rdn. 595 f. m. w. N.). Eine solche Situation liegt nicht vor. Der Sachverständige hatte bereits unter dem 28.05.2004 ein schriftliches Gutachten verfasst, welches mit Verfügung vom 07.06.2004 den Parteien übersandt wurde. Der Beklagte hatte daher ausreichend Gelegenheit, sich mit der Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. N2 auseinander zu setzen, was er ausweislich seines Schriftsatzes vom 23.06.2004 auch getan hat. Darüber hinaus war er als Orthopäde selbst sachkundig und bediente sich ferner des Beistands von Dr. Y, so dass er - wie auch umfassend geschehen - in der Lage war, jederzeit auf die Ausführungen des Sachverständigen zu reagieren, ihm ergänzende Fragen zu stellen und ihm Vorhalte zu machen.



Ende der Entscheidung

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