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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 30.05.2005
Aktenzeichen: 3 U 297/04
Rechtsgebiete: BGB, EGBGB


Vorschriften:

BGB § 187 Abs. 2
BGB § 288 Abs. 2
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 847
EGBGB Art. 229 § 1 Abs. 1 S. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers zu 2) wird das am 14. Oktober 2004 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Münster abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 2) 204.516,75 € nebst 2% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz, mindestens jedoch 4% seit dem 6. April 2001 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger zu 2) allen materiellen und den zukünftigen immateriellen Schaden zu ersetzen, der aufgrund der Ereignisse der Geburt vom 26. Mai 1994 entstanden ist und entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstigen Dritten übergegangen ist oder übergeht.

Die Kläger zu 1) und 2) tragen die durch die Anrufung des unzuständigen Gerichts entstandenen Kosten vorab. Von den Gerichtskosten erster Instanz und den außergerichtlichen Kosten des Beklagten erster Instanz tragen die Klägerin zu 1) 35% und der Beklagte 65%. Die Klägerin zu 1) trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 2) trägt der Beklagte.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Kläger zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe: I. Die Eltern des Klägers zu 2) - im Weiteren: des Klägers - ließen die Schwangerschaft der damals 26jährigen, am 26.6.1967 geborenen Mutter im Jahr 1994 weitgehend durch einen Frauenarzt an ihrem Wohnort Gütersloh betreuen. Die Geburt sollte auf Empfehlung der mit dem Beklagten zusammenarbeitenden Hebamme I außerklinisch in der Praxis des Beklagten in T stattfinden. Außer Entbindungsräumen unterhielt der Beklagte einen Operationsraum. Einen ordnungsmäßigen Not-Kaiserschnitt konnte der Beklagte dort nicht vornehmen. Die Vorlaufzeit dafür betrug tagsüber eine Stunde, bis ein Anästhesist zur Verfügung stand. Abends bzw. nachts mussten die Gebärenden bei Komplikationen ggf. verlegt werden. Die nächstgelegenen Kliniken Warendorf bzw. Versmold sind 5,8 bzw. 9,6 km entfernt. Nach komplikationsloser Schwangerschaft kam es am 26.5.1994 vier Tage vor dem errechneten Geburtstermin des Klägers um 18.30 Uhr zu einem vorzeitigen Blasensprung mit Abgang von Fruchtwasser. Um 21.30 Uhr trafen die Eltern des Klägers in der Praxis des Beklagten ein. Um 21.50 Uhr injizierte der Beklagte der Mutter des Klägers zur Schmerzlinderung eine Carbosestinlösung in Form einer Intracervicalblockade (ICB) in die Cervix der Gebärmutter. Etwa um 22.30 Uhr verließ der Beklagte seine Praxis. Die Hebamme, die Zeugin I, blieb bei der Mutter. Um 23.15 Uhr benachrichtigte die Hebamme den Beklagten, weil der Muttermund sich geöffnet hatte. Auf dem CTG-Streifen sind für 23.18/23.19 Uhr pathologische Ausschläge dokumentiert. Um 23.20 Uhr traf der Beklagte wieder ein. Für 23.25 Uhr dokumentiert das CTG hochpathologische Ausschläge. Um 23.30 Uhr diagnostizierte der Beklagte einen Geburtsstillstand und entschloss sich zur Saugglockenentbindung. Um 23.50 Uhr wurde der Kläger auf diesem Weg geboren. Der Kläger war asphyktisch, wurde vom Beklagten abgesaugt und bis 0.15 Uhr intubiert. Um 1.30 Uhr benachrichtigte der Beklagte den perinatologischen Notfalldienst der Märkischen Kinderklinik in Hamm. Der Beklagte dokumentierte, dass die Ärzte den Kläger um 2.45 Uhr übernahmen. Die Gutachterkommission kam in ihrem Bescheid vom 24.11.1998 zu dem Ergebnis, dass dem Beklagten ein Behandlungsfehler vorzuwerfen sei, weil er keinen Kaiserschnitt vorgenommen habe. Wegen der Einzelheiten des Bescheides wird auf Bl. 59 ff d.A. verwiesen. Der Kläger ist mehrfach behindert. Er hat Schmerzensgeld - Mindestvorstellung: 400.000,- DM - verlangt, Feststellung der Schadensersatzpflicht des Beklagten, hilfsweise materiellen Schadensersatz für Pflegemehrleistungen seiner Eltern im Jahr 2000. Das vom Kläger angerufene Landgericht C4 hat den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Landgericht Münster verwiesen. Der Kläger hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz, mindestens jedoch 4% seit Klagezustellung zu zahlen, festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm allen zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der aufgrund der Ereignisse der Geburt vom 26.5.1994 entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen ist oder noch übergeht, hilfsweise, den Beklagten zu verurteilen, an ihn 32.978,98 € nebst 4% Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen. Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines gynäkologischen und eines neuropädriatischen Sachverständigengutachtens nebst ergänzender Anhörung beider Gutachter und Vernehmung mehrerer Zeugen abgewiesen. Das Landgericht hat festgestellt, dass der Beklagte bei den Eltern den Eindruck erweckt habe, er könne im Fall einer unvorgesehenen Komplikationen ebenso intervenieren wie bei einer Entbindung in einem Krankenhaus der Normalversorgung. Tatsächlich habe der Beklagte jedoch nach eigenen Angaben keine Möglichkeit gehabt, einen Notkaiserschnitt vorzunehmen. Der Kläger habe jedoch nicht bewiesen, dass dieses Fehlverhalten ursächlich für seine Behinderung geworden sei, weil der Kläger auch in einem Krankenhaus unter Berücksichtigung der Zeit vom Entschluss zum Kaiserschnitt bis zur Entbindung um 23.50 Uhr nicht früher geboren worden wäre. Auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die frühere Klägerin zu 1), der Krankenversicherer, hat keine Berufung eingelegt. Der Kläger zu 2) macht mit der Berufung im Wesentlichen geltend: Der Beklagte habe auf Informationsveranstaltungen vor der Geburt den Eindruck erweckt, dass er bei einem unvorhersehbar ungünstigen Geburtsverlauf einen Notkaiserschnitt vornehmen könne. Die Nichtvornahme des gebotenen Kaiserschnittes sei ein grober Behandlungsfehler. Die ICB (Intracervicalblockade) um 21.50 Uhr sei ebenfalls als grober Behandlungsfehler zu bewerten. Diese Methode sei ungeeignet und ursächlich für die plötzlich auftretende Herztonpathologie. Das CTG sei bereits um 22.35 Uhr pathologisch geworden. Die vom Beklagten vorgelegten CTG-Aufzeichnungen seien nicht authentisch. Sie seien von ihm u.a. mit einem blauen Stift nachgezeichnet worden. Ferner seien Fremd-CTG angeklebt worden. Der perinatologische Notfalldienst hätte bei rechtzeitiger Benachrichtigung um 23.18 Uhr bereits um 0.08 Uhr eintreffen können. Spätestens um 23.20 Uhr hätte die Indikation zum Kaiserschnitt gestellt werden müssen. Die Saugglocke sei abgerissen, der Abriss der Saugglocke sei grob fehlerhaft gewesen. Dadurch sei der Schädel traumatisiert und eine Ischämie des Gehirns ausgelöst worden. Der Kläger beantragt, das am 14.10.2004 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Münster - 11 O 1054/01 - abzuändern und mit der Maßgabe nach seinen in erster Instanz zuletzt gestellten Anträgen zu erkennen, dass Gegenstand des Feststellungsbegehrens aller materieller und der zukünftige immaterielle Schaden sein soll. hilfsweise das am 14.10.2004 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Münster zu - 11 O 1054/01 - aufzuheben und die Sache einschließlich des ihr zugrunde liegenden Verfahrens zurückzuverweisen. Der Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen. Er trägt in erster Linie vor: Die Möglichkeit eines Notkaiserschnittes habe bei der Entscheidung zur Entbindung in seiner Praxis keine Rolle gespielt. Wenn die Geburt nicht in seiner Praxis stattgefunden hätte, hätte die Mutter des Klägers zu Hause entbunden. Das CTG sei nicht bereits ab 22.35 Uhr unterbrochen worden. Um 23.19 Uhr habe das CTG jedenfalls funktioniert. Auf seine Nachträge, einschließlich korrigierter Zeitangaben, komme es nicht an. Die von ihm angewandte ICB habe den Kläger nicht geschädigt. Die Saugglocke sei bei der Geburt nicht abgerissen. Er habe eine Saugglocke von 4 cm Durchmesser gegen eine solche von 6 cm ausgewechselt. Es sei schicksalhaft, dass der Kläger durch das Ansetzen der Saugglocke eine Kopfverletzung erlitten habe. Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die beigezogenen Behandlungsunterlagen, das Sitzungsprotokoll und den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 30. Mai 2005 über die Anhörung des Beklagten und des Vaters des Klägers, die erneute Zeugenvernehmung der (nach Scheidung mittlerweile nicht mehr sorgeberechtigten) Mutter sowie die ergänzende Anhörung des gynäkologischen Sachverständigen Prof. Dr. P und des neuropädriatischen Sachverständigen Prof. Dr. Aksu Bezug genommen. II. Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Aufgrund groben Organisationsverschuldens haftet der Beklagte dem Kläger gem. § 823 Abs. 1 BGB i. V. mit § 847 BGB in der bis zum 31.7.2002 geltenden Fassung (Art. 229 § 8 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB). Im Hinblick auf materielle Schäden, die im Rahmen des Feststellungsausspruchs zum Tragen kommen, besteht zusätzlich ein Anspruch des Klägers aus Schlechterfüllung des Behandlungsvertrages des Beklagten mit der Mutter in Verbindung mit den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte. In der medizinischen Bewertung des Sachverhaltes folgt der Senat den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen Prof. Dr. P und Prof. Dr. A, die ihre ausführlichen schriftlichen Gutachten bei ihrer Anhörung eingehend ergänzend erläutert haben. 1) Das Landgericht hat zutreffend festgestellt, der Beklagte habe bei den Eltern des Klägers den Eindruck erweckt, er könne im Notfall ebenso intervenieren wie Ärzte eines Krankenhauses der Normalversorgung. Tatsächlich - und insoweit unstreitig - konnte der Beklagte aber keine ordnungsmäßige Not-Sectio vornehmen. Die verfahrensfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts unterliegen keinem Zweifel (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Sie wurden auch bestätigt durch die zweitinstanzlich wiederholte Vernehmung der Mutter des Klägers, der Zeugin T3. Die Zeugin T3 hat in beiden Instanzen ausgesagt, dass der Beklagte den Eltern im Rahmen eines Informationsabends in seinen Praxisräumen etwa Anfang 1994 auch den Operationsraum gezeigt habe. Der Beklagte habe den Eltern u.a. mitgeteilt, dass er in seiner Praxis auch einen Kaiserschnitt habe vornehmen können. Dies habe auch für Notfälle gegolten, denn der Beklagte habe erklärt, dass im Notfall ein Narkosearzt gerufen werde. Diese Bekundungen sind glaubhaft; sie werden bestätigt durch die Aussagen eines anderen Elternpaares, der Zeugen C5 und Andreas C. Nach Angaben der Zeugin C hat der Beklagte erklärt, er könne einen Kaiserschnitt machen, ein Anästhesist stehe in Notbereitschaft. Zur Verlegung in ein Krankenhaus könne ggf. ein Notarzt gerufen werden (Bl. 499 d.A.). Im Wesentlichen übereinstimmend hat der Zeuge C ausgesagt (Bl. 500 d.A.). Selbst die mit dem Beklagten zusammenarbeitende Hebamme I hat bekundet, der Beklagte habe den Eltern erklärt, er könne einen Kaiserschnitt und tue dies auch, wenn er einen Anästhesisten habe (Bl. 501 d.A.). Mit Rücksicht auf den Verständnishorizont von Laien wird damit der Eindruck hervorgerufen, dass der Beklagte in seiner Praxis eine ordnungsmäßige Not-Sectio vornehmen kann, sofern eine solche geboten ist. Nach dem Inhalt des Behandlungsvertrages war der Beklagte vor diesem Hintergrund gehalten, die Möglichkeit zur ordnungsmäßigen Not-Sectio in seiner Praxis vorzuhalten. Dazu war der Beklagte jedoch nicht in der Lage. Das hat er auch im Senatstermin eingeräumt. Nach eigenen Angaben des Beklagten braucht der Anästhesist etwa eine Stunde, um die Praxis zu erreichen. Nachts ist gar kein Anästhesist zu erreichen; die Patientin muss in ein Krankenhaus verlegt werden. Damit kann der Beklagte die bei einer Notlage erlaubte Zeit zwischen Indikationsstellung und Sectio (E-E-Zeit), die maximal etwa 20 Minuten beträgt, nicht einhalten. Das hat der Sachverständige Prof. Dr. P bereits in seinem schriftlichen Gutachten festgestellt (Bl. 282 d.A.). Soweit der Beklagte erstmals im Senatstermin behauptet hat, er habe den Eltern eindeutig erklärt, dass er keinen Akut-Kaiserschnitt vornehmen könne, ist dies mit Rücksicht auf die vorgenannten Zeugenaussagen unglaubhaft. Überdies hat der Beklagte diese Behauptung zuvor weder im Rahmen seiner Anhörung in erster Instanz noch in der Berufungserwiderung aufgestellt, obwohl dazu aller Anlass bestanden hätte. 2) Angesichts dessen ist dem Beklagten ein Organisationsverschulden zur Last zu legen, weil er unter der Geburt kein ausreichendes Notfallmanagement gewährleisten konnte. Die Übernahme einer Behandlung trotz unzureichender Organisation steht einem Behandlungsfehler gleich. Auf der Grundlage der Informationsveranstaltung und dem davon bestimmten Inhalt des Behandlungsvertrages mit Beklagten durfte eine Patientin bei Aufnahme in der Praxis des Beklagten zur Entbindung ähnlich wie bei der Aufnahme in einem Krankenhaus der Grundversorgung auch im Notfall eine umfassende Unterstützung bei der Geburt unter Berücksichtigung aller gebotenen Maßnahmen erwarten und davon ausgehen, dass der Beklagte die hierfür erforderlichen organisatorischen Maßnahmen trifft und nicht nur die erforderlichen Räume, Instrumente und Apparate vorhält, sondern auch das benötigte Personal bereitstellt. Die Bedeutung des Behandlungsvertrages in diesem Zusammenhang hat der BGH in seinem Urteil vom 7.12.2004 - VI ZR 212/03 (VersR 2005, 408, 409 unter II.1.) betont. Das Urteil des OVG Münster vom 23. Juni 2004 (6t A 377/02. T) in dem berufsgerichtlichen Verfahren gegen den Beklagten steht der Annahme eines Organisationsfehlers nicht entgegen. Das OVG hat zwar festgestellt, dass der Beklagte seine Berufspflichten nicht verletzt habe. Die Frage eines Organisationsfehlers hat das OVG jedoch ausweislich S. 15 der Urteilsgründe (Bl. 490 d.A.) nicht geprüft. 3) Das Landgericht hat auch zutreffend festgestellt, dass sich die Mutter des Klägers, die Zeugin T3, für eine Entbindung in einem Krankenhaus entschlossen hätte, wenn sie gewusst hätte, dass der Beklagte in seiner Praxis keinen ordnungsgemäßen Notkaiserschnitt vornehmen kann. Davon hat sich der Senat durch erneute Vernehmung der Zeugin T3 überzeugt. Es leuchtet ein, dass die Zeugin T3 eine Entbindung in der Praxis des Beklagten angesichts des vorhandenen und den Eltern gezeigten Operationsraumes sowie des vom Beklagten erweckten Eindrucks, er könne dort einen Notkaiserschnitt vornehmen, für sicherer hielt, als die von der Zeugin zunächst geplante Hausgeburt und sich maßgeblich aufgrund dessen für eine Entbindung beim Beklagten entschied. 4) Der Gesundheitsschaden des Klägers beruht auf dem Geburtsverlauf. Der Sachverständige Prof. Dr. P hat im Senatstermin festgestellt, dass entweder eine vorzeigte Plazentaablösung oder eine Zerreißung der Nabelschnur in Betracht kommen. Der Sachverständige Prof. Dr. Aksu hat bereits in seinem schriftlichen Gutachte festgestellt, dass die Behinderung des Klägers eindeutig Folgezustand einer unter der Geburt durch Sauerstoffmangel entstandenen Hirnschädigung ist (Bl. 427 d.A.). Der Beklagte hat nicht bewiesen, dass der entstandene Gesundheitsschaden auch bei einer Entbindung im Krankenhaus eingetreten wäre. Entgegen der Annahme des Landgerichts ist nicht der Kläger beweisbelastet, sondern der Beklagte. Für den Kausalitätsnachweis greift im Fall eines groben Organisationsfehlers eine Beweislastumkehr zu Gunsten des Geschädigten ein (BGH, NJW 1994, 1594, 1595 unter II.2.b.; OLG Stuttgart, VersR 2001, 1560, 1562 unter II. 6.c.; Geiß/ Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 4. Aufl., Rn. B 253, 291 m. w. Nachw.). a) Dem Beklagten fällt ein grober ärztlicher Organisationsfehler zur Last, nämlich ein Fehler, der aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich ist. So haben aus medizinischer Sicht die Sachverständigen das Verhalten des Beklagten bewertet. Der Sachverständige Prof. Dr. P hat festgestellt, es sei nicht verständlich, dass der Arzt den Eltern diese Schwäche der eigenen Methodik nicht mitteile. Auch der Sachverständige Prof. Dr. Aksu hat festgestellt, es sei unverständlich, dass der Beklagte im Rahmen der Informationsveranstaltung nicht zwischen einer geplanten Sectio und einer (dem Beklagten nicht möglichen) Notfall-Sectio unterschieden habe; für den Laien entstehe so der Eindruck, er sei im Notfall in der Praxis des Beklagten gut aufgehoben. Der Senat stimmt der überzeugenden Einschätzung der Sachverständigen aus juristischer Sicht zu. Auch der Beklagte hat im Senatstermin eingeräumt, es sei für den Arzt selbstverständlich, den Eltern mitzuteilen, wenn eine ordnungsmäßige Notfall-Sectio in der eigenen Praxis nicht möglich ist. b) Der Senat hat mit den Sachverständigen eingehend erörtert, ob die gesundheitlichen Schäden des Klägers vermieden oder geringer ausgefallen wären, wenn die Geburt in einer Klinik vorgenommen worden wäre. Da die Eltern des Klägers nach allem Dafürhalten und auch nach ihren glaubhaften Erklärungen im Senatstermin eine Klinik an ihrem damaligen Wohnort in Gütersloh aufgesucht hätten, sei es das dortige Elisabeth- oder Städtische Krankenhaus, hat der Senat als Maßstab eine Klinik der Grund- und Regelversorgung im Raum Gütersloh gewählt. Auch der Beklagte hat im Senatstermin die Auffassung geäußert, dass die Kliniken in Gütersloh optimal für eine Geburt ausgerüstet sind. Angesichts der Beweislastumkehr muss der für den Kläger günstigste, nicht nur theoretisch, sondern praktisch mögliche Kausalverlauf unterstellt werden. Zugunsten des Klägers muss dabei zunächst angenommen werden, dass das hochpathologische CTG um 23.25 Uhr auch in einem Krankenhaus bemerkt worden wäre und das Ärztepersonal folgerichtig darauf reagiert hätte. Wegen des Sauerstoffmangels unter der Geburt, den der Sachverständige Prof. Dr. P plastisch mit der Situation eines Ertrinkenden verglichen hat, kommt es dann maßgeblich darauf an, auf welche Weise die Entbindung fachgerecht am schnellsten vorgenommen werden konnte. Jede Minute zählt. Das hat der Sachverständige C3 im Senatstermin nochmals hervorgehoben. Als Möglichkeiten zur Beendigung der Geburt haben die Sachverständigen dem Senat mehrere denkbare Vorgehensweisen aufgezeigt: die Möglichkeit einer sofortigen Sectio, den Versuch einer Vakuum-Extraktion mit Umschwenken auf eine Sectio im Fall des Misserfolgs sowie eine rein vaginale Entbindung. Der ideale, konkret mögliche Verlauf wäre nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. P eine rein vaginale Entbindung gewesen. Nach den umfassenden Erfahrungen des Sachverständigen Prof. Dr. P hätte der Kläger mit einer Geburtszange entbunden werden können. Es sei, wie der Sachverständige Prof. Dr. P formuliert hat, auch "sehr, sehr" anzunehmen, dass es 1994 in den Kliniken in Gütersloh Ärzte gab, die mit der Geburtszange umgehen konnten. Bei einem Entschluss zur Herbeiführung der Geburt aufgrund des hochpathologischen CTG um 23.25 Uhr, hätte die Geburt gegen 23.38/23.30 Uhr beendet werden können. Dem Kläger wären im Vergleich zur tatsächlichen Geburt um 23.50 Uhr etwa 20 bis 22 Minuten Sauerstoffmangel erspart geblieben. Zur Vermeidung von Missverständnissen weist der Senat darauf, dass es an dieser Stelle nicht darum geht, dem Beklagten etwa eine unterlassene Zangengeburt als Behandlungsfehler anzulasten, sondern um den für den Kläger günstigsten, konkret möglichen Kausalverlauf. Zusätzlich ist zugunsten des Klägers ist in diesem Zusammenhang zu unterstellen, dass er in einem Krankenhaus nach der Geburt Humanalbumin zur Stabilisierung des Kreislaufes erhalten hätte. Die Gabe von Humanalbumin hätte ein Kinderarzt nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. C3 mit Sicherheit veranlasst. Es kommt an dieser Stelle nicht darauf an, dass ein Krankenhaus der Grund- und Regelversorgung unter Umständen keine Abteilung für Neonatologie unterhalten hätte. Auch der Beklagte geht, wie er im Senatstermin erklärt hat, davon aus, dass es 1994 im Krankenhaus in Gütersloh jedenfalls Kinderärzte gab. Wie der Sachverständige Prof. Dr. C3 weiter ausgeführt hat, hätten im Übrigen auch viele Gynäkologen nach der Geburt Humanalbumin gegeben. Auch bei diesem, für den Kläger günstigsten Verlauf wäre seine Behinderung indes mit Gewissheit nicht insgesamt vermieden worden. Nach der Schätzung des Sachverständigen Prof. Dr. C3 wäre ein gesundheitlicher Schaden von 30-35% geblieben. Das leuchtet ein, weil der Sauerstoffmangel bereits zuvor einsetzte, wie das ab 23.25 Uhr hochpathologische CTG zeigt, welches der Sachverständige Prof. Dr. P als das CTG eines sterbenden Kindes beschrieben hat. In diesem Umfang entfällt die Beweislastumkehr, weil es gänzlich bzw. äußerst unwahrscheinlich ist, dass der Organisationsfehler des Beklagten insoweit mit zum Schadenseintritt beigetragen hat c) Die beiden anderen im Senatstermin erörterten Möglichkeiten zur Beendigung der Geburt, nämlich die sofortige Sectio bzw. die Möglichkeit einer Vakuum-Extraktion mit Umschwenken auf eine Sectio im Fall des Misserfolgs, hätten etwas mehr Zeit in Anspruch genommen. Der Kläger hätte bei einer günstigen E-E-Zeit von rund 10 Minuten gegen 23.35 Uhr bzw. gegen 23.38 Uhr entbunden werden können, wenn man vorher vergeblich zwei bis drei Minuten eine Vakuum-Extraktion versucht. Dies hätte in beiden Fällen nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. y einer verbleibenden Behinderung von 40-50% geführt. Mit Rücksicht darauf ist die oben beschriebene vaginale Entbindung mittels Geburtszange die für den Kläger mit den wenigsten tragischen Folgen verbundene Möglichkeit. d) Die vom Beklagten um 21.50 Uhr gesetzte Intracervicalblockade (ICB) mit dem Medikament Carbosestin hat den Geburtsverlauf nicht zum Nachteil des Klägers beeinflusst. Es kam in diesem Zusammenhang insbesondere nicht darauf, ob das vom Beklagten vorgelegte CTG u.a. angesichts der von ihm handschriftlich nachgetragenen Uhrzeiten noch als vertrauenswürdige ärztliche Dokumentation anzusehen ist. Der Sachverständige Prof. Dr. P verfügt über eine anästhesistische Ausbildung und auch über entsprechende Berufserfahrung. Er hat festgestellt, dass die ICB nur eine lokale Infiltration mit einem Lokalanästhetikum war, die im Gegensatz zu der hier nicht vorgenommenen Paracervicalblockade (PCB) keine Gefahr bietet. Ferner hat er erklärt, dass ein Sachverständiger der Anästhesie keine besseren Erkenntnisse habe. Bei der Bewertung des Sachverhaltes spielt es auch keine Rolle, dass der Beklagte keinen Versuch zur Wehenhemmung in Gestalt einer Tokolyse vorgenommen hat. Denn er hat sogleich einen Entbindungsversuch unternommen. Auch das Kopfhämatom, welches der Beklagte dem Kläger mit der Saugglocke zugefügt hat, hat die Gesundheit des Klägers nicht nachteilig beeinträchtigt. Das Hämatom liegt außerhalb der Schädeldecke und tangiert die Gesundheit des Klägers nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. P deshalb nicht. 5) Der Senat erachtet einen Schmerzensgeld-Kapitalbetrag in Höhe von insgesamt 204.516,75 € <400.000,- DM > für angemessen (§ 847 BGB a.F.). Das entspricht im Ergebnis der vom Kläger geäußerten Vorstellung. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes hat der Senat sich maßgeblich von der schweren, ganz überwiegend vom Beklagten zu verantwortenden Mehrfachbehinderung des Klägers leiten lassen. Der Kläger hat ausweislich des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. P eine geburtsassoziierte, ischämische Hirnschädigung erlitten (Bl. 290 d.A.). Bei dem Kläger liegt nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. C3 in seinem schriftlichen Gutachten eine allgemeine Entwicklungsstörung mit einer links betonten spastischen Tetraparese mit dyston/dyskinetischer Komponente und Mikrozephalie vor. Es handelt sich um einen Dauerschaden (Bl. 422 d.A.). Der Kläger kann, wie sein Vater im Senatstermin eindrucksvoll geschildert hat, nicht sprechen und nicht selbständig essen. Er krampft und bekommt Epilepsieanfälle. Er muss zur Vermeidung von Druckstellen nachts gewendet werden. Er kann nicht laufen, liegt viel und ist im Übrigen auf den Rollstuhl angewiesen. Eine gewisse Verständigung ist über Mimik möglich, wobei Lachen "ja" bedeutet und Verziehen des Mundes als "nein" zu deuten ist. Auch wenn unter den oben beschriebenen günstigen Umständen eine Behinderung von ca. 30-35% geblieben wäre, wäre der Kläger nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. C3 insbesondere nicht mehrfach behindert gewesen. Er hätte wesentlich an Lebensqualität hinzugewonnen. Unter Berücksichtigung der schweren Folgen hält der Senat es nicht für angemessen, das Schmerzensgeld, welches sich der Kläger vorgestellt hat, zu vermindern. Umgehrt bestand auch kein Anlass zu einer Erhöhung. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass es tragische Fälle mit noch schwererem Verlauf gibt, z. B. Fälle, in denen das Kind blind ist und nur über eine Magensonde ernährt werden kann (vgl. OLG Brandenburg, VersR 2004, 199) In dieser Fallgestaltung hat die Rechtsprechung indes auch größere Entschädigungen zuerkannt, im vorgenannten Fall 230.000,- € Schmerzensgeld-Kapital plus 360,- € monatlich Schmerzensgeldrente Eine dahingehende Vorstellung hat auch der Kläger nicht geäußert. 6) Der Zinsanspruch in Gestalt von Anlagezinsen auf das ausgeurteilte Schmerzensgeld-Kapital folgt aus § 288 Abs. 2 BGB in der bis zum 1.5.2000 geltenden Fassung (Art. 229 § 1 Abs. 1 S. 3 EGBGB). Bei Klagezustellung befand sich der Beklagte spätestens aufgrund seiner Leistungsverweigerung durch Anwaltsschriftsatz vom 5.4.2000 (Bl. 164 d.A.) in Verzug. Der Kläger kann Anlagezinsen in der verlangten Höhe beanspruchen. Angesichts des kindlichen Alters des Klägers liegt es auf der Hand, dass das Schmerzensgeld nicht ausgegeben wird. Auch der Höhe nach bestehen keine Bedenken gegen den Zinssatz. Der Senat verkennt dabei nicht, dass Anlagezinsen mittlerweile restriktiver gehandhabt werden (Palandt/ Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 288 Rn. 13). Der vom Kläger beantragte und vom Senat zuerkannte Zinssatz liegt jedoch immer noch unter dem seit dem 1.5.2000 gem. Art. 229 § 1 Abs. 1 S. 3 EGBGB geltenden gesetzlichen Zinssatz. Gem. § 187 Abs. 2 BGB kann der Kläger Zinsen ab dem 6.4.2001 verlangen. Der Kläger hat Zinsen ab Klagezustellung beantragt (§ 308 ZPO). Die Klageschrift vom 20.3.2001 wurde nicht am "5.4.2000" (Bl. 180 d.A.), sondern am 5.4.2001 zugestellt. Das Empfangsbekenntnis der Prozessbevollmächtigten des Beklagten enthält einen offensichtlichen Schreibfehler, der nicht zu seinen Lasten gehen darf. 7) Der Feststellungsantrag ist begründet (§ 256 Abs. 1 ZPO). Wegen der schweren Körperbehinderung des Klägers sind materielle und künftige, derzeit nicht vorhersehbare immaterielle Schäden nicht auszuschließen. 8) Über den Hilfsantrag des Klägers, der Pflegemehrleistungen seiner Eltern im Jahr 2000 betrifft, war nicht zu entscheiden. Der Hilfsantrag ist für den Fall der Unzulässigkeit des Feststellungsantrages gestellt worden. Diese Bedingung ist nicht eingetreten. 9) Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91, 92 Abs. 1, 100 Abs. 1 und 2, 281 Abs. 3 S. 2 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht. Die Beschwer des Beklagten übersteigt 20.000,- € (Art. 26 Nr. 8 EGZPO).

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