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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 06.02.2002
Aktenzeichen: 3 U 64/01
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 31
BGB § 831
BGB § 843
BGB § 823 Abs. 1
ZPO § 711
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 11
Die Durchtrennung des Ductus choledochus (Hauptgallengang) bei einer endoskopischen Cholecystektomie (Gallenblasenentfernung im Wege des sog. minimal-invasiven Verfahrens) stellt grundsätzlich einen Behandlungsfehler dar.
OBERLANDESGERICHT HAMM IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 64/01 OLG Hamm

Verkündet am 6. Februar 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 6. Februar 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Pelz und die Richter am Oberlandesgericht Rüthers und Lüblinghoff

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 6. Februar 2001 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hagen abgeändert.

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 20.569,48 € nebst 4 % Zinsen seit dem 24. Januar 1995 zu zahlen.

Die Beklagten tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweiligen Vollstreckungsbetrages abwenden, falls nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet. Die Beklagten können die Sicherheit auch durch eine unbedingte und unbefristete Bürgschaft einer deutschen Großbank, Genossenschaftsbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse erbringen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin ist der gesetzliche Krankenversicherer ihres Arbeitnehmers D und macht aus übergegangenem Recht Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten geltend.

Der Versicherte D wurde am 03.01.1994 wegen Verdachts auf Gallensteine im Hause der Beklagten zu 1) stationär aufgenommen.

Am 04.01.1994 erfolgte eine endoskopische Cholecystektomie. Im Operationsbericht von diesem Tag heißt es u.a.:

Mit dem bipolaren Elektrohaken wird ... ein normal starker Ductus cysticus dargestellt, sicher umfahren, nach zentral doppelt geclipt und mit der Schere durchtrennt. ... Bei der weiteren Präparation stellt sich lateral davon ein zweites schlankes Gebilde die Arteria cystica dar, die ebenfalls ... doppelt geclipt und mit der Schere durchtrennt wird. Dabei zeigen sich zwei nebeneinander liegende Lumen, eine offenbar doppelt angelegte Arteria cystica, aus deren gallenseitigem Stumpf es blutet. ... Bei der weiteren Präparation stellt sich eine dritte strangförmige Struktur in der Stärke des Ductus cysticus vergleichbar dar, .... Da es sich hier offenbar um eine aberrierende zusätzliche Arterie entsprechend der anatomischen Varianten handelt, wird diese, zumal im Verlauf des Lig. hepato-duodenale der Ductus choledochus identifiziert werden kann, nach zentral doppelt geclipt und durchtrennt. ... Nun zeigt sich im noch verbleibenden Rest eine vierte, strangförmige, zur Gallenblase verlaufende Struktur, offenbar noch ein aberrierender Gallengang, der ebenfalls nach zentral doppelt geclipt und durchtrennt wird, ....

Im handschriftlichen Operationsprotokoll findet sich zusätzlich die Eintragung:

Engmaschige Kontrolle, wegen Gefahr einer iatrogenen D. Choledochusverletzung.

Weil sich nachfolgend die Laborparameter verschlechterten, erfolgte am 06.01.1994 eine Revisionsoperation. Im Operationsprotokoll von diesem Tag heißt es u.a.:

... Es findet sich cranial des Duodenum ein retrahierter und somit verkürzt erscheinender doppelt geclipter Gefäßstumpf. ... Kurz oberhalb des peripheren Choledochusstumpfes doppelt geclipter kleiner Nebenast der Vena Portae. ... Bereits im Bereiche der Leberpforte Darstellung des zentralen Choledochusstumpfes, aus dem sich nach Entfernung der beiden Clips Galle entleert. ... Der periphere Choledochusstumpf wird ... weit nach caudal ausgelöst. ... Choledochotomie etwa 1 cm caudal der Durchtrennungslinie. Einlegen eines 4 mm starken T-Drains, ... Es wird eine zirkuläre Allschichtnaht der beiden Gallengangsstümpfe ... gelegt ....

Am 04.02.1994 wurde der Versicherte aus der stationären Behandlung entlassen. Nach der Entfernung der Drainage verschlechterte sich der Zustand des Patienten, was zur erneuten stationären Aufnahme am 31.03.1994 im Hause der Beklagten zu 1) wegen Gelbsucht führte. Am 11.04.1994 erfolgte die Überweisung in die Städtischen Kliniken Dortmund. Am 25.04.1994 erfolgte die operative Beseitigung einer Stenose im Bereich des Ductus Hepaticus. Am 13.05.1994 wurde der Versicherte D aus der stationären Behandlung in den Städtischen Kliniken D entlassen.

Die Klägerin hat behauptet, der Versicherte sei nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden; die Behandlung sei fehlerhaft erfolgt. Sie hat behauptet, in dem Zeitraum vom 14.02.1994 bis zum 11.03.1994 und für den Zeitraum vom 31.03. bis 22.06.1994 insgesamt 40.230,00 DM gezahlt zu haben.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie 40.230,40 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 24.01.1995 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben behauptet, der Versicherte sei ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Behandlungsfehler haben sie in Abrede gestellt.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens sowie durch Einvernahme von Zeugen. Sodann hat es die Klage mit der Begründung abgewiesen, eine Haftung wegen Aufklärungspflichtverletzung bestünde nicht. Zwar sei die Behandlung des Versicherten fehlerhaft erfolgt. Der Klägerin stehe jedoch deshalb kein Anspruch zu, weil keine zeitliche Kongruenz zwischen den von der Klägerin erbrachten Sozialleistungen und dem übergegangenen Schadensersatzanspruch des Versicherten bestünde.

Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das schriftliche Gutachten des Sachverständigen, das Protokoll zur mündlichen Verhandlung und auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Gegen die Entscheidung des Landgerichts wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Sie wiederholt und vertieft den erstinstanzlichen Sachvortrag und beantragt,

unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie 40.230,40 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 24.01.1995 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise Vollstreckungsnachlaß.

Sie wiederholen und vertiefen ebenfalls den erstinstanzlichen Sachvortrag.

Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben durch mündliche Vernehmung des Sachverständigen.

Wegen weiterer Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sachvortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die beigezogenen Krankenunterlagen, das Protokoll und den Vermerk des Berichterstatters zum Senatstermin vom 06.02.2002 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten aus übergegangenem Recht einen Anspruch auf Zahlung des ausgeurteilten Betrages in Verbindung mit §§ 823 Abs. 1, 31, 831, 843 BGB.

1.

Die Behandlung im Hause der Beklagten zu 1 durch die Beklagten zu .2 und 3 war fehlerhaft. Die Cholecystektomie wurde unsachgemäß durchgeführt. Die Haftung trifft den Beklagten zu 3 als Chefarzt gleichermaßen. Er hat dem Beklagten zu 2 nicht nur assistiert, sondern ihn offenbar auch beaufsichtigt. Bei einem laparoskopischen Eingriff erfolgt die manuelle Führung der Instrumente durch den Operateur selbst. Jedoch steht dem beaufsichtigenden Chefarzt die gleiche Sichtkontrolle über Monitor zur Verfügung wie auch dem Operateur. Er ist deshalb in der Lage, die anzugehenden und ggfs. auch zu durchtrennenden Strukturen zu beurteilen und diesbezüglich die maßgeblichen Entscheidungen zu treffen. Fehler in diesem Zusammenhang gehen deshalb in gleichem Maße zu seinen Lasten wie zu Lasten des Operateurs.

Der Senat hat bereits entschieden, daß die Durchtrennung des Ductus choledochus im Rahmen der Cholezystektomie einen Behandlungsfehler darstellt (Urteil vom 15.03.2000 - 3 U 9/99). Der vorliegende Fall gibt keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Dabei wird nicht verkannt, daß der Sachverständige Prof. Dr. T nicht jede Durchtrennung des Hauptgallengangs als fehlerhaft ansieht. In welchen Fällen nach seiner Auffassung ausnahmsweise von einer unvermeidbaren Komplikation ausgegangen werden mag, war nicht näher zu erörtern. Denn auch nach Auffassung dieses gerichtlichen Sachverständigen stellt sich vorliegend die Durchtrennung des Ductus choledochus als fehlerhaft dar.

Im Zuge des endoskopischen Eingriffs zeigten sich Strukturen, die nach Auffassung des Sachverständigen den Umstieg auf die Laparotomie erforderten. Dabei ging der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten wie auch eingangs seiner Vernehmung vor dem Senat davon aus, daß spätestens nach dem Erkennen der "aberrierenden" Gänge bzw. Gefäße auf die offene Operation umzusteigen war. Zu diesem Zeitpunkt war der Choledochus bereits durchtrennt. Im Zuge seiner Vernehmung hat der Sachverständige jedoch klargestellt, daß der Ductus cysticus so zu präparieren ist, daß man "sieht, wie er verläuft. Sehe ich das nicht, muß man umsteigen". Dazu ist der Ductus cysticus gallenblasennah darzustellen, was ebenfalls nicht erfolgt ist. Das erhöht das Risiko der Läsion des Choledochus. Das Versäumnis der Beklagten liegt deshalb darin, nicht gallenblasennah und nicht klar den Cysticus dargestellt zu haben, bevor die entsprechende Struktur durchtrennt wurde. Entweder liegt der Fehler im unzulänglichen Präparieren oder aber, sofern das nicht möglich war, in dem unterbliebenen Umsteigen auf die Laparotomie vor der Durchtrennung der als Cysticus identifizierten Struktur. Wären die Beklagten sachgemäß vorgegangen - entweder durch gallenblasennahe und klare Präparation des Ductus cysticus oder aber durch rechtzeitiges Beenden des endoskopischen Eingriffs -, wäre es zur Verwechslung und damit zur Durchtrennung des Ductus choledochus erst gar nicht gekommen. In diesem Sinn äußern sich auch die Gutachter des Medizinischen Dienstes. Widersprüche verbleiben zur Überzeugung des Senats nicht.

Das bedeutet, daß dem Versicherten D die Revisionsoperation und - mangels notwendiger Anastomose - auch der nachfolgende Eingriff wegen der zwischenzeitlich aufgetretenen Stenose erspart worden wäre. Der auf die Klägerin übergegangene Schaden besteht deshalb zumindest in den Aufwendungen, die sie in Folge der Heilungsverzögerung und des erneuten Eingriffs in den Stadt. Kliniken Dortmund mit anschließender Arbeitsunfähigkeit zu tätigen hatte. Wäre sachgerecht vorgegangen worden, wäre es zur Durchtrennung des Choledochus nicht gekommen. In diesem Fall wäre zur Überzeugung des Senats die Arbeitsfähigkeit des Versicherten D spätestens nach 6 Wochen wiederhergestellt gewesen. In seinem schriftlichen Gutachten hat der Sachverständige die Dauer der Gesamtarbeitsunfähigkeit auf 9 Wochen geschätzt. Präzisierend hat er vor dem Senat ausgeführt, daß die Dauer der Arbeitsunfähigkeit kaum unterschiedlich ist, ob nun minimal invasiv oder laparotomisch operiert wird. Nach den Erfahrungen des Senats ist aber bei einer Laparoskopie und einem komplikationslosen Verlauf - von dem auszugehen ist - die Arbeitsfähigkeit nach spätestens 6 Wochen wieder gegeben. Das entspricht auch der Einschätzung des Gutachters Dr. Sch vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe (Bl. 203).

Nach den glaubhaften schriftlichen Ausführungen der Zeugin M ist der Senat davon überzeugt, daß die Klägerin die DM 40.230,40 an Aufwendungen getätigt hat, die sie auch ersetzt verlangt. Wegen der einzelnen Beträge wird auf die Stellungnahme der Zeugin M Bezug genommen. Diese Aufwendungen sind Folge des Fehlers und wären bei Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nach spätestens 6 Wochen nicht erforderlich gewesen. Sie sind deshalb auch im Sinne des Landgerichts sachlich und zeitlich kongruent.

2.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

3.

Das Urteil beschwert die Beklagten jeweils mit mehr als € 20.000,-.

Ende der Entscheidung

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