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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 16.11.2005
Aktenzeichen: 3 U 68/05
Rechtsgebiete: ZPO, BGB a.F.


Vorschriften:

ZPO § 540
BGB a.F. § 823
BGB a.F. § 847
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 26.01.2005 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe: I. Der am 29.09.1925 geborene Kläger verlangt Schadensersatz von den Beklagten mit dem Vorwurf, sie hätten im Rahmen ihrer ärztlichen Behandlung im Oktober und November 1999 einen bei ihm eingetretenen Schlaganfall nicht erkannt und daher eine rechtzeitige Therapie versäumt. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird zunächst gemäß § 540 ZPO auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil verwiesen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es vermochte einen Behandlungsfehler des Beklagten zu 2) nicht festzustellen. Soweit der Beklagte zu 1) hingegen möglicherweise eine neurologische Abklärung der beim Kläger vorliegenden Symptome versäumt habe, sei dem Kläger daraus kein Schaden entstanden. Mit der Berufung rügt der Kläger fehlerhafte Tatsachenfeststellung des Landgerichts. Er wiederholt und vertieft seine Behauptung, der Beklagte zu 1) habe am 13.10.1999 versäumt, ihn angesichts bestehender Symptome wie Gangunsicherheit, Schwindel und Gefühlsstörungen mit Taubheitsgefühl vom Nacken bis in den Oberschenkel in ein Krankenhaus einzuweisen. Dabei handele es sich um einen groben Behandlungsfehler. Tatsächlich sei bei ihm ein Hirninfarkt in der Nacht vom 12. auf den 13.10.1999 eingetreten. Die Beschwerden hätten am 15. und 18.10.1999 angedauert und sich auch in der Folgezeit nie völlig zurückgebildet. Insbesondere habe er auch weiterhin Beschwerden im rechten Arm und in der rechten Hand sowie eine Gangunsicherheit als Folge einer cerebralen Durchblutungsstörung. Seine rechte Seite spüre er kaum noch. Wochenlang habe er an erheblichen Gefühlsstörungen im rechten Bein und der rechten Gesichtshälfte gelitten. Bei sachgerechter Behandlung wäre dies erspart geblieben. Auch der Beklagte zu 2) habe die gebotene zügige Diagnostik und Behandlung versäumt. Insbesondere sei eine CTUntersuchung geboten gewesen, während das verordnete Medikament Cinnarizin kontraindiziert gewesen sei. Der Kläger beantragt, das am 26.01.2005 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Essen abzuändern und 1. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld (Vorstellung: 20.000,-- Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25.09.2003 zu zahlen, 2. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, ihm als Gesamtschuldner sämtlichen materiellen und zukünftigen immateriellen Schaden aus der medizinischen Behandlung in der Zeit vom 13.10.1999 bis zum 11.11.1999 zu ersetzen, soweit die Ersatzansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind. Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen. Sie wiederholen ihren erstinstanzlichen Vortrag und verteidigen das angefochtene Urteil. Der Beklagte zu 1) bestreitet das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers und behauptet, dass bei der Vorstellung des Klägers am 13.10.1999 bestehende Übelkeit im Vordergrund gestanden habe und er diese mit dem Genuss von Steinpilzen am Vortag in Verbindung gebracht habe. Die Parästhesien im rechten Bein seien nicht als gravierend dargestellt worden, neurologische Auffälligkeiten hätten nicht vorgelegen. Anlass an ein prolongiertes reversibles ischämisches neurologische Defizit (PRIND) zu denken, habe nicht bestanden. Auch am 15.10.1999 sei bei dem Kläger keine wesentlich geänderte Beschwerdesymptomatik vorhanden gewesen. Aufgrund der von ihm gestellten Diagnosen habe kein Anlass zu weiterer Diagnostik bestanden. Diese hätten zum damaligen Zeitpunkt ohnehin nur das Vorhandensein älterer cerebraler Durchblutungsstörungen ergeben, die keine weiteren Behandlungskonsequenzen, allenfalls eine stationäre Beobachtung, nach sich gezogen hätten. Die Behandlungsverzögerung sei folgenlos geblieben, bleibende Schäden habe der Kläger nicht erlitten. Die von ihm nunmehr geklagten Beschwerden seien Folge der vorbestehenden Schädigung des Gehirns und anderer Erkrankungen auf orthopädischem Gebiet. Der Senat hat die Parteien angehört und Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Sachverständigen Prof. Dr. T. Wegen der Ergebnisse der Parteianhörung und der Beweisaufnahme wird auf den Berichterstattervermerk zum Senatstermin vom 16.11.2005, wegen der Einzelheiten des Parteivortrages im Berufungsverfahren auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. II. Die zulässige Berufung bleibt erfolglos. Dem Kläger steht gegen die Beklagten kein Schadensersatzanspruch aufgrund einer PVV des Behandlungsvertrages oder gemäß §§ 823, 847 BGB (a.F.) zu. Auch durch die Beweisaufnahme zweiter Instanz vermochte er nicht den Nachweis zu führen, dass den Beklagten Behandlungsfehler unterlaufen sind, die bei ihm einen Schaden verursacht hätten. Vielmehr hat sich die Richtigkeit der schon vom Landgericht getroffenen Feststellungen in vollem Umfang bestätigt. Der Senat folgt bei der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. T. Dieser vermochte bei seiner Vernehmung sein Gutachten vom 15.09.2004 nachvollziehbar und insgesamt überzeugend zu erläutern. 1. Die Behandlung des Beklagten zu 2) war in jeder Hinsicht fachgerecht. Der Sachverständige hat überzeugend dargelegt, dass im Zeitpunkt der Vorstellung des Klägers beim Beklagten zu 2) keine akuten Symptome vorlagen, die Anlass zu einer weitergehenden Diagnostik oder zur Einweisung in ein Krankenhaus hätten geben müssen. Vielmehr hat der Beklagte zu 2) die im damaligen Zeitpunkt erforderlichen Untersuchungen vollständig durchgeführt. So hat er einen neurologischen Befund erhoben, der unauffällig war. Die Arbeitsdiagnose des Akustikusneurinoms war nicht zu beanstanden. Das gebotene CT wurde veranlasst, ohne dass Anlass zu besonderer Beschleunigung bestand. Auch das unter dem 11.11.1999 verordnete Mittel Cinnarizin war nicht kontraindiziert. Zwar hat der Sachverständige die Wirksamkeit dieses Medikaments bezweifelt und wird von der Gabe des Medikaments in der Liste der durchblutungsfördernden Mittel abgeraten, wenn beim Patienten Hirndurchblutungsstörungen und Hirnleistungsstörungen im Alter vorliegen. Dies beschreibt aber noch keine Kontraindikation; zudem entsprach die Gabe des Mittels zur Verbesserung der Hirnleistung einer seinerzeit üblichen Verordnungspraxis. 2. Nach den Ausführungen des Sachverständigen bestehen Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte zu 1) den guten ärztlichen Standard bei der Behandlung des Klägers nicht in vollem Umfang eingehalten hat. Zwar hat der Sachverständige zunächst ausgeführt, dass sich der Beklagte zu 1) innerhalb des ihm zustehenden Ermessens bewegt habe, wenn er angesichts der von ihm in seiner Dokumentation beschriebenen Symptome beim Kläger wie insbesondere dem Auftreten von Parästhesien als einzigem neurologischen Zeichen von einer neurologischen Abklärung oder einer Einweisung des Klägers in ein Krankenhaus absah. Auch ist dem Beklagten zu 1) nicht zu widerlegen, dass der Kläger bei Behandlungsbeginn am 13.10.1999 keine Lähmungs- oder sonstige auf einen Schlaganfall hindeutende Ausfallerscheinungen zeigte, zumal der Kläger einräumen musste, dass er nicht nur vor der Fahrt zu dem Beklagten zu 1) in der Lage war, sich in seiner Wohnung eigenständig zu bewegen und Sachen für einen etwaigen Krankenhausaufenthalt einzupacken, sondern auch ohne Hilfe eines Dritten in das Sprechzimmer des Beklagten zu 1) kommen konnte. Nachdem jedoch der Beklagte zu 1) bei seiner Befragung einräumen musste, dass der Kläger angegeben habe, sich "wie halbseitig gelähmt" gefühlt zu haben, hielt der Sachverständige eine weitergehende Befragung und ggf. weitere Abklärung der geäußerten Beschwerden für geboten, da sich nach der nicht widerlegbaren und durch das selbständige Bewegen des Klägers in der Praxis gestützten Einlassung des Beklagten zu 1) eine Diskrepanz zwischen den beschriebenen Beschwerden und dem Auftreten des Klägers ergab. Letztlich kann die Frage eines Behandlungsfehlers aber dahinstehen. Denn dem Kläger ist durch das Unterlassen der neurologischen Abklärung und der Krankenhauseinweisung kein Schaden entstanden. Insofern kann sogar dahinstehen, ob dem Kläger eine Beweislastumkehr wegen eines - ohnehin nicht ernsthaft in Betracht kommenden - groben Fehlers des Beklagten zu 1) oder wegen einer Verletzung der Befunderhebungs- und -sicherungspflicht zugute kommt. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Eintritt eines Schadens durch etwaige Versäumnisse des Beklagten zu 1) gänzlich unwahrscheinlich. Der Sachverständige hat insofern überzeugend ausgeführt, dass eine weitergehende neurologische Untersuchung des Klägers schon vor dem 21.10.1999 keine weiteren Erkenntnisse und Behandlungskonsequenzen erbracht hätte. Vielmehr lag beim Kläger am 13.10.1999 wahrscheinlich eine vollständig reversible vorübergehende Durchblutungsstörung des Gehirns (PRIND) vor. Dieser ist unzweifelhaft kein Hirninfarkt oder Schlaganfall mit weiterer dauerhafter Schädigung des Gehirns nachgefolgt. Vielmehr waren die auf dem CT des Klägers vom 27.10.1999 erkennbaren Hirninfarkte älteren Datums und bereits vor dem 13.10.1999 eingetreten. Da ein solcher Hirninfarkt schmerzlos verläuft und nicht zwangsläufig zu vom Patienten bemerkten Ausfällen führt, ist es nachvollziehbar, dass der Kläger den Eintritt dieser älteren Hirninfarkte nicht bemerkt hat. Auszuschließen ist hingegen, dass es am oder nach dem 13.10.1999 zu einem weiteren Schlaganfall oder sonstigen cerebralen Störungen gekommen ist. Dies ergibt sich auch nicht aufgrund des Umstands, dass der Kläger seit diesem Zeitpunkt über Gangunsicherheiten und Beschwerden im Schulter- und Armbereich klagt. Denn der Sachverständige hat insofern überzeugend bekräftigt, dass die Gangunsicherheiten auf eine Schädigung des Rückenmarks hindeuten, die in keinem Zusammenhang mit dem Geschehen vom 13.10.1999 steht, zumal die im CT erkennbaren Hirninfarkte in einer Region liegen, die eine Störung der Gangsicherheit nicht erwarten lassen. Die Ursache der vom Kläger beklagten Schmerzen im Schulter- und Armbereich liegt eindeutig auf orthopädischem Gebiet. 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO war nicht geboten. Die Entscheidung des Senats betrifft einen Einzelfall, der keine grundsätzliche Bedeutung besitzt. Von Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte oder des Bundesgerichtshofes ist der Senat nicht abgewichen. Das Urteil beschwert den Kläger mit mehr als 20.000,00 Euro.

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