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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 03.02.1999
Aktenzeichen: 3 U 92/98
Rechtsgebiete: ZPO, BGB
Vorschriften:
ZPO § 709 | |
ZPO § 711 | |
ZPO § 720 a Abs. 3 | |
ZPO § 97 Abs. 1 | |
ZPO § 108 | |
ZPO § 515 Abs. 3 | |
ZPO § 708 Nr. 10 | |
BGB § 847 | |
BGB § 823 | |
BGB § 831 | |
BGB § 30 | |
BGB § 31 |
Der Patient muß beweisen, daß der Arzt die Schädigung eines Nervs durch Fehllagerung im Bett verschuldet hat, wenn er standardgemäß gelagert war.
OBERLANDESGERICHT HAMM
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
3 U 92/98 OLG Hamm 4 O 302/96 LG Essen
Verkündet am 03. Februar 1999
Stalljohann, Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts
In dem Rechtsstreit
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm auf die mündliche Verhandlung vom 03. Februar 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Pelz und die Richter am Oberlandesgericht Kamps und Lüblinghoff
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 08. Januar 1998 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Essen wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 15.000,00 DM abwenden, falls nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in dieser Höhe leistet, die sie auch durch die unbedingte und unbefristete Bürgschaft einer deutschen Großbank oder eines öffentlich-rechtlichen Kreditinstituts erbringen kann.
Tatbestand
Die Klägerin wurde wegen einer Pneumonie am 01.10.1994 in die innere Abteilung des Klinikums in eingeliefert und wegen einer rapiden Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes am 05.10.1994 auf die dortige Intensivstation verlegt. Nachdem es bei der Klägerin zu einem akuten Lungenversagen kam, wurde sie ab dem 06.10.1994 auf der anästhesiologischen Intensivstation des Universitätsklinikums der Beklagten behandelt.
Die künstliche Beatmung erfolgte bis zum 24.10.1994. Danach wurde eine Lähmung des rechten Arms sowie auch - teilweise des linken Fußes der Klägerin festgestellt.
Die Klägerin hat die Beklagte auf Zahlung eines Schmerzensgeldes - Vorstellung: 40.000,00 DM - Ersatz materieller Schäden und Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftiger Schäden in Anspruch genommen. Sie hat behauptet, bei den Nervschädigungen handele es sich um Lagerungsschäden, die darauf zurückzuführen seien, daß sie in Bauchlage gelagert worden sei und weder ein Spezialbett noch eine Spezialpolsterung zum Einsatz gekommen sei. Die Beklagte hat behauptet, die während der künstlichen Beatmung bevorzugte Bauchlage der Klägerin sei medizinisch indiziert gewesen. Die in einem Spezialbett gelagerte Klägerin sei in regelmäßigen Abständen umgelagert worden, um Lagerungsschäden zu vermeiden. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der in erster Instanz gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, daß die künstliche Beatmung regelrecht erfolgt und die Klägerin ordnungsgemäß gelagert worden sei.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung, mit der sie - nach Rücknahme der bezifferten materiellen Zahlungsansprüche über 34.174,02 DM und über 1.944,40 DM monatlich - beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes, der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen seit dem 26.07.1996 zu zahlen;
2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus der fehlerhaften stationären Behandlung (Lagerungsschaden) resultieren, soweit derartige Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergeben werden.
Die Beklagte beantragt,
1. die gegnerische Berufung zurückzuweisen;
2. in den der Revision unterliegenden Sachen ihr nachzulassen, Sicherheit gem. §§ 709, 711, 720 a Abs. 3 ZPO durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Großbank oder eines öffentlich-rechtlichen Kreditinstituts zu erbringen.
Die Parteien wiederholen, vertiefen und ergänzen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die in dieser Instanz gewechselten Schriftsätze mit ihren Anlagen Bezug genommen.
Der Senat hat die Klägerin angehört, die Tochter, den Sohn und den Schwiegersohn der Klägerin als Zeugen vernommen und den Sachverständigen Prof. Dr. sein schriftliches Gutachten erläutern lassen. Insoweit wird auf die Vermerke des Berichterstatters zu den Senatsterminen vom 07.12.1998 (Bl. 272 276 d.A.) und vom 03.02.1999 (Bl. 296-298 d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung bleibt ohne Erfolg.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keine Schadensersatzansprüche aus den §§ 847, 823, 831, 30, 31 BGB oder aus einer schuldhaften Verletzung von Sorgfaltspflichten aus dem Behandlungsvertrag.
I.
Fehler der für die Beklagte tätigen Ärzte bei der Behandlung der Klägerin lassen sich nicht feststellen. In der Beurteilung des Behandlungsgeschehens macht sich der Senat die Feststellungen des Sachverständigen, der sein Gutachten überzeugend erläutert hat, zu eigen.
1.
Danach kamen für die Entstehung der Parese am rechten Arm drei mögliche Ursachen in Betracht. Keine dieser möglichen Ursachen kann auf eine unsachgemäße Lagerung in der Klinik der Beklagten zurückgeführt werden.
a)
Daß die Nervschädigung am rechten Arm durch eine Punktion der Vena subclavia verursacht worden sein könnte, ist nahezu auszuschließen, da diese Schädigungsmöglichkeit bei weniger als 0,5 % liegt.
b)
Daß die Schädigung durch Herabfallen des rechten Arms während der Rückenlage erfolgt ist, erscheint unwahrscheinlich. Der Senat ist davon überzeugt, daß die Arme der Klägerin während der Rückenlage fixiert waren. Das ergibt sich zum einen aus der Aussage der Krankenschwester im Kammertermin (Bl. 105 d.A.) und zum anderen aus den Aussagen der Tochter (Bl. 99 d.A.) und des Sohnes der Klägerin im Senatstermin. Zudem ist die Fixierung der Arme in den Pflegeberichten dokumentiert.
Hinzu kommt, daß die Nervschädigung während der Rückenlage sowohl auf der Intensivstation des Klinikums als auch auf dem Transportweg erfolgt sein kann.
c)
Es konnte auch nicht sicher festgestellt werden, daß die Schädigung des Armplexus im Zusammenhang mit der Beatmung in der Bauchlage erfolgt ist. Der Sachverständige hat dargelegt, daß es in der Bauchlage - bei Operationen - zu Lagerschäden kommen könne, und zwar auch für den Fall einer standardgemäßen Lagerung. Auch wenn das Auftreten von Nervenläsionen bei einer Beatmung von Koma-Patienten bisher nicht beschrieben sei, so könne, so der Sachverständige, daraus nicht auf eine fehlerhafte Lagerung geschlossen werden.
Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Lagerung in der Klinik der Beklagten bestehen nicht. Der Senat ist vielmehr der Überzeugung, daß die Lagerung dem medizinischen Standard entsprochen hat. Daß die Bauchlage standardgemäß durchgeführt worden ist, läßt sich, den Ausführungen des Sachverständigen folgend, der ausführlichen Dokumentation entnehmen und folgt auch aus den Bekundungen der Klinikbediensteten, die im Kammertermin vom 13.02.1997 vernommen worden sind (Bl. 90 - 98 und 102 - 106 d.A.). Gerade die ausführliche Dokumentation zeigt, daß sich die Klägerin alternativ in der Rückenlage, in der Bauchlage und in der sog. 35°-Rechtsseitenlagerung befunden hat.
Zweifel an der standardgemäßen Lagerung ergeben sich auch nicht aus den Bekundungen der Tochter, des Sohnes und des Schwiegersohnes der Klägerin im Senatstermin. Zwar haben diese Zeugen angegeben, daß sie keine Abpolsterungen während ihrer Krankenbesuche bei der Klägerin gesehen hätten. Daraus ist aber nicht zu folgern, daß solche Abpolsterungen nicht vorhanden waren. So waren Teile der Abpolsterungen für diese Zeugen als medizinische Laien nicht sichtbar oder nicht ohne weiteres als Polsterungen erkennbar. Für den Senat ist hierbei durchaus nachvollziehbar, daß sich den Zeugen das Bild ihrer schwerkranken Mutter auf der Intensivstation nachhaltig eingeprägt hat. Die Wahrnehmung dieser Zeugen aber dürfte insbesondere auf die lebenserhaltenden Apparate gerichtet gewesen sein. Wenn dann gerade die Zeugin Anke heute der Auffassung ist, daß keine Abpolsterungen vorhanden gewesen seien, so ist - unterstellt sie hätte eine solche tatsächliche Wahrnehmungsmöglichkeit gehabt - dies auch dadurch erklärbar, daß sich ihr das eher unwesentliche Augenmerkmal der Abpolsterungen nicht dauerhaft eingeprägt hat.
2.
Es konnte auch nicht festgestellt werden, daß die Nervschädigung am linken Bein in der Klinik der Beklagten verursacht worden ist. Für diese Peronaeusläsion könne, so der Sachverständige, ausgeschlossen werden, daß sie auf eine Beatmung in der Bauchlage zurückzuführen sei. Am ehesten sei anzunehmen, daß diese Parese auf einer Außenrotation des Beines während der Rückenlage beruhe. Es sei nicht auszuschließen, daß diese Schädigung während der Lagerung auf der Intensivstation des Klinikums erfolgt sei, zumal auch die ordnungsgemäße (Bein-)Lagerung in der Klinik der Beklagten dokumentiert sei.
3.
Demnach besteht vorliegend nur die Möglichkeit, daß die an Arm und Bein bestehenden Nervschädigungen im Zusammenhang mit der Lagerung in der Klinik der Beklagten erfolgt sein können. Grundsätzlich obliegt auch in diesen Fällen den Patienten die Beweislast für fehlerhaftes ärztliches Handeln. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist es nur ausnahmsweise Sache des Arztes oder des Krankenhausträgers, eine (Fehler)Vermutung zu entkräften, wenn feststeht, daß die Schädigung aus einem Bereich stammt, dessen Gefahren ärztlicherseits voll ausgeschlossen werden können und müssen. Zu diesem sog. voll beherrschbaren Risikobereich kann auch die Lagerung eines Patienten während der Operation gehören (vgl. BGH VersR 1984, 386; Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 7. Aufl., 1997 RdNrn. 500, 508; Müller NJW 1997, 3049,3050). In diesen Fällen hat der Arzt oder der Krankenhausträger nachzuweisen, daß die Lagerung und Überwachung des Patienten während der Operation und auch im Aufwachraum sachgemäß erfolgte.
Es erscheint hier bereits fraglich, ob die Lagerung eines Patienten, der über mehrere Tage im Koma liegt, mit der operationsbedingten Lagerung eines Patienten vergleichbar ist. Die Beweislastumkehr bei sog. Lagerungsschäden beruht darauf, daß bei der Lagerung eines Patienten während der Operation auch die Risikofaktoren, die sich etwa aus einer körperlichen Konstitution ergeben, von den Ärzten eingeplant und dementsprechend ausgeschaltet werden können und es deshalb Sache der Behandlungsseite ist, zu erklären, warum es gleichwohl zu einem Lagerungsschaden gekommen ist.
Die vorliegende Fallgestaltung rechtfertigt eine Beweislastumkehr nach Auffassung des Senats nicht. Zum einen kann von einem voll beherrschbaren Risiko dann nicht ausgegangen werden, wenn sich das Risiko einer Nervschädigung auch bei einer standardgemäßen Lagerung hätte verwirklichen können. Daß die Lagerung der Klägerin in der Klinik der Beklagten standardgemäß war, steht aus den bereits oben erwähnten Gründen fest. Zum an war, steht aus den bereits oben erwähnten Gründen fest. Zum anderen konnten die behandelnden Ärzte in der Klinik der Beklagten nur den dortigen örtlichen Bereich, nicht aber den des Klinikums oder den Bereich des Verlegungstransports beherrschen.
4.
Anhaltspunkte dafür, daß die Nervschädigungen zu spät erkannt oder behandelt worden sind, bestehen nicht. Auch insoweit hat der Sachverständige überzeugend dargelegt, daß während des Zeitraums der Analgosedierung nur eine grobe Beurteilung aus neurologischer Sicht möglich gewesen sei. Es hätte allenfalls eine Diagnose und Physiotherapie durchgeführt werden können, wie sie bereits eingeleitet gewesen sei. Ein operatives Vorgehen wäre - wegen des Zustandes der Klägerin - nicht in Betracht gekommen.
II.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 108, 515 Abs. 3, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Das Urteil beschwert die Klägerin mit mehr als 60.000,00 DM.
Ende der Entscheidung
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