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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 15.01.2008
Aktenzeichen: 3 Ws 10/08
Rechtsgebiete: JGG, StPO
Vorschriften:
JGG § 67 Abs. 2 | |
StPO § 35a | |
StPO § 298 Abs. 1 |
3 Ws 10/08 3 Ws 11/08
Tenor:
Die sofortigen Beschwerden werden als unbegründet verworfen.
Jeder Beschwerdeführer trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
Gründe:
I.
Der am 04.01.1992 geborene Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts - Jugendgericht - Lemgo vom 22.06.2007, das in seiner Anwesenheit verkündet worden ist, wegen Diebstahls mit einem Freizeitarrest belegt. Außerdem wurde ihm auferlegt, bei Meidung der Verhängung von Jugendarrest 40 Stunden gemeinnützige Arbeit nach Weisung des für seinen Wohnort zuständigen Jugendamtes zu leisten. Am 26. Juli 2007 verfügte der Rechtspfleger beim Amtsgericht Lemgo, an den die Sache zum Zwecke der Vollstreckungseinleitung abgegeben worden war, dass sowohl dem Angeklagten als auch dessen gesetzlichen Vertretern eine beglaubigte Abschrift des vorgenannten Urteils zugesandt wird. Die gesetzlichen Vertreter und Erziehungsberechtigten des Angeklagten legten gegen das Urteil mit anwaltlichem Schriftsatz vom 02.08.2007, der am selben Tag beim Amtsgericht Lemgo einging, Berufung ein und beantragten gleichzeitig hilfsweise die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen eine etwaige Versäumung der Berufungseinlegungsfrist. Zur Begründung trugen sie vor, der Hauptverhandlungstermin vom 22.06.2007, zu dem sie allerdings nicht förmlich geladen worden seien, sei ihnen bekannt gewesen. Sie hätten aber aus erzieherischen Gründen an der Hauptverhandlung nicht teilgenommen. Über den Inhalt des Urteils vom 22.06.2007 seien sie nach dem Hauptverhandlungstermin durch ihren Sohn informiert worden. Kenntnis von Rechtsmittelfristen hätten sie dagegen nicht gehabt, insbesondere nicht von dem Beginn der Rechtsmittelfrist ab Urteilsverkündung. Nachdem ihnen das Urteil vom 22.06.2007 am 31.07.2007 zugegangen sei, hätten sie umgehend dagegen Berufung eingelegt.
Das Landgericht Detmold hat durch Beschluss vom 30.11.2007 den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.
Hiergegen haben die beiden gesetzlichen Vertreter und Erziehungsberechtigten des Angeklagten sofortige Beschwerde eingelegt, mit der sie die Auffassung vertreten, nach überkommenen und üblichen Grundsätzen beginne die Rechtsmittelfrist für Eltern erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung, die erst mit der Zustellung des schriftlichen Urteils erfolge.
II.
Die sofortigen Beschwerden sind gem. den §§ 322 Abs. 2 StPO, 46 Abs. 3 StPO zulässig, haben in der Sache aber keinen Erfolg. Das Landgericht hat zu Recht mit dem angefochtenen Beschluss die Berufungen der Beschwerdeführer gem. § 322 Abs. 1 StPO wegen verspäteter Einlegung des Rechtsmittels als unzulässig verworfen und eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungseinlegungsfrist abgelehnt.
1.
Die Berufungen der Beschwerdeführer gegen das Urteil des Amtsgerichts Lemgo vom 22.06.2007 sind verspätet eingelegt worden.
Gem. § 314 Abs. 1 StPO beträgt die Berufungseinlegungsfrist eine Woche seit Verkündung des Urteils, wenn diese in Anwesenheit des Angeklagten stattgefunden hat, anderenfalls beginnt sie gem. § 314 Abs. 2 StPO mit der Urteilszustellung. Der Angeklagte selbst war im vorliegenden Verfahren bei der Urteilsverkündung anwesend, bezüglich der Beschwerdeführer ist dagegen davon auszugehen, dass diese an der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Lemgo am 22.06.2007 nicht teilgenommen haben. Dem steht nicht entgegen, dass in dem Hauptverhandlungsprotokoll vom 22.06.2007 angegeben worden ist, dass die Angeklagten - das Verfahren richtete sich gegen insgesamt 4 Angeklagte - in Begleitung ihrer Eltern erschienen seien. Denn abgesehen davon, dass diese Angabe nicht den Anforderungen des § 271 Nr. 4 StPO genügt, da die Namen der erschienenen Eltern nicht aufgeführt worden sind, erstreckt sich die Beweiskraft des Protokolls nicht auf die An- bzw. Abwesenheit von Personen, deren Anwesenheit das Gesetz nicht zwingend vorschreibt (vgl. BGH NStZ 1999, 426), was auf die Erziehungsberechtigten und gesetzlichen Vertreter des Angeklagten zutrifft, so dass die Klärung der Frage, ob die Beschwerdeführer an der Hauptverhandlung teilgenommen haben, dem Freibeweis zugänglich ist (vgl. BGH a.a.O.). Der damals in der Hauptverhandlung den Vorsitz führenden Amtsrichter konnte sich nach seiner Stellungnahme vom 13.09.2007 nur noch daran erinnern, dass zahlreiche Eltern im Zuschauerraum anwesend waren, eine Zuordnung zu den jeweiligen Angeklagten war ihm jedoch nicht mehr möglich. Die damals an der Hauptverhandlung mitwirkende Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hatte nach dem Inhalt ihrer Stellungnahme vom 14.09.2007 ebenfalls keine konkrete Erinnerung an eine Anwesenheit der Eltern des Angeklagten Q in der Hauptverhandlung, sondern konnte sich nur daran erinnern, dass zahlreiche Eltern anwesend gewesen seien und damals nicht näher nachgefragt worden sei, welche Eltern zu welchen Angeklagten gehörten. Die Sitzungsniederschrift vom 22.06.2007 enthält schließlich keine sonstigen Eintragungen, die für eine Anwesenheit der Eltern des Angeklagten sprechen könnten oder den Rückschluss darauf zuließen. Angesichts dessen sieht der Senat keinen begründeten Anlass, die Glaubhaftigkeit der Angaben der beiden Beschwerdeführer, sie hätten an der Hauptverhandlung am 22.06.2007 nicht teilgenommen, in Zweifel zu ziehen. Die demgemäss zugrunde zu legende Abwesenheit der gesetzlichen Vertreter des Angeklagten in der Hauptverhandlung hat aber entgegen der in der Beschwerdebegründung vertretenen Ansicht nicht zur Folge, dass die Frist zur Einlegung der Berufung für die Erziehungsberechtigten des Angeklagten erst mit der Zustellung des angefochtenen Urteils bei diesen begann. Vielmehr kann der gesetzliche Vertreter eines Beschuldigten gem. § 298 Abs. 1 StPO nur binnen der für den Beschuldigten laufenden Frist selbständig von den zulässigen Rechtsmitteln Gebrauch machen. Da der Angeklagte in der Hauptverhandlung am 22.06.2007 anwesend war, endete für ihn die einwöchige Berufungseinlegungsfrist am 29.06.2007. Innerhalb dieser Frist hätten auch die beiden Beschwerdeführer Berufung einlegen müssen. Tatsächlich sind ihre Rechtsmittel aber verspätet, nämlich erst am 02.08.2007 beim Amtsgericht Lemgo eingegangen.
II.
Das Landgericht hat auch zu Recht die hilfsweise gestellten Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungseinlegungsfrist zurückgewiesen.
Die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. den §§ 44, 45 StPO setzt voraus, dass dem Antragsteller hinsichtlich der Fristversäumung kein Verschulden vorzuwerfen ist. Dies trifft im vorliegenden Verfahren aber nicht zu. Die Beschwerdeführer waren zu dem Hauptverhandlungstermin vor dem Amtsgericht Lemgo am 22.06.2007 gem. § 50 Abs. 2 S. 2 JGG i. V. m. § 48 StPO durch einfachen Brief geladen worden. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer bedurfte es zur Wirksamkeit dieser Ladung nicht ihrer förmlichen Zustellung. Auf jeden Fall hatten die Beschwerdeführer nach ihren eigenen Angaben von dem Hauptverhandlungstermin Kenntnis, so dass feststeht, dass sie zu diesem hätten erscheinen können. Sie wurden darüber hinaus ihrem Vortrag zufolge durch den Angeklagten, ihren Sohn, über die ergangene Entscheidung informiert. Wenn sie gegen diese Entscheidung Rechtsmittel einlegen wollten, aber - wie sie geltend machen - keine Kenntnis von den zu beachtenden Rechtsmittelfristen hatten, hätten sie zur Vermeidung von Rechtsnachteilen sich umgehend bei Gericht nach diesen Fristen erkundigen oder diesbezüglich sonstigen Rechtsrat einholen müssen. Dass die Beschwerdeführer derartige Maßnahmen nicht ergriffen haben, ist ihnen als eigenes Verschulden anzurechnen, das einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegen steht.
Eine andere Beurteilung ist hier auch nicht deshalb geboten, weil den Beschwerdeführern das angefochtene Urteil nicht vor Ablauf der Berufungseinlegungsfrist zugestellt und ihnen auch keine Rechtsmittelbelehrung erteilt worden ist (so aber BayObLG NJW 1954, 1378).
In § 67 Abs. 2 JGG ist zwar bestimmt, dass dann, wenn eine Mitteilung an den Beschuldigten vorgeschrieben ist, die entsprechende Mitteilung an den Erziehungsberechtigten und den gesetzlichen Vertreter gerichtet werden soll. Aus dieser Vorschrift ergibt sich aber keine Rechtspflicht des Gerichts, den Erziehungsberechtigten bzw. den gesetzlichen Vertretern ein ergangenes Urteil nebst Rechtsmittelbelehrung gerade mit Rücksicht auf eine etwaige Anfechtung des Urteils so rechtzeitig zuzustellen, dass die Erziehungsberechtigten bzw. die gesetzlichen Vertreter dagegen noch fristgerecht Rechtsmittel einlegen können, wobei zusätzlich zu beachten ist, dass eine Zustellung des mit Gründen versehenen schriftlichen Urteil innerhalb der seit der Verkündung laufenden einwöchigen Frist zur Einlegung des Rechtsmittels nur in Ausnahmefällen möglich sein wird, da sowohl die Anfertigung des Urteils als auch dessen kanzleimäßige Bearbeitung regelmäßig einen größeren Zeitraum beanspruchen (vgl. BGH NJW 1962, 2262). Die vom Gesetzgeber bewusst in die Soll-Form gefasste Mitteilungspflicht nach § 67 Abs. 2 JGG beruht vielmehr in erster Linie auf dem im Jugendstrafrecht im Vordergrund stehenden Erziehungsgedanken. Sie hat mit der Möglichkeit der Rechtsmitteleinlegung nicht ohne weiteres etwas zu tun. Dies zeigt sich gerade für den Regelfall, dass das in Abwesenheit des geladenen Erziehungsberechtigten oder gesetzlichen Vertreters verkündete Urteil diesem erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist mit einer schriftlichen Begründung zugestellt werden kann. Hier wäre die Hinzufügung einer Rechtsmittelbelehrung nach § 35 a StPO geradezu sinnlos geworden und würde nur dazu anreizen, wegen angeblich verspäteter Urteilszustellung unbegründete Gesuche um Wiedereinsetzung anzubringen (vgl. BGH a.a.O.).
Schließlich lässt sich eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit Erfolg auch nicht damit begründen, dass zwar in der Regel das vollständige Urteil nebst einer Rechtsmittelbelehrung nicht innerhalb der ab Verkündung des Urteils laufenden Rechtsmitteleinlegungsfrist zugestellt werden kann, es aber zeitlich möglich wäre, eine auf das Rechtsmittel zielende bloße Mitteilung des Urteilsausspruches nebst Rechtsmittelbelehrung den Erziehungsberechtigten bzw. gesetzlichen Vertreter zuzustellen. Denn auch für eine solche Verpflichtung ergibt sich im Gesetz keine Stütze. Dieses hat nämlich die Rechtsmittelbefugnis gerade deshalb immer wieder mit der Kenntnis der - sei es mündlich, sei es schriftllich - begründeten Entscheidung verknüpft, weil es die willkürliche Einlegung von Rechtsmitteln ohne Kenntnis der Gründe verhindern will. Dass gerade in Jugendsachen andere Maßstäbe gelten sollen, ist insofern nicht einzusehen (vgl. BGH a.a.O.; a. A. OLG Stuttgart NJW 1960, 2353).
Der Senat schließt sich den zutreffenden Ausführungen des Bundesgerichtshofs in der oben zitierten Entscheidung an. Die Zurückweisung der Wiedereinsetzungsgesuche der Beschwerdeführer ist daher zu Recht erfolgt.
III.
Die Beschwerdeführer haben jeweils die Kosten ihres Rechtsmittels gem. § 473 Abs. 1 StPO zu tragen. Allerdings haften gesetzliche Vertreter und Erziehungsberechtigte nur mit dem ihrer Verwaltung unterliegenden Vermögen des Angeklagten (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 473 Rdnr. 8 m. w. N.).
Ende der Entscheidung
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