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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 21.03.2006
Aktenzeichen: 3 Ws 102/06
Rechtsgebiete: StPO, StrEG


Vorschriften:

StPO § 467
StrEG § 5
StrEG § 6
1. Zur Auferlegung der notwendigen Auslagen auf die Staatskasse bei Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses.

2. Bloß Verdächtige, wenn sie nicht als Beschuldigte belehrt sind oder zunächst Zeugenstellung haben, auch wenn sie später zu förmlichen Beschuldigten werden oder Drittgeschädigte und auch Mitbeschuldigte haben keine Ansprüche nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz.


Beschluss

Strafsache

gegen S.A.

wegen Betruges, (hier: sofortige Beschwerde der Angeschuldigten gegen

a) die Nichtauferlegung der ihr entstandenen notwendigen Auslagen auf die Staatskasse und

b) die Versagung einer Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen).

Auf die sofortige Beschwerde der Angeschuldigten vom 12. Februar 2006 gegen die in dem Beschluss der I. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 1. Februar 2006 ergangenen Entscheidungen über die Nichtauferlegung der der Angeschuldigten entstandenen notwendigen Auslagen auf die Staatskasse und über die Versagung einer Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 21. 03. 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

1. Der angefochtene Beschluss wird insoweit aufgehoben, als die der Angeschuldigten in dem Verfahren 6 Js 74/02 StA Bielefeld/1 KLs St 1/05 I LG Bielefeld entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt werden.

Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Angeschuldigte; jedoch wird die Beschwerdegebühr auf die Hälfte ermäßigt. In dieser Höhe trägt die Staatskasse die notwendigen Auslagen der Angeschuldigten im Beschwerdeverfahren.

Gründe:

I.

Durch den angefochtenen Beschluss hat die I. Strafkammer des Landgerichts Bielefeld die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen Betruges gegen die Angeschuldigte aus rechtlichen Gründen, nämlich wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses, abgelehnt. Die Strafkammer hat dabei davon abgesehen, die der Angeschuldigten entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Ferner hat die Strafkammer festgestellt, dass die Staatskasse nicht verpflichtet sei, die Angeschuldigte für die bei ihr durchgeführte Durchsuchung und Beschlagnahme/Sicher-stellung aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Bielefeld vom 19.03.2002 - Az.: 9 Gs 1335/02 - zu entschädigen. Aufgrund dieses Beschlusses war gemäß §§ 94, 95, 98, 103, 105 StPO die Durchsuchung der Wohnung der Beschwerdeführerin sowie die Beschlagnahme näher bezeichneter Unterlagen angeordnet worden. Die bei der erst am 12. November 2002 erfolgten Durchsuchung sichergestellten Unterlagen der Angeschuldigten wurden der Angeschuldigten aufgrund der Verfügung der staatsanwaltschaftlichen Dezernentin vom 05.12.2002 am 12. Dezember 2002 wieder ausgehändigt.

Gegen die Nichtauferlegung ihrer im Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen auf die Staatskasse und die Versagung der Entschädigung wendet sich die Beschwerdeführerin durch ihren Verteidiger mit der sofortigen Beschwerde, die sie mit näheren Ausführungen begründet hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die gemäß §§ 464 Abs. 3 S. 1, 1. Halbsatz StPO und gemäß § 8 Abs. 3 StrEG statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache teilweise Erfolg.

1. Das Landgericht hat die Auferlegung der der Angeschuldigten im Ermittlungs- und Strafverfahren entstandenen notwendigen Auslagen auf die Staatskasse zu Unrecht abgelehnt.

Gemäß § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO kann das Gericht davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Vorliegend ist die Angeschuldigte aufgrund des vorgelegten Attestes nach den Ausführungen der Strafkammer so schwer erkrankt, dass es ihr nicht möglich ist, einer Gerichtsverhandlung zu folgen und ihre Interessen vernünftig wahrzunehmen.

Voraussetzung einer Freistellung der Staatskasse von den notwendigen Auslagen des Angeschuldigten ist, dass der Angeschuldigte ohne das Vorliegen des Verfahrenshindernisses mit Sicherheit verurteilt worden wäre (vgl. KK-Franke, StPO, 5. Aufl., Rdnr. 10 zu § 767 m.w.N.). Diese Prognose hat in großem Umfang der Unschuldsvermutung Rechnung zu tragen. Erst die durchgeführte Hauptverhandlung erlaubt dem Richter, sich eine Überzeugung zur Schuldfrage zu bilden. Zwar kann schon auf einer darunter liegenden Stufe des Tatverdachts eine Ermessensentscheidung nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO ergehen (vgl. BGH NStZ 2000, 330 ff.; OLG Karlsruhe, 1981, 38). Die Unschuldsvermutung schließt nämlich nicht aus, in einer das Strafverfahren ohne förmlichen Schuldspruch beendenden Entscheidung einen verbleibenden Tatverdacht festzustellen und zu bewerten und dies bei der Entscheidung über die kostenrechtlichen Folgen zu berücksichtigen. Rechtsfolgen, die keinen Strafcharakter haben, können deshalb auch in einer das Verfahren abschließenden Entscheidung an einen verbleibenden Tatverdacht geknüpft werden. Jedoch muss aus der Begründung deutlich hervorgehen, dass es sich nicht um eine gerichtliche Schuldfeststellung oder Schuldzuweisung handelt, sondern nur um die Beschreibung und Bewertung einer Verdachtslage (vgl. BVerfG NStZ 1992, 289; BVerfG NStZ-RR 1996, 45; BGH NStZ 2000, 330).

Eine Ermessensentscheidung nach § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO setzt indes voraus, dass nach weitgehender Durchführung der Hauptverhandlung bei Eintritt des Verfahrenshindernisses ein auf die bisherige Beweisaufnahme gestützter erheblicher Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei Fortführung der Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen würden (vgl. BGH a.a.O.).

Soweit der Senat in einem - der vorgenannten grundlegenden BGH-Entscheidung zeitlich vorangehenden - Beschluss für die Versagung der Entschädigung gemäß § 6 Nr. 3 StrEG ebenso wie für den fakultativen Ausschluss der Auslagenerstattung gemäß § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO es für erforderlich erachtet hat, dass auf dem Wege bis zur Schuldfeststellung des Verfahrenshindernisses bereits die strafrechtliche Schuld bis zur Schuldspruchreife gerichtlich geklärt worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 02.10.1996 3 Ws 496/96 = NStZ-RR 1997, 127), kann dies für die hier zu treffende Entscheidung dahinstehen. Vorliegend ist nämlich - da das Verfahrenshindernis bereits bei der (Nicht-)Eröffnungsentscheidung der Kammer vorlag - eine prozessordnungsgemäße Feststellung der Tatschuld nicht in hinreichendem Maße erfolgt. Dass die Verurteilung sich nach Aktenlage als annähernd sicher darstellt und an einer Verurteilung im Falle der Verfahrensfortsetzung kein vernünftiger Zweifel besteht (vgl. OLG Köln NJW 1991, 506), kann nicht festgestellt werden. Ein solcher Grad an Gewissheit besteht trotz der die Angeschuldigte erheblich belastenden Urkunden, die die Anklageschrift bei der gegen sie bestehenden Verdachtslage führt, nicht. Denn bereits im Hinblick auf die subjektiven Voraussetzungen - einerseits durch das Handeln von Mitangeschuldigten für die Beschwerdeführerin und andererseits aufgrund von Zweifeln aufgrund der nunmehr festgestellten Verfahrenshindernisse, welche möglicherweise bereits auf den Zeitpunkt der Begehung der vorgeworfenen Taten ausstrahlen könnten - kann die Verdachtslage im Laufe des weiteren Verfahrens nicht verlässlich abgeschätzt werden, zumal die Angeschuldigte auch kein unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zuverlässiges Geständnis abgegeben hat.

Im Übrigen hat die Strafkammer auch ein der Angeschuldigten vorwerfbares prozessuales Fehlverhalten nicht festgestellt und ist ein solches auch nicht ersichtlich. Der angefochtene Beschluss war daher im angegebenen Umfang aufzuheben und die der Angeschuldigten im Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen.

2.

Hingegen war die Beschwerde unbegründet, soweit sie sich gegen die Versagung einer Entschädigung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen richtet. Insoweit hat das Landgericht die Entschädigung zu Recht abgelehnt. Nach den Vorschriften des Strafrechtsentschädigungsgesetzes kann nur derjenige eine Entschädigung verlangen, gegen den die schadensbegründende Strafverfolgungsmaßnahme gerichtet gewesen ist, also Beschuldigter, Angeschuldigter, Angeklagter oder Verurteilter im Sinne der Strafprozessordnung gewesen ist. Bloß Verdächtige, wenn sie nicht als Beschuldigte belehrt sind oder zunächst Zeugenstellung haben, auch wenn sie später zu förmlichen Beschuldigten werden oder Drittgeschädigte und auch Mitbeschuldigte haben keine Ansprüche nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz, das insoweit auch nicht analog angewendet werden kann (vgl. Meyer, StrEG, 5. Aufl., Einl. Rdnr. 50 m.w.N.; Schätzler/Kunz, StrEG, 3. Aufl., Einl., Rdnr. 35 ff., 38 m.w.N.; OLG Nürnberg, NStZ-RR 2003, 62). Die Durchsuchung und Sicherstellung von Unterlagen der Angeschuldigten erfolgte am 12. November 2002; förmlichen Beschuldigtenstatus erhielt sie erst durch die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 23. Januar 2003. Die bei ihr durchgeführte Durchsuchung und Sicherstellung vom 12.11.2002 beruhte auf der entsprechenden Anordnung durch Beschluss des Amtsgerichts Bielefeld vom 19.03.2002 gemäß § 103 StPO. Zu diesem Zeitpunkt richtete sich das Ermittlungsverfahren noch nicht gegen die Angeschuldigte, sondern gegen zwei andere Mitangeschuldigte. Ansprüche nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen hat die Angeschuldigte, die zum Zeitpunkt der Durchführung der Durchsuchung und Sicherstellung nicht selbst Beschuldigte war, nicht; sie war zu diesem Zeitpunkt allenfalls eine mögliche Drittgeschädigte, auf die sich jedenfalls der persönliche Anwendungsbereich des Strafrechtsentschädigungsgesetzes nicht erstreckt.

Die sofortige Beschwerde war daher insoweit als unbegründet zu verwerfen.

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 4 StPO.

Ende der Entscheidung

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