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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 16.06.2009
Aktenzeichen: 3 Ws 140/09
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 172 Abs. 3 S. 1
StGB § 223
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

Der Antrag hat keinen Erfolg.

I.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig. Er entspricht - wie der Generalstaatsanwalt in seiner Stellungnahme vom 04.06.2009 überzeugend ausführt - noch den Darlegungsanforderungen des § 172 Abs. 3 S. 1 StPO.

Insbesondere ist vorliegend unschädlich, dass die Antragsschrift nicht mitteilt, wann dem Beschwerdeführer die Bescheide der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 27.02.2009 und der Generalstaatsanwaltschaft Hamm vom 07.04.2009 zugegangen sind. Der Beschwerdeführer teilt aber mit, dass er am 11.03.2009 Beschwerde gegen den Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft "erhoben" habe. Bereits diese Formulierung lässt - jedenfalls angesichts der erteilten Rechtsmittelbelehrung, dass es für die Fristwahrung auf den rechtzeitige Eingang der Beschwerde ankommt - die Auslegung zu, dass der Beschwerdeführer mit ihr sagen will, dass die Beschwerde auch an diesem Tage bei der Staatsanwaltschaft oder Generalstaatsanwaltschaft eingegangen ist. Selbst wenn man die Formulierung in der Beschwerdeschrift nur so auslegt, dass an dem ebensagten Tage die Beschwerdeschrift lediglich abgefasst wurde, so gilt - worauf der Generalstaatsanwalt zu Recht hinweist -, dass die Mitteilung des Datums der "Erhebung" oder "Einlegung" der Beschwerde ausreicht, wenn noch ausreichend Postlaufzeit verbleibt, um einen rechtzeitigen Eingang des Schreibens zu gewährleisten und Anhaltspunkte für eine spätere Absendung oder sonstige Verzögerung nicht erkennbar sind (OLG Hamm Beschl. v. 20.09.2007 - 3 Ws 230-231/07 - juris). Dies ist hier, bei frühest möglichem Fristablauf am 16.03.2009, der Fall.

Da der Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft, wie im Antrag mitgeteilt wird, vom 07.04.2009 datiert, war der Eingang des Antrags am 07.05.2009 auf jeden fall rechtzeitig, ohne dass es auf den Zugang des Bescheides ankäme.

II.

Der Antrag ist jedoch unbegründet. Ein hinreichender Tatverdacht für ein strafbares Verhalten des Beschuldigten besteht nicht.

1.

Der Antragsteller behauptet, er habe am 18.12.2008 in C einen Regionalexpress besteigen wollen. Die Türe zum Abteil erster Klasse habe sich durch betätigen des Tasters nicht öffnen lassen. Er habe es dann noch an zwei weiteren Zugtüren versucht. Bei der Betätigung des Tasters der dritten Türe sei der Zug angefahren. Der Antragsteller sieht darin eine "gefahrbringende Situation" und hat deswegen Anzeige wegen versuchter Körperverletzung gegen den Zugführer erstattet.

Der beschuldigte Zugführer hat sich dahingehend eingelassen, dass er zur Abfahrt des Zuges die Türfreigabe zurückgenommen und durch einen Kontrollblick geprüft habe, ob die Reisenden ein - und ausgestiegen und keine Gegenstände mehr in den Türen eingeklemmt waren. Unregelmäßigkeiten seien ihm nicht aufgefallen.

2.

Aus den bisherigen Ermittlungen ergibt sich kein hinreichender Tatverdacht für eine Anklageerhebung.

Eine (vollendete) Körperverletzung wird vom Antragsteller selbst nicht behauptet. Dies gilt auch dann, wenn man unterstellt, er sei, wie er (erstmals) in seiner Einstellungsbeschwerde behauptet, hingefallen, denn nicht jedes Fall ist mit einer nicht bloß völlig unerheblichen Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefinden oder gar einer Gesundheitsbeschädigung i.S.v. § 223 StGB verbunden. Für eine versuchte Körperverletzung fehlen jegliche Anhaltspunkte, denn dies würde voraussetzen, dass der Beschuldigte den Antragsteller verletzen wollte.

Auch für einen gefährlichen Eingriff in den Bahnverkehr (§ 315a StGB) ergibt sich kein hinreichender Tatverdacht.

Zweifelhaft ist schon, ob überhaupt eine Gefährdung von Leib oder Leben des Antragstellers gegeben war. Erforderlich ist eine konkrete, nicht bloß eine abstrakte, Gefährdung. Vielmehr muss aufgrund einer objektiven nachträglichen Prognose ein Schadenseintritt in so bedrohliche Nähe gerückt sein, dass seine Vermeidung sich nur als Zufall darstellt (Fischer StGB § 315a Rdn. 8 i.V.m. § 315 c Rdn. 15 m.w.N.; König in: Leipziger Kommentar StGB 12. Aufl. § 315a Rdn. 30 i.V.m. § 315 Rdn. 56, 60 ff. m.w.N.). Bereits dies ist hier fraglich. Selbst wenn man nahe an einem gerade anfahrenden Zug steht, besteht erfahrungsgemäß kaum die Gefahr, von diesem erfasst zu werden (anders, bei einem mit hoher Geschwindigkeit vorbeifahrenden Zug). Es ist geradezu eine Normalsituation, dass Reisende im letzten Moment, auch noch bei Anfahren des Zuges, versuchen, in diesen zu gelangen, ohne dass dabei etwas passiert. Dies gilt erst recht, wenn - wie der Antragsteller in seiner Beschwerdeschrift ausführt - der Zug "moderner, glatter Bauart" (und er selbst die Gefahr des Erfasstwerdens bei diesem nicht als gegeben ansieht). Als konkrete Gefährdung kommt hier also allenfalls in Betracht, dass der Antragsteller, wie er in seiner Einstellungsbeschwerde in einem Nebensatz ausführt, (warum auch immer) hingefallen ist. Ob dies überhaupt glaubhaft ist, kann allerdings dahinstehen. Zweifel bestehen, weil der Antragsteller in seiner Strafanzeige hiervon überhaupt nichts berichtet und auch nur von "versuchter Körperverletzung" spricht. Indes wäre es naheliegend gewesen, gerade dieses Hinfallen schon in der Strafanzeige zu schildern, stellt es sich doch nach der Gesamtbetrachtung des vom Antragsteller geschilderten Verfahrensgangs als die schwerwiegendste Beeinträchtigung dar. Danach drängt sich der Eindruck auf, dass letztlich eher Unmut über das Nichterreichen des Zuges Grund für die Strafanzeige war.

Jedenfalls liegt kein hinreichender Tatverdacht für ein nach § 315a Abs. 1 Nr. 2 StGB erforderliches grob pflichtwidriges Verhalten gegen Rechtsvorschriften des Schienenbahnverkehrs vor. Grobes Fehlverhalten liegt dann vor, wenn der Beschuldigte entweder gegen weniger bedeutsame Pflichten in krasser Weise oder aber gegen eine Sicherungspflicht mit hohem Stellenwert an sich verstoßen hat (König a.a.O. § 315a Rdnr. 28). Grundsätzlich hat sich der Zugführer vor Abfahrt zu vergewissern, dass keine Personen mehr im Gefahrenbereich des Zuges sind. Diese Pflicht ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Nr. 9 und Abs. 2 EBO, wonach der Triebfahrzeugführer (u.a.) für die sichere Durchführung des Eisenbahnbetriebes zu sorgen hat. Hierbei handelt es sich auch um eine Verpflichtung mit hohem Stellenwert, so dass ein Verstoß als solcher ausreicht, um die grobe Pflichtwidrigkeit zu begründen. Nach seiner Einlassung hat der Beschuldigte einen entsprechenden Kontrollblick vor Abfahrt durchgeführt und keine Unregelmäßigkeiten festgestellt. Dies ist letztlich nicht widerlegbar, da es eine Vielzahl von Möglichkeiten gibt, dass der Antragsteller trotz des durchgeführten Kontrollblicks bei Abfahrt des Zuges in dessen unmittelbarer Nähe stand. So ist es naheliegenderweise u.a. nicht auszuschließen, dass der Antragsteller bei Durchführung des Kontrollblicks den Zug bzw. dessen Türen noch gar nicht erreicht hatte.

Ende der Entscheidung

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