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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 16.08.2007
Aktenzeichen: 3 Ws 185/07
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 454 Abs. 2 Nr. 2
StPO § 454 Abs. 2 S. 3
StPO § 454 Abs. 3
StGB § 57
StGB § 57 Abs. 1
StGB § 57 Abs. 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer ist durch Urteil des Landgerichts Duisburg vom 29. März 1999 (rechtskräftig seit dem 08. September 1999) wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 11 Jahren verurteilt worden, die er derzeit in der Justizvollzugsanstalt C erbüßt. Der Verurteilte hatte am 03. Oktober 1998 seine etwa 2 1/2 Jahre jüngere Partnerin H getötet, mit der er von Januar 1998 bis Juli 1998 eine intime Beziehung gehabt und auch zeitweilig zusammengelebt hatte. Diese Beziehung war jedoch gescheitert, weil der Verurteilte, der eine besonders enge Beziehung zu seiner Mutter pflegte, sich von dieser nicht lösen und nicht für eigenständiges Leben gemeinsam mit H entscheiden konnte. Das Tatopfer hatte sich zwischenzeitlich mit ihrem zuvor getrenntlebenden Ehepartner versöhnt und lebte mit diesem in einer neu bezogenen Wohnung. Am Tattage verschaffte sich der Verurteilte mit einem Nachschlüssel heimlich in den frühen Morgenstunden Zugang zu dieser Wohnung als das Tatopfer den Ehemann gerade zur Arbeitsstelle brachte. Bei ihrer Rückkehr überraschte der Verurteilte Frau H in der Wohnung, griff sie mit 2 Messern an und tötete sie mit 120 Messerstichen, die zum Teil mit großer Wucht geführt wurden. Bei der Tat hatte er sich selbst bis auf die Unterhose entkleidet, sodann Blutspuren an sich im Badezimmer entfernt, sich wieder angekleidet und die Wohnung unbemerkt verlassen.

Seit seiner Festnahme am 04.10.1998 befindet sich der Verurteilte in Haft. Er hat die Tat, die das Gericht ihm nachgewiesen hat, stets bestritten. Das Vorliegen einer Affekttat hatte das sachverständig beratende Gericht verneint und die Tat eher als Ausdruck eines gesteuerten Geltungsdranges und Ausdruck der Handlungsintensität angesehen.

Nach den Ausführungen der im Erkenntnisverfahren tätigen Sachverständigen Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, Psychotherapie Dr. M und Dipl.-Psych. F, denen sich die Strafkammer anschloss, lag bei dem Verurteilten eine Persönlichkeit im Normbereich vor, jedoch mit dependenten, unreifen Zügen. Der Verurteilte habe sich in Tests als betont normal dargestellt und überwiegend sozial erwünschtes Verhalten als auf ihn zutreffend angegeben. Eigene impulsive und aggressive Verhaltensanteile seien abgespalten und würden verleugnet und von dem Verurteilten als ihm völlig fremd bezeichnet. Der Verurteilte sei aggressiv gehemmt, von mangelnder Durchsetzungsfähigkeit und zeige ein konfliktvermeidendes Verhalten.

Während des Strafvollzuges hat der Verurteilte an seiner Unschuldsbekundung festgehalten, die von seiner Herkunftsfamilie und engen Freunden geteilt wird.

Von dem Dipl.-Psych. K in der Justizvollzugsanstalt H1 am 27.02.2004 durchgeführte Tests ergaben nahezu identische Ergebnisse hinsichtlich der Aggressionshemmung, Konfliktvermeidung, mangelnden Durchsetzungsfähigkeit und mangelnden Verfügbarkeit verschiedener Konfliktlösungsstrategien bei dem Verurteilten wie im Erkenntnisverfahren. Allerdings sei ein Zuwachs an Selbstsicherheit durch den zwischenzeitlichen erfolgreichen Abschluss einer Umschulung zum Industriemechaniker zu verzeichnen. Der Verurteilte könne eine Menge einstecken ohne aggressiv zu reagieren, wenn aber eine bestimmte Grenze überschritten sei, reagiere er in extremer Weise. Diese Grenze sei am ehesten im sexuellen/partnerschaftlichen Bereich anzunehmen, da seine Gehemmtheit ihn in diesem Bereich besonders empfindlich mache und ein drohender Beziehungsverlust von besonderem Gewicht sei. Allerdings sei die Wahrscheinlichkeit der Wiederholung einer tatbedingten Beziehungskonstellation eher gering.

Der Dipl.-Psych. T vom psychologischen Dienst der Justizvollzugsanstalt C hat unter dem 23.12.2004 u. a. ebenfalls ausgeführt, dass sich nichts entscheidendes in der Persönlichkeitsstruktur des Verurteilten geändert habe; er erscheine - wie auch schon vor der Tat - als eine in weiten Teilen mit sich zufriedene, umgängliche, angepasste Persönlichkeit. Es sei lediglich zu bestimmten Vorsatzbildungen dahingehend gekommen, künftig nicht mehr mit verheirateten Frauen anzubändeln, beim Knüpfen von Beziehungen insgesamt vorsichtiger zu sein und bei ernsthaften Beziehungsproblemen schnell die Beziehung zu beenden. Nach wie vor übe die Mutter starken Einfluss auf seine Lebensplanung und seine Entscheidungen aus.

Bereits seit dem 27.11.2001 waren dem Verurteilten Langzeitbesuche zu seiner Mutter gewährt worden; seit dem 09.11.2004 befindet sich der Verurteilte im offenen Vollzug. Seit dem 18.01.2006 ist er Freigänger. Beanstandungen seines vollzuglichen Verhaltens hat es nicht gegeben.

Zwei Drittel der gegen ihn verhängten Strafe waren am 01.02.2006 verbüßt; das Strafende ist auf den 03.10.2009 notiert.

Unter dem 04.08.2006 hat der Verurteilte - nachdem ein vorangegangener Antrag vom 10.10.2005 durch die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld am 29.12.2005 abgelehnt worden war - erneut seine vorzeitige Entlassung beantragt. Die Justizvollzugsanstalt C hat hierzu unter dem 06.09.2006 befürwortend Stellung genommen; die Staatsanwaltschaft Duisburg ist dem (mit undatiertem Antrag) wegen der Tatverleugnungshaltung des Verurteilten entgegengetreten. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld hat durch Beschluss vom 13.10.2006 die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der fortbestehenden Gefährlichkeit des Verurteilten gem. § 454 Abs. 2 Nr. 2 StPO angeordnet und den Sachverständigen Arzt für Psychiatrie, Psychoanalyse und Psychotherapie Dr. E in E1 beauftragt.

Der Sachverständige Dr. E hat sein Gutachten unter dem 02.12.2006 erstellt. Der Sachverständige kommt unter näheren Darlegungen - trotz der Verleugnungshaltung des Verurteilten - zu dem Ergebnis, dass anzunehmen sei, dass keine Gefahr mehr bestehe, dass die in der Tat zum Ausdruck gekommene Gefährlichkeit des Verurteilten fortbestehe.

Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat unter dem 15.12.2006 an ihrem Antrag, die bedingte Entlassung abzulehnen, festgehalten; die Strafvollstreckungskammer hat den Verurteilten am 21.02.2007 erneut angehört und den Sachverständigen ergänzend befragt. Durch den angefochtenen Beschluss vom 26.02.2007 hat die Strafvollstreckungskammer die bedingte Entlassung des Verurteilten abgelehnt.

Gegen den ihm am 08.03.2007 zugestellten Beschluss wendet sich der Verurteilte durch seinen Verteidiger, dem der Beschluss am 02. März 2007 zur Kenntnisnahme übersandt worden war, mit der sofortigen Beschwerde vom 02. März 2007, die mit Schriftsatz vom 26. März 2007 mit näheren Ausführungen begründet worden ist.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 20.03.2007 beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Durch Senatsbeschluss vom 12. April 2007 hat der Senat die Einholung eines weiteren Prognosegutachtens gem. § 454 Abs. 2 Nr. 2 StPO beschlossen und den Direktor des Instituts für forensische Psychiatrie der D, Herrn Prof. Dr. L1 als Sachverständigen beauftragt. Das unter dem 29. Juni 2007 erstellte schriftliche Gutachten ist den Beteiligten zur Kenntnis gegeben worden. Der Sachverständige ist am 14.08.2007 gem. § 454 Abs. 2 S. 3 StPO angehört worden.

II.

Die gem. §§ 454 Abs. 3 StPO, § 57 StGB statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg. Die Strafvollstreckungskammer hat dem Verurteilten in dem angefochtenen Beschluss im Ergebnis zu Recht die für eine bedingte Entlassung erforderliche günstige Sozialprognose im Sinne von § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht gestellt.

Nach § 57 Abs. 1 StGB wird die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe nach Verbüßung von 2/3 der Strafe zur Bewährung ausgesetzt, wenn dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Bei der Entscheidung sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, das Gewicht bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten des Verurteilten im Vollzug, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind (§ 57 Abs. 1 S. 2 StGB). Das mit der Aussetzung eines Strafrestes verknüpfte Risiko kann verantwortet werden, wenn sich eine reelle Chance für ein positives Ergebnis hinsichtlich der Bewährung in Freiheit abzeichnet, d. h. eine begründete Aussicht auf ein Resozialisierungserfolg besteht (vgl. Stree in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., § 57 Rdnr. 11).

Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass bei einem lang dauernden Vollzug von Freiheitsstrafe regelmäßig den Umständen der Tat für die Prognoseentscheidung gem. § 57 Abs. 1 StGB nur noch eingeschränkte Aussagekraft zukommt; demgegenüber gewinnen die Umstände an Bedeutung, die - wie das Verhalten innerhalb des Vollzuges oder augenblickliche Lebensverhältnisse des Verurteilten - Erkenntnisse über das Erreichen des Vollzugszieles vermitteln (vgl. BVerfG NStZ 2000, 613). Außerdem steht auch das während der Strafvollstreckung fortwährende Leugnen der Tat durch den Verurteilten für sich nicht grundsätzlich einer günstigen Sozialprognose entgegen (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 1999, 346 m. w. N.).

Bei Abwägung aller Umstände kann nach Überzeugung des Senats im vorliegenden Fall die bedingte Entlassung des Verurteilten nicht verantwortet werden.

Der Verurteilte hat sich durch die dem Urteil des Landgerichts Duisburg vom 29. März 1999 zugrundeliegende Tat in gravierender Weise strafbar gemacht, indem er seine ehemalige Partnerin überlegt und planvoll, von Rachegefühlen getragen und mit äußerst intensiven Vergeltungsdrang mit 120 Messerstichen getötet hat. Bis heute hat sich der Verurteilte mit seiner dieser Tat zugrundeliegenden Persönlichkeitsproblematik nicht hinreichend auseinandergesetzt. Sowohl im Rahmen der Exploration des Sachverständigen als auch bei der Anhörung vor dem Senat hat der Verurteilte an seiner Unschuldsbekundung festgehalten. Er beschuldigt als Täter den Ehemann der Getöteten, der sich nach gesicherter Erkenntnis zur Tatzeit an seinem Arbeitsplatz befand. Ohne eine eigene Theorie der Täterschaft entwickelt zu haben, beschränkt sich der Verurteilte auf ein schlichtes Leugnen, ohne dass er sich auf die Stringenz der Argumentation, die zu seiner Verurteilung geführt hat, einzulassen bereit ist. Nach den Ausführungen des Sachverständigen imponiert der Verurteilte insbesondere prädeliktisch als Mensch mit einer reduzierten Anstrengungsbereitschaft, keinem wirklichen Durchhaltevermögen, als jemand, der Konflikte und Schwierigkeiten verleugnet, sich mit viel Lügen durchzulavieren versucht hat und der, gestützt auf die testpsychologischen Ergebnisse, unausweichliche Konflikte einfach nicht wahrhaben will und hierfür auch keine konstruktiven Lösungen entwickelt. Entsprechend reagiert er auf Niederlagen und Verlusterlebnisse mit versteckter, verhaltener, aber offenbar recht nachhaltiger destruktiver Wut und einer recht spontanen Bereitschaft, sich mit massiver Gewaltanwendung für Trennung und Niederlagen zu rächen. Nach seinem Aussageverhalten und dem Umgang mit den Tatvorwürfen werde deutlich, dass er eigentlich nach wie vor keine moralischen Probleme in der Tötung der einstigen Freundin sehe, die ihn gar womöglich umtreiben oder emotional belasten würden. Vielmehr werde nach wie vor der nachgehende Hass auf die Freundin deutlich und dies führe zu der Einschätzung, dass künftig gleichartige Taten nicht an emotionalen Barrieren scheitern würden, sondern allenfalls an Kosten-Nutzen-Erwägungen.

Bei dem Verurteilten liege eine akzentuierte Persönlichkeit mit infantil-geltungsbedürftigen Zügen vor, eine psychiatrische Diagnose bestehe nicht. Bei dem Verurteilten bestehe der Eindruck, dass es sich bei ihm eigentlich um ein Kind handele, dass von den Eltern sehr verwöhnt worden sei, alle Wünsche erfüllt bekommen habe und zugleich große Freiräume zugeschrieben bekommen habe. Die Weigerung der H, sich in das häusliche Arrangement einzufügen und Teil einer Zwei-Generationen-Familie zu werden, habe den Verurteilten sehr nachhaltig und heftig in Wut gebracht, weil er erstmals im Leben einen sehr großen zentralen Wunsch nicht erfüllt bekommen habe, dies zudem auch als öffentliche Niederlage erlebt habe. Hinzugekommen sei sein erhebliches Geltungsbedürfnis, an dem sich bis heute nichts geändert habe, und das ihn auch schon damals dazu verleitet habe, immer wieder Lügengeschichten in die Welt zu setzen, eigene Erfolge zu übertreiben oder erfundene Erfolge zu verbreiten. Die Art und Weise, wie der Proband mit der Tat schließlich umgegangen sei, das Leugnen der Tat, verdeutliche, dass er die Tat keineswegs "verdrängen" musste, dass sie mit seinem Selbstbild völlig unvereinbar wäre oder dass er sich dafür abgrundtief schämen würde. Es handele sich vielmehr um ein Strafvermeidungsverhalten, um die Bewahrung einer "sauberen Version" der Lebensgeschichte, um sozial nicht anstößig zu wirken. Dahinter stecke bei ihm die Haltung, als sei die Tötung seiner ungetreuen Gefährtin seine Privatangelegenheit, die andere nichts angehe und die die Getötete und ihr Ehemann in gewisser Weise selbst verschuldet hätten. Irgendwelches moralischen Bedauern über den Tod der Frau und das Leid des Ehemannes werde nicht deutlich und es scheine ihm nach wie vor eine gewisse Genugtuung zu bereiten, wenn er den Ehemann weiterhin mit dem Vorwurf belaste, dieser sei ein Trinker, Prügler und Mörder.

Für die zukünftige Gefährlichkeit des Untersuchten bedeute dies, dass er nach wie vor nicht unter Beweis gestellt habe, dass er in Beziehungskrisen und in Situationen schwerer Niederlagen ein angemessenes Repertoire an Handlungsmöglichkeiten habe, um solche Situationen angemessener, eventuell sogar konstruktiv zu lösen. Das einzige Hemmnis, sich bei erneuten Versagungssituationen zu einer groß angelegten Racheaktion zu entschließen bestehe darin, dass die Erfahrung bestehe, dass er als Täter überführt und bestraft werde. Es sei dem Verurteilten zuzutrauen, dass er sich rechtzeitig klar mache, dass er bei einer erneuten schwerwiegenden Attacke gegen einen anderen Menschen nicht ungestraft davon kommen werde. Insofern habe in der Tat die gegenwärtige Partnerin ein erhöhtes Risiko, dass sie im Falle von Konflikten, vor allem wenn sie dem Verurteilten wesentliche Wünsche verweigere oder sich zu sehr verselbständige, erheblichen Attacken unterliegen könne, insbesondere, wenn sie irgendwann auf die Idee kommen sollte, sich abrupt oder langsam von ihm zu trennen. Es sei mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Verurteilte in tiefgehenden Konfliktsituationen und bei massiven Niederlagen, wie sie irgendwann zu erwarten seien, wieder ähnlich infantil-egozentrisch und rachelustig reagiere, wie er das in der Vergangenheit getan habe. Seine dann zu erwartenden Handlungen würden im Wesentlichen ausschließlich von Risikoerwägungen limitiert sein, sich nicht einer neuen Strafe aussetzen zu wollen. Der Verurteilte sei nicht habituell gewalttätig, sondern in seinen aggressiven Reaktionen durchaus kalkulierend und umsichtig. Auch bei einer länger dauernden Lockerungsphase seien neue Erkenntnisse über ihn nicht zu erwarten. Dafür, dass er bereit wäre, irgendwelche Lehren anzunehmen, sei es erforderlich, dass er sein eigenes Verhalten zunächst kritisch analysiere; davon scheine er ebenso weit entfernt wie am ersten Hafttag. Insgesamt sei also eine gegenwärtige Gefahr bei dem Verurteilten nicht zu erkennen; die in der Tat zu Tage getretene Handlungsbereitschaften würden bei ihm persistieren, seien aber inzwischen in Maßen eingeschränkt durch die rationale Einsicht, bei einem erneuten gleichartigen Handeln ein sehr hohes Risiko erneuter, dann möglicherweise noch längerer Freiheitsentziehung einzugehen; andere hemmende Faktoren seien bei ihm nicht zu erkennen.

In der mündlichen Anhörung des Sachverständigen hat dieser weiter ausgeführt, dass das Hauptargument dafür, von einer fortbestehenden Gefährlichkeit bei dem Verurteilten nicht auszugehen, darin bestehe, dass dieser in der Lage sei, dem erlebten Hafteindruck rationale Erwägungen dahingehend anzuschließen, dass er bei einer neuen massiven gegen das Leben gerichteten Tat mit einem weiteren wohl noch länger dauernden, wenn nicht lebenslangen Freiheitsentzug rechnen muss. Dieses Argument trage bei den meisten Menschen, die eine vergleichbare Tat begangen hätten. Andererseits könne keine Prognose für den Fall getroffen werden, wie sich der Verurteilte verhalten werde, wenn er bei entsprechender tiefgreifender Kränkung in eine Situation gerate, in der die Tötung als Straftat nicht erkannt werde oder bei ihm ein ganz besonders raffinierter Plan, Entdeckung zu vermeiden, reife. In entsprechenden Konstellationen bestehe ein hohes Risiko. Wie der Verurteilte sich dann verhalten werde, sei nicht einzuschätzen.

Der Senat schließt sich den überzeugenden und im Einzelnen nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen hinsichtlich des psychischen Befundes und der Persönlichkeit des Verurteilten an. Allerdings bleiben dem Senat nicht unerhebliche Zweifel daran, dass bei der unverändert gebliebenen Persönlichkeit des Verurteilten seit der Tat allein die zwischenzeitliche Erfahrung des Freiheitsentzuges geeignet ist, ihn zukünftig von erneutem vergleichbarem Handeln abzuhalten. Das bloße Anstellen von Kosten-Nutzen-Erwägungen bzw. Risikoerwägungen hinsichtlich der Unvermeidbarkeit eines erneuten, eventuell noch längeren Freiheitsentzuges erscheint dem Senat nicht ausreichend für die Beurteilung, dass die durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit des Verurteilten nicht mehr fortbesteht. Insbesondere für Konstellationen, in denen Umstände gegeben sein könnten, die eine Tötung nicht oder nur äußerst unwahrscheinlich als Straftat erkennbar werden lassen, ist völlig offen geblieben, ob das durch die Erfahrung der Strafhaft inzwischen bei dem Verurteilten entstandene Hemmnis überhaupt trägt, so dass eine positive Sozialprognose schon unter diesen Gesichtspunkten nicht gestellt werden kann. Die Anforderungen sind hier angesichts des Gewichts des bei einem Rückfall bedrohten höchsten Rechtsgutes überhaupt - des Lebens -, im Vergleich zum Risiko anderer Straftaten, die gegen andere Rechtsgüter gerichtet sind, gesteigert. Bei besonders schweren oder gefährlichen Straftaten muss in der Regel ein höherer Grad an Wahrscheinlichkeit für eine künftige straffreie Führung vorliegen als bei weniger schwerwiegenden Straftaten (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl., Rdnr. 12 zu § 57 m. w. N., BGH NStZ-RR 2003, 200).

Unabhängig hiervon ist aber das Hauptargument, dass der Sachverständige dafür anführt, dass die Gefährlichkeit nicht fortbesteht, nach Auffassung des Senats hier nicht tragend. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass die von dem Sachverständigen gezogene Schlussfolgerung letztlich von Anknüpfungstatsachen ausgehen muss, bei denen - bildlich gesprochen - auf der seelischen Landkarte des Verurteilten in einem wesentlichen Areal ein weißer Fleck verbleibt. Der Verurteilte stellt gerade die Feststellungen, die seine früher zutage getretene Gefährlichkeit betreffen, nämlich seine Täterschaft vehement in Abrede und gibt demgemäss keinerlei Aufschluss über seine innere Motivationslage, sein Taterleben und die aus seiner Sicht beherrschenden Tatumstände. Infolge des Bestreitens dieser wesentlichen Tatumstände besteht für den Sachverständigen nur eine eingeschränkte Beurteilungsgrundlage, die von dem Verurteilten verursacht und von ihm hinzunehmen ist (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 1999, 346). Für den Senat ist letztlich ungeklärt geblieben, ob der Verurteilte durch den Vollzug der Strafe so hinreichend beeinflusst worden ist, dass ähnliche Straftaten von ihm nicht mehr zu erwarten sind. Angesichts des Ausmaßes der ungeklärten Faktoren bei der Tatbegehung erscheint dem Senat der Umstand, dass der Verurteilte zukünftig in entsprechenden Situationen Risikoabwägungen treffen wird, nicht ausreichend.

Dass bei dem Verurteilten im übrigen eine problematische Persönlichkeit vorliegt steht aufgrund der überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen, denen sich der Senat anschließt, fest. Seine infantil-geltungssüchtigen Züge, seine Reaktionen mit nachhaltiger destruktiver Wut auf Niederlagen und Verlusterlebnisse und seine recht spontane Bereitschaft zu massiver Gewaltanwendung sind für sich bereits problematische Persönlichkeitszüge. Dass insbesondere seine Neigung, sich mit vielen Lügen durchzulavieren fortbesteht, hat der Verurteilte zudem in der mündlichen Anhörung bewiesen, nachdem hier offenbar wurde, dass er inzwischen entgegen seinen Angaben gegenüber dem Sachverständigen in der Exploration sowie offenbar auch der Justizvollzugsanstalt gegenüber, nicht mehr mit einer Partnerin namens L zusammen ist, sondern seit gut 1 1/2 Jahren mit einer anderen jungen Frau - namens I -, die der Senat angehört hat. Nachdem der Verurteilte diese "Veränderung" zunächst noch damit zu erklären versucht hat, dass er sich bei dem Sachverständigen "richtig verhauen" habe, hat er auf nähere Nachfrage angegeben, dass er seine neue Freundin "aus der Sache raushalten" wollte, da Frau L im Vollstreckungsverfahren bereits bekannt gewesen sei. Der Verurteilte hat mit diesem Verhalten erneut gezeigt, dass bei ihm Schwierigkeiten bestehen, sich authentisch darzustellen; sein Interesse an der Schaffung einer realistischen Beurteilungsgrundlage sowohl für den Sachverständigen als auch das Gericht ist - unabhängig von seiner Unschuldsbekundung - offenbar gering.

Angesichts der problematischen - in weiten Teilen undurchsichtig gebliebenen - Persönlichkeit des Verurteilten und des Gewichts des bei einem Rückfall bedrohten hohen Rechtsgutes reicht es für eine günstige Prognose nicht aus, dass sich der Verurteilte erstmals in Strafhaft befindet, sein Verhalten im Vollzug ohne Beanstandung war und seine Entlassungssituation hinsichtlich Wohnung und Arbeit im Hotel der Mutter positiv erscheint. Für die Kriminalprognose haben diese Faktoren bei diesem Verurteilten nur untergeordnete Bedeutung, weil er sich auch vor der Tat nicht in dissozialen Verhältnissen befand oder dissoziales Verhalten gezeigt hätte. Die danach bestehenden Zweifel an einer günstigen Sozialprognose gehen zu Lasten des Verurteilten (vgl. Stree in Schönke-Schröder, § 57 Rdnr. 16). Eine vorzeitige Entlassung kommt deshalb nicht in Betracht.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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