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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 20.05.2008
Aktenzeichen: 3 Ws 187/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 308
StPO § 309
StPO § 453 Abs. 1 S. 2
Hat das Gericht, das über den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung wegen eines Auflagenverstoßes zu entscheiden hat, die mündliche Anhörung des Verurteilten nach § 453 Abs. 1 S. 2 StPO verabsäumt, so kann das Beschwerdegericht jedenfalls dann, wenn es sich bei dem Verurteilten um einen Jugendlichen oder Heranwachsenden handelt, die mündliche Anhörung aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung selbst nachholen. Es ist in diesen Fällen nicht gehalten, den angefochtenen Beschluss wegen der unterlassenen Anhörung aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen (Abgrenzung - u.a. - zu OLG Hamm Beschl. v. 01.12.2005 - 2 Ws 304-305/05).
Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers mit der Maßgabe verworfen, dass die in Erfüllung der Bewährungsauflage erbrachten Arbeitsleistungen mit fünf Tagen auf die Jugendstrafe angerechnet werden.

Gründe:

I.

Der Verurteilte ist durch Urteil des Amtsgerichts Gütersloh vom 13.06.2007 zunächst wegen Gefährdung des Straßenverkehrs durch falsches Überholen zu einer Einheitsjugendstrafe von neun Monate verurteilten worden. Die Fahrerlaubnis wurde ihm entzogen und eine Sperrfrist von einem Jahr angeordnet. Einbezogen in die Verurteilung wurde das Urteil des Amtsgerichts Gütersloh vom 14.12.2005 (8Ls 66 Js 596/04 AK 181/05). Hier war der Angeklagte wegen unterlassener Hilfeleistung und wegen Unterschlagung zunächst zu einer Einheitsjugendstrafe von sechs Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden war. Dem lag zu Grunde, dass der Verurteilte tatenlos dabei gesessen hatte, als zwei seiner Bekannten mit Gewalt sexuellen Handlungen an einem fünfzehnjährigen Mädchen vornahmen. Ferner hatte er ein gefundenes Fahrrad für sich behalten. Im dem amtsgerichtlichen urteil, auf das das Berufungsurteil insoweit Bezug nimmt, ist festgestellt, dass die Bewährungszeit in dieser Sache unbefriedigend verlief. Zu einem Termin zur Aufstellung eines Bewährungsplanes erschien der Verurteilte nicht und hielt auch keinen tragfähigen Kontakt zu seiner Bewährungshelferin. Trotz der Anordnung einer Ungehorsamshaft von einer Woche verbesserte sich der Kontakt nur geringfügig. Die Zahlung einer Geldbuße stellte er ein, weil er dazu "keine Lust" hatte. Die Restzahlung leistete er erst, als unmittelbar die Arrestvollstreckung drohte. Kontakt zur Bewährungshelferhin hielt er nach einem Anhörungstermin am 01.09.2006 bis zur Verurteilung durch das Amtsgericht Gütersloh am 13.06.2007 nicht mehr. Der Verurteilte war auch bereits zuvor vielfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. So hat er u. a. aufgrund Verurteilungen wegen Diebstahls bereits Freizeitarreste verbüßt und gemeinnützige Arbeit erbringen müssen.

Die Vollstreckung der Strafe hat das Landgericht Bielefeld auf die Berufung des Angeklagten mit Urteil vom 05.12.2007 zur Bewährung ausgesetzt und die Sperrfrist auf sieben Monate verkürzt. Im übrigen hat es die Berufung verworfen. Das Urteil ist rechtskräftig. Das Landgericht hat im Bewährungsbeschluss vom 05.12.2007 folgende Anordnungen getroffen:

"1. Die Bewährungszeit dauert 3 (drei) Jahre.

2. Für die Dauer der Bewährungszeit wird der Angeklagte der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers Herrn I, Bewährungshilfe H, unterstellt.

3. Der Angeklagte wird angewiesen,

a) sofort, d.h. binnen 3 Tagen, Kontakt zu seinem Bewährungshelfer aufzunehmen,

b) regelmäßigen, d.h. zunächst zweicwöchigen persönlichen Kontakt zu seinem Bewährungshelfer zu halten,

c) (...).

4. Dem Angeklagten wird auferlegt, binnen 3 (drei) Monaten, 300 Stunden unentgeltliche Arbeit bei einer noch seitens der Kammer zu bestimmenden gemeinnützigen Einrichtung abzuleisten."

Im Berufungsurteil heißt es, dass es vertretbar sei, die Vollstreckung der Jugendstrafe zur Bewährung auszusetzen, weil der Verurteilte zwar schädliche Neigungen zeige, aber noch keine kriminelle Persönlichkeit entwickelt habe, die die Vollstreckung der Jugendstrafe unbedingt gebiete. Der Verurteilte habe zwar teilweise "fast schon unerträglich" versucht, seine Taten zu rechtfertigen, aber letztendlich glaubhaft erklärt, sich künftig anders verhalten zu wollen. Er habe für die Berufungshauptverhandlung einen Text verfasst, in dem er seine Zukunftspläne geschildert habe und in dem er um eine Chance gebten habe, beweisen zu können, dass er es schaffen könne. Deswegen solle ihm eine letzte Chance eingeräumt werden, wobei der Verurteilte "seinen Worten Taten folgen lassen" müsse und ein Verhalten wie in der Vergangenheit unweigerlich zu einem Widerruf der Strafaussetzung führen werde.

Am 18.02.2008 teilte der Bewährungshelfer dem Gericht mit, dass der Verurteilte noch keine Arbeitsstunde abgeleistet habe, obwohl er eigentlich damit habe beginnen wollen. Gründe dafür seien nicht dargetan. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Landgericht die Arbeitsauflage noch nicht näher präzisiert.

Daraufhin fand am 05.03.2008 eine Anhörung des Verurteilten vor dem Berichterstatter statt zur Erstellung eines Bewährungsplanes bzw. zur Möglichkeit des Widerrufs der Strafaussetzung. Der Verurteilte erklärte in der Anhörung, dass er seit Februar bei einer Zeitarbeitsfirma arbeite und entweder von 6-14 Uhr oder von 14 bis 22 Uhr sowie an zwei Samstagen im Monat arbeite. Letzteres stellte er im weiteren Verlauf dahin richtig, dass er Samstags nicht arbeiten müsse. Arbeitsstunden habe er im Dezember und Januar nicht abgeleistet, weil er lieber "bei einem Kumpel gejobbt" und "keine Lust auf Sozialstunden" gehabt habe. Er wisse nicht, warum er unentgeltlich arbeiten solle, wenn er anderswo Geld dafür bekäme.Der Bewährungshelfer erklärte in der Anhörung, dass der Verurteilte im Januar die Möglichkeit gehabt habe, Sozialstunden abzuleisten. Der Verurteilte wurde in der Anhörung auf die Gefahr des Widerrufs hingewiesen. Auf die Frage, ob er keine Angst vor dem Gefängnis habe, erklärte er, dass dort nur "Luschen" seien.

Mit Beschluss vom 05.03.2008 hat das Landgericht die Arbeitsauflage dahingehend ergänzt, dass der Verurteilte die Sozialstunden bei der B in H zu erbringen und am Samstag, dem 08.03.2008, damit zu beginnen und sodann jeden Samstag mindestens 4-5 Sozialstunden zu erbringen habe. Weiter wurde angeordnet, dass der Verurteilte täglich Sozialstunden bei der B in H abzuleisten habe, wenn er sein Arbeitsverhältnis bei seinem bisherigen Arbeitgeber beenden sollte, was er dem Gericht unverzüglich mitzuteilen und zu belegen habe. Er wurde darauf hingewiesen, dass "es ohne weitere Anhörung zu einem Widerruf kommt, sollte er weiterhin grundlos keine Arbeitsstunden leisten". Der Beschluss wurde dem Verurteilten am 07.03.2008 zugestellt. Der Inhalt war allerdings schon in der Anhörung "vereinbart" worden.

Am 13.03.2008 teilte der Bewährungshelfer dem Gericht telefonisch mit, dass der Verurteilte zu einem Termin bei ihm am 07.03.2008 nicht erschienen und auch telefonisch seit Tagen nicht erreichbar sei. Die Ableistung der Arbeitsstunden habe er am 08.03.2008 nicht begonnen. In einem weiteren Telefonat vom 26.03.2008 teilte der Bewährungshelfer mit, dass er keinen Kontakt zu dem Verurteilten habe und sich dieser bisher auch noch nicht bei der Stelle zur Ableistung der Arbeitsstunden gemeldet habe.

Daraufhin hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss die Strafaussetzung zur Bewährung - ohne erneute Anhörung des Verurteilten - widerrufen, weil er gröblich und beharrlich gegen die Arbeitsauflage verstoßen habe. Zur Begründung wird u.a. angeführt, dass der Verurteilte die Ableistung der Sozialstunden am 08.03.2008 nicht begonnen habe. Der Widerrufsbeschluss ist dem Verurteilten am 04.04.2008 zugestellt worden.

Nach Erlass des Widerrufsbeschlusses hat der Verurteilte folgende Arbeitsleistungen zur Erfüllung der Auflage erbracht: Am 01.04.2008, 03.04.2008, 04.04.2008 und 16.04.2008 jeweils 4,5 Stunden, am 09.04.2008 5 Stunden. Nach dem 09.04.2008 hat sich der Verurteilte bei der B nicht mehr gemeldet.

Gegen den Widerrufsbeschluss hat der Verurteilte rechtzeitig sofortige Beschwerde eingelegt. In dieser entschuldigt er sich für die zögerliche Auflagenerfüllung und kündigt die Ableistung "der restlichen 270 Stunden innerhalb der nächsten 6 Wochen" an.

Der Senat hat einen Bericht des Bewährungshelfers eingeholt und den Verurteilten am 20.05.2008 mündlich angehört. Der Bewährungshelfer hat neben dem Stand der Erfüllung der Arbeitsauflage mitgeteilt, dass der Verurteilte seines Erachtens die Ernsthaftigkeit der Situation nicht wirklich erkannt zu haben scheint. Er habe ihm öfters mitgeteilt, dass er Geld verdienen müsse, wobei es sich jedoch in erster Linie wohl um nicht versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse handele. Nur einmal habe der Verurteilte ihm einen Arbeitsvertrag der Firma M vorgelegt, aus dem sich ein vom 05.02.2008 bis zum 29.03.2008 befristetes Arbeitsverhältnis ergebe. Arbeitszeitnachweise habe er trotz Aufforderung nicht vorgelegt. Der letzte persönliche Kontakt zum Verurteilten habe am 09.04.2008 stattgefunden. Danach habe sich der Verurteilte trotz Aufforderung nur einmal telefonisch gemeldet, einen vereinbarten Gesprächstermin habe er nicht eingehalten. Über neue Strafverfahren sei nichts bekannt. In einer telefonischen Auskunft gegenüber dem Berichterstatter teilte der Bewährungshelfer mit, dass er mit dem Verurteilten in dem persönlichen Gespräch am 09.04.2008 über den Widerrufsbeschluss gesprochen habe, ihn über die Rechtsmittelmöglichkeiten aufgeklärt habe und mit ihm darüber gesprochen habe, dass er die Auflagen erfüllen solle.

Der Verurteilte hat in seiner mündlichen Anhörung vor dem Senat u.a. angegeben, dass er etwa 6000 Euro Schulden habe und immer Mahnungen bekomme und deswegen entgeltlich arbeite, um die Schulden abbezahlen zu können. Die Schulden rührten aus einem Kredit her, den er mit 18 Jahren aufgenommen habe. Er habe seit 6 Wochen Arbeit bei einer Zeitarbeitsfirma, von der er nur den Namen und den Ort benennen konnte, und sei z. Zt. bei einer Firma, die Deckel für Mülltonnen herstelle eingesetzt. Dort arbeite er von Montags bis Samstags. Es wäre nett, wenn die Arbeitsauflage noch 6 Monate hinausgeschoben würde. Dann habe er wahrscheinlich seine Schulden bezahlt und müsse nicht mehr Samstags arbeiten, so dass er dann die Arbeitsauflage erfüllen könne. Er habe eine Zusage einer C Schule, deren Namen und Anschrift er nicht benennen konnte, für die Abendschule ab August 2008. Er könne dann in zwei Jahren seinen Haupt- und Realschulabschluss nachholen.

II.

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten ist unbegründet.

1.

Die Strafaussetzung zur Bewährung ist vom Landgericht im Ergebnis zu Recht widerrufen worden, weil der Verurteilte beharrlich gegen die ihm erteilte Arbeitsauflage verstoßen hat (§ 26 Abs.1 Nr. 3 JGG).

a) Das Landgericht war zur Entscheidung nach § 58 JGG berufen, da es nicht lediglich eine Aussetzungsentscheidung des erstinstanzlichen Gerichts bestätigt sondern erstmalig die Strafaussetzung zur Bewährung angeordnet hat (BGH NStZ 1987, 87; Eisenberg JGG 12. Aufl. § 58 Rdn. 35).

b) Ein Auflagenverstoß ist beharrlich, wenn der Verurteilte immer wieder oder auf längere Zeit die Auflagen nicht erfüllt (vgl. Eisenberg JGG 12. Aufl. § 26 Rdn. 8; Fischer StGB 55. Aufl. § 56f Rdn. 10). Das ist hier der Fall. Zwar kann noch nicht die Nichterbringung von Auflagen in der Zeit vor Zustellung des Beschlusses vom 05.03.2008 zu seinen Lasten gewertet werden, da die Auflage im Bewährungsbeschluss dahin lautete, dass die Arbeit "bei einer noch seitens der Kammer zu bestimmenden gemeinnützigen Einrichtung" abzuleisten sei und diese Bestimmung erst am 05.03.2008 getroffen wurde. Jedoch hat der Verurteilte trotz der eindringlichen Ermahnung in der Anhörung am 05.03.2008 sowie in dem Beschluss vom gleichen Tage auch danach zunächst keine Arbeitsleistungen erbracht. Gründe dafür, warum ihm dies nicht möglich gewesen sein sollte, sind nicht erkennbar und auch vom Verurteilten nicht vorgetragen. Er hat in der Beschwerdeschrift vielmehr ausgeführt, dass er stattdessen arbeiten gegangen sei, um private Schulden abzuzahlen.

Auch nach Erlass des Widerrufsbeschlusses durch das Landgericht hat der Verurteilte nicht die im Bewährungsbeschluss geforderten Arbeitsleistungen erbracht. Zwar begann er mit deren Ableistung am 01.04.2008. Er arbeitete auch einige Male mehr als nur an Samstagen. Indes arbeitete er auch in der Zeit Anfang April nicht in dem vom Gericht geforderten Umfang. In dem Beschluss vom 05.03.2008 sollte er nämlich täglich Arbeitsstunden ableisten, wenn das Beschäftigungsverhältnis bei der Firma M nicht mehr besteht, was seit dem 30.03.2008 der Fall war. Auch hat der Verurteilte bereits nach dem 16.04.2008 die Fortführung der Auflagenerfüllung beendet. Nachvollziehbare Gründe hierfür sind nicht ersichtlich. Es wäre naheliegend gewesen, wie es ihm vom Bewährungshelfer angeraten wurde und wie es der Verurteilte in seiner Rechtsmittelschrift selbst angekündigt hatte, die "restlichen" Arbeitsstunden umgehend abzuleisten.

Es ist zwar grundsätzlich anerkennenswert, wenn der Verurteilte sich bemüht, private Schulden durch Erwerbsarbeit zu begleichen. Dass letztere - sofern die Angaben des Verurteilten hierzu überhaupt zutreffen - aber die Erbringung von Arbeitsauflagen in einem größeren als dem erbrachten Umfang nicht zuließen (z.B. während eines Urlaubs oder nach Dienstschluss), ist nicht ersichtlich. Der Verurteilte hat vor und nach dem Widerrufsbeschluss Versprechungen im Hinblick auf die Erbringung der Arbeitsauflagen gemacht, die zeigen, dass es ihm möglich war, diese trotz Erwerbstätigkeit zu erbringen, hat sie aber nicht eingehalten und auch nicht ansatzweise Bemühungen unternommen, mit dem Bewährungshelfer und dem Gericht eine Klärung im Sinne einer Vereinbarkeit von Auflagenerfüllung und Berufstätigkeit herbeizuführen.

c) Mildere Maßnahmen nach § 26 Abs. 2 JGG sind nach dem Eindruck des Senats vom bisherigen Verlauf der Bewährungen nicht ausreichend. Insbesondere erschien weder eine Umwandlung der Arbeitsauflage in eine Geldauflage noch ein Aufschub der Arbeitsauflage angezeigt. Insoweit erscheint schon zweifelhaft, ob der Verurteilte bei einem Schuldenstand von 6000 Euro und einem monatlichen Nettoeinkommen von 1000 Euro in einem halben Jahr - wie von ihm angeregt - in der Lage sein würde, Samstags die Arbeitsauflage abzuleisten. Es ist unwahrscheinlich, dass bei den Einkommensverhältnissen die Schulden tatsächlich so rasch bezahlt sind (rein rechnisch käme das nur in Betracht, wenn der Verurteilte ansonsten keinerlei Ausgaben, z.B. für Lebensunterhalt etc., hätte). Außerdem käme dann auf den Verurteilten durch die Abendschule eine weitere zeitliche Belastung hinzu.

2.

a) Allerdings war es rechtsfehlerhaft, dass das Landgericht den Widerruf der Strafaussetzung beschlossen hat, ohne den Verurteilten zu den widerrufsbegründenden Tatsachen (erneut) mündlich anzuhören (§ 453 Abs. 1 S. 2 StPO). Die Anhörung vom 05.03.2008 war insoweit nicht ausreichend. Bis zur Präzisierung der Bewährungsauflage lag noch kein Auflagenverstoß vor. Soweit der Widerruf auf den Nichtbeginn der Arbeitsleistungen ab dem 08.03.2008 abstellt, lag diese Tatsache nach der letzten, so dass der Verurteilte hierzu nicht mündlich (und auch sonst nicht) angehört wurde. Zwar handelt es sich bei § 453 Abs. 1 S. 2 StPO um eine Sollvorschrift. Dadurch wird aber die Durchführung einer mündlichen Anhörung nicht in das freie Ermessen des Gerichts gestellt. Vielmehr hat in den dortgenannten Fällen grundsätzlich eine mündliche Anhörung stattzufinden, die auch von dem beauftragten Richter durchgeführt werden kann (vgl. Fischer in: KK-StPO 5. Aufl. § 454 Rdn. 14 m.w.N.). Sie kann nur in Ausnahmefällen unterbleiben, z. B. dann, wenn eine solche mündliche Anhörung keine weitere Aufklärung verspricht (KG JR 1988, 39), muss also stattfinden, wenn eine weitere Aufklärung möglich erscheint (OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 199, 200; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 91, 92). Das ist hier der Fall, denn es lagen keinerlei Erkenntnisse darüber vor, warum die Auflagen nach dem Anhörungstermin nicht erfüllt wurden. Es ist zwar angesichts des bisherigen Verlaufs der dem Verurteilten gewährten Bewährungen naheliegend, dass dies aus einer bloßen Verweigerungshaltung bzw. Unlust heraus geschieht. Zwingend ist es aber nicht.

b) Der Senat hat die fehlende mündliche Anhörung gem. § 308 Abs. 2 StPO selbst nachgeholt und in der Sache selbst entschieden. Der überwiegende Teil der Rechtsprechung hält zwar eine Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache für geboten, wenn eine erforderliche mündliche Anhörung unterblieben ist (BGH NStZ 1995, 610, 611; BrbgOLG Besch. v. 17.04.1996 - 2 Ws 50/96 - juris; OLG Celle Beschl. v. 15.05.2003 - 1 Ws 167/03 - juris; OLG Düsseldorf NJW 2002, 2963, 2964; OLG Frankfurt NStZ-RR 1998, 77; OLG Hamm Beschl. v. 01.12.2005 - 2 Ws 304-305/05 - juris; OLG Karlsruhe Beschl. v. 07.11.2002 - 1 Ws 323/02 - juris; OLG Saarbrücken Beschl. v. 06.06.2007 - 1 Ws 99/07 = BeckRS 2008,03691; OLG Schleswig Beschl. v. 11.08.1981 - 1 Ws 289/01; ThürOLG Beschl. v. 16.08.2007 - 1 Ws 311/07 - juris). Zur Begründung wird angeführt, dass dem Verurteilen keine Instanz genommen werden solle und das Beschwerdegericht den Verfahrensfehler nicht in der gebotenen Weise beheben könne. Die Regelungen zur mündlichen Anhörung beträfen das erstinstanzliche Verfahren und das Mündlichkeitsprinzip im Beschwerdeverfahren sei durch § 309 Abs. 1 StPO grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. OLG Düsseldorf NJW 2002, 2963, 2964; OLG Saarbrücken Beschl. v. 06.06.2007 - 1 Ws 99/07 = BeckRS 2008,03691).

Ob dem in dieser Allgemeinheit zu folgen ist, kann der Senat dahinstehen lassen. Dagegen könnte sprechen, dass nach § 308 Abs. 2 StPO das Beschwerdegericht befugt ist, eigene Ermittlungen (gleich welcher Art) anzustellen. Auch wird von der o.g. Ansicht möglicherweise nicht hinreichend zwischen "mündlicher Verhandlung", die nach § 309 Abs. 1 StPO nicht erforderlich ist, und zwischen "mündlicher Anhörung" differenziert. Beide Begriffe sind nicht identisch. Im Beschwerdeverfahren findet eine mündliche Verhandlung grundsätzlich nicht statt, wohl aber in den Ausnahmefällen der §§ 118 Abs. 2 und 124 Abs. 2 S. 3 StPO. Eine bloße mündliche Anhörung, also die Gewährung rechtlichen Gehörs in mündlicher Form, ist hierdurch aber nicht berührt. Im übrigen ist im Beschwerderecht eine Zurückverweisung auch nicht geregelt. Auch Gründe der Verfahrensbeschleunigung könnten für eine eigene Sachentscheidung des Beschwerdegerichts nach Heilung des Verfahrensverstoßes sprechen. Schließlich erscheint fraglich, warum der Fall, in dem ein unrichtig besetzter Spruchkörper entschieden hat (also auch rechtliches Gehör nicht durch - alle - zur Entscheidung berufenen Richter gewährt wurde), in dem aber in der Rechtsprechung z. T. vertreten wird, dass das Beschwerdegericht hier in der Sache selbst zu entscheiden habe (OLG Hamm NStZ 1992, 407), anders gelagert sein soll, als eine völlig fehlende Anhörung. Deswegen wird im Schrifttum teilweise angenommen, dass das Beschwerdegericht in jedem Fall eine eigene Entscheidung trifft, auch dann, wenn ein Verfahrensfehler, wie die Verletzung rechtlichen Gehörs vorliegt, der aber durch das Beschwerdegericht geheilt wurde (Engelhardt in: KK-StPO 5. Aufl. § 309 Rdn. 8; Plöd in KMR - Stand März 1998 - § 309 Rdn. 9; Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 309 Rdn. 9; vgl. auch Rautenberg in: Lemke/u.a. StPO 3. Aufl. § 309 Rdn. 7). Dies ist auch vom BVerfG im Hinblick auf das Grundrecht auf den gesetzlichen Richter gebilligt worden (BVerfGE 22, 282, 286 f.).

Jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem ein Heranwachsender betroffen ist, erscheint es nicht angezeigt, die erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen. Die dadurch bedingte Verzögerung des Verfahrens würde dem Erziehungsgedanken, der dem Jugendstrafrecht zu Grunde liegt, zuwiderlaufen. Wie sich an einer Reihe von Einzelvorschriften (z. B. §§ 55 f. JGG) sowie der gesetzgeberischen Intention zeigt, soll das Jugendstrafverfahren zügig durchgeführt werden. Aus erzieherischen Gründen soll die Sanktion möglichst rasch auf einen Verstoß folgen (vgl. Ostendorf JGG 7. Aufl. Grdl. z. §§ 55-56 Rdn. 4 sowie Eisenberg a.a.O. § 55 Rdn. 37). Hier müsste nach einer Aufhebungsentscheidung und Aktenrücklauf zum Landgericht dort erst ein neuer Termin zur Anhörung, möglicherweise mit einigem Vorlauf, anberaumt werden. Dann würde erneut entschieden, möglicherweise sodann erneut Rechtsmittel eingelegt. Der Senat konnte hingegen zeitnah einen Anhörungstermin anberaumen und über das Rechtsmittel entscheiden.

III.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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