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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 22.05.2003
Aktenzeichen: 3 Ws 188/03
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 274 | |
StPO § 302 |
Beschluss
Strafsache
wegen gemeinschaftlichen Betruges, (hier: sofortige Beschwerde beider Angeklagter gegen die Verwerfung der Berufung als unzulässig).
Auf die sofortige Beschwerde beider Angeklagter vom 20. März 2003 gegen den Beschluss der 1. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 20. Februar 2003 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 22. 05. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die den Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe:
I.
Die Angeklagten sind durch Urteil des Amtsgerichts Bottrop vom 11.10.2002 des gemeinschaftlichen Betruges in zwei Fällen schuldig gesprochen worden; gegen die angeklagte Ehefrau ist eine Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 5,- € und gegen ihren Ehemann eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verhängt worden.
In dem von der erkennenden Richterin und der Protokollführerin unterzeichneten Protokoll der Hauptverhandlung befindet sich am Ende nach der protokollierten Belehrung der Angeklagten über die Möglichkeit der Einlegung der Berufung und der Revision folgender im Wesentlichen gestempelter Vermerk:
Nach Rechtsmittelbelehrung erklärten die Angeklagte: "Ich verzichte auf die Einlegung eines Rechtsmittels gegen das soeben verkündete Urteil" vorgelesen und genehmigt.
Am 18.10.2002 erklärten beide Angeklagte zur Niederschrift auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Bottrop, dass sie gegen das Urteil vom 11.10.2002 Berufung einlegen.
Durch den angefochtenen Beschluss hat das Landgericht Essen die Berufung der Angeklagten vom 18.10.2002 im Hinblick auf den protokollierten Rechtsmittelverzicht als unzulässig verworfen.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde beider Angeklagter.
II.
Die gemäß §§ 322 Abs. 2, 311 Abs. 2 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache zumindest vorläufigen Erfolg.
Ein wirksamer Rechtsmittelverzicht beider Angeklagter ist trotz des Protokollvermerks nicht anzunehmen.
Zwar kann bereits in der Hauptverhandlung unmittelbar im Anschluss an die Urteilsverkündung ein Rechtsmittelverzicht wirksam erklärt und in der Sitzungsniederschrift protokolliert werden (vgl. Löwe-Rosenberg, 24. Aufl., Rdnr. 13 zu § 302, BGH NStZ 86, 277). Im Hinblick auf die damit verbundene Unwiderruflichkeit der Prozesserklärung ist es jedoch geboten, den Angeklagten unmittelbar im Anschluss an die Urteilsverkündung nicht zu einer Erklärung, ob Rechtsmittelverzicht erklärt werde, zu veranlassen (Nr. 142 Abs. 2 RiStBV). Wird indes eine Erklärung abgegeben, so ist für einen wirksamen Rechtsmittelverzicht eine eindeutige vorbehaltslose und ausdrückliche Erklärung zu verlangen. Eine solche kann vorliegend von beiden Angeklagten nicht festgestellt werden.
Aus dem Protokollvermerk hinsichtlich der abgegebenen Erklärung ergibt sich eine Beweiswirkung i.S.d. § 274 StPO bereits deshalb nicht, weil der Protokollvermerk nicht eindeutig ist. Der Vermerk, der lautet: "Nach Rechtsmittelbelehrung erklärten die Angeklagte ...", ist grammatikalisch nicht korrekt; ihm kann nicht mit Eindeutigkeit entnommen werden, ob beide Angeklagte jeder für sich und jeweils oder nur die angeklagte Ehefrau die Verzichtserklärung abgegeben haben. Aufgrund der objektiven Mehrdeutigkeit fällt die Beweiskraft des Protokolls im vorgenannten Punkt weg. Die Frage des Rechtsmittelverzichts ist mithin in freier Beweiswürdigung zu beurteilen. Die dienstlichen Äußerungen der erkennenden Richterin und der Protokollführerin sind jedoch nicht geeignet, eine unmissverständliche Willenserklärung der beiden Angeklagten zur Frage des Verzichts auf eine Anfechtung des soeben verkündeten Urteils festzustellen.
Die erkennende Richterin hat sich wie folgt dienstlich geäußert:
"Der Rechtsmittelverzicht ist nach meiner Erinnerung durch eindeutiges Kopfnicken beider Angeklagten zustande gekommen, die sich dabei zunächst durch Blicke und Gesten auf den Rechtsmittelverzicht verständigt hatten. Es ist mir nicht erinnerlich, dass die Angeklagte psychisch labil war. Etwaige äußere Anzeichen wie etwa Hände vor das Gesicht schlagen oder Weinen hat es meiner Erinnerung nach nicht gegeben."
Die dienstliche Äußerung der Protokollführerin lautet wie folgt:
"Da ich das Amt einer Dauerprotokollführerin beim Amtsgericht Bottrop wahrnehme, kann ich mich konkret an die Aufnahme des Rechtsmittelverzichtes in dem Protokoll vom 11.10.2002 nicht mehr erinnern.
Ich möchte aber sagen, dass ich gerade Rechtsmittelverzichtserklärungen sehr gewissenhaft protokolliere, und dass speziell in diesem Fall der Rechtsmittelverzicht beider Angeklagter aufgenommen wurde (s. Protokoll vom 11.10.2002, Bl. 47 R d.A.). Wenn ein Verzicht unklar ist (z.B. durch Kopfnicken der Angeklagten), frage ich noch einmal genau nach. Mehr kann ich zu dieser Angelegenheit nicht zu sagen."
Ob das bloße Kopfnicken bereits als eindeutige, vorbehaltlose und ausdrückliche Erklärung angesehen werden kann, ist bereits zweifelhaft (ablehnend Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., Rdnr. 20 zu § 302; OLG Zweibrücken VRS 83, 358; OLG Koblenz MDR 81, 956). Angesichts des Umstandes, dass der Sinnzusammenhang des Kopfnickens, insbesondere der exakte Inhalt der gestellten Frage nicht mitgeteilt worden ist, kann die nötige Eindeutigkeit der Erklärung, die im Hinblick auf die Unwiderruflichkeit des Verzichts zu fordern ist, nicht festgestellt werden. Angesichts denkbarer anderer Deutungsmöglichkeiten eines Kopfnickens gebietet es die richterliche Fürsorgepflicht, durch eine klare und konkrete Befragung der Angeklagten auf deren jeweils eindeutige und unmissverständliche Willenserklärung zur Frage eines Rechtsmittelverzichts hinzuwirken. Feststellungen in dieser Hinsicht sind nicht möglich, da sich die dienstliche Äußerung der Richterin hierüber nicht verhält und die Erklärung der Protokollführerin schon deshalb ungeeignet ist, weil es ihr an einer konkreten Erinnerung an die Sache fehlt.
Unklar ist aufgrund der dienstlichen Äußerungen auch geblieben, wie der im Protokoll befindliche Vermerk nach der Rechtsmittelerklärung "vorgelesen und genehmigt" zustande gekommen ist. Soweit sich die Erklärung der Angeklagten tatsächlich jeweils darauf beschränkt haben sollte, mit dem Kopf zu nicken, fragt sich, wie die entsprechende Erklärung vorgelesen worden sein kann. Auch hierüber geben die dienstlichen Äußerungen der Richterin und der Protokollführerin keinen Aufschluss.
Da nach alledem nicht festgestellt werden kann, dass die protokollierte Rechtsmittelverzichtserklärung den tatsächlichen Äußerungen beider Angeklagter und dem jeweils von ihnen wirklich Gewollten entspricht, liegt ein wirksamer Rechtsmittelverzicht nicht vor.
Der angefochtene Beschluss unterliegt daher insoweit mit der Kostenfolge aus §§ 467, 473 StPO der Aufhebung.
Ende der Entscheidung
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