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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 05.04.2007
Aktenzeichen: 3 Ws 208/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 142
Ein Anspruch des Angeschuldigten auf Bestellung des von ihm gewünschten Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger besteht dann nicht, wenn der weitere Zweck des Instituts der Pflichtverteidigung, einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu sichern, im Falle der Bestellung des Verteidigers des Vertrauens zum Pflichtverteidiger nicht mehr erreicht werden könnte.
Beschluss

Strafsache

gegen M.K.

wegen Einschleusens von Ausländern u.a., hier: Beschwerde des Angeklagten gegen die Auswechslung des Pflichtverteidigers).

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 02.03.2007 gegen den Beschluss des Vorsitzenden der VII. Strafkammer des Landgerichts Essen vom 02.03.2007 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 05. 04. 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung und auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers (§ 473 Abs. 1 StPO) als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Dem Angeklagten wird mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Essen vom 13.12.2006 zur Last gelegt, durch eine selbstständige Handlung gemeinschaftlich und gewerbsmäßig und als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hatte, anderen dazu Hilfe geleistet zu haben, entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 Aufenthaltsgesetz in das Bundesgebiet oder einen anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union einzureisen und sich dafür einen Vermögensvorteil versprechen zu lassen und erhalten und wiederholt und zu Gunsten von mehreren Ausländern gehandelt zu haben. Der Angeklagte soll am 15.06.2006 einem Iraner, der dafür 3.000 US-Dollar gezahlt hatte, von Wien aus in die Wohnung des Angeschuldigten F. in Essen gebracht haben, wo sich der Eingeschleuste bis zum 18.09.2006 aufhielt. Der betreffende Iraner war zuvor mit einem von weiteren Bandenmitgliedern beschafften falschen Pass über Istanbul nach Budapest und von dort aus versteckt nach Wien gebracht worden.

Die Anklage ist mit Beschluss der VII. Strafkammer des Landgerichts Essen vom 24.01.2007 zur Hauptverhandlung zugelassen worden. Zuvor war dem Angeklagten mit Beschluss des Vorsitzenden der Strafkammer vom 11.01.2007 Rechtsanwalt P. aus Bremen als Pflichtverteidiger beigeordnet worden.

Der Vorsitzende der Strafkammer hatte Termin zur Hauptverhandlung zunächst bestimmt auf den 22.02.2007 mit Fortsetzungsterminen am 27.02.2007, 20.03.2007 und 30.03.2007. In der Hauptverhandlung vom 22.02.2007 hatten der Angeklagte sowie seine drei Mitangeklagten entgegen vorheriger Ankündigung umfassend von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Der Kammervorsitzende hatte daraufhin dem Pflichtverteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt K.P., mit Telefax vom 23.02.2007 weitere 12 Fortsetzungstermine, beginnend mit dem 05.04.2007 und endend am 08.06.2007, mitgeteilt und gleichzeitig um Rückmeldung des Pflichtverteidigers bis zum 26.02.2007 zu der Frage gebeten, ob er diese Termine wahrnehmen könne. Nachdem eine Antwort von Rechtsanwalt P. innerhalb der festgesetzten Frist ausgeblieben war, veranlasste der Kammervorsitzende mit Verfügung vom 26.02.2007 die Ladung von Rechtsanwältin R. aus Essen zur Hauptverhandlung vom 27.02.2007 und leitete ihr gleichzeitig die Zweitakten zur Terminsvorbereitung zu. Rechtsanwältin R. erschien dann auch zu der Hauptverhandlung vom 27.02.2007. Im Rahmen der Erörterung mit den Verfahrensbeteiligten und ihren Anwälten stellte sich in dem Termin heraus, dass Rechtsanwalt P. an fünfen der von der Kammer ins Auge gefassten weiteren Hauptverhandlungstermine verhindert war. Nach Anhörung des Angeklagten und seines damaligen Pflichtverteidigers Rechtsanwalt P. und nach Anberaumung weiterer neun Fortsetzungstermine auf den Zeitraum vom 05.04.2007 bis zum 29.05.2007 ordnete der Vorsitzende der Kammer mit dem hier angefochtenen Beschluss an, dass die Bestellung von Rechtsanwalt P. aus Bremen zum Pflichtverteidiger des Angeklagten zurückgenommen und dem Angeklagten stattdessen Rechtsanwältin R. aus Essen als Pflichtverteidigerin beigeordnet werde.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner am 07.03.2007 bei dem Landgericht Essen eingegangenen Beschwerde vom 02.03.2007.

Anschließend meldete sich mit am selben Tage bei dem Landgericht Essen eingegangenem Schreiben vom 15.03.2007 Rechtsanwalt F. aus Mettmann als weiterer Wahlverteidiger für den Angeklagten und beantragte, die Hauptverhandlung zum Zwecke der weiteren Vorbereitung der Verteidigung durch ihn auszusetzen und ihn sodann als Pflichtverteidiger des Angeklagten beizuordnen.

Dies lehnte der Kammervorsitzende mit Beschluss vom 20.03.2007 ab, da Rechtsanwalt F. ausweislich des von ihm vorgebrachten Aussetzungsantrages aufgrund seiner noch fehlenden Aktenkenntnis zu einer ordnungsgemäßen Verteidigung des Angeklagten nicht in der Lage sei. Weiterhin half der Vorsitzende mit Beschluss vom 20.03.2007 der Beschwerde des Angeklagten gegen den Beiordnungsbeschluss betreffend Rechtsanwältin R. nicht ab.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist in der Sache nicht begründet.

Das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren ist durch die Zurücknahme der Bestellung von Rechtsanwalt P. und die stattdessen erfolgte Bestellung von Rechtsanwältin R. zur Pflichtverteidigerin nicht verletzt.

Der Kammervorsitzende hat das ihm gemäß § 142 Abs. 1 StPO zustehende Auswahlermessen zutreffend ausgeübt. Der Aufrechterhaltung der Bestellung von Rechtsanwalt P. zum Pflichtverteidiger stehen wichtige Gründe i.S.v. § 142 Abs. 1 S. 3 StPO entgegen. Hier gebieten nämlich die im Rechtsstaatsprinzip verwurzelten Grundsätze der Sicherung eines ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs und des Beschleunigungsgebotes in Strafsachen die Entpflichtung von Rechtsanwalt P. und die Beiordnung von Rechtsanwältin R. als Pflichtverteidigerin. Denn Rechtsanwalt P. war an fünf Hauptverhandlungsterminen, die noch dazu im Block zu Beginn der neu angesetzten Hauptverhandlungstermine lagen, an der Wahrnehmung der Verteidigung des Angeklagten K. verhindert. Soweit im nachhinein durch Rechtsanwalt P. die Zahl der Termine, an denen er der Hauptverhandlung fernbleiben muss, mit drei benannt wird, hat der Senat keinen Zweifel an der Richtigkeit der davon abweichenden Angaben des Kammervorsitzenden. Im Hinblick darauf, dass sich zwei Mitangeklagte des Beschwerdeführers in Untersuchungshaft befinden und eine Abtrennung des Verfahrens gegen den Beschwerdeführer angesichts des Vorwurfs der mittäterschaftlichen und bandenmäßigen Tatbegehung nicht sachgerecht ist, verlangte das Beschleunigungsgebot in Haftsachen hier den erfolgten Austausch des Pflichtverteidigers. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte für ein gestörtes Vertrauensverhältnis des Angeklagten zu Rechtsanwältin R..

Der Zweck des Instituts der Pflichtverteidigung besteht ausschließlich darin, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen (§ 140 StPO) rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensablauf gewährleistet wird. Der Zweckbestimmung des Instituts der Pflichtverteidigung entspricht es, dass die Auswahl des Pflichtverteidigers Sache des Gerichtsvorsitzenden ist (§§ 141, 142 StPO), der nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet, ohne dass der Anwalt, der die Verteidigung führen will, seine Beiordnung durchsetzen könnte. Insbesondere verleiht das Institut der Pflichtverteidigung dem Rechtsanwalt keinen Anspruch darauf, in einer bestimmten Strafsache als Verteidiger bestellt zu werden, eine ihm übertragene Pflichtverteidigung weiter zu führen oder seiner - drohenden oder vollzogenen - Abberufung entgegen zu treten. Sinn der Pflichtverteidigung ist es nämlich nicht, dem Anwalt zu seinem eigenen Nutzen und Vorteil eine zusätzliche Gelegenheit beruflicher Betätigung zu verschaffen (BVerfGE 39, 238, 242; BVerfGE 9, 36, 38; Senat, Beschlüsse vom 28.01.1999 - 3 Ws 27/99 OLG Hamm - ,vom 05.03.2004 - 3 Ws 95/04 OLG Hamm - sowie vom 07.07.2006 - 3 Ws 300/06 OLG Hamm).

Andererseits hat der Angeklagte einen Anspruch auf ein faires Verfahren bzw. ein Recht auf wirksame Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 lit. c MRK). Der verfassungsmäßig verbürgte Anspruch auf ein rechtsstaatlich faires Verfahren als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips umfasst das Recht des Angeklagten, sich im Strafverfahren von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen (BVerfG NJW 2001, 3695, 3696 f; BVerfGE 39, 238, 243; BGH NJW 2001, 237; BGH NJW 1992, 849; Senat, Beschlüsse vom 05.04.2004 - 3 Ws 95/04 OLG Hamm - und vom 07.07.2006 - 3 Ws 300/06 OLG Hamm, je m.w.N.).

In Fällen der Pflichtverteidigung erfährt dieses Recht insoweit eine Einschränkung, als der Beschuldigte keinen unbedingten Anspruch auf Bestellung des von ihm gewünschten Rechtsanwalts und Pflichtverteidiger hat, ihm andererseits aber der Anwalt seines Vertrauens als Pflichtverteidiger beizuordnen ist, wenn dem nicht wichtige Gründe entgegen stehen (BVerfG, NJW 2001, 3695, 3696; Senat, Beschlüsse vom 05.03.2004 - 3 Ws 95/04 OLG Hamm - und vom 07.07.2006 - 3 Ws 300/06 OLG Hamm, je m.w.N.).

Ein Anspruch des Angeschuldigten auf Bestellung des von ihm gewünschten Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger besteht aber dann nicht mehr, wenn der weitere Zweck des Instituts der Pflichtverteidigung, einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu sichern, im Falle der Bestellung des Verteidigers des Vertrauens zum Pflichtverteidiger nicht mehr erreicht werden könnte (Senat, Beschlüsse vom 05.03.2004 - 3 Ws 95/04 OLG Hamm - und vom 07.07.2006 - 3 Ws 300/06 OLG Hamm; vgl. auch BGH NJW 1992, 849 und BGHSt 15, 306, 308 f). Dabei sind im Rahmen der Sicherung eines ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs das Gebot der Verfahrensbeschleunigung, insbesondere die besondere Beschleunigung in Haftsachen, sowie die Terminsplanung und Gesamtplanung des Gerichts zu berücksichtigen (Senat, a.a.O.; BGH StV 1998, 414; NJW 1992, 849; OLG Hamburg, NStZ 1997, 203, 204; OLG Frankfurt, NStZ-RR 1996, 304, 305; OLG Düsseldorf, StV 1997, 576; Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl., § 141 Rdnr. 1 a).

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Anforderungen an die Durchführung der Hauptverhandlung im Lichte des Beschleunigungsgebotes in Haftsachen (BVerfG , NJW 2006, 672; sowie Beschlüsse vom 16.03.2006 - 2 BvR 170/06 - und vom 04.04.2006 - 2 BvR 523/06 ) verlangt insbesondere, zwischen dem Recht des Angeklagten, in der Hauptverhandlung von dem Verteidiger seines Vertrauens vertreten zu werden, sowie seinem Recht bzw. - wie hier - dem Recht seiner sich in Untersuchungshaft befindenden Mitangeklagten an einer dem Beschleunigungsgebot entsprechenden Durchführung der Hauptverhandlung in Haftsachen sehr sorgsam abzuwägen. Dieser Konflikt lässt sich nur dadurch lösen, dass das Gericht die möglichen Hauptverhandlungstermine schon bei der Anklagezustellung oder zum sonst frühestmöglichen Zeitpunkt weitestgehend vorgibt und dass bei Verhinderung des gewählten Verteidigers dessen Beiordnung aufzuheben bzw. - soweit eine Beiordnung beabsichtigt wird - diese abzulehnen und ein anderer Verteidiger zu bestellen ist, der die vom Gericht vorgeschlagenen Termine wahrnehmen kann. Keinesfalls kann verlangt werden, dass dem Angeklagten von vornherein zwei Pflichtverteidiger zu bestellen sind, um so Terminskollisionen "in den Griff zu bekommen". Dem ursprünglich vom Angeklagten gewählten Verteidiger, der wegen nachhaltiger Verhinderung als Pflichtverteidiger nicht in Betracht kommt, bleibt es unbenommen, weiterhin als Wahlverteidiger tätig zu werden, um so die Rechte seines Mandanten wahrzunehmen. Das von ihm in diesem Fall eingegangene Kostenrisiko seines Honorars kann nicht dem Staat überbürdet werden (OLG Hamm, 2.Senat, Beschluss vom 04.05.2006 - 2 Ws 111/06 OLG Hamm).

Der gewählte Verteidiger ist dann in seiner Zeiteinteilung frei. Als vom Staat zu bezahlender Pflichtverteidiger kann aber nur ein Verteidiger beigeordnet werden, der gewährleisten kann, dem Verfahren mit seiner Arbeitskraft weitestgehend zur Verfügung zu stehen ( OLG Hamm, 2. Senat, a.a.O.; vgl. hierzu auch Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2006 in 2 BvQ 10/06 und des Vorsitzenden des 6. Strafsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 7. Februar 2006 (III-VI 10/05). Andernfalls ergäbe sich u.U. die Konsequenz, dass der Angeklagte bzw. die inhaftierten Mitangeklagten möglicherweise nur deshalb aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssten, weil der von ihm gewählte Verteidiger keine Zeit für die Hauptverhandlung hat ( OLG Hamm, 2. Senat, a.a.O.; vgl. hierzu auch OLG Köln, Beschluss vom 29. Dezember 2005 - HEs 37-41/05, StV 2006, 145, 146 = StraFO 2006, 111, 112).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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