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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 06.08.2009
Aktenzeichen: 3 Ws 252/09
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 68 f
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses, die durch das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht ausgeräumt werden, auf dessen Kosten (§ 473 Abs. 1 S. 1 StPO) verworfen.

Gründe:

Die Voraussetzungen für einen Eintritt der Führungsaufsicht nach § 68 f Abs. 1 StGB sind gegeben. Mit der Neufassung der Vorschrift durch das "Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung" vom 13. April 2007 (BGBl I, 513, in Kraft getreten am 18. April 2007) hat der Gesetzgeber ausdrücklich klargestellt, dass auch eine Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen Vorsatzstraftaten genügt, um bei "Vollverbüßern" die Führungsaufsicht kraft Gesetzes eintreten zu lassen. Die abweichende Rechtsprechung des Senats, derzufolge bei einer Gesamtfreiheits-strafe wenigstens eine der Einzelstrafen für eine Vorsatztat mindestens zwei Jahre betragen musste (Senatsbeschl. v. 8. Juni 1995 - 3 Ws 248/95), ist damit überholt. Aufgrund der mit Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Münster vom 7. September 2004 (12 Ls 410/04) gegen den Verurteilten wegen vorsätzlicher Straftaten verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren vier Monaten kommt daher mit der vollständigen Vollstreckung dieser Strafe die Führungsaufsicht - kraft Gesetzes - auch vorliegend zum Tragen.

Dem Eintritt der Führungsaufsicht gemäß § 68 f Abs. 1 StGB steht insbesondere auch nicht entgegen, dass die Strafe nicht ohne Unterbrechung vollzogen, sondern erst in vollem Umfang vollstreckt worden ist, nachdem die dem Verurteilten gemäß § 57 Abs. 1 StGB gewährte Reststrafenaussetzung zur Bewährung widerrufen worden ist. Soweit der Senat in seiner oben genannten Entscheidung die Auffassung vertreten hat, dass für den Eintritt der Führungsaufsicht ein ununterbrochener Vollzug der Freiheitsstrafe erforderlich sei, hält er nach der Neuregelung des § 68 f StGB an diesem Standpunkt nicht mehr fest. Die Vorschrift ist durch das Reformgesetz sowohl sprachlich als auch inhaltlich - durch die Aufnahme der Variante einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren - neu gefasst worden. Dabei hat der Gesetzgeber die Formulierung, dass die Strafe "vollständig vollstreckt" sein muss, als Voraussetzung der Führungsaufsicht beibehalten. Mit dieser Formulierung wird indes nur die gesamte Vollziehung der Strafe verlangt und gerade nicht zwischen einer "nahtlosen" Endverbüßung und einer solchen mit zeitweiligen Unterbrechungen unterschieden, so dass der Wortlaut der Vorschrift beide Fälle umfasst. Hätte der Reformgesetzgeber aber in diesem Punkt differenzieren und den Eintritt der Führungsaufsicht an weitere Bedingungen, namentlich an den ununterbrochenen Vollzug der Strafe knüpfen wollen, so hätte im Zuge der Neukonzeption des § 68 f StGB und der dadurch bezweckten Klarstellung der Anwendungsvoraussetzungen die Aufnahme eines ausdrücklichen Zusatzes nahe gelegen.

Die Führungsaufsicht ebenso in den Fällen der Vollverbüßung nach dem Widerruf einer Reststrafenaussetzung eintreten zu lassen, entspricht vor allem aber auch dem Sinn und Zweck dieser Maßregel sowie der Intention des Reformgesetzgebers, die Führungsaufsicht zu einem flexiblen und effizienten Instrument strafrechtlicher Gefahrenabwehr auszubauen (zu vgl. BT.Drs. 16/1993, Seite 1 f., 11 ff., 22 f.; Peglau, Das Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung, NJW 2007, 1558 ff.). Die Führungsaufsicht soll eine nachsorgende Betreuung von Tätern gewährleisten, deren gesellschaftliche Wiedereingliederung nach ihrer Entlassung aus dem Straf- oder Maßregelvollzug aus unterschiedlichen Gründen gefährdet und deshalb besonders schwierig erscheint. Ziel ist es, die Täter durch eine engmaschige Überwachung und Kontrolle an der Begehung weiterer Taten zu hindern und sie durch Betreuung und Hilfe bei der Bewältigung psychosozialer Schwierigkeiten in die Lage zu versetzen, außerhalb geschlossener Einrichtungen ein Leben ohne Straftaten zu führen (zu vgl. BT.Drs. 16/1993 S. 11). Der gesetzgeberischen Konzeption liegt zugrunde, dass die Prognose der "Vollverbüßer" typischerweise besonders ungünstig ist, da anderenfalls regelmäßig ein Teil der Strafe gemäß § 57 StGB zur Bewährung ausgesetzt worden wäre (zu vgl. Schneider in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., Rn. 2). Dem widerspräche es, Personen mit positiver Sozialprognose bei dem schwierigen Übergang in die Freiheit die Unterstützung der Bewährungshilfe zukommen zu lassen, umgekehrt aber "Vollverbüßer" nach der Strafhaft vollkommen sich selbst zu überlassen (zu vgl. Schneider in Leipziger Kommentar, a.a.O., Rn. 4). Deshalb soll § 68 f Abs. 1 StGB sicherstellen, dass gerade bei Fehlen einer positiven Prognose eine solche Lebenshilfe gewährleistet ist. Mit dem Gesetz zur Reform der Führungsaufsicht und zur Änderung der Vorschriften über die nachträgliche Sicherungsverwahrung hat der Gesetzgeber zahlreiche Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz der Maßregel getroffen (Erweiterung des Weisungskatalogs, Erhöhung des Strafrahmens für Weisungsverstöße, Schaffung des Instrumentariums der Krisenintervention etc.) und damit das Instrumentarium der Führungsaufsicht gezielt ausgeweitet.

Von diesem Sinn und Zweck der Führungsaufsicht sowie dem Willen des Reformgesetzgebers ausgehend, besteht die Notwendigkeit einer Wiederein-gliederungshilfe gerade auch bei dem Täter, der nach Aussetzung eines Strafrestes Anlass zu einem Widerruf gemäß § 57 Abs. 5 i.V.m. § 56 f StGB gibt und z.B. durch die Begehung neuer Straftaten - wie hier - die in ihn gesetzte Erwartung künftiger Straffreiheit enttäuscht. In einem solchen Fall wird durch das Bewährungsversagen zusätzlich dokumentiert, dass der Verurteilte zu einem straffreien und verant-wortungsbewussten Leben in Freiheit noch nicht befähigt ist und damit gerade zur Gruppe der gefährdeten Täter gehört, die für sich selbst und zum Schutze der Allgemeinheit einer nachsorgenden Betreuung durch die Maßregel der Führungsaufsicht bedürfen. Mit der fehlgeschlagenen Legalbewährung tritt daher zu der Endverbüßung der Strafe ein weiterer - prognostisch (in aller Regel) nachteilig zu bewertender - Umstand hinzu. Dementsprechend kann es für den Eintritt der Führungsaufsicht nur auf die vollständige Vollstreckung der Strafe ankommen. Der Senat schließt sich aus diesen Erwägungen der überwiegend in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung an, derzufolge es unerheblich ist, ob die Strafvollstreckung ununterbrochen oder mit Unterbrechungen vollzogen wird (zu vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 25. März 2002 in NStZ-RR 2002, 190; OLG München, Beschl. v. 16. Mai 1990 in NStZ 1990, 454 ff.; Fischer, StGB 56. Aufl., § 68 f, Rn. 6 m.w.N.; Schneider in Leipziger Kommentar, a.a.O., Rn. 12; Stree in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl., § 68 f, Rn. 5; Pflieger in Dölling / Duttge / Rössner, Gesamtes Strafrecht, 1. Aufl., § 68 f, Rn. 4; Groß in Münchener Kommentar, StGB, Bd. 2/1; 2005, § 68 f, Rn. 8; Frehsee/Ostendorf in Kindhäuser / Neumann / Paeffgen, StGB, Bd. 1, 2. Aufl., § 68 f, Rn. 6).

An den obigen Voraussetzungen gemessen, ist die Notwendigkeit einer Führungsaufsicht vorliegend evident. Der Beschwerdeführer ist nach seiner bedingten Entlassung am 22. Dezember 2006 nur eine Woche später erneut durch eine einschlägige Straftat in Erscheinung getreten und hat am 29. Dezember 2006 sowie kurz darauf am 4. Januar 2007 jeweils ein Vergehen des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verübt. Durch diesen schnellen Rückfall in kriminelle Verhaltensmuster ist die Aussetzungsprognose eindeutig widerlegt. In Anbetracht dieses (erneuten) raschen Bewährungsversagens, der zahlreichen Vorstrafen des Beschwerdeführers und des Umstands, dass ihn selbst der unmittelbare Eindruck des Strafvollzugs nicht von der Begehung neuer Straftaten hat abhalten können, liegt auf der Hand, dass nach seiner Haftentlassung auf eine Wiedereingliederungshilfe und seine nachhaltige Kontrolle und Überwachung im Rahmen der Führungsaufsicht nicht verzichtet werden kann.

Ende der Entscheidung

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